Die “Worldwide Survey of Worldwide Fitness Trends 2015”, jährlich von der amerikanischen Organisation ACSM publiziert, krönt Bodyweight Training zum Nr. 1 Trend für 2015.
Wer kennt sie nicht, die Frank Medranos, Barstarzz oder die Barbarians? Diese ausgesprochen fitten Herrschaften, die Tag für Tag spektakuläre Trainingsvideos auf ihren youtube – Kanälen veröffentlichen und Menschen zu zehntausenden inspirieren. Sie haben etwas gemeinsam, nämlich eine große Leidenschaft: Calisthenics! Mit Hilfe von Vernetzung und Verbreitung in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram gelang es einen regelrechten Hype für dieses Training zu schaffen!
Der Begriff Calisthenics
Calisthenics ist ein englischer Begriff für den es bis dato keine richtige deutsche Übersetzung gibt und sich aus den altgriechischen Wörtern “Kallos” und “Stenos” (stark und schön) zusammensetzt. Begriffe wie “Street Workout”, oder “Bodyweight Training” werden oft im selben Atemzug genannt und stehen weitgehend für den selben deutschen Begriff, nämlich Funktionelles Krafttraining mit dem eigenen Körpergewicht.
Dieses Trainingssystem ist keineswegs neu, sondern mehr als altbewährt. Es herrscht die gängige Meinung, dass Menschen lange bevor Gewichte ins Krafttraining integriert wurden, einen Weg finden mussten den Anforderungen des Alltags gerecht zu werden. Damals ohne Maschinen oder “fancy gym equipment” musste es Wege geben, körperlich sowie mental stärker zu werden.
Aber was ist Calisthenics genau? Ein kreatives Ganzkörper Kraftraining in welchem freie Bewegungsmuster trainiert werden. Diese Bewegungsmuster sind meist klassische, funktionelle Bewegungen zu denen Zug und Drückbewegungen wie Klimmzüge, Liegestütze, Kniebeugen oder Ausfallschritte gehören. Je nach Kraft- und Fitnessniveau kannst du schnell kreative Übungen in deinen Trainigsplan integrieren und somit deinen
“Übungs-Werkzeugkasten” um einige Werkzeuge (Progressionen / Regressionen) erweitern. Es gibt sowohl Einsteiger Übungen, Fortgeschrittene Übungen sowie Übungen für Experten wie zum Beispiel den Muscle Up (welche für mich persönlich, sauber ausgeführt eine der besten Oberkörper Übungen ist, die es überhaupt gibt) oder die Human Flag.
Diese Übungen zählen definitiv zu den schwersten da draußen. Jedoch kann sich fast jeder, mit dem nötigen Wissen ausgestattet, Schritt für Schritt an dieses Projekt heran wagen. Calisthenics macht dich bedeutend unabhängiger in deinem eigenen Training und im Training mit Kunden. Ein unschlagbarer Vorteil stellt eine ganze Reihe an hocheffektiven zusätzlichen Zugübungen dar die im Bodyweight Training nicht wegzudenken sind. Als kleine Inspiration möchte ich hier die Übung “Tuck Lever” vorstellen:
Der Tuck Lever, ist die erste Progression auf dem Weg zum Front Lever, zu deutsch Hangwaage vorwärts, und ist eine statische Übung die sowohl deine gesamte Armmuskulatur, sowie deine Rückenmuskulatur als auch deine Rumpfmuskulatur aktiviert. Die finale Endposition des Front Levers siehst du im zweiten Bild.
Der Tuck Lever unterscheidet sich vom Front Lever insofern, dass bei dieser Übung beide Beine in Richtung Brust gezogen werden, anstatt sie ganz zu strecken. Auf diese Art und Weise können auch Menschen mit niedrigerem Kraftniveau diese Übung über mehrere Sekunden halten, da die Hebelwirkung viel geringer ausfällt als bei der vollendeten Übung.
Hierfür noch ein paar Coaching Keys: Für den Tuck Lever gilt das Selbe wie für alle anderen Progressionen die zum vollendeten Front Lever führen. So sollten hier die Arme immer komplett gestreckt sein (das erkennst du, wenn sich während der Durchführung der Übung beide Bizepse des Ausführenden “ansehen”). Des Weiteren bewirkt das Zurückziehen der Schulterblätter (Skapula Retraction) dass sich der Torso aus einer vertikal hängenden Position in eine horizontale Position (parallel zum Boden) bewegt und in jener verharrt.
Frisch infizierte haben aber alle etwas gemeinsam: Plötzlich sehen sie draußen Stangen, Stangen, Stangen … schnell wird bewusst, dass dieses Training beinahe zu jeder Zeit und überall ausgeführt werden kann.
