Derzeit sind sich Trainings- und Bewegungswissenschaftler sowie Physiologen aufgrund der aktuellen Studienlage sicher, dass ein Ausdauer- und Krafttraining verbunden mit mobilisierenden und koordinativen Übungsformen förderlich für gesunde schwangere Frauen und den Fötus sind [1,2]. Dies gilt auch für Frauen, die im Vorfeld der Schwangerschaft nicht sportlich aktiv waren. Ein adäquates Bewegungsprogramm mit moderaten Intensitäten führt zu einem verbesserten Wohlbefinden und kann zur Reduktion bzw. Prävention unspezifischer Rückenschmerzen beitragen. Unter bestimmten Voraussetzungen scheint es auch keine Einschränkungen hinsichtlich eines hochintensiven Trainings bei gesunden Frauen zu geben.
Da der Einsatz von hohen Intensitäten jedoch von einigen Faktoren abhängt und die Studienlage hierzu noch recht übersichtlich ist [3], wird in Schwangerschaftsratgebern zumeist ab Mitte der Schwangerschaft (ca. 20. SSW) nur noch körperliche Aktivität in Form von regelmäßigen Spaziergängen empfohlen. Aufgrund aktueller Empfehlungen für regelmäßiges Training in der Schwangerschaft [3,4] plädiere ich jedoch dafür, den alleinigen Fokus von der „Rückbildungsgymnastik“ nach der Geburt auf einen regelmäßig stattfindenden Aufbaukurs während der Schwangerschaft auszudehnen, in dem durch anforderungsgerechtes und beanspruchungsorientiertes Training anabole Prozesse im Organismus der Schwangeren gefördert werden.
Haupteffekte durch körperliche und sportliche Aktivität in der Schwangerschaft für die werdende Mutter und den Fötus [mod. nach 4]:
Hormonell und Metabolisch
↑ Glukoseaufnahme für die Nährstoffbereitstellung des Fötus
↑ Sympatho-adrenale Aktivität
↓ Plasmainsulin
↑ Cortisol
↑ Glukagon
↑ Wachstumshormon
Respiratorisch
↑ Ventilation und Aktivierung der Atmungsmuskulatur
↑ Sauerstoffaufnahme
Kardiovaskulär
↑ Blutdruck und Herzfrequenz der Mutter
↑ Herzfrequenz des Fötus
↑ Gefäßwiderstand im Uterus und der Plazenta
Psychologisch
↓ depressive Symptome
↑ Wohlbefinden
Physiologische Grundlagen und Adaptationsmechanismen durch unterschiedliche Belastungsreize in der Schwangerschaft sowie Ernährungsempfehlungen können bei Bo et al. [1] nachgelesen werden. Bo et al. [2] beschreiben zudem die differenzierte Wirkung körperlicher und sportliche Aktivität auf den Fötus. Da jede Schwangerschaft etwas anders verläuft und die Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Übelkeit, Unterleibsschmerzen oder lumbale Rückenschmerzen und Verspannungen im Schultergürtel, sehr individuell auftreten, sollte auch das Training individuell gestaltet werden. So können Trainingsmittel, -inhalte und -methoden sowie -intensitäten von Frau zu Frau variieren. Generell sollten jedoch plyometrische Übungsformen in Form von Sprung- und Impact-Belastungen in der Schwangerschaft ab dem 2. Trimester vermieden werden. Zudem sind Risikosportarten und Sportarten mit Gegner-, Schläger- oder Ballkontakt und hohem Sturzrisiko zu vermeiden.
Eine schwangere Frau ohne Kontraindikationen für körperliche und sportliche Aktivität sollte folgende Faktoren beachten [mod. nach 3]:
- Mindestens 30 min Bewegung bei moderater Intensität an 3 bis 4 Tagen in der Woche
- Folgende Belastungen sollten vermieden werden: auf dem Rücken liegende Positionen nach dem 1. Trimester, langes Stehen, hohes Sturzrisiko oder Gegnerkontakt, natürliche Höhenbedingungen größer als 1600 m, Sporttauchen
- Bei folgenden Symptomen sollte die Tätigkeit abgebrochen werden: vaginale Blutungen, Schwindel, Wadenschmerzen oder Schwellungen, Brust- und Bauchschmerzen, Wehentätigkeit, austreten von Fruchtwasser, Probleme beim Atmen vor der körperlichen oder sportlichen Aktivität
Empfehlungen für ein Trainingsprogramm
Angepasst an die benannten Empfehlungen bietet sich für ein gut strukturiertes und zeitökonomisches Training die Organisationsform des Zirkeltrainings an. Ein Trainingsprogramm für Übungen mit dem eigenen Körpergewicht bzw. mit Kleingeräten und Hilfsmitteln durchgeführt zu Hause oder im Park und mit der Fokussierung auf die Kraftausdauer empfiehlt sich in diesem Kontext. Beim Zirkeltraining wird das kardio-pulmonale System und der Stoffwechsel optimal angeregt. Auf diese Weise führt ein (funktionelles) Kraftausdauertraining zu neuen metabolischen Reizen und zu einem Konditionierungseffekt. Die Intensität des Zirkeltrainings wird dabei ganz entscheidend durch das Verhältnis aus Belastung und Erholung (Zeit zwischen den Übungen und den Zirkeln) bestimmt [5]. Auf diese Weise ist eine flexible Steuerung auch während des Trainings je nach Tagesform und Befinden möglich. Die Erfahrung zeigt, dass die Leistungsfähigkeit von schwangeren Frauen sehr stark schwanken kann. Ziel sollte es sein, ein eigenes Körpergefühl in Bezug auf die Trainingsbelastung zu entwickeln, um Überlastungen zu vermeiden.
