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Wir erleben in unseren Workshops oft Leute, die eine für sie unnötige Korrekturübung ausführen, anschließend ihren Betreuer ansehen und eine Bemerkung machen wie: „Irgendwie merke ich nicht viel.“ Warum sollten sie auch? An ihnen muss nämlich gar nichts korrigiert werden. Sie sind gewissermaßen der Grundschule entwachsen. Wenn ich so jemandem ein Kinderlesebuch in die Hand drücke, bringt ihm das keinen Mehrwert. Ein Zweitklässler wird aber sicher davon profitieren.
Ein ausreichendes Maß an Mobilität ist vorhanden
Wir müssen also zunächst wissen, wo unser Schützling aktuell steht. Deshalb machen wir uns die Mühe und setzen einen Ausgangswert, indem wir ihn eine einfache Bewegung ausführen lassen – oder eben gleich den Functional Movement Screen. Dann wiederholen wir das Ganze später, um zu überprüfen, was sich dank der Korrekturübung verändert hat.
Und erst dann fahren wir mit dem Coachen fort. Wenn Sie im gesamten Movement Screen jeweils 2 und 3 Punkte erzielen, ist es sehr wahrscheinlich, dass das größte Hindernis, das Sie davon abhält, ordentlich schwere Gewichte zu stemmen, eine unsaubere Technik ist – und dabei spielt es keine Rolle, ob Sie mit dem eigenen Körpergewicht, einer Langhantel oder Kettlebells trainieren.
Wenn Sie in allen FMS-Tests mit 2 oder 3 Punkten abschneiden, weist das darauf hin, dass Sie über ein ausreichendes Maß an Mobilität und motorischer Kontrolle verfügen. Sie müssen nur lernen, Ihre Atmung zu kontrollieren, Ihren Körper korrekt auszurichten und ein gutes Körpergefühl dafür zu entwickeln, welche Muskeln bei dieser Übung eigentlich aktiv sein sollen.
Hinweisreize können den alles entscheidenden Vorteil bringen
An dieser Stelle können Hinweisreize den alles entscheidenden Vorteil bringen. Ich verbesserte meine Leistung im Langhanteldrücken exakt in dem Augenblick, als Pavel zu mir sagte: „Zieh’ die Hantel genauso energisch nach unten wie du sie nach oben gedrückt hast.“ Das half mir, meine Schulterblätter in die richtige Position zu bringen. Ich stand da und dachte mir nur: „Warum ist mir das nicht früher eingefallen?“
Das liegt daran, dass Pavel viel Zeit damit verbracht hat, diese Übung zu coachen. Sein Tipp konnte mir aber nur deshalb helfen, weil ich damals in der Schultermobilität auf beiden Seiten mindestens 2 Punkte hatte. Ob sich mein Ergebnis seither verbessert oder verschlechtert hat, spielt dabei gar keine Rolle.
Der Punkt ist folgender: Hätte ich in der Schultermobilität zu exakt diesem Zeitpunkt nur 1 Punkt erzielt, hätten mir einer seiner Hinweisreize nicht viel gebracht. 1 Punkt sagt lediglich aus, dass man hier korrigierend eingreifen sollte. In den meisten Fällen sollte jemand, der ansonsten fit ist und trainieren kann, sich noch vor dem eigentlichen Krafttraining von 1 Punkt auf 2 Punkte verbessern können.
Sind diese 2 Punkte erreicht (wir wissen aus eigener Erfahrung, dass dieser „2 Punkte-Zustand“ etwa 30 Minuten lang vorhält), haben wir ein Zeitfenster geöffnet, in dem der beste Kraft- und Konditionierungseffekt während des gesamten Workouts erzielt werden kann. Auch wenn jemand mit 1 Punkt angefangen hat, wird er also jetzt 2 Punkte haben und entsprechend trainieren. Wenn wir ihm nun aber zuviel zumuten oder eine schlechte Technik durchgehen lassen, kompromittieren wir möglicherweise den Bewegungsablauf und befördern den Sportler geradewegs zu seinem Ausgangswert von 1 Punkt zurück.