Aber woran erkennst du, dass es dich erwischt hat? Dazu fällt mir folgendes Szenario ein: Stell dir vor du fährst mit der U-Bahn oder mit dem Bus, was siehst du? Stangen, überall Stangen!!! Was assoziierst du wenn du diese Stangen siehst? Würdest du gerne einen Klimmzug, Front Lever oder eine Flag machen? Egal ob der ganze Bus glotzt? Ja? Dann heiße ich dich herzlich willkommen im Klub.
It’s not just a workout, its a lifestyle!
You don’t have to be great to start, but you have to start to be great
Wer kennt die Situation nicht? Du siehst ein inspirierendes Video, ein gut trainierter Typ macht spektakuläre, den Gesetzen der Gravitation trotzende Bewegungen an einer horizontalen Stange. Motiviert wird in der nächsten Trainingssession versucht das Gesehene nach zu ahmen, jedoch stellt sich schnell die Ernüchterung ein, zu oft fehlt es an der nötigen Mobilität, Stabilität oder Kraft. Genau solche bescheiden machenden Erlebnisse hatte ich anfangs nicht selten. Ich versuchte mich an gewissen Übungen und merkte schnell, dass ich so nicht an mein Ziel kommen würde. Um nicht eine Ernüchterung nach der anderen zu ernten und Gefahr zu laufen meine Motivation zu verlieren, wurde mir rasch bewusst, dass ich meine Routinen und Trainings rundum meine Ziele (das Erlernen der schwereren Bewegungen) designen musste. Daher hieß es: die wichtigsten Grundübung für Körpergewichtstraining (auch Basics genannt) exzessiv aber sicher zu trainieren und dabei immer auf eine perfekt saubere Ausführung zu achten.
So begann ich schnell Erfolge zu feiern. Nach und nach war ich in der Lage meine Ziele zu erreichen und mir wurde bewusst, dass ich mit diesem Trainignssystem einen Weg gefunden hatte wie ich mir für den Rest meines Lebens meinen Trainingsalltag nachhaltig versüßen konnte! Mit Erfolgsgarantie. Die Ergebnisse sprechen für sich: In drei Jahren steigerte ich mich von einigen Klimmzügen auf einarmige Klimmzüge. Von Muscle Ups zu weighted Muscle Ups um einige Errungenschaften am Rande zu erwähnen
Die Entwicklung des Trends
Noch all zu gut kann ich mich an die FIBO 2012 erinnern. Als wir damals auf dem Gelände ankamen, waren wir fest überzeugt der Fitnesswelt unseren neuen Workout Stil zu präsentieren und alle möglichen Stände und deren Geräte Zweck zu entfremden in dem wir extreme Körpergewichts Übungen machten. Zu unserer Ernüchterung fanden wir jedoch fast keine Möglichkeiten wo wir das tun konnten. Zu wenige Stände und Firmen waren damals mit Stangen Setups ausgestattet und bei anderen Ständen wurden wir direkt verjagt. Das änderte sich 2013: viel mehr Firmen waren anwesend die an solche Setups gedacht hatten. Neue Firmen mit neuen Angeboten, sowohl Indoor als auch Outdoor Lösungen für Körpergewichtstraining waren da. Der endgültige Durchbruch gelang 2014, mit einem Tournier bei dem der stärkste “Freestyler” als “King of the Bar” gekrönt wurde. Er wurde von einer Horde Zuschauer frenetisch gefeiert.
Als Begleiter und Akteur der ersten Stunde in Mitteleuropa war ich sehr früh in diversen Gruppen auf Facebook anwesend. Damals mit sehr niedrigen Mitgliederzahlen. Zu erwähnen wäre die Gruppe Calisthenics Germany. Was vor 3 Jahren mit ca 100 Mitgliedern begann, explodierte regelrecht. Mittlerweile fasst diese Gruppe einen Mitgliederstamm von über 3000 jungen und alten Fitnessbegeisterten, Tendenz rapide steigend. Eine genaue Dunkelziffer der Ausführenden ist jedoch noch schwer zu erfassen. Fakt ist, dass sich sehr viele junge Menschen diesem Trainingssystem widmen. Viele leider ohne jegliches Fachwissen und ohne Kenntnisse über den menschlichen Körper. Fast jeden Tag lese ich Beiträge in denen beispielsweise kleinere aber auch größere Verletzungen geschildert werden – immer durch falsches Training. Genau hier denke ich, müssen Experten ansetzen um die Menschen für dieses Training nachhaltig zu sensibilisieren und um ihnen wichtige Hinweise für etwaige Fehler in Ausführungen, Aufwärmtechniken, und Programmdesign zu geben.
In diesem Sinne, “let’s step up our calisthenics game!”
Euer Andi Lutz