Beim Training der Bauch- und Rumpfmuskulatur gibt es zwei Aspekte: einen ästhetischen und einen funktionellen. Viele Trainierende wollen ihre Bauchmuskeln kräftigen, um einen festen, flachen Bauch zu bekommen. Der funktionelle Aspekt ist, die Wirbelsäule vor Verletzungen zu schützen und die körperliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen.
Stabilisierung statt Crunches
Crunches eignen sich für keine der beiden Zielsetzungen. Zwar lassen sich damit Muskeln aufbauen und ein höherer Spannungszustand erreichen, doch für einen flachen Bauch ist vor allem die Ernährung wichtig, nur damit lässt sich überschüssiges Körperfett abbauen. Der Kalorienverbrauch mit Crunches ist dafür viel zu gering. Ein Waschbrettbauch wird bei Männern ab einem Körperfettanteil von etwa 10 bis 11 Prozent langsam sichtbar und bei Frauen ab etwa 18 bis 19 Prozent. Entscheidend ist aber, dass Crunches nicht der Hauptfunktion der Bauchmuskeln gerecht werden. Sie können Rücken-, Nacken-, Schulter- und Haltungsbeschwerden verursachen oder sogar verschlimmern. Die Ursache dafür ist die klassische Anatomie aus der Leichensektion. Sie erklärt die Funktion eines Muskels mit Ansatz und Ursprung. Der lebende Mensch „funktioniert“ aber anders.
Die Hauptfunktionen der Bauchmuskeln liegen im Schutz der Wirbelsäule und Organe sowie in der Kraftübertragung vom Unter- in den Oberkörper. Sie können zwar den Rumpf beugen, haben vor allem aber eine stabilisierende Funktion, die ein besseres Arbeiten der Hauptbewegungsmuskeln zulässt. Daher sind Stabilisationsübungen, die eine Überstreckung der Lendenwirbelsäule, eine Seitneigung und eine Rotation des Rumpfes verhindern, als Rumpf- oder Bauchtrainingsmethode den Crunches vorzuziehen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Stabilisationsübungen die Bauchmuskeln effektiver trainieren, die Funktion fördern und gleichzeitig die Wirbelsäule weniger belasten als Crunches. Weitere Studien haben ergeben, dass ein Waschbrettbauch oder hohe Muskelkraft keinen Schutz vor Rückenbeschwerden darstellen.
Core-Training ist leistungsfördernd und schützend
Ein sogenanntes Core-Training, das die Rumpfstabilität in sämtlichen Bewegungsmustern und -ebenen verbessert, hat sich hingegen als leistungsfördernd und schützend für die Wirbelsäule erwiesen. Der „Core“- Bereich umfasst nach der klassischen Definition alle Muskeln, die mit den Hüften, dem Schambein und der Lendenwirbelsäule verbunden sind. Einige Autoren weiten den Begriff bis auf die Muskeln des Schultergürtels aus. Damit ist der gesamte Rumpf eingeschlossen. Da alle Muskeln über Faszien miteinander verbunden sind, müsste der Begriff „Core“ eigentlich den ganzen Körper einschließen, denn von Natur aus bewegt sich der Mensch als Einheit.
Crunches sind daher unfunktionelle Übungen und haben in Trainingsprogrammen nichts mehr zu suchen. Sie müssen durch funktionelle und schonende Übungen ersetzt werden. Eine Ausnahme sind vor allem Kampfsportler, die sich vor Schlägen schützen oder viel aus der Bodenlage heraus arbeiten müssen. Der Großteil der anderen Athleten und Freizeitsportler ist mit alternativen Übungen zur Rumpfstabilisation besser beraten.
Zunächst muss der Trainierende erlernen, wie er die Lendenwirbelsäule in neutraler Position hält und unter Beibehaltung der Atmung stabilisiert. Hierzu gibt es verschiedene Konzepte, die prinzipiell den gleichen Ansatz haben: Sie aktivieren die Beckenbodenmuskeln und spannen das Muskelkorsett um die Lendenwirbelsäule herum samt Zwerchfell an. Stabilisation der Lendenwirbelsäule bedeutet, dass sich diese unter Belastung in allen Bewegungsebenen so wenig wie möglich bewegen sollte.
Ein separates Training der Rumpfmuskeln ist nötig, da verschiedene Untersuchungen gezeigt haben, dass schwere Kniebeugen oder Kreuzheben diese weniger aktiviert haben als Liegestütze.
