Was ist Okklusionstraining?
Das Okklusionstraining (engl.: Blood Flow Restriction Training) wird derzeit als eine neue Methode im Kraft- und Ausdauertraining diskutiert, um die Muskelhypertrophie als auch die Ausdauerleistung positiv zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang wird Okklusion als Verschluss bzw. Teilverschluss eines Hohlorgans (z.B. eines Gefäßes) oder einer Körperpassage bezeichnet und durch das bewusst gesteuerte Abbinden von Extremitäten erklärt. Klingt erst mal etwas unangenehm. Der Beitrag soll hierbei Klarheit über den derzeitigen methodischen Stand zum Okklusionstraining schaffen und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse einfließen lassen.
In der Fitnessszene gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch recht unterschiedliche Meinungen über das Okklusionstraining. Die Trainingsform ist zudem noch recht unbekannt, obwohl diese schon 1966 erstmals begründet wurde [1], jedoch bis vor einigen Jahren der wissenschaftliche Hintergrund komplett fehlte. Das Okklusionstraining kommt ursprünglich aus Japan und ist allgemein auch unter KAATSU-Training bekannt. Dr. Yoshiaki Sato entdeckte 1966, als er länger auf seinen Knien saß, dass seine Beine taub wurden. Daraufhin merkte er, dass dieses Gefühl in seinen Waden das gleiche zu sein schien, welches er verspürte wenn er seine Wadenmuskulatur trainierte. Anschließend schlussfolgerte er, dass diese „Muskelschwellung“ im Sitzen die gleiche sein könnte wie beim Krafttraining und testete seine Theorie über mehrere Jahre, bis er seine These zum Teil belegen konnte [1].
Welche Effekte hat Okklusionstraining?
Aktuelle trainingswissenschaftliche Vorgaben für ein Hypertrophietraining liegen bei einer Intensität von mindestens 65 % des 1RM und 6-12 Wiederholungen bei relativ langsamer Bewegungsgeschwindigkeit (2-0-2-0), um Effekte der Muskelquerschnittsvergrößerung und der Muskelkraftsteigerung über 6-12 Wochen zu erzielen [2]. An dieser Stelle unterscheidet sich das „normale“ Krafttraining vom Okklusionstraining. Um Effekte in den benannten Bereichen mit dem Okklusionstraining zu erreichen, bedarf es einer viel geringeren Last bei ca. 20 % des 1RM und auch die benötigte Zeit für Muskelhypertrophie und Kraftsteigerung scheint mit ca. 4-8 Wochen deutlich kürzer zu sein [3].
Es konnte belegt werden, dass das Okklusionstraining mit geringerer Last in kürzerer Zeit zu einem erhöhten Muskeldickenzuwachs und zu einer vermehrten Kraftsteigerung führt. Wobei die Effekte in der Beinmuskulatur größer waren als in der Armmuskulatur, vermutlich aufgrund der Größe der eingesetzten Muskulatur [4]. Außerdem konnte gezeigt werden, dass nach Operationen am vorderen Kreuzband oder bei einem ruhiggestellten Bein mittels Schiene, durch das bloße Abbinden (ohne Training) gleich nach der ärztlichen Versorgung (z.B. OP) die drohende Muskelatrophie größtenteils verhindert werden konnte. Zudem konnte dadurch dem Verlust der Muskelkraft entsprechend entgegengewirkt werden [5].
Neben positiven Effekten bei älteren männlichen und weiblichen Personen, sowie Personen mit einem niedrigen Trainingsalter, wurden positive Wirkungen auch bei leistungsstarken Personen und Spitzensportlern nachgewiesen [4,6]. Es konnte außerdem festgestellt werden, dass es zu Crossover Effekten kommen kann. Durch das Krafttraining mit abgebundenen Beinen und zusätzlich „normalem“ Armkrafttraining mit wenig Last, kann es zu einem Muskelaufbau und einer Kraftsteigerung in der Armmuskulatur kommen, die vergleichbar mit den Folgen eines „normalen“ Krafttrainings sind [4]. Nicht nur beim Krafttraining konnten positive Effekte festgestellt werden. Auch im Ausdauertraining konnte gezeigt werden, dass Gehen (4-6 km/h) mit moderat abgebundenen Beinen Muskelaufbau sowie Kraftsteigerung bei leistungsschwachen als auch bei leistungsstarken Personen zur Folge hat [4,6]. Die Effekte sind jedoch nicht vergleichbar mit einem Krafttraining. Zudem konnte durch ein solches Training die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2MAX) gesteigert werden [6].