Eine strategisch platzierte Feststellbremse lösen
Seien wir hier ehrlich. Was bedeutet 1 Punkt im Movement Screen? In vielen Fällen könnten wir diese Bewertung als Mobilitäts- oder Flexibilitätsproblem bezeichnen, aber Flexibilitätsprobleme verbessern sich im Gegensatz zur gängigen Annahme nicht durch Dehnübungen, weil 1 Punkt im Movement Screen oft gar nichts mit verspannten Muskeln zu tun hat. Das Problem ist vielmehr eine strategisch platzierte Feststellbremse, die von Gehirn und Körper gezogen wurde, die uns auf diese Weise mitteilen wollen: „Wenn wir hier eine weitere Bewegung zulassen, verletzt uns der Trottel womöglich noch. Wir lassen nicht zu, dass uns sein Wunsch nach Training oder Fitness schadet und verletzt.“
Wenn wir also sehen, dass jemand Probleme dabei hat, so grundlegende Bewegungen wie Beinheben, Schultermobilität, Ausfallschritt oder Kniebeuge auszuführen, sollten wir uns nicht gleich auf die Suche nach dem verspannten Muskel machen und ihn mit der Hartschaumrolle bearbeiten. Stattdessen sollten wir herausfinden, warum an dieser Stelle überhaupt die Bremse gezogen wurde.
Probleme mit der Flexibilität können zum Beispiel dann auftreten, wenn jemand einige sehr kraftvolle Bewegungen absolviert – Bewegungen unter Last, Sprints oder über Kopf ausgeführte Langhantelübungen –, dabei aber nicht über ausreichend motorische Kontrolle oder Integrität verfügt. Der Körper gerät unvermittelt an den Rand seiner Leistungsfähigkeit und ist darüber so verunsichert, dass er die Bremse gezogen hat, die ein Weiterkommen unmöglich macht. Manchmal erzielt man den größten Leistungszuwachs, wenn man zuerst die mit 1 Punkt bewerteten Bewegungsmuster korrigiert bis man wieder 2 Punkte erzielt, und erst dann erneut coacht.
Dosieren Sie Ihre Hinweisesreize
Das mussten Teilnehmer unbedingt berücksichtigen, die z. B. am StrongFirst-Event teilgenommen haben, das Brett und ich vom 20. bis 22. Juni 2014 in King of Prussia, Pennsylvania, geleitet haben. Wir durchlaufen den Movement Screen zügig und zeigen dann, wie alles zusammenwirkt, wenn man weiß wann man coachen und wann man korrigieren soll.
Der Functional Movement Screen sagt uns, worauf wir achten müssen. Vergeuden Sie keine wertvollen Hinweisreize, solange jemand auf einer „1“ steht. Oft sind Sie nur 10 oder 15 Minuten von einer „2“ entfernt. Auch Videos oder Fotos liefern beispielweise ein schnelles Feedback, so dass der Klient selbst sehen kann, wie sauber die Bewegung bereits geworden ist.
Dosieren Sie Ihre Hinweisesreize gut, damit Sie und Ihr Schützling unmittelbare, greifbare Verbesserungen erzielen.
Wenn Sie lediglich die Hinweisreize aufgreifen, die Sie bei den Meistern ihres Fachs gelernt haben, und sie auf jemanden anwenden, bei dem eine Bremse aktiv ist oder der in mehreren Movement-Screen-Tests mit 1 Punkt abgeschnitten hat und daher nur bedingt aufnahmefähig ist, werden Sie kaum überzeugende Resultate erzielen.
Bringen Sie als Coach Hinweisreize da an, wo sie hingehören, und Sie werden denselben Nutzen erzielen wie die Experten.
Euer Gray Cook