Funktionell trainieren
Mit sportartübergreifenden Übungsformen wird ein Bewegungsmuster wiederholt durchgespielt, in der Hoffnung, dass sie die physische Kapazität des Athleten verbessern und gleichzeitig ein Transfer in andere Bewegungsmuster stattfindet. Darunter fallen beispielsweise Kraftübungen, die das Kraftpotenzial des Sportlers verbessern sollen. Der Sportler akquiriert also zunächst die allgemeinen sportlichen Voraussetzungen, um seinen Sport irgendwann einmal auf hohem Niveau zu bestreiten.
Sportartspezifisch trainieren
Eine sportartspezifische Übungsform trainiert spezifische Bewegungsabläufe in der Sportart, beispielsweise der Korbleger im Basketball. Man zerlegt die Sportart in kleine Segmente, die man in Übungsreihen gezielt trainiert, um das Bewegungsmuster des Sportlers zu verfeinern. Solche Übungen finden immer in einer für die jeweilige Sportart realistischen Umgebung statt: auf dem Spielfeld und unter Einsatz der in dieser Sportart verwendeten Geräte. Ein Ballspieler verbessert mit einer sportartspezifischen Übungsform sein Spielvermögen.
Eine Übungsform, die ich in meinem Buch Athletic Body in Balance beschrieben habe, ist das „Medizinball-MiniTennis“. Mithilfe von elastischen Bändern trainiert der Sportler mit zweiarmigem Werfen und Fangen Seitwärtsbewegungen.
Wissen wofür man trainiert
Ich bin zwar immer noch ein großer Fan funktioneller Übungen, wie Chops, Lifts (Hebeübungen) und einbeinige Deadlifts, doch versuche ich mehr und mehr, solche sportartübergreifenden Übungsformen in sportartspezifische Übungen einzubauen, weil ich festgestellt habe, dass meine Athleten mit mehr Herz bei der Sache sind, wenn sie genau wissen, wofür sie diese Übung machen.
Wenn Sportler nämlich gleichzeitig die biomechanischen Abläufe ihrer eigenen Sportart durchexerzieren müssen, kann man höhere Intensität, höheren Umfang und eine höhere Wiederholungszahl erreichen. Natürlich muss die Schwierigkeit der Übungsform dem Können der Athleten angepasst sein, denn extreme Bewegungskorrekturen sind in solch einer Situation nicht möglich.
Beim Tennis sportartspezifisch oder funktionell trainieren
Bei meiner Arbeit mit Tennisspielern wurde mir die Notwendigkeit der Verbindung von Spieltechnik mit allgemeiner Konditionierung bewusst. Es war in einer Zeit, als viele Trainer zu einer offenen Schrittstellung übergingen, bei der Brust und Becken dem Gegenspieler gerade gegenüberstehen. Anstatt wie früher beim Abspielen des Balles einen Seitwärtsschritt zu machen, wurde nun bei der rechten Vorhand ein Schritt mit dem linken Fuß gerade nach vorne gemacht. Im Falle der Rückhand machten sie mit dem rechten Fuβ einen Ausfallschritt nach vorne. Mit einer solch offenen Schrittstellung hatte man mehr Power in den Beinen, konnte folglich den Ball besser treffen und entsprechend mehr Geschwindigkeit aufbauen.
Tennisspieler sind heutzutage kräftiger und athletischer als früher und brauchen keine Seitwärtsschritte mehr auszuführen, um Kraft zu entwickeln. Doch die Nachkömmlinge haben eben noch nicht ausreichende Rumpfstabilität, um mit dieser offenen Schrittstellung zu spielen. Hier musste erst einmal fundamentales Rumpftraining absolviert werden. Da stellt sich die Frage: Warum nicht einen Schritt zurückgehen und wieder mit geschlossener Schrittstellung trainieren?
