„Maximalkraft ist die Mutter aller Kraftqualitäten“ – diese Aussage ist die kurze und präzise zusammengefasste, physiologische Grundlage des erfolgreichen Trainings einzelner Kraftqualitäten. Und es ist ein Zitat von Prof. Dr. Dr. Schmidtbleicher, einem der bedeutendsten Sportwissenschaftler unserer Zeit. Es bedeutet, dass die Entwicklung aller Kraftqualitäten – wie Explosivkraft, Reaktivkraft und Kraftausdauer – im direkten Verhältnis zur Maximalkraft steht. Und die Maximalkraft bestimmt die Höhe der Entwicklung der einzelnen Kraftqualitäten.
Maximalkraft – Die Definition:
Die Maximalkraft ist die größtmögliche Kraft, die das neuromuskuläre System willkürlich gegen einen Widerstand ausüben kann. Im Kontext des Krafttrainings kann die Maximalkraft zum Beispiel durch Verbundübungen wie die LH Kniebeugen, LH Kreuzheben, LH Bankdrücken und auch den Klimmzug getestet werden. Entscheidend ist hier das maximale Gewicht, das für eine Wiederholung bewegt werden kann.
Die anderen primären Kraftqualitäten – Die Definitionen:
Explosivkraft – Oftmals auch als Power bezeichnet, ist die Fähigkeit des neuromuskulären Systems hohe Kraft in kurzer Zeit zu entwickeln. Es ist die Fähigkeit Widerstand zu beschleunigen, ob nun das eigene Körpergewicht bei Sprints und Sprüngen oder eine Langhantel bei den Gewichtheber-Übungen.
Reaktivkraft – Oftmals auch als Plyometrie (engl. plyometrics) bezeichnet, ist die Kraft, die notwendig ist, um reaktive Bewegungen auszuführen. Reaktive Bewegungen zeichnen sich durch eine schnell nacheinander ablaufende, nachgebende (exzentrische) und anschließend überwindende (konzentrische) Kontraktion der Muskulatur aus. Insbesondere bei Sprints und Sprüngen ist hier die Bodenkontaktzeit der beste Indikator für die Reaktivkraft. Je geringer die Bodenkontaktzeit desto höher die Reaktivkraft und vice versa. Während der exzentrischen Phase von reaktiven Bewegungen ist das tendo-muskuläre System in der Lage, in den seriell- und parallelelastischen Strukturen kinetische Energie zu speichern. In der sich anschließenden konzentrischen Phase kann die gespeicherte Energie freigegeben werden und es kommt zu einer Kraft- und Leistungszunahme im Vergleich zu einer konzentrischen Kontraktion ohne vorhergehende Exzentrik. Es wurde hierbei auch durch EMG-Messungen deutlich, dass dieser Leistungszuwachs nicht direkt durch den Muskel, sondern durch den Dehnungsreflex der Sehnen und des Bindegewebes/Faszie sowie der neuromuskulären Koordination zustande kommt (1). Auch wenn ein hohes Maß dieser Reaktivkraft seinen Ursprung in der Faszie und nicht direkt im Muskel hat, ist ein hohes Maß an Maximalkraft notwendig diese Kraft zu entwickeln und freizusetzen.
Kraftausdauer – Die Kraftausdauer ist die Ermüdungswiderstandsfähigkeit gegen lang andauernde Belastungen bei statischer oder dynamischer Muskelarbeit. Dieses sind primär andauernde Belastungen im Bereich von 60 bis 120 Sekunden wie zum Beispiel bei einem 800m Sprint, im Rudersport oder 20 Wiederholungen Kniebeugen. Andauernde Belastungen von über 120 Sekunden Dauer sind primäre aerobe Belastungen mit geringeren Widerständen und damit aus Sicht der „Kraft“-ausdauer weniger relevant. Andauernde Belastungen von unter 60 Sekunden Dauer werden weniger durch die Ausdauer-Komponente, d.h. die Ermüdungswiderstandsfähigkeit, sondern durch die Kraft-Komponente beeinflusst.