Doch was passiert im Körper, wenn Okklusionstraining durchgeführt wird? Einige Mechanismen konnten nachgewiesen, andere müssen noch weiter untersucht und diskutiert werden. Durch das Abbinden und den Blutrückstau werden vermutlich Stoffwechselzwischenprodukte akkumuliert und Wachstumshormone vermehrt gebildet. Zudem konnte nachgewiesen werden, das die Entstehung des Proteins Myostatin, zuständig für die Hemmung des Muskelwachstums, im Rahmen des Okklusionstraining reduziert ist [4,6]. Durch das Abbinden sollen zudem die schnellen Muskelfasern (Fast-Twitch-Fasern) und auch schnelle motorische Einheiten, die sonst nur bei höherer Last aktiviert werden, eher rekrutiert werden [4]. Hierfür scheint ein lokaler Sauerstoffmangelzustand in der Arbeitsmuskulatur durch das Abbinden verantwortlich zu sein und somit werden die motorischen Einheiten früher aktiviert [6].
Im Bezug zum Ausdauertraining gibt es bisher nur den Ansatz, dass bestimmte Wachstumshormone und insulinähnliche Wachstumsfaktoren (u.a. IGF-1) für die leistungssteigernden Effekte verantwortlich sein könnten. Diese Hormone haben einen erheblichen Einfluss auf Wachstum, Struktur und Funktion der Skelett- und Herzmuskulatur und könnten dem entsprechend auch positive Effekte auf kardio-pulmonale Leistungsfaktoren wie die Sauerstoffaufnahme haben [4].
In welchen Bereichen kann Okklusionstraining angewendet werden?
Wie zahlreiche Studien darlegen, ist das Okklusionstraining in vielen Bereichen zielführend anwendbar. Es kann u.a. im Rehabilitationsprozess eingesetzt werden, in dem Patienten noch nicht voll belastbar und schwere Gewichte kontrainduziert sind. Auf diese Weise können Muskelatrophien begrenzt werden und frühzeitig erforderliche Reize zur Wiedererlangung der Alltagsleistungsfähigkeit gesetzt werden. Im Bereich des Gesundheitssports kann das Okklusionstraining besonders für ältere und leistungsschwache Personen eine Alternative darstellen um schneller Fortschritte im Bereich zur Steigerung der konditionellen Leistungsfähigkeit zu machen. Auch leistungsstarke Personen und Spitzensportler können vom Okklusionstraining profitieren. Besonders bei Leistungsportlern mit hoher Wettkampfdichte könnten auf diese Weise, Phasen der Leistungsstagnation überwunden und neue Reize gesetzt werden ohne Regenerationszeiten zu verlängern. Belege für diese möglichen positiven Effekte in den benannten Anwendungsbereichen stehen noch aus.
Wie wird Okklusionstraining richtig angewendet?
Beim Okklusionstraining sind folgende Parameter zu beachten [nach 3,4,6]:
- Abbindungsstärke: 50-150 mmHg; subjektiv: leichtes bis moderates Abbindungsgefühl
- Bandage möglichst muskelursprungsnah und ohne Muskelspannung anlegen
- Last: 10-30 % vom 1RM
- Wiederholungen: bis zum Muskelversagen
- Trainingssätze: 3-5
- Ausführungsgeschwindigkeit: 2-0-2-0
- 30 Sekunden Pause zwischen den Trainingssätzen
- Manschetten zwischen den Sätzen appliziert lassen
Die Anwendung wird derzeit im Oberarmbereich nahe dem Schultergelenk sowie im Oberschenkelbereich nahe dem Hüftgelenk diskutiert und erprobt. Die Bandagen sollten dabei nicht über den Muskelbauch gelegt werden. Wichtig zu erwähnen ist noch die Manschetten- oder Bandagenbreite. Hierbei hat sich herausgestellt, dass die optimale Breite zwischen 5-9 cm zu liegen scheint. Bei breiteren Manschetten (> 9 cm) oder Bandagen besteht die Gefahr, die Nervenleitgeschwindigkeit zu sehr zu beeinflussen, was auf längerer Sicht zu einer Störung der Muskelinnervation führen kann. Bei noch schmaleren Bandagen (< 5) muss fester abgebunden werden als bei breiteren Bandagen, was die Gefahr erhöht, Arteriengefäße zu sehr abzubinden und unter gewissen Umständen längerfristig zu schädigen [7].