Das soll jedoch nicht heißen, dass ein Training in der Schwangerschaft nicht auch anstrengend sein kann. Jedoch hilft „viel“ nicht immer „viel“. Ein variables Training hinsichtlich Trainingsmitteln, Übungen und Intensitäten ist hierbei zu empfehlen. Komplexübungen bzw. mehrgelenkige Übungen sind Isolationsübungen vorzuziehen. Übungen für die Hüftstreckung und Aktivierung der Gesäß- und lumbalen Rückenmuskulatur sowie Zugbewegungen für die oberen Extremitäten und die Schulterblattfixatoren sollten in jeder Trainingseinheit integriert werden. Es ist wichtig, dass die Atmung dem Bewegungszyklus und der Anspannung der rumpfstabilisierenden Muskulatur angepasst wird: bei konzentrischer Belastung sollte ausgeatmet bzw. bei isometrischer Arbeit kontinuierlich weiter geatmet werden. Isoliertes Training für die gerade und schräge Bauchmuskulatur sowie Überstreckungen im Lendenwirbelsäulenbereich sollten ab dem 2. Trimester (13. SSW) vermieden werden.
Belastungsnormative:
- Häufigkeit: 2-3 mal pro Woche
- Dauer bzw. Umfang: ca. 35-45 min
- Zirkelanzahl: 2-3
- Übungsanzahl: 4-6 (größtenteils Komplexübungen)
- Reihenfolge: variabel (Pool aus 10-12 Übungen)
- Wiederholungen: 10-15 (volle Bewegungsamplitude)
- Dichte: Belastung und Erholung 1:1 (z. B. 40 s Belastung und 40 s Erholung)
- Bewegungsfrequenz: Langsam und kontrolliert (z. B. 2-0-2-0), hohe Bewegungsqualität
Aufbau für einen Beispielzirkel in der 23. SSW:
Movement Preparation: 5-10 min
- Foam-Rolling
- CARs und Mobilisation im Schulter- und Hüftgürtel
- Sprunggelenksmobilisation
- Glute-Activation: Side-Steps (Mini-Band), Hip-Lift
- Lunge-Matrix
Zirkeltraining: 20-25 min
- Pull: Body-Row (Suspension Trainer)
- Knee-Dominant: (Overhead-) Squat, (RFE-) Split-Squat
- Push: (Incline-) Push-Up
- Hip-Dominant: Kettlebell-Deadlift, Single-Legged-Deadlift
- Quadruped-Hip-Extension, Hip-Lift oder Bridge
Lockerung und Entspannung: 10 min
- Lockerung für den Schulter- und Hüftgürtel
- Psycho-physische Tonus-Entspannung im Liegen
Abb. 1: Movement Preparation mit Foam Rolling (obere Reihe), Mobilisation des Hüft- und Schultergelenks sowie des Sprunggelenks und der BWS, Aktivierung der Gesäßmuskulatur durch Side-Steps mit dem Mini-Band (untere Reihe).
Abb. 2: Body-Row mit dem Suspension-Trainer; Regression und Progression durch Veränderung der Beinstellung.
Abb. 3: Overhead-Squat und Split-Squat als Variation oder Progression.
Abb. 4: Push-Up.
Abb. 5: Kettlebell-Deadlift (obere Reihe) und Single-Legged-Deadlift als Variation oder Progression (untere Reihe).
Abb. 6: Quadruped-Hip-Extension ohne und mit Progression (obere Reihe); Hip-Lift oder Bridge als Progression, wahlweise mit Mini-Band über den Kniegelenken zur verstärkten Aktivierung der Gesäßmuskulatur (untere Reihe).
Abb. 7: Psycho-physische Tonus-Entspannung im Liegen.
Wie die Ausführungen zeigen, gibt es viele Möglichkeiten ein Training während einer Schwangerschