Mindestens zehn Minuten täglich
Ich empfehle meinen Sportlern als Ziel 20 Minuten Mobilisationsarbeit pro Tag, wobei mir bewusst ist, dass manche Tage im modernen Leben komplett aus dem Ruder laufen. Daher möchte ich, dass du einen heiligen Eid auf mindestens zehn Minuten täglich leistest, jeden Tag. Damit kannst du bereits einen unglaublichen Schritt hin auf die Mobilisationsstandards machen. Es sind nur zehn Minuten, die dafür jedoch komplett zielgerichtet sein müssen. Wähle einen Zielbereich pro Tag aus – egal, ob Füße, hintere Oberschenkel – oder Gesäßmuskeln – und bombardiere ihn mit Mobilisationen. Diese Zeit sollte täglich aufgewendet werden. Nutze aber auch die raren freien Minuten im Tagesablauf, um ein wenig Mobilisationsarbeit für die Füße oder das Halten der tiefen Squatposition einzuschieben. Ich möchte, dass du unterm Strich 20 Minuten qualitativ hochwerte Mobilisations- und Gewebearbeit erreichst. In erster Linie jedoch die zehn Minuten.
Zwei Minuten plus
Arbeite intensiv zwei Minuten mit jeder Mobilisation. Das ist die Mindestzeit, die du benötigst, um effektive Veränderungen im Gewebe zu erzielen. Wenn du beispielsweise den Couch Stretch als Mobilisation des Tages ausgewählt hast, solltest du ihn zwei Minuten mit dem rechten und zwei mit dem linken Bein ausführen. Du wirst eine Veränderung feststellen; nur zwei Minuten, diese jedoch fokussiert, bewirken Wunder. Die Leute, die im Studio auf Hartschaumrollen abhängen und dabei E-Mails auf dem Handy lesen, mobilisieren nicht. Zwei konzentrierte Minuten Arbeit mit einer konkreten Mobilisation bringen mehr als 20 Minuten undefinierte Beschäftigung mit der Rolle. Damit die Mobilisationszeit zählt, wähle ein oder zwei Übungen aus und gehe absolut zielgerichtet vor. Wenn du echte Veränderungen bewirken möchtest, musst du überlegt arbeiten und in die Tiefe gehen, um Triggerpunkte und besonders verhärtete Regionen aufzuspüren. Die zwei Minuten werden besonders effektiv sein, wenn du fokussiert und konzentriert arbeitest.
Bereiche darüber und darunter aktivieren: das »Upstream-Downstream«-Konzept
Bleibende Verbesserungen erzielst du, wenn du auch die Regionen oberhalb und unterhalb einer Problemzone behandelst. Anders gesagt: Körperbereiche, Gelenke oder
Muskeln, die gerade verletzt sind oder anderweitig das Erreichen eines Standards verhindern, behandelst du zunächst mit einer Voodoo-Flossband-Kompression oder mit dem Lacrosseball, egal, ob Sprunggelenk, Knie, hintere Oberschenkelmuskeln oder unterer Rücken. Zusätzlich musst du den Bereich um diese akut schmerzenden
Gelenke oder Gewebe herum bearbeiten, um sie zu entspannen und geschmeidig zu machen. Ist zum Beispiel die Sprunggelenkbeweglichkeit erheblich eingeschränkt, sollte ein Teil der Mobilisationarbeit dem Bereich unterhalb der Problemzone – also Fußgewölbe, Zehen und Fußrücken – sowie dem darüberliegenden – Wadenmuseln, Knie, Oberschenkel, Hüfte) – gewidmet werden.
Was sich grenzwertig anfühlt, ist grenzwertig
Wenn du beim Mobilisieren richtig Gas gibst, können Schmerzsignale auftreten, die weniger auf die Belastung des Muskelgewebes zurückzuführen sind, sondern darauf hinweisen, dass eventuell ein Nerv empfindlich getroffen wurde. Die Regel für diesen Fall: Was sich grenzwertig anfühlt, ist grenzwertig. Unterbrich deine Arbeit, und gehe auf andere Weise an die Mobilisation heran. Hinter dem Knie befindet sich z. B. ein neuromuskulärer Gewebestrang, den man bisweilen reizt, wenn man im Rahmen von Beinbeugeübungen den Lacrosseball in »Nussknacker-Technik« in der Kniebeuge verwendet. Solche Stellen melden manchmal seltsame Schmerzen. In diesem Fall sollte man abbrechen. Sicherlich sollte die Mobilisationsarbeit in tiefe Schichten vordringen, um hier unangenehme Punkte zu beseitigen. Wenn der Körper jedoch »Das ist falsch« signalisiert, ist es auch falsch.