Applikation der Bandagen und Training der Kniestreckmuskulatur [aus 4].
Welche Kontraindikationen sollten beim Okklusionstraining beachtet werden?
Für das Okklusionstraining gibt es bis dato noch keine genauen Angaben für Kontraindikationen. Jedoch kann belegt werden, dass es nicht risikoreicher zu sein scheint als Krafttraining mit Sequenzgeräten oder freien Gewichten [8]. Allgemeine Kontraindikationen, die sich unter anderem durch das Abbinden der Extremitäten herleiten lassen, können folgend festgehalten werden. Bei Vorliegen einer der Kontraindikationen sollte unbedingt ärztliche Beratung vor der Anwendung eingeholt werden:
- Unwohlsein und Schwindel in Folge von Herz-Kreislauf-Beschwerden
- Offene Wunden, Verbrennungen und gereizte Haut
- Thrombose oder erhöhtes Risiko einer Thrombose
- Schwerer Bluthochdruck > 180 systolisch und > 110 diastolisch
- Herzinsuffizienz
- Herzfehler
- Schwangerschaft
Fazit und Ausblick
Abschließend kann festgehalten werden, dass Okklusionstraining in jedem Leistungsbereich eingesetzt werden kann und es Alleinstehend oder in Kombination mit „normalem“ Krafttraining eine sehr gute Alternative darstellt. Vor allem in Trainingsphasen in denen wenig Gewicht bewältigt werden kann, kann das Okklusionstraining unter Beachtung der Kontraindikationen zielführend eingesetzt werden. Es scheinen besonders ältere und verletzte Personen als auch Leistungssportler davon zu profitieren. Leistungssportler mit einer hohen Wettkampf- und Trainingsdichte können besonders während der Saison vom Okklusionstraining profitieren.
Regenerationszeiten könnten auf diese Weise kürzer gehalten werden. Denkbar wäre es, „Okklusionsblöcke“ in die normale Trainingsplanung einzubauen, um so ständig neue Reize für den Organismus zu setzen. Zudem hilft es Sportlern nach einer Verletzung schneller wieder Muskulatur aufzubauen, um frühzeitig in das sportartspezifische Training einsteigen zu können. Der jetzige Erkenntnisstand weckt hohe Erwartungen an das Okklusionstraining, wenngleich auch die physiologischen Wirkmechanismen näher geklärt werden müssen und weitere evidenzbasierte Untersuchungen in der trainingsmethodischen Anwendung in verschiedenen Settings und mit unterschiedlichen Zielgruppen folgen sollten.
Probiert es einfach mal aus.
Euer Alexandre Kirch & Dr. Thomas Gronwald
Literatur
[1] Sato, Y. (2005). The history and future of KAATSU training. International Journal of KAATSU Training Research, 1 (1), 1-5.
[2] American College of Sports Medicine. (2009). American College of Sports Medicine position stand. Progression models in resistance training for healthy adults. Medicine & Science in Sports & Exercise, 41 (3), 687-708.
[3] Loenneke, J.P., Wilson, J.M., Marín, P.J., Zourdos, M.C. & Bemben, M.G. (2012). Low intensity blood flow restriction training: a meta-analysis. European Journal of Applied Physiology, 112 (5), 1849-1859.
[4] Loenneke JP, Pujol TJ (2009.) The use of occlusion training to produce muscle hypertrophy. Strength & Conditioning Journal, 31 (3), 77-84.
[5] Loenneke, J.P., Abe, T., Wilson, J.M., Ugrinowitsch, C. & Bemben, M.G. (2012). Blood flow restriction: how does it work? Frontiers in Physiology, 3 (392), 1-2.
[6] Bagley, J.R., Rosengarten, J.J. & Galpin, A.J. (2015). Is Blood Flow Restriction Training Beneficial for Athletes? Strength & Conditioning Journal, 37(3), 48-53.
[7] Mittal, P., Shenoy, S. & Sandhu, J.S. (2008). Effect of different cuff widths on the motor nerve conduction of the median nerve: an experimental study. Journal of Orthopaedic Surgery and Research, 3 (1), 1-6.
[8] Loenneke, J.P., Wilson, J.M., Wilson, G.J., Pujol, T.J. & Bemben, M.G. (2011). Potential safety issues with blood flow restriction training. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 21 (4), 510-518.
Perfekt, man lernt nie aus !!
mit vitalen Grüssen
der Rüdiger