Stabilisierende Übungen
Übungen wie der Fliegende Hund (Bird Dog), Schulterbrücken (Hip/Shoulder Brigdes) und Stützvarianten auf den Unterarmen (Front Plank, Side Plank) sind in der Regel die ersten Übungen, die der Trainierende beherrschen muss, bevor es an komplexere Bewegungsmuster geht.
Bei den Planks kann man progressiv variieren zwischen je zwei stabilen Fixpunkten wie den Ellenbogen und Füßen, einer Verringerung der Auflagefläche, indem der Trainierende einen Arm und/oder ein Bein anhebt, oder teilweise instabilen Fixpunkten. Dies erreicht man, indem die Ellenbogen oder Füße auf einem Gymnastikball ruhen oder im Schlingentrainer.
Dynamische Stabilisationsübungen
Wenn der Trainierende statische Übungen ganz beherrscht oder zumindest gut ausführt, kann man parallel oder ganz zu dynamischen Stabilisationsübungen übergehen. Dazu integriert man unter Beibehaltung der grundlegenden Rumpfspannung Arm- oder Beinbewegungen.
Beispiele sind korrekte Liegestütze, Zugübungen mit Gummibändern aus der Plankposition heraus, der einhändige Farmer’s Walk, Krabbelvarianten oder Chop- und Lift-Übungen – kniend und stehend am Kabelzug. Über Ruderzug- und Klimmzugvarianten integriert man den Latissimus dorsi als weiteren wichtigen Muskel zur Stabilisation der Lendenwirbelsäule. Für eine gute Kraftentfaltung, Kraftübertragung und Stabilisation sorgen auch die Muskeln des Hüft- und Beckenbereichs, beispielsweise die Hüftrotatoren, die Gluteen oder die Adduktoren.
in der letzten Trainingsstufe behält der Trainierende die Rumpfspannung und führt gleichzeitig komplexe Bewegungsmuster in allen Bewegungsebenen aus. Beispiele sind sämtliche sportart- oder alltagsspezifischen Bewegungsabläufe, Überkopf- und Bankdrücken, Turkish Get-up, einarmige und einbeinige Ruderzugvarianten, aber auch sämtliche Hebe-, Rotations- und explosiv ausgeführte Übungen.
Euer Dr. Till Sukopp
Literaturtipps zum Vertiefen des Themas:
Liebenson, C.: Rehabilitation of the Spine: A Practitioner’s Manual. 2nd Edition. Lippincott Williams & Wilkins, 2006.
McGill, S.: Low Back Disorders. 2nd Edition, Human Kinetics, 2007.
McGill, S.: Ultimate Back Fitness and Performance. 2nd Edition, Backfitpro Inc., 2006.
Myers, T. W.: Anatomy Trains: Myofascial Meridians for Manual and Movement Therapists. 2nd Edition, Churchhill Livingstone, 2008.
Sahrmann, S.: Diagnosis and Treatment of Movement Impairment Syndromes. Mosby, 2001.
Schuler, L., Cosgrove, A.: The new rules of lifting for abs: a myth-busting fitness plan for men and women who want a strong core and a pain-free back. Avery Trade, 2010.
Hallo FTM-Team,
genau dies vermittele ich meinen Klienten schon seit geraumer Zeit. Aber es ist nicht immer einfach, die Crunches aus ihren Köpfen zu bekommen. Oft höre ich nach einem guten Core&Stability Training Sätze wie: „Wir haben aber heute wenig für den Bauch gemacht.“ ;)
Ich mache schon lange kaum noch Crunches, und meine Bauch- und Rumpfmuskeln sind bretthart.
Vielen Dank für die immer sehr interessanten Artikel und Anregungen, macht weiter so.
Mit sportlichen Grüßen
Tim
Meines Wissens basieren die „Untersuchungen“ bezüglich der Crunches auf reiner Theorie. Zumindest ist mir keine praktische Untersuchung bekannt, bei der tatsächlich gemessen wurde, was innerhalb der Wirbelsäule, Bandscheiben, etc. bei Crunches passiert. Mir kommt das alles etwas wie die damals so hochgelobte „Funktionsgymnastik“ von Knebel vor, die auch viele Übungen ablehnte, weil irgendein Theoretiker hohe Belastungen für die Bandscheiben berechnete.
