Sie haben bestimmt schon von Kettlebellübungen wie dem Türkischen Aufstehen für Rumpf- und Schulterstabilität gehört. Neben Koordination und Balance, existieren auch für Explosivität und Fettverbrennung viele Wunderübungen, von denen Sie vielleicht gehört haben. Wenn Sie Fähigkeiten, wie Kraft, Explosivität, Ausdauer und viele weitere erwerben wollen, möchte ich Ihnen einen wesentlich effektiveren Weg vorstellen: Die beiden klassischen Kettlebelldisziplinen Stoßen und Reißen.
Die Anfänge mit der Kettlebell
Wenn ich von den aktuell umworbenen Übungen wie dem Schwung oder dem Türkischen Aufstehen höre, erinnere ich mich noch genau an meine eigenen Anfänge als 13-jähriger Athlet vor 53 Jahren. Damals wog meine Kettlebell 16kg, war gusseisern und ihr Griff wesentlich dünner und unangenehmer zu fassen, als bei den heutigen Kettlebells. Damals gab es auch noch keine professionellen Anleitungen. Ich imitierte Übungen, die ich bei Zirkusathleten gesehen hatte, und ließ meiner Fantasie beim Ausdenken neuer Übungen freien Lauf. Schwung, Türkisches Aufstehen (damals wusste ich natürlich nicht, dass diese Übung irgendwann einmal „türkisch“ werden würde), Drücken, Jonglieren… Ich probierte alle erdenklichen Übungen aus. Da ich nur ein zu schweres Gewicht hatte und die Kettlebell zuerst nicht gerade halten konnte, machte ich Handgelenkübungen, bis ich es konnte. Es funktionierte, ich wurde stärker und sah athletischer aus. Die Kettlebell hat mich seitdem mein ganzes Leben begleitet.
Stoßen und Reißen – die korrekte Technik ist wichtig
Wenn ich heute auf meine mehr als vierzigjährige Karriere als Trainer zurückblicke, wünschte ich mir, bei der Übungsauswahl einiges anders gemacht zu haben und schon von Beginn an das Stoßen und Reißen von einem Trainer erlernt zu haben.
Meine besten Athleten, seien es diejenigen, die den Kettlebellsport als Hauptsport betreiben und damit Erfolge erlangten (Jugendeuropameisterin, Vizeeuropameister oder Podiumsplätze bei der Weltmeisterschaft), oder Sportler in unterschiedlichsten Disziplinen (American Football, Rugby, Lacrosse, Boxen, Tennis oder Rudern) konnten so ihre Leistung beträchtlich steigern.
Alle konnten ihre Erfolge nur deshalb erreichen, weil sie beim allumfassenden Athletiktraining mit mir vor allem die klassischen Disziplinen Stoßen und Reißen mit korrekter Technik gelernt hatten, und über die Jahre hinweg außerdem methodisch trainierten. Natürlich benutze ich auch andere, vielseitige Übungen im Training, wie Schwung oder Drücken.
Der Ursprung liegt im traditionellen Gewichtheben
Um die Rolle dieser Hilfsübungen und die des Stoßens und Reißens für athletisches Training besser zu erläutern, will ich erst einmal über das traditionelle Gewichtheben sprechen. Vor allem in Sportarten die Explosivität und Kraft erfordern, ist es unter Profis kein Geheimnis mehr, dass die klassischen Gewichtheberdisziplinen Stoßen und Reißen hervorragende Hauptübungen zur Kraft- und Explosivitätsentwicklung sind. Gewichtheber und Profis anderer Sportarten nutzen das Stoßen ud Reißen seit vielen Jahrzehnten.
Kluge Sportler fingen schon zu Beginn des Gewichthebesports an, dieses Training durch Teilbewegungen, wie Kniebeugen, Zug- oder Druckübungen zu ergänzen. Profiathleten anderer Sportarten übernahmen dann diese Methodik.
Kettlebells eignen sich darüber hinaus auch hervorragend für Sportarten, welche neben explosiver Kraft auch Durchhaltevermögen erfordern. Dabei lassen sich die Übungen leichter und schneller erlernen und es lässt sich zusätzlich gezielt die Ausdauer trainieren. Ein weiterer Vorteil der Kettlebells: sie nehmen weniger Platze ein, als eine Langhantel, und können somit überall zum Training verwendet werden.
Stoßen und Reißen mit Kettlebells trainiert den ganzen Körper als Einheit
Wer den gleichen Erfolg wie die Profis mit der Langhantel erreichen will, darf bei den unzähligen Varianten und Übungen, die das Kettlebelltraining bietet, jedoch nicht vergessen, dass die langjährig erprobten Leistungssteigerungen der Profis nicht nur durch Hilfsübungen, sondern vor allem durch technisch korrektes und methodisch angewandtes Stoßen und Reißen erzielt wurden. Denn das Stoßen und Reißen von Kettlebells trainiert – wie die Langhantel als Pendant – den ganzen Körper als Einheit, während Sie mit Hilfsübungen wie z.B. dem Schwung nur einzelne Bewegungen ergänzend trainieren können. Wer stößt und reißt bekommt explosive und ausdauernde Beine, einen stabilen Rücken, einen eisernen Griff, und Schultern die sich sehen lassen können. Dazu wird der ganze Körper beweglicher, denn die Bewegungsamplituden sind dabei genau so groß, wie es der menschliche Körper erlaubt. Ein guter Sportler lernt, sich zusammen mit der Kettlebell zu bewegen, sich wie eine Schlange um sie zu winden, und die Arme mit stabilen Schultern und einem geraden Rücken gestreckt über dem Kopf zu halten. Er lernt, die Kettlebells mit Intention in der Bewegung explosiv und ergonomisch zu bewegen. Diese erlernten Fähigkeiten übertragen sich hervorragend auf andere Sportarten und alltägliche Aktivitäten.
