Was ist Beweglichkeit?
Unter Beweglichkeit versteht man im Allgemeinen den Bewegungsumfang eines einzelnen Gelenks oder mehrerer Gelenke. Vereinfacht ausgedrückt, steht Beweglichkeit dafür, wie weit wir uns strecken, beugen und drehen können. Tony Gummerson (1990) erweiterte diese allgemeine Definition und beschrieb Beweglichkeit folgendermaßen:
»[…] der absolute Bewegungsumfang eines Gelenks oder mehrerer Gelenke, wie er in einer Bewegungsausführung mit Unterstützung eines Partners oder mit einem Hilfsmittel erreicht werden kann.«
Fitness und Beweglichkeit
Die körperliche Fitness eines Menschen hängt von vielen Faktoren ab: Beweglichkeit ist nur einer davon. Wenngleich Beweglichkeit eine wichtige Komponente körperlicher Fitness darstellt, ist sie doch nur ein Teil im großen Fitness-Puzzle. Andere Komponenten sind Kraft, Leistungsfähigkeit, Geschwindigkeit, Ausdauer, Gleichgewichtssinn, Koordination und Geschicklichkeit.
Obwohl jede Sportart diese Fitnesskomponenten in unterschiedlichem Maße fordert, solltest du stets einen Trainingsplan befolgen, der alle Komponenten körperlicher Fitness abdeckt.
Rugby und American Football erfordern beispielsweise in erster Linie Kraft; ließen die Spieler jedoch Geschicklichkeits- und Dehnübungen weg, könnte das zu schlimmen Verletzungen führen und würde die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Für einen Turner haben Kraft und Beweglichkeit höchste Priorität, aber ein ausgewogenes Training sollte auch seine Leistungsfähigkeit, Geschwindigkeit und Ausdauer verbessern.
Das gilt für jeden: Auch wer von Natur aus stark und gelenkig zu sein scheint, wäre dumm, wenn er die anderen Komponenten körperlicher Fitness vernachlässigen würde. Und ist jemand in einem Gelenk oder einer Muskelgruppe gut beweglich, heißt das noch lange nicht, dass das am ganzen Körper der Fall ist. Beweglichkeit muss man deshalb als Eigenschaft eines bestimmten Gelenks oder einer bestimmten Muskelgruppe verstehen.
Gefahren und Auswirkungen fehlender Beweglichkeit
Verspannte, steife Muskulatur schränkt den normalen Bewegungsspielraum ein. In manchen Fällen trägt mangelnde Beweglichkeit nicht unwesentlich zu Muskel- und Gelenkschmerzen bei. Einige Menschen sind so ungelenkig, dass sie sich beispielsweise nur mit Schwierigkeiten bücken oder umschauen können. Verspannte, steife Muskulatur ist in ihrer Funktion gestört. Können sich Muskeln nicht effizient kontrahieren und entspannen, vermindern sich Leistungsfähigkeit und Koordination. Verkürzte, verspannte Muskeln hemmen außerdem bei körperlicher Aktivität Kraft und Energie in hohem Maße.
In sehr seltenen Fällen können verspannte Muskeln sogar die Durchblutung beeinträchtigen. Gute Durchblutung ist eine Voraussetzung dafür, dass die Muskulatur mit ausreichend Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Schlechte Durchblutung lässt die Muskeln schneller ermüden und behindert letztendlich die Regeneration und die Fähigkeit, sich vom Training zu erholen. Alle diese Faktoren tragen erheblich zu gesteigertem Verletzungsrisiko, negativem Körpergefühl, Leistungsminderung und dem Risiko wiederholter Verletzungen bei.
Wodurch wird Beweglichkeit eingeschränkt?
Muskeln müssen beweglich sein, um Spitzenleistung zu erbringen, und Stretching ist der Schlüssel dazu, elastische Muskeln und Sehnen zu entwickeln und zu erhalten. Allerdings kann Beweglichkeit auch durch eine Reihe weiterer Ursachen beeinträchtigt werden. Der Bewegungsumfang kann durch innere wie äußere Ursachen eingeschränkt werden. Knochen, Bänder, Muskelmasse, Muskellänge, Sehnen und Haut können allesamt als innere Faktoren die Beweglichkeit eines bestimmten Gelenks beeinträchtigen. So kann etwa das menschliche Bein nicht über die Streckung hinaus nach vorn gebeugt werden, weil die Struktur der Knochen und Bänder im Kniegelenk dies nicht zulässt. Äußere Einflüsse wie Alter, Geschlecht, Temperatur, enge Kleidung und natürlich Verletzungen und Behinderungen aller Art wirken sich ebenfalls auf die Beweglichkeit aus.
Beweglichkeit im Alterungsprozess
Es ist kein Geheimnis: Mit jedem Lebensjahr scheinen die Muskeln und Gelenke steifer und unelastischer zu werden. Dies gehört zum Alterungsprozess dazu als Resultat von körperlicher Abnutzung und Inaktivität. Auch wenn Sie nichts gegen das Älterwerden tun können, sollten Sie nicht aufhören, an Ihrer Beweglichkeit zu arbeiten.
Das Alter schließt einen fitten und aktiven Lebenswandel nicht aus, aber mit den Lebensjahren müssen doch gewisse Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden. Für Dehnübungen braucht man einfach etwas mehr Zeit; man muss sie etwas geduldiger und vorsichtiger angehen.
Anatomie der Muskeln
Um die Beweglichkeit zu verbessern, sollte der Schwerpunkt des Trainings auf den Muskeln und zugehörigen Faszien liegen. Zwar wird unsere allgemeine Beweglichkeit auch von Knochen, Gelenken, Bändern, Sehnen und Haut bestimmt, aber auf diese Faktoren haben wir kaum Einfluss.
Knochen und Gelenke
Die Struktur von Knochen und Gelenken erlaubt nur einen ganz bestimmten Bewegungsumfang. Das Kniegelenk etwa lässt eine Bewegung über die gestreckte Stellung hinaus nicht zu, egal wie sehr du es versuchst.
Bänder
Die Bänder verbinden die Knochen miteinander und stabilisieren die Gelenke. Eine Dehnung der Bänder sollte man vermeiden, da das die Gelenkstabilität beeinträchtigen kann, was wiederum das Verletzungsrisiko erhöht.
Sehnen
Muskeln und Knochen sind durch Sehnen verbunden, die aus sehr dichtem Bindegewebe bestehen. Sehnen sind extrem reißfest und dennoch sehr elastisch. Sie tragen ebenfalls zur Gelenkstabilität bei. Ihr Anteil an der Beweglichkeit eines Gelenkes beträgt allerdings nur zehn Prozent; deshalb sollten auch die Sehnen nicht im Mittelpunkt von Dehnübungen stehen.
Muskeln
Muskeln bestehen aus Tausenden von kleinen, zylindrischen Fäden, den Muskelfasern. Diese liegen parallel zueinander, manche von ihnen sind bis zu 30 Zentimeter lang. In jeder Muskelfaser stecken zehntausende winziger Fädchen, die Muskelfibrillen, die dem Muskel die Fähigkeit verleihen, sich zusammenzuziehen, sich zu entspannen und zu dehnen. Jede Muskelfibrille besteht aus einer Vielzahl von Bündeln, den sogenannten Sarkomeren. Jedes Sarkomer setzt sich aus sich überlappenden dicken und dünnen Fädchen zusammen, den sogenannten Muskelfilamenten. Jedes Muskelfilament besteht in der Hauptsache aus kontraktilen Proteinen, nämlich Aktin und Myosin. Der Anteil von elastischem Gewebe in Muskeln und ihren Faszien ist größer als bei den anderen, oben erwähnten anatomischen Strukturen. Daher sollten die Muskeln im Mittelpunkt unseres Beweglichkeitstrainings stehen.
Was ist Stretching?
Wenn es um körperliche Gesundheit und Fitness geht, bedeutet Stretching, bestimmte Körperteile in eine solche Position zu bringen, dass Muskeln und die damit verbundenen Weichteile gedehnt werden.
Was passiert beim Dehnen eines Muskels?
Wer mit regelmäßigen Dehnübungen beginnt, wird bald eine Reihe von Veränderungen im Körper bemerken, besonders in den Muskeln selbst. Des Weiteren reagieren aber auch Bänder, Sehnen und Faszien sowie Haut und Narbengewebe auf die Übungen.
Die Dehnung der Muskeln und damit die Erweiterung ihres Bewegungsumfangs beginnt bei den Sarkomeren. Wenn ein bestimmter Körperteil in eine Position gebracht wird, in der ein Muskel gedehnt wird, verringert sich die Überlappung zwischen den dicken und dünnen Myofilamenten. Sind auf diese Weise die Sarkomere komplett gedehnt, hat der Muskel seine maximale Ruhelänge erreicht. An diesem Punkt verlängert weiteres Stretching das Bindegewebe und die Muskelfaszien. Außerdem zog G. Goldspink zunächst 1968 und 1971 dann zusammen mit P. E. Williams den Schluss, dass:
»regelmäßiges Stretching mit der Zeit dazu führen kann, dass die Anzahl der Sarkomere wächst, indem neue Sarkomere an das Ende von bereits vorhandenen Myofibrillen angehängt werden, sodass Länge und Bewegungsumfang des Muskels insgesamt zunehmen.«
Richtig aufwärmen: Mit oder ohne Dehnen?
Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob und, wenn ja, wann Dehnübungen beim Aufwärmen sinnvoll sind. Einige Sportler sind sogar davon überzeugt, dass Stretching beim Warm-up ganz und gar nichts zu suchen hat. Doch stimmt das wirklich? Die Wissenschaft hilft uns dabei leider nicht unbedingt weiter. Eine Reihe von Studien haben es sich zum Ziel gesetzt zu klären, inwieweit Dehnübungen als Bestandteil des Aufwärmprogramms Verletzungen vorbeugen können. Der Effekt, den Dehnen auf die körperliche Leistungsfähigkeit und die Verminderung des Verletzungsrisikos hat, ist jedoch mit wissenschaftlichen Methoden nicht messbar. Natürlich lässt sich die Auswirkung von Dehnübungen auf die Elastizität von Muskeln, Bändern und Sehnen mittels einfacher Tests wie dem Sit-and-Reach-Test feststellen. Aber es ist schwierig, daraus Konsequenzen für die sportliche Leistungsfähigkeit und die Verletzungsanfälligkeit abzuleiten.
Aus Unsicherheit darüber, ob Stretching als Teil des Aufwärmprogramms irgendeinen Nutzen hat, verzichten viele Sportler lieber ganz auf Dehnübungen. Doch auch wenn Sie stretchen, sollten Sie nicht glauben, dass ein paar wenige Dehnübungen zum Aufwärmen reichen. Stretching ist zwar ein wichtiger Bestandteil des Aufwärmtrainings, aber Stretching allein ist noch kein Aufwärmtraining.
Effektives Warm-Up
Ein effektives Warm-up besteht aus mehreren Komponenten, die zusammen die Gefahr von Sportverletzungen senken und auf die körperliche Anstrengung vorbereiten. Die vier Hauptkomponenten, die ein effektives und vollständiges Aufwärmprogramm ausmachen, sind:
- Generelles Aufwärmen: Dieser Teil sollte aus 5 bis 15 Minuten leichter Aktivität bestehen. Ziel ist es, die Herz- und Atemfrequenz anzuheben, die Durchblutung anzuregen und die Muskeltemperatur zu erhöhen.
- Statisches Stretching: Jetzt sollten einige Minuten statisches Stretching folgen, um alle wichtigen Muskelgruppen und das damit verbundene Gewebe schrittweise zu längen. Jüngste Studien haben ergeben, dass statisches Stretching einen kontraproduktiven Effekt auf die Schnelligkeit der Muskelkontraktion haben kann und daher die Leistungsfähigkeit bei Sportarten, die besonders Schnellkraft erfordern, beeinträchtigt. Aus diesem Grund stehen statische Dehnübungen am Anfang des Aufwärmprogramms und sollten immer durch sportartspezifische Übungen und dynamisches Stretching ergänzt werden.
- Sportartspezifisches Aufwärmen: 10 bis 15 Minuten sportartspezifischer Übungen bereiten auf die speziellen Anforderungen der jeweiligen Sportart vor.
- Dynamisches Stretching: Beim dynamischen Stretching wird der zu dehnende Körperteil durch kontrollierte, sanfte Wipp- oder Federbewegungen an die Grenzen seines Bewegungsumfangs herangeführt. Die Intensität der Bewegung wird langsam gesteigert, sollte aber nie heftig oder unkontrolliert werden.
Alle vier Komponenten sind gleichermaßen wichtig, und man sollte keine von ihnen vernachlässigen. Nur das Zusammenwirken aller vier Komponenten gewährleistet
eine optimale körperliche und mentale Vorbereitung auf die bevorstehende Leistung. Die im vorher beschriebenen Aufwärmprogramm empfohlenen Zeitmaße gelten für ernsthaft betriebenen, anspruchsvollen Sport. Du kannst diese Zeitmaße also deinen eigenen Ansprüchen und Fähigkeiten anpassen.
Fazit
Stretching ist bei richtiger Ausführung von großem Nutzen. Allerdings sind Dehnübungen nur ein Element zur Senkung des Verletzungsrisikos und Steigerung der sportlichen Leistung – wenn auch ein sehr wichtiges. Die besten Ergebnisse entstehen, wenn du Stretching mit anderen Techniken der Verletzungsvermeidung und Kräftigung kombinierst.
Euer Brad Walker