Befragt man die Trainer von Weltklasseathleten, fällt immer wieder ein entscheidender Trainingsbereich: Das Plyometrische Training. Ganz egal ob bei olympischen Sprintern, Hochsprungwundern oder auch NBA-Profis – diese Form des Trainings ist neben intensivem Krafttraining eine der wichtigsten Bereiche, um athletische Höchstleistungen in Komponenten wie Antritts- und Höchstgeschwindigkeit oder Weit- oder Hochsprungleistungen zu konditionieren.
Was ist Plyometrisches Training?
Plyometrisches Training ist als Theorie des Reaktivtrainings bekannt und eine Form der Schnellkraft. Biomechanisch ist es ein schneller, koordinativer Ablauf von konzentrischen und exzentrischen Muskelaktivitäten. Durch eine explosive, exzentrische Vorspannung oder Vordehnung wird ein konzentrischer Reflex ausgelöst, der nur wenige Millisekunden dauert. Diesen Dehnungsreflex neuro-muskulär zu kontrollieren, ist Teil eines ausgewogenen plyometrischen Trainingsplans. In der Trainingswissenschaft sprechen wir von einem Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus, der auch hier unterschieden werden kann.
Ein Beispiel dafür ist der Vergleich der Hochsprungleistung aus bilateraler Fußposition. Lässt man einen Athleten aus einer isometrischen Kniebeuge in die Luft springen, wird die Leistung niemals so gut werden, wie wenn er diese aus einer dynamischen und schnellen Kniebeuge ausführt, da er beim ersten Test keine schnelle exzentrische Vordehnung erzeugt. Noch mehr Leistung bekommen wir, wenn wir den Athleten von einer Box springen lassen und ihn auffordern, nach Kontakt mit dem Boden sofort so hoch wie möglich springen soll. Hier kommt neben der explosiven Vordehnung noch eine enorme Vorspannung hinzu, da er die Kräfte seines Körpergewichts von der Box erst abbremsen muss. Wichtig ist also, die Zeit zwischen exzentrischer Vorspannung / Vordehnung und der konzentrischen Muskelaktivität (hier: der Sprung) so gering wie möglich zu halten, sprich die Kontaktzeit mit dem Boden progressiv reduzieren.
Wenn wir nun die Biomechanik bei einem Hochsprung betrachten, werden hier durch ein komplexes Zusammenspiel von Dehnungs-Verkürzungs-Zyklen in verschiedenen Gelenken eine dynamische Bewegung erzeugt, die neuro-muskulär angesteuert wird, das heißt teils willkürlich und teils unwillkürlich. Wir können unserem zentralen Nervensystem beibringen, diese Abläufe zu optimieren und zu verbessern.
Maximalkraft, Stabilität und Mobilität als Grundlage für plyometrisches Training
Wenn wir uns nun die Komponenten ansehen, ist es wichtig, dass neben einer gewissen relativen Kraft auch Stabilität und Mobilität vorhanden sein muss, um verletzungsfrei und effektiv zu trainieren. In der Literatur geht man davon aus, dass ein Athlet mindestens das 1- 1,5 fache seines Körpergewichts in der tiefen Kniebeuge bewältigen muss, bevor er sich intensiven plyometrischen Übungen widmen kann. Dennoch kann auch im Jugendalter mit weniger intensiven Übungen begonnen werden. Aber auch die Stabilität – die motorische Kontrolle, seine Wirbelsäule in dynamischen Bewegungen stets stabilisieren zu können und auch die passende Mobilität, sprich der Bewegungsumfang eines Gelenkes in seinen natürlichen Anforderungen, sind wichtige Grundvoraussetzungen, die wir vorher abklären sollten. Hier können Tests wie der Functional Movement Screening (FMS) eingesetzt werden.
In einem guten Warm-Up sollten sich Übungen finden, die die Mobilität in folgenden Bereichen verbessern:
– Sprunggelenk (OSG) – vorallem sagitale Beweglichkeit
– Hüftgelenk – dreidimensionale Beweglichkeit, vor allem in Innen- und Außenrotation
– Brustwirbelsäule
Gleichzeitig benötigen wir vor allem Stabilität im Lendenbereich und auch in der Fähigkeit der Hüftrotatoren, das Knie nicht medial oder lateral kollabieren zu lassen. Haben wir unseren Körper und unsere funktionelle Grundvoraussetzung soweit gebracht, dass wir keinerlei große Einschränkungen in diesen Bereichen vorweisen können, beginnen wir mit plyometrischen Übungen.
Welche Übungen soll ich wählen?
Um eine passende Auswahl an plyometrischen Übungen zu finden, müssen wir erst die Ziele des Sportlers oder des Athletens kennen. Ein Sprinter oder Basketballer braucht vor allem plyometrische Übungen für den Unterkörper, während zum Beispiel Baseballer, Speerwerfer oder Boxer plyometrische Übungen für den Oberkörper benötigen. In diesem Artikel widmen wir uns erst einmal den Übungen zur Verbesserung der Sprint- und Sprungfähigkeit, die bei den meisten Sportlern als Grundvoraussetzung gelten. Spezielle Sprungserien, beid- und einbeinig, zur Seite und nach vorne, Hops mit oder ohne Bounce oder sogar Sprünge von hohen Kästen sind alles fortgeschrittene Übungen, die Athleten mit großer Erfahrung durchführen können. Viele Trainer machen den Fehler, hier einzusteigen und den Organismus des Sportlers damit zu gefährden. Nicht selten ist die Art des Trainings bei manchen Coaches als gefährlich eingestuft, weil sich immer wieder Sportler verletzen, die nicht die nötigen Grundvoraussetzungen mitbringen, um derartige Übungen durchzuführen. Verletzungen an Sprung-, Knie- oder Hüftgelenken sind also keine Seltenheit, wenn man das Training nicht intelligent einsetzt.
Betrachten wir nochmals die Biomechanik bei Sprüngen. Um den Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus zu verstehen, haben wir gelernt, dass je schneller der Ablauf von exzentrischer Vorspannung oder Vordehnung und der nachfolgenden konzentrischen Muskelaktivität koordiniert werden kann, desto besser ist das Trainings- und auch das Leistungsergebnis. Elastische Energie kann hier in den Sehnen gespeichert werden, die wie eine gespannte Feder funktionieren. Beim Sprint übernimmt hier zum Beispiel unsere Achillessehne einen großen „Speicherauftrag“ dieser elastischen Energie. Ist aber der Bewegungsumfang im oberen Sprunggelenk (vor allem sagital) nicht gegeben, kann die Achillessehne nicht richtig vorgespannt werden, weil zum Beispiel Verkürzungen im Wadenbereich dies verhindern. Um diese effektive Feder zu trainieren, können Übungen wie Seilspringen oder Standsprünge mit gestreckten Knien (siehe Bild rechts) durchgeführt werden.
Technik erlernen, Koordination schulen & progressiv arbeiten
Um den Athleten vor möglichen Verletzungen zu bewahren, müssen wir als Trainer Schritt für Schritt arbeiten. In diesem Fall beginnen wir mit der Schulung der exzentrischen Phase, in der der Sportler lernt, Kraft richtig abzubremsen. Diese Komponente ist enorm wichtig, denn sie lernt dem Körper, die Bremse korrekt einzusetzen. Vor allem unilateral sollte hier trainiert werden – und zwar linear (nach vorne und hinten) und lateral (zur Seite).
Einbeinige Sprünge nach vorne und zur Seite, in denen der Athlet den Sprung perfekt abbremst und in dieser Position sicher zum landen kommt. Um die Aufprallkräfte für die Gelenkachsen nicht zu hoch werden zu lassen, landet der Mensch je nach Aktivität (Sprint, Sprung, etc) im Idealfall zwischen Vorder- und Mittelfuß. Um dieses Bewegungsmuster zu schulen, sind Schuhe mit neutraler Dämpfung zu empfehlen, damit nicht auf den Fersen aufgesetzt wird. Alle Sprünge sollten deshalb nicht allzu laute Landegeräusche ergeben, sondern immer möglichst leise und sanft erlernt werden. Dem Athleten soll also mitgeteilt werden, dass er so leise wie möglich landet. Diese propriozeptive Schulung ist Grundvoraussetzung, bevor wir zu dynamischen Sprüngen mit kurzer Bodenkontaktzeit kommen.
Erschwert werden kann diese Übung durch Vergrößerung der Sprungweite oder zusätzlich ein Einsatz von Hürden. Danach kann der Athlet diese unilateralen Sprünge auch auf Boxen durchführen. Wichtig: Bei Sprungserien auf Boxen (ein- oder beidbeinig) steigt der Athlet sicher und kontrolliert von der Box. Wir kennen viele Sportler, die diese Serien mit einem Niedersprung kombinieren, um die Vorspannung zu vergrößern. Allerdings ist die Verletzungsgefahr deutlich erhöht, was den Nutzen dieser Übung in keiner Relation zum Risiko einer Verletzung stellt.
Wenn wir die „Bremse“ des Sportlers effektiv verbessert haben, können wir nun beginnen, die PS-Zahl des Motors zu vergrößern. Auch hier arbeiten wir mit Sprungserien, die allerdings eine viel dynamischere Komponente mit sich bringen. Wir versuchen bei linearen und lateralen Bewegungen und Sprüngen die Kontaktzeit mit dem Boden effektiv zu reduzieren, in dem wir dies auch so coachen. Dies sollte sowohl beid- als auch einbeinig durchgeführt werden.
Da wir neuromuskulär arbeiten, ist es jedoch wichtig, den Sportlern genügend Pause zu geben und diese Übungen immer vor einem Krafttraining oder einer sportspezifischen Einheit durchzuführen. Beim Umfang gehen wir von ca. 5-15 Minuten plyometrischer Sprungserien pro Training, 2-5 mal die Woche aus – je nach Leistungsstand des Athleten.
Neben den plyometrischen Einheiten zur Verbesserung der Koordination und Fuß-Boden-Kontaktzeit können wir dann auch leistungsbezogene Sprünge durchführen, wie zum Beispiel der horizontale Weit- oder der vertikaler Hochsprung (z.B. Sprung auf die Box).
Wichtig ist hier jedoch auch, dass alle Sprünge wie oben erlernt, sicher und sauber abgefangen werden können.
Sobald die Probanden auch hier über ausreichende Kontrolle und Technik verfügen, können auch Sprungserien in kleine Zirkel integriert werden, um diese Bewegungen unter Belastung zu trainieren, und vor allem die Kraftwerte damit zu verbessern. Kniebeugen- oder Ausfallschrittsprünge können mit Boxjumps zu einem effektiven Sprungzirkel kombiniert werden.
Beispielhafter Aufbau einer plyometrischen Einheit
Warm-Up
5-15 Minuten, Qualität von Stabilität und Mobilität in den Vordergrund stellen.
Technik-Schulung 5-10 Minuten
Sprünge mit exzentrischer Kontrolle (Abbremsen)
Sprünge mit dynamischer Komponente über Hürden (falls der Sportler dazu bereits fähig ist)
Sprungzirkel 5-10 Minuten
Kniebeugensprünge kombiniert mit Seilspringen
Regeneration
Eistonne und Massage
Euer Chris Gamperl
Danke für diesen super Artikel!
Wie sieht die Reihenfolge der Methodik bei Sprüngen aus;- trainiert man zuerst vertikale oder horizontale Sprünge?
LG Olivia Zach