Fakt ist: Die Bauchmuskulatur besteht aus drei unterschiedlich verlaufenden Muskeln, die alle etwas andere Funktionen ausüben. Der für die Wirbelsäulengesundheit wohl entscheidente Muskel ist der m. transversus abdominis. Dieser Muskel wird eindeutig auch bei Crunches mittrainiert. Damit sind Crunches m.E. durchaus noch im Spiel.
Nicht vergessen werden darf bei den Stabilisationsübungen, wie z.B. den „planks“, dass auch hier enorme Druckkräfte (ein Vielfaches des Körpergewichts) auf die Bandscheiben wirken, was z.B. bei Osteoporose geschädigten Wirbelkörpern aber auch bei „normal“ degenerierten Bürobandscheiben ohne Vorbereitung gefährlich werden kann.
Lieber Wolfgang,
vor allem Prof. McGill, welcher als einer der führenden Wirbelsäulenspezialisten gilt, hat als Biomechaniker die entsprechenden Studien durchgeführt. Er hat festgestellt, dass die Wirbelsäulen von Schweinen denen der Menschen sehr ähnlich sind und hat auch die Muskelrekrutierung und die Wirbelsäulenbelastungen bei verschiedenen Übungen an Menschen getestet. Das steht alles in seinem Buch „Low Back Disorders“ drin.
Hinzu kommen die Praxiserfahrungen vieler Trainer (ich habe selbst 5 Jahre lang das Training in einem Rückentrainingszentrum geleitet).
Planks sind im Gegensatz zu Crunches dafür bekannt (im Labor nachgewiesen), dass die Muskelspannung höher und die Wirbelsäulenbelastung geringer ist, u. a. weil die Bandscheiben axial belastet werden. Ich würde mit Osteoporosepatienten nie Crunches und viel eher Planks machen.
Viele Grüße,
Till
Ist das der gleiche Prof. Dr. Stuart McGill, der in seinem Fitnesstest die Zeit misst, in der ein Crunch gehalten werden kann?
Empfiehlt nicht ein gewisser Dr. Till Sukopp in seinem immer noch von ihm selber angebotenem Buch „Fitness mit dem eigenen Körpergewicht“ diverse Crunchvariationen?
Alles schädlich, alles ein Aufruf zur Körperverletzung? Sorry lieber Till, aber ich mag keine Pauschalisierungen, besonders nicht wenn es um Sport geht. Ich habe vor 20 Jahren Sport studiert und da gab es schon diese Diskussion. Ich arbeite seitdem mit beiden Übungen und habe sowohl gute als auch schlechte Erfahrungen gemacht – mit beiden.
Ach ja, und wann kommt der Biomechaniker, der die unfunktionelle Kniebelastung bei Planks und besonders Sideplanks anprangert?
Viele Grüße Wolfgang
Lieber Wolfgang,
wenn Sie gerne Crunches machen, machen Sie diese weiter. Es sollte jedoch das „Warum“ dahinter und die möglichen Risiken bekannt sein. Sollte man Muskeln nicht eher in der Funktion trainieren, die sie im Alltag und beim Sport überwiegend ausüben? Das haben wir vor allem die Rumpfstabilisation, nicht die Rumpfbeugung.
Darüber hinaus misst Stuart McGill keine Zeit, in der der Crunch gehalten werden kann, eher die Zeit, in der die Plank gehalten werden kann.
Wenn die Kniebelastung bei Planks so schädlich für die Knie wäre, dann dürfte man auch kein Überkopfdrücken oder eine Frontkniebeuge durchführen. Da treten ähnliche Belastungen auf.
Ein gestrecktes/verriegeltes Kniegelenk würde ich nicht mit einer wiederholt belasteten Wirbelsäule in gebeugtem Zustand vergleichen.
Mein genanntes Buch ist aus dem Jahre 2006 und in den letzten 8 Jahren habe ich meine Ansichten durch diverse Fortbildungen und eigene Erfahrungen geändert. Das ist kein Aufruf zur Körperverletzung, es gibt allerdings bessere Alternativen.
So ist es häufig bei Büchern. Wenn sie veröffentlicht werden, hat der Autor sich schon wieder weiterentwickelt und teilweise schon wieder neue Ansichten und Erkenntnisse gewonnen.