Also habe ich selbst im Profibereich wieder die alte Schrittstellung eingeführt und meine Spieler sogar dazu aufgefordert, den Ball beidhändig zu spielen. So manch ein Spieler mag sich gefühlt haben wie ein Profiradfahrer, den ich mit Stützrädern fahren lasse, und doch: Die Spieler haben mit dieser Methode quasi hunderte Chops, Lifts und Ausfallschritte gemacht, während sie gleichzeitig in ihrer sportartspezifischen Umgebung trainierten, das heißt mit Schläger und auf dem Platz. Ich hatte sportartspezifische Fertigkeiten verbunden mit funktioneller Konditionierung.
Beispiele aus anderen Sportarten
Auch der UCLA-Basketballcoach John Wooden erarbeitete für seine Spieler Übungsreihen, mit denen sie gleichzeitig ihre physischen Fähigkeiten verbessert und an ihren basketballspezifischen Fähigkeiten gearbeitet haben. Wooden hatte zwar keine Trainingsprogramme von Konditionierungstrainern zur Verfügung, noch setzte er viel Material ein, aber seine Spieler lernten spielerische Fertigkeiten und trainierten gleichzeitig ihren Organismus.
In den Ferien beobachtete ich einmal das Volleyballtraining der Schulmannschaft meiner Tochter. Schnell wurde mir klar, dass diese Mädchen beim Sprung ihren Oberkörper nicht einsetzten. Sie holten nicht mit beiden Armen aus, um die Sprunghöhe zu verbessern. Ich gab diesen Mädchen plyometrische Übungen, die ich mir von Vern Gambetta abgeschaut hatte. Doch ich erinnerte mich, dass er damals sagte, dass Sportler, die noch nicht weiter springen konnten, als sie groß waren, mit solchen Übungen Probleme haben würden. Also testete ich die Mädchen zuerst auf ihre Weitsprungfähigkeiten. Schnell hatte ich sie in drei Leistungsgruppen unterteilt.
Die schwächste Gruppe bekam zwar auch plyometrische Übungen, doch mussten sie nur Seilspringen und Kniebeugeübungen absolvieren. Diese Gruppe verbesserte ihre Weitsprungfertigkeiten am meisten: Nach nur einer Trainingseinheit sprangen sie 15 bis 20 Zentimeter höher. Die leistungsstärkste Gruppe absolvierte schnellkräftige plyometrische Boxsprünge und andere plyometrische Übungsformen, ebenso wie Druckpressen. Das Zirkeltraining umfasste außerdem eine Übung zur Aufgabe – eine andere Schwachstelle der Mannschaft –, bei der der Ball in einem vormarkierten Feld landen musste. Wir koppelten also technische Fertigkeiten mit physischer Belastung. Dies ist wichtig, da im Sport technische Fertigkeiten unter Belastung abgerufen werden müssen.
Mit dieser Trainingseinheit lernten die Mädchen, ihren Oberkörper beim Sprung effektiver einzusetzen. Obwohl sie bei den ausgesuchten Übungsformen keine sportartspezifischen Hochsprünge absolvierten, schafften sie es dennoch, die gelernten Fertigkeiten auf ihren Sport zu übertragen.
Fazit
Viele Übungsformen sind nicht wirklich notwendig und könnten leicht ersetzt werden. Doch wie treffe ich die Entscheidung, welche Übungsformen wichtig und welche unwichtig sind? Hier setze ich den Movement Screen ein. Dies ist immer der erste Schritt. Ob man nun in der Reha arbeitet oder einen Sportler auf Topniveau trainiert, man schaut sich immer als Erstes die individuellen Bewegungsmuster an und entscheidet dann, welche korrektiven Übungen der Sportler trainieren muss, um seine Schwächen auszumerzen. Denn als Allererstes muss man Dysfunktionen beheben. Korrektive Übungen kommen also zuerst, bevor man zu sportartspezifischen Übungsformen übergeht. Gleichzeitig muss man immer im Auge behalten, dass der Sportler motiviert bleibt. Sind die Übungsformen nämlich zu langweilig und kann der Sportler ihren Sinn nicht erkennen, dann lernt er auch nichts.