Mit diesen Worten wird Keith Baar, Professor an der UC Davis Universität in Californien zitiert. Jeder, der schon mal etwas von funktionellem Training gehört hat und nur ansatzweise die Rolle des Bindegewebes hierbei kennt, wird dem im Kern zustimmen.
Die Zellen unserer Körper kommunizieren auf vielerlei Weise über die extrazelluläre Matrix miteinander. Eine der Möglichkeiten ist mittels biomechanische Signale. Sie sorgen dafür, dass unser Körper auf Bewegung richtig reagieren kann. Auf mechanischer Ebene verantworten sie, dass Spannungen und Kompressionsbelastungen im Gewebe verteilt, Überlastungen verhindert und maximale Leistung erbracht werden kann. Außerdem veranlassen sie u.a., dass die mitochondriale Aktivität zunimmt, das Sauerstoffvolumen ansteigt und letztlich die Leistung zunehmen kann.
Nicht nur aus diesem leistungssteigernden Grund ist gesundes Bindegewebe eine wichtige Komponente im modernen Training.
Für viele Sportler kommt das Geräusch reißender Kreuzbänder einem Weltuntergang gleich. Ebenso Trainern und Therapeuten läuft bei diesem Schnalzen ein Schauer über den Rücken. Dem Forscherteam um Keith Baar schien dies jedoch nichts ausgemacht zu haben. Sie haben im Laufe der Jahre weit Über 1000 vordere Kreuzbänder zerrissen und dabei die Anpassung der Ligamente in verschiedenen Modi untersucht. Über verschiedene Zeiten hinweg (1/5 10 Minuten bis hin zu einer Woche), in verschiedenen Zugstärken und Intervallen (0.1, 0,5 und 1 Hz) wurden die Kreuzbänder in einem speziellen Zugtester bis zur totalen Erschöpfung strapaziert. Zwischen einzelnen Serien untersuchten sie die Regenerations- und Anpassungsfähigkeit. Die Pausen für das Gewebe dauerten zwischen 30 Minuten bis 24 Stunden. Dann wiederholten sie die Prozedur.
Was aber können wir aus den Kreuzbandtorturen für Konsequenzen für unsere Trainingssteuerung ziehen?
Das Forscherteam konnte feststellen, dass die Zugkraft keine Auswirkung auf die Anpassung hat. Vielmehr ist es die Dauer und die Regenerationszeit, welche es als Hauptfaktoren für optimale Bindegewebsadaption zu steuern gilt. Nach einer 10 minütigen Beanspruchung ist diese über eine Mitogen angeregte Signalkaskade beendet (Mitogene sind zu Zellteilungen anregende Proteine). Eine längere oder intensivere Beanspruchung führte zu keiner Mehrausschüttung und somit zu keiner weiteren Verbesserung. Bis sich das Bindegewebe regeneriert hat, vergehen 6 Stunden. Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass eine ca. 10 minütige Beanspruchung der Ligamente alle 6 Stunden optimal für ein starkes und reißfestes Gewebe im Sehnenbereich sein kann.
Jetzt stellt sich nur noch die Frage: Wie können Trainingsreize gesetzt werden, die auch in dem Sehnengewebe ankommen, welches erreicht werden soll?
Die Herausforderung hierbei ist, nicht einzelne Muskeln, sondern ganze fasziale Ketten zu beanspruchen. Nur so können Reize gesetzt werden, die über das Muskelgewebe hinausgehen und im Sehnenbereich ankommen (30 % des Zuges, der an einer Sehne wirkt, wird resorbiert und kommt dementsprechend vermindert im Muskel an).
Durch die gezielte Beanspruchung der myofaszialen Ketten, können Muskeln mit all ihren bekannten Eigenschaften, beispielsweise der Ausdauerfähigkeit oder Hypertrophie, aktiviert werden. Zudem wird auch das Bindegewebe zur Adaptation angeregt.
Wie wichtig die daraus entstehende Kollagensynthese und die Veränderung des Grundsubstanzmilieus sind zeigt sich bei jeder Wundheilung.
Unser myofasziales Netzwerk richtet sich hierbei absolut nach den gegebenen Bedingungen und produziert Stabilität oder Elastizität dort, wo sie benötigt wird. Durch gezieltes Training in der richtigen Dosierung und vor allem mit dem richtigen Timing können wir diese Synthese maximal nutzen und maximale Effekte erzielen. Neben der Neubildung von Gewebe verändern sich auch pathologische Crosslinks. Dieses minderwertige fasziale Gewebe wird neu geordnet. „Verfilztes“ Gewebe wird durch neues ersetzt.
Wer kann jedoch im Alltag alle 6 Stunden eine Trainingseinheit absolvieren, der nicht gerade ein Profiathlet ist?! Darum folgende mögliche Herangehensweise: Vor der Arbeit lässt sich die erste Einheit des Tages einbauen. Ein komplettes Workout im Stile des funktionellen Myofaszialen Trainings. In der Mittagspause, mindestens aber ca. 6 Stunden später, eine kurze regenerative Einheit. Dieses „Miniworkout“ hat neben dem positiven Effekt, aus der Schreibtischhhaltung auszubrechen, auch den Vorteil, dass das abendliche Training vorbereitet wird. Das abendliche Training kann dann sportartspezifisch durchgeführt werden. Das FMT soll den vorhandenen Trainingsplan ergänzen, nicht ersetzen!
Fasziale Trainingsmethoden, wie z. B. das FMT, eignen sich hervorragend, um genau diese myofaszialen Ketten anzusprechen. Sie passen gut, weil Übungen in großem Bewegungsumfang ausgeführt werden und Effekte wie den Recoil Effekt (Dehnungsverkürzungszykluns) nutzen. Über diesen Effekt kommen Spannungs- und Zugkräfte im Sehnenbereich an.
Eine Morgeneinheit mit Fokus auf die Nachbehandlung eines Kreuzbandschadens könnte aus einem kurzen Warmup gefolgt von myofaszialer Bewegungsvorbereitung bestehen. Durchschwingen der Beine, Springen auf der Stelle, Ausfallschritt mit Sonnengruß und Sumoquats. Bei den Hauptübungen sollten Übungen vorkommen, die den DVZ nutzen. Anstatt hoher Wiederholungszahlen steht Variation der Übung im Fokus. Übungen könnten sein: Strecksprünge in verschiedenen Weiten und Höhen, Kniebeuge (ggf. mit Zusatzgewicht), Kettlebellswing (ggf. mit Drehung), Sprünge über Stepper in kleiner schneller Ausführung. Am Ende der Einheit steht die myofasziale Bewegungsregeneration: Sonnengruß, sternale Dehnung, Sumosquat, Zehenspitzengang.
Das Workout in der Mittagspause sollte regenerativen Charakter haben. Gleichzeitig jedoch jene ligamentäre Strukturen ansprechen:
- Sumosquat
- T-Sprünge
- Bridging mit angezogenem Bein
- Wadenheben
- Beindurchschwingen aus derm Vierfüßlerstand
- Seitsprünge
Mit diesen Bestandteilen geben wir unserem gesamten myofaszialen System, mikro- bis makrophysiologisch, die Chance, eine Stabilität und Balance zu finden.
Euer Wolfgang Kleiner