Viele Grüße,
Till
Aus praktischer Umsetzung kann ich ebenfalls berichten, dass mind. 8 von 10 Personen mit Rückenschmerzen nach der Umstellung von Crunches auf Planks & Sideplanks in Verbindung mit einer Übung mit Hüftextension bereits nach ein bis zwei Trainingseinheiten weniger schmerzen aufweisen bzw. komplett schmerzfrei sind. mfg Thomas
Sehr geehrter Dr. Till Sukopp,
ich würde mir wünschen, dass Sie sich die Theorie des „Differenzierten Krafttrainings mit Schwerpunkt Wirbelsäule“ von Dr. Axel Gottlob aneignen und im Folgenden dazu Stellung nehmen. Laut Dr. Gottlob ist ein Bauch- und Rückenmuskeltraining über die vollständige „Range of Motion“ von absoluter Notwendigkeit, was komplett im Widerspruch zu Ihrem hier veröffentlichten Artikel „Game over für Crunches“ steht.
Lieb Grüße
Simon
Herzlichen Dank für Ihren Tipp. Wir hatten Dr. Gottlob als Referenten auf einem Functional Training Summit in München als Referenten erlebt, der parallel zu führenden Trainern aus Deutschland und den USA referiert hat.
Seine Ansätze widersprachen denen aller anderen Referenten, die u. a. im Hochleistungssport, in der Rehabilitation und in der Wissenschaft sehr aktiv sind.
Grundsätzlich sind alle Ansätze kritisch zu betrachten. Man sollte nicht immer alles glauben, was man liest, aber auch nicht nur das lesen, was man glaubt.
Wenn die weltweit anerkanntesten Trainings- und Rehabiliationsspezialisten jedoch die gleiche Sprache sprechen und dabei von der Wissenschaft bestätigt werden, sollte man sich deren Konzepte evtl. auch einmal genauer ansehen.
Natürlich ist es sinnvoll, sich vielseitig und in großen Gelenkbewegungsausmaßen zu bewegen. Bei zu hohen Wiederholungszahlen mit Widerstand oder unter hohen Lasten ist das jedoch bei einigen Übungen fraglich.
Hinzu kommt, dass die meisten Menschen heutzutage unter großem Bewegungsmangel leiden und eine deutlich verminderte Belastbarkeit aufweisen. Da sollte man die Muskeln doch zunächst besser in ihrer Funktion trainieren und das ist bei den Bauchmuskeln nicht die Rumpfbeuge, denn der Rumpf beugt sich schon von alleine durch die Schwerkraft (im Stand).
Viele Grüße,
Till Sukopp
Komme etwas spät in die „Diskussion“. Täglich machen Millionen Menschen weltweit Crunches und sonstige „antiquierten“ Bauchübungen ohne dass die von Dr. McGill prognostizierten Verletzungen der Bandscheiben auftreten. ´Versuche an einer toten Schweinewirbelsäule (ohne die „Schmierung“ einer WS im lebenden Objekt) führten nach x-tausend Biegungen zu einem Prolaps. Es ist geradezu lächerlich dann durch McGill sogar mitzuteilen, dass es nach x-tausend Flexionen quasi unvermeidbar zu den Schäden an der WS kommt. Evidenz zeigt, das dies nicht der Fall ist.
Dennoch sollte die Forschung von Dr, McGill nicht ganz außer Acht gelassen werden. Flexion im Endbereich sollte vermieden werden und insbesondere Rotation in der LWS mit Belastung.
Es ist wie bei allen Übungen auf korrekte Ausführung zu achten, Cruches können daher immer noch sinnvoll sein auch wenn man deutlich mehr Zeit in Anti-Rotation und Anti-Flexion/Extension Übungen verwenden soll. Die Grundsätzliche Funktion der Bauchmuskulatur, wie von Dr. Till Sukopp in seinem Artikel beschrieben- macht das Training von Stabilitätsübungen „sinnvoller“ als übliche Sit Ups und Crunches. Aber man sollte mit Aussagen zu Übungen immer maßvoll umgehen und nicht nur gängige Trends berücksichtigen. Insofern ist die Arbeit von Dr. Gottlob ebenso zu berücksichtigen wie die von Dr. McGill. Die WS ist für Beuge-,Streck-und Rotationsbewegungen konstruiert und Training im natürlichen Bewegungsradius ist meist ohne Probleme möglich.