Die Maximalkraft als Basis aller Kraftqualitäten
Und insbesondere beim Training der Explosivkraft wird die Maximalkraft meist vernachlässigt. In Bezug auf die Explosivkraft – oder auch Power – ist die Erklärung sehr einfach: wer ein bestimmtes Gewicht nicht langsam (Maximalkraft) bewegen kann, wird dieses Gewicht auch nicht schnell (Explosivkraft) bewegen können. Um somit ein bestimmtes Gewicht bzw. einen bestimmten Widerstand schnell bewegen zu können, muss dieses sowie ein höheres Gewicht in Abhängigkeit der geforderten Bewegungsgeschwindigkeit langsamen bewegt werden können. Ein mathematisches Beispiel ist die Korrelation des Power Snatch (dt. Reissen in den Stand) und der LH Kniebeugen, bei der beide im Verhältnis 0,5:1 korrelieren. Dies bedeutet die Grundlage an Maximalkraft um 100kg im Power Snatch zu bewegen ist eine LH Kniebeuge mit 200kg. Das bedeutet, wer 120kg Kniebeugen macht, wird keine 100kg im Power Snatch bewegen. Es fehlt die Maximalkraft als Grundlage. Ebenfalls ermöglicht diese Korrelation die Trainingssteuerung zur Bestimmung des Fokus im Training auf mehr Maximalkraft – für den Fall, dass die LH Kniebeugen unterhalb dieses Ratio liegt – oder auf mehr Explosivkraft – für den Fall, dass Power Snatch geringer ist als 50% des aktuell bewegten Maximalgewicht bei LH Kniebeugen. Selbiges Beispiel gilt auch für alle anderen Kraftqualitäten. Je höher die Maximalkraft einer Übung desto höher wird auch die absolute Kraftausdauer sein. Wenn jemand mit bei Klimmzügen eine Wiederholung mit 50kg Zusatzgewicht macht, wird die Person mit Körpergewicht 10+ Wiederholungen machen, auch wenn er zuvor nie mit Körpergewicht auf Wiederholungen trainiert hat. Auch bei der Reaktivkraft ist die Maximalkraft entscheidend, das sie bestimmt welche Kräfte ein Muskel bzw. eine Muskelkette absorbieren kann, welches einer der entscheidendsten Grundlagen für eine kurze Bodenkontaktzeit ist.
Das klassische Training der Maximalkraft
Maximalkraft ist die Mutter aller Kraftqualitäten, das ist eine wichtige theoretische Grundlage des Trainings. Für die Praxis ist nun entscheidend: wie trainiere ich die Maximalkraft? In Lehrbüchern wird das Training der Maximalkraft grundsätzlich durch die Ausführung von Sätzen mit 1 bis 5 Wiederholungen in einem Intensitätsbereich von 85% bis 100% des 1RM (RM = Wiederholungsmaximum) charakterisiert. Auf Grund der hohen Gewichte, die hier verwendet werden, bringt dieses Training vor allem bei Anfängern bei den meisten Übungsgruppen ein gewisses Verletzungsrisiko mit sich. Aus diesem Grund empfiehlt sich, die ersten Trainingsprogramme so aufzubauen, das ein/e Trainerende/r von Programm zu Programm an eine geringere Wiederholungsanzahl pro Satz sowie höhere Gewicht nach und nach herangeführt wird. Das bedeutet das Maximalkrafttraining insbesondere bei Anfängern und moderat fortgeschrittenen Trainierende nicht primär in Bereich von 1 bis 5 Wiederholungen stattfinden muss.
Das Training der Maximalkraft im höheren Wiederholungsbereich
Per Definition ist ein Maximalkrafttraining ein Training, das die Maximalkraft steigert. Bei fortgeschrittenen Trainierenden sind hier Sätze mit wenigen Wiederholungen notwendig. Anfänger und moderat fortgeschrittene Trainierende können jedoch ausgezeichnet Fortschritt im Training der Maximalkraft auch im moderaten bis hohen Wiederholungsbereich erzielen. Wenn das Gewicht progressiv gewählt wird. Das bedeutet, es ist das Ziel in jeder Trainingseinheit mehr Gewicht zu verwenden oder zumindest mit dem Gewicht der letzten Trainingseinheit eine Wiederholung mehr zu machen. So kann man auch mit Sätzen a 6 bis 8 Wiederholungen sein 1RM steigern. Wer zum Beispiel im ersten Training LH Kniebeugen mit 60kg für 8 Wiederholungen absolviert, hat einen rechnerischen 1RM von 73kg. Wenn man davon ausgeht das das 6RM genau 82% des 1RM entspricht. Wenn man nun im Laufe eines Monats mit zwei Einheiten LH Kniebeugen die Leistung auf 75kg für 8 Wiederholungen steigert, dann hat sich der 1RM und damit die Maximalkraft definitiv gesteigert. Auf einen rechnerischen Wert eines 1RM von 91kg. Ein beachtliches Ergebnis dafür, dass das Training mit 8 Wiederholungen durchgeführt wurde. So kann die Maximalkraft und damit das Potential zur Steigerung aller anderen Kraftqualitäten erhöht werden, ohne im Bereich von 1 bis 5 Wiederholungen zu trainieren.
Neben dem Training der Maximalkraft und der auf die Maximalkraft aufbauenden Kraftqualitäten sind zwei weitere wichtige Bereiche Maximalkraft & Hypertrophie sowie Maximalkraft & Fettabbau. Zu beiden Bereichen folgen in den kommenden Monaten Artikel im Functional Training Magazin, die sie in Theorie & Praxis beleuchten.
Viel Erfolg mit der Steigerung der Maximalkraft und dessen Übertrag auf das gesamte Training!
Euer Wolfgang Unsöld
Referenz:
(1) Arnd Krüger: Plyometrie auf schiefer Ebene. In: Leistungssport. 5, 2012, S. 33.