Trainieren Sie wie die Profis
So hatte ich einen ehemaligen Profiboxer ein halbes Jahr lang nur mit dem Stoßen und Reißen von Kettlebells und Langhantelkniebeugen trainiert. Er klagte über die Monotonie der Übungsauswahl, aber ich blieb hart. Mit Erfolg: Kurz vor dem altersbedingten Ausscheiden aus dem Boxsport berichtete er darüber, seine Arme länger oben halten zu können, und auf einmal stärker und explosiver zu sein als in seinen ehemals besten Jahren als junger Profisportler.
Wenn Sie an größeren Taten und besseren Ergebnissen interessiert sind, die Explosivität und Kraft erfordern, empfehle ich es Ihnen deshalb wie die Profis zu machen:
Konzentrieren Sie sich in Ihrem Training auf das klassische Stoßen und Reißen, sei es mit der Langhantel oder mit Kettlebells.
Da Kettlebells unbedingt mit richtiger Technik gestoßen und gerissen werden müssen, gebe ich Ihnen hier ein paar Tipps.
Tipps zum Stoßen und Reißen
Stoßen
- Achten Sie beim Stoßen auf Ihre Fußstellung: Sie haben vielleicht schon Sportler, welche einen physikalisch ungünstigen Stand benutzen müssen, damit sie die Kettlebells beim Umsatz vor dem Stoßen zwischen den Beinen durchschwingen können. Wenn Sie aber nur Stoßen, sollten sie nach dem einmaligen Umsetzen einen hüftbreiten Stand einnehmen. So können ihre Beine am besten Kraft vom Boden auf die Kettlebells übertragen.
- Weil die Atmung beim Stoßen mit Kettlebells anders funktioniert als beim Stoßen mit der Langhantel, drücken Sie in der Startposition nicht Ihre Brust heraus, wie Sie es vom Gewichtheben oder von anderen Fitnessübungen kennen. Für eine optimale Kraftübertragung aus den Beinen und die richtige Atmung, suchen Sie mit den Ellenbogen Halt auf den Hüftknochen. Dafür machen Sie Ihren oberen Rücken etwas rund und ziehen die Schultern soweit nach vorne, bis Sie das Gewicht der Kettlebells auf Ihren Ellenbogen und Hüftknochen spüren. In dieser Position können Sie länger stehen als mit herausgedrückter Brust und zusätzlich besser aus den Beinen ausstoßen.
- Viele Sportler machen den Fehler, vor dem Stoßen und aus der Startposition hinaus einatmen zu wollen. Durch das Gewicht der Kettlebells auf Ihren Lungen ist das aber schwer und Sie verschwenden nur Energie. Darum sollten Sie Ihre Atmung umstellen: Wenn Sie Stoßen, sind Ihre Lungen kurz von der Last der Kettlebells befreit. Nutzen Sie diese Sekunde und atmen Sie deshalb erst beim Ausstoßen ein. Beim Fixieren mit gestreckten Armen atmen Sie wieder aus. Bevor Sie die Kettlebells wieder auf die Brust zurückfallen lassen, atmen Sie erneut ein, und erst wieder beim Auffangen aus. So arbeitet Ihre Atmung nicht gegen die Kettlebells, sondern mit ihr.
Reißen
Auch beim Reißen spielt die Atmung eine wichtige Rolle. Viele Sportler atmen beim Aufschwingen aus und haben beim Fixieren der Kettlebell über dem Kopf jede Körperspannung verloren. Seien Sie deshalb klug und atmen Sie beim Aufschwingen ein. Durch das Einsaugen der Luft bauen Sie Spannung für die Beschleunigung der Kettlebell auf. So können Sie die Kettlebell dann gestreckt und mit richtiger Körperspannung über dem Kopf fixieren. Falls mehrere Atemzüge zur Pause gebraucht werden, können Sie in dieser Position verweilen. Achten Sie aber beim Fallenlassen der Kettlebell darauf, auszuatmen, damit Sie beim Aufschwung wieder einatmen können.
Schlusswort
Wenn Sie mehr erfahren möchten, würde ich mich freuen, Sie auf dem Functional Training Summit von Perform Better Europe am 25. und 26. Juli 2014 persönlich kennen zu lernen, und Ihnen das Stoßen und Reißen mit der Kettlebell vorzustellen. Auch sende ich Ihnen gerne mein Buch „Ein Lehrbuch für Gewichtheben und Kettlebell in 1178 Bildern“ zu, oder eine meiner beiden interaktiven DVDs für Gewichtheben und Kettlebell mit Übungsausführungen in verschiedenen Perspektiven und mit Zeitlupenfunktion.
Ihr Johann Martin