Ist die Rede vom Faszientraining, denken die meisten Sportler mittlerweile an die Selbstmassage mit einer festen Schaumstoffrolle. Dabei umfasst das Faszientraining deutlich mehr Bereiche und bietet ungleich mehr Möglichkeiten.
Insgesamt unterteilen wir das Faszientraining in vier Prinzipien
- Rebound Elasticitiy
- Fascial Stretch
- Fascial Release
- Propriozeptives Refinement
Diese vier Prinzipien werden in ein umfassendes Faszientraining eingebunden (s. Kasten). In diesem Artikel möchte ich mich jedoch ausschließlich dem propriozeptiven Refinement widmen, da dieses insbesondere von den meisten männlichen Sportlern noch sehr vernachlässigt wird.
Die grundlegende Voraussetzung für Bewegung an sich, aber auch für eine elegante Schmeidigkeit an Bewegung, die wir in höchster Kunstfertigkeit bei einem begnadeten Tänzer genießen, ist nicht nur ein intaktes Fasziennetz sondern auch ein feingestimmter Körpersinn. Hier setzt das Training des ‚Fascial refinement‘ an – denn die propriozeptiven Rezeptoren befinden sich in Hülle und Fülle in den weichen Geweben.
Ziel der sinnlichen, in sich hineinspürenden Bewegungen ist es, die blinden Flecken im Körper (wie bei chronischem Rückenschmerz) und/oder schwer spürbare Bereiche (wie nach Operationen und Traumen) wieder in das eigene Körperbild zu integrieren.
Mikrobewegung
Innerhalb des Muskels bilden die Faszien stützende Trennwände und so genannte Septen, die wie das Innenleben einer Orange aussehen: Unter der Schale (Haut) befindet sich eine die ganze Frucht umfassende weißlich-faserige Hülle, im menschlichem Körper der oberflächigen Tiefenfaszie entsprechend (‘Bodysuit‘). Wie die Orange sich dann von dieser Ganzkörperhülle aus in einzelne Schnitze unterteilt, und diese wiederum in immer kleinere Beutelchen, so teilt sich das menschliche Muskelgewebe mittels unzähliger feiner Beutel in immer feiner werdende Strukturen auf. Bis in einzelne Muskelfasern, die jede für sich in einer hauchzarten bindegewebigen Hülle eingepackt ist.
Diesem sich verfeinernden Bauprinzip kommen wir mit der Mikrobewegung auf die Spur.
Fragen
Was zeichnet sinnliche, in sich hineinspürende Bewegungen aus?
Sie sind durch neugieriges Ausprobieren geprägt sowie von ständigen Variationen in Geschwindigkeit, Größe und Richtung der Bewegung. Eine nützliche Orientierungsfrage ist dabei: „Wie kann ich mich noch feiner bewegen? Oder noch ungewohnter? Noch leichter und müheloser? Oder noch lustvoller?“
Welche Übungen helfen dabei?
Beginnen Sie mit einer im Alltagsgebrauch ungewohnten Körperposition – etwas seitlich über einem Stuhl hängend. Oder spielen Sie mit ungewohnten Wirbel-Undulierungen wie im Kobra Spine (s.u.)
Wie genau kann ich damit die Schmerzen erspüren?
Die Aufmerksamkeit bewusst auf latente Schmerzen zu richten, ist nicht der übliche Ansatz im Faszientraining. Vielmehr geht es darum, die Aufmerksamkeit auf propriozeptive Stimulationen zu lenken, die dann im Rückenmark eine nachhaltige Weichenstellung bewirken, sodass die Regulation der Feinabstimmung in der Bewegungskoordination künftig höher gewichtet wird.
Basisübung
Kobra Spine, Quelle: www.fascial-fitness.de ((Abb. 4.1 und 4.2))
Sie stehen hüftweit mit der Betonung auf den Außenseiten der Füße in einem stabilen Stand.
Beugen Sie den Oberkörper aus den Hüftgelenken heraus halbhoch in den Raum nach vorn, und ziehen Sie den Unterbauch nahe an die Lendenwirbelkette heran. Halten Sie diese Spannung während der gesamten Übung. So spannen Sie – über die fasziale Verbindung des tiefen Bauchmuskels in die tiefe Schicht der Lumbarfaszie – ein stützendes Netz um die Lendenwirbel. Die Hände auf die Oberschenkel aufstützen, das Brustbein nach vorn öffnen und die Schulterblätterspitzen tief Richtung Gesäß ziehen.
Aus dieser Grundposition heraus die Wirbelkette zusätzlich langziehen, also den Scheitelpunkt nach vorn in den Raum hinaus verlängern und im Gegenzug dazu die Sitzbeine nach hinten in den rückwärtigen Raum hinausschieben.
Nun nehmen Sie wellenförmige Bewegungen entlang Ihrer Brustwirbelkette auf. Sie können mit einer fließenden Vor- und Rückbewegung zwischen den Schulterblättern nach vorn Richtung Brustbein beginnen. Wechseln Sie die Bewegungsrichtung in seitliche Pendelbewegungen und Achterschleifen, die sich bis an die Achseln ausbreiten können. Sie können sich auch – von den Brustwirbeln ausgehend – mit winzigen Mikrobewegungen zwischen einzelne Rippen und in deren elastisches Fasziennetzwerk hineintasten.
Erobern Sie sich also im wahrsten Sinne des Wortes eine Wirbelschlange und einen flexibel-elastischen Brustkorb zurück. Möglicherweise hilft die Vorstellung, Sie würden Wasser an der Wirbelkette entlang sowie innerhalb des Brustkorbs hin und her bewegen.
10 Tipps zum Faszientraining
- Ein bis zwei Mal pro Woche trainieren
- Wenige Übungen auswählen, die alle vier Prinzipien berücksichtigen
- Muskeln und Gewebe mit einem fetzigen Tanz oder einer leichten Laufeinlage aufwärmen
- Wenige Minuten und Wiederholungen für jede Übung
- Übungen nach eigenem Gutdünken wechseln oder in den wöchentlichen Trainingsablauf integrieren
- Wahrnehmen, ob sich der Bewegungsablauf geschmeidig und genussvoll anfühlt
- Ausprobieren, wie Sie den Ablauf noch geschmeidiger oder jugendlicher gestalten können (Lustprinzip)
- Mechanische Abläufe vermeiden
- Beim Üben nicht fernsehen oder sich ablenken lassen
- Auf die Magie der vielen, kleinen Schritte vertrauen
Euer Dr. Robert Schleip
Beim Functional Training Summit in München wird Dr. Robert Schleip neueste Erkenntnisse zum Faszientranining präsentieren. Weitere Informationen finden Sie unter www.ft-summit.de.
Warum reicht es, den Faszien nur ein bis zweimal in der Woche einen Trainingsreiz zu geben um dadurch entscheidende Veränderungen anzustoßen? Es soll sogar sinnlos sein jeden zweiten Tag oder gar täglich zu trainieren. Der „Umbau“ der Faszien dauert ca. 1 Jahr. Diese Zeit kann mal dann nicht durch mehr Trainingseinheiten reduzieren? Hier denke ich insbesondere an die dicke Rückenfaszie.