In guter Körperhaltung arbeiten
Achte bei der Mobilisation auf deine Haltung. Wichtig sind eine neutrale Wirbelsäulenposition und Knie, die nicht nach innen kippen. Dies sollte Teil deines täglichen
Lebens werden und nicht nur während der Workouts gelten. Du bist 24 Stunden am Tag Sportler. Wenn du im Büro weniger sitzen kannst, verbringe weniger Zeit in schlechter, potenziell gewebeschädigender Haltung. Gleichzeitig brauchst du weniger Zeit für Mobilisationen gegen die schädlichen Einflüsse des Sitzens. Achte also auf deine Motorik und eine möglichst gute Körperhaltung.
Keine Pausentage
Einige Sportler haben eine schlechte Angewohnheit: Es geht darum, dass die Sportleridentität nach dem Training nicht in der Umkleidekabine zurückbleibt. Das ist z.B. typisch für Läufer, die morgens zehn Kilometer abspulen und dann den Rest des Tages relativ nachlässig im Bürostuhl abhängen oder sich mit schlechter Körpermechanik, wie Knien in Valgus-Stellung oder nach vorne hängenden Schultern, bewegen. Das ähnelt einem Kraftsportler, der hart daran arbeitet, in sauberer Technik fünf Sets Kreuzheben zu absolvieren, sich dann aber nach jedem Set auf den Boden setzt, um danach in schlechter Körperhaltung wieder aufzustehen. Die Keine-Pausentage-Politik ist eine geistige Haltung. Sie beginnt mit der Einsicht, dass Muskeln sich um die am häufigsten eingenommenen Haltungen herum modellieren. Bei Menschen, die den Großteil des Tages sitzen, passen sich Muskeln und Gelenke an die gebeugte Haltung an. Die Auswirkungen der Zeit, die in schlechter Haltung verbracht wird, machen sich tendenziell in den Positionen und Bewegungen bemerkbar, die beim Laufen am meisten gebraucht werden.
Gewöhne dir als Lösung an, alle verwendeten Positionen gewohnheitsmäßig zu überprüfen. Je häufiger du gute Körperhaltungen einnehmen und dich mit stimmiger Körpermechanik bewegst, desto mehr wird deine Performance davon profitieren. Jede Bewegung und jede Haltung zählt – egal, ob du 18, 43 oder 75 Jahre alt bist. Stelle dir das so vor: Alle paar Jahre bekommst du eine neue Kreditkarte zugeschickt. Du aktivierst sie und musst nur noch eines machen: die alte Karte aus dem Geldbeutel nehmen und zerstören. Das geht nicht so leicht: Du musst die Karte mehrmals hin und her biegen, bevor sie bricht. Kreditkarten sind aus äußerst widerstandsfähigem Material – genau wie dein Körper. Jede Wiederholung einer fehlerhaften Schrittabfolge kannst du dir als einen Biegevorgang der Karte vorstellen. Überlege, wie unglaublich viele Wiederholungen Ihr Gewebe aushält. Eines Tages jedoch wird es, wenn auch überraschend, genau wie die Kreditkarte einen feinen Riss aufweisen. Du machst weiter, weil du das kannst. Dann wird das Gewebe nachgeben. Genau wie die Karte, die in zwei Hälften zerbricht, hast du die Kniescheibe oder eine Bandscheibe aufgearbeitet. Dies ist ein wichtiges Bild, das der Keine-Pausentage-Politik Rückendeckung gibt. Ein Pausentag im Training ist oft angeraten und in den meisten Programmen vorgesehen. Für die Basiskörperarbeit gibt es keine Auszeit. Die Verpflichtung zu zehn Minuten Mobilisation lässt sich selbst an den hektischsten Tagen erfüllen.
Warum? Jede Minute, die du in Bewegungsarbeit und Mobilisation investierst, hilft, die mikrofeinen Schäden zu vermeiden und zu verringern, die durch jeden Laufschritt hervorgerufen werden. Jeder für sich ist keine große Sache. Multipliziert, werden die Millionen Mikroschäden jedoch so groß, als ob du, um im Bild zu bleiben, deine Kreditkarte in einen Aktenvernichter geben würdest. Viele der Mobilisationen stören den normalen Tagesablauf nur wenig. Den Couch Stretch kannst du beispielsweise während des Fernsehens machen. Oder stelle dir den Wecker im Stundenrhythmus. Er erinnert dich daran, sich vom Stuhl zu erheben, einige Schritte zu gehen, etwas Wasser zu trinken und vielleicht eine Runde Wadenmobilisation einzuschieben oder eine Minute in der tiefen Squatposition zu verbringen.
Euer Dr. Kelly Starrett
Erlebe Dr. Kelly Starrett live auf dem Faszien & Mobility Summit in Köln vom 04.-06. März 2016
Hi Doc.
guter Artikel, ABER mann sollte den meisten denn unterschied zwischen Dehnen und Mobilisieren erklären.
Und bei einer 3D Mobi hat mann schon die Dehn. mit indikrit.
Viel Spaß beim Üben.
PS: um Gewebeveränderungen zu erreichen sollten 15-20 Wied. pro.Seite gemacht werden in einen persönlichen Rhytmus. Welcher Rhytmus das ist muß jeder für sich rausfinden. Wir sind ja auch nicht alle gleich.
I.P.