Das Problem
Athlet A verfügt über ein höheres Beschleunigungspotential als Athlet B, da er über mehr schnelle Muskelfasern in der Muskelschlinge verfügt. Die Anzahl der schnellen Muskelzellen können wir nicht erhöhen, aber das Verhältnis von der langsamen und schnellen Muskelmasse, das können wir sehr wohl beeinflussen. Wie geht das?
Die Lehrbuchlösung
Viele Praktiker erheben für die Trainingsplanung und Monitoring das 1-Wiederholungsmaximum und leiten davon die Belastungen für das Krafttraining ab. Jedoch bekommt man mit dieser Analyse Informationen zum generellen Kraftverhalten von langsamen und schnellen Muskelfasern der Muskelschlingen, wobei hierbei wichtige Informationen für die Trainingsgestaltung wie die Bewegungsgeschwindigkeit und mechanische Leistung fehlen. Die Bewegungsqualität ist zwar ein wichtiger Indikator, liefert aber nicht ausreichende Informationen für eine systematische selektive Hypertrophie der schnellen Muskelfasern. Entscheidend für den täglichen Trainingsprozess ist die Belastungssteuerung während der Einheit. Hieraus ergeben sich folgende Fragen: Wie lange dürfen die Trainingspausen sein und wie viele Wiederholungen dienen unserem Trainingsziel der selektiven Hypertrophie? Diese Fragen lassen sich anhand qualitativer Informationen nicht zuverlässig beantworten.
Alternative: Ein physiologisch fundierter Lösungsansatz
Das differenzierte diagnostische Assessment langsamer und schneller Muskelfasern geht auf Carmelo Bosco zurück, wobei das Modell des faserspezifischen Trainings bereits in den 80er Jahren von Jozef Tihanyi sehr erfolgreich im Hochleistungssport eingesetzt wurde. Allerdings fehlten damals noch die technischen Voraussetzungen zur Vertiefung. Heute lässt sich die Idee des faserspezifischen Trainings mit erschwinglicher und benutzerfreundlicher Technologie deutlich einfacher umsetzen, da Informationen zur Bewegungsgeschwindigkeit und mechanischen Leistung zur Trainingsplanung und -steuerung verwendet werden können. Somit ist es möglich, dass anhand der mechanischen Informationen physiologischen Kosten wie die verstärkte Anpassung der ST-Fasern oder strukturelle Überlastungen des Bindegewebes durch die Leistungssteuerung reduziert werden. Denn wie schon Paracelsus wusste, ist die richtige Dosierung entscheidend für die Wirkung eines Medikaments.
Woher kommt die Maximalkraftdiagnostik?
Die Erhebung des 1er-Wiederholungsmaximums (1RM) ist die Basisdiagnostik von Gewichthebern für die Trainingssteuerung seit mehreren Jahrzehnten. In den 1910er Jahren wurde der Wert vom Langhanteltraining auch in anderen Sportarten wie zum Beispiel der Leichtathletik genutzt. In den 50er Jahren hat Karl Adam, ein Trainingsvordenker in Deutschland, das Langhanteltraining in das Rudertraining erfolgreich integriert. Die klassische Diagnostik des 1RM hat man wohl vom Gewichtheben übernommen und sich dabei an deren Trainingsplanung orientiert. Die mechanische Übertragung der Prinzipien hat wahrscheinlich zur Entwicklung des Stereotyp beigetragen, dass Krafttraining immer mit dem generellen Gewinn von Muskelmasse in Verbindung gebracht wird, die den Athleten schwerer und unbeweglich macht, aber nicht unbedingt dessen Leistung verbessert. Damit der Effekt der Fehladaptation verringert werden kann, erfasst man heute das mechanische Verhalten der Muskelschlingen (Bosco et al., 1984). Diese bahnbrechende wissenschaftliche Innovation geht auf Carmelo Bosco zurück und ist von großer praktischer Relevanz, da es nun möglich ist anhand zuverlässiger Leistungsdaten gezielter das Krafttraining zu steuern und direkt Feedback zu geben (Bosco et al., 1995).
Die Trainingsdosis bestimmen
Mit Beschleunigungsmessern lässt sich ein valides Kraftgeschwindigkeitsprofil von Athlet B erstellen, z.B. anhand der Leistung bei 60, 80, 100, 120 und 140kg (Kraus, 2016; McMaster, Gill, Cronin, & McGuigan, 2014). Anhand dieses Profils können wir nun das Leistungstraining steuern, liegt der Fokus auf einer Optimierung der Rekrutierung, Sequenzierung und Frequenzierung der schnellen Muskelfasern innerhalb des schnellen Dehnungsverkürzungszyklus (<250ms), dann wählen wir ein leichteres Gewicht mit dem Athlet B eine Bewegungsgeschwindigkeit von über 1 Meter pro Sekunde erreicht. Liegt der Fokus auf einer erhöhten Rekrutierung von FT- und ST Fasern, so eignen sich hohe Gewichte bei langsamerer Bewegungsgeschwindigkeit z.B. 0,4 Meter pro Sekunde. Um hierbei eine zu starke Anpassung der ST-Fasern zu vermeiden, wenden wir wieder die 90% Prozentregel an (siehe Abb 1.). Abbruchkriterium ist hierbei entweder die Geschwindigkeit oder die mechanische Leistung, wenn diese unter 90% der getesteten Bestleistung liegt. Um die Trainingswirkung auf Ebene des exzentrischen Kraftpotenzials zusätzlich zu erhöhen empfiehlt sich die Verwendung der Flywheel- oder Yo-Yo-Technologie (Norrbrand, Pozzo, & Tesch, 2010).
Abbildung 1: Dieses Beispiel zeigt, dass nach der 6. Wiederholungen die Anpassung verstärkt auf Ebene der langsamen Muskelfaser stattfindet.
Auf physiologischer Ebene trainieren wir hierbei hauptsächlich die ATP- und Kreatinphosphat-Verstoffwechselung dominiert von den schnellen Muskelfasern und erhöhen auf dieser Ebene die physiologische Kapazität von Athlet B durch die Erhöhung der schnellkontrahierenden Muskelmasse (Wilmore, Costill, & Kenney, 2008). Abbildung 2 stellt ein relevantes Beispiel für Fitness- und Nachwuchstrainer dar. Es liefert einen Eindruck von möglichen Steigerungsraten bei mäßig erfahrenen Athleten.
Abbildung 2: In dieser Grafik ist die Entwicklung eines Leistungssportlers (Krafttrainingserfahrung: 2. Jahr) über einen Zeitraum von zwei Monaten dargestellt. Der Krafttrainingsumfang betrug eine Krafttrainingseinheit und 3 bis 4 weitere Schnelligkeitsausdauereinheiten pro Woche.
Übungsauswahl und Umfang
Die Anzahl der Sätze und Wiederholungen ist sowohl abhängig von der körperlichen und technischen Leistungsfähigkeit des Sportlers als auch von den folgenden Trainingseinheiten. Generell empfiehlt sich die Verwendung der 90 Prozent-Regel, sodass die Anzahl von Sätzen- und Wiederholungen von der Tagesform bestimmt wird. Aus Erfahrung sind 8 bis 12 Sätze pro Muskelgruppe bei gut trainierten Athleten möglich, was langfristig zu einer 2,5fachen Erhöhung der schnellkräftigen Muskelmasse führen kann. Diese kann laut Tihanyi einen 30 bis 40 prozentigen Mangel an schneller Muskelfasern kompensieren. Jenes Verfahren hat Tihanyi z.B. erfolgreich bei Hochspringern und 400m Läufern eingesetzt (Tihanyi, 1997).
Umsetzungsbeispiel
Execution 1: Tiefe Kniebeuge mit Leistungsmesser
Planung: 4 bis 6 Sätze a >90% Leistung, Mikropause: 2min/Makropause: 7 bis 10min
Execution 2: Splitsquat mit Leistungsmesser
Planung: 2 bis 3 Sätze a >90%+ Leistung, Mikropause: 2min/Makropause: 7 bis 10min
Execution 3: Jumpsquat auf Höhe
Planung: 2 bis 3 Sätze a >90%+ Leistung bzw. Höhe, Mikropause: 2min/Makropause: 7 bis 10min
Eine sehr wichtige Kompetenz eines Trainers ist es die Effekte seines Coachings, insbesondere seine Entscheidungen innerhalb des Trainingsprozesses visualisieren zu können. Mithilfe des vorgestellten Trainingsansatzes lassen sich die Entscheidungen empirisch erfassen und darstellen sowie physiologisch begründen.
Euer Kornelius Kraus
Hallo Cornelius!
Klingt Alles recht gut,allerdings ist in der Praxis ,wenn man auch alle anderen Faktoren mit einbezieht,sehr häufig auch eine ganz andere Herangehensweise wesentlich zielführender und zusätzlich einfacher…
Ich bin der Meinung,simple is best….oft wird im Krafttraining viel zu vieles verkompliziert.
Ich gebe allerdings zu,dass ich eher im Sprint zuhause bin,in Bezug auf andere Sportarten halte mich mal zurück.
Im Sprint gilt : Das Krafttraining soll die Muskulatur(und teilweise Sehnen) auf die im Sprint auftretenden Kräfte vorbereiten.Für die ersten 30 m ist ausserdem die Relativkraft in den Indikatorlifts relevant.Das wars dann schon grob gesagt.
Bei extrem fortgeschrittenen Athleten muss das Krafttraining sogar wieder unspezifischersein,da ein (Kraft)Training,das auf der Kraft-Zeit-Kurve zu nah an der Wettkampfdisziplin liegt,zu viel Energie abzieht und das ZNS
so in Mittleidenschaft zieht,dass das wichtigere Training der Hauptdisziplin leidet.
Schau dir dazu mal das System von Charlie Francis an (falls du es nicht schon kennst).
Also der Artikel ist schon gut,aber man kann das Thema wie immer nicht aus dem gesamten Trainingszusammenhang lösen finde ich.
Viele Grüße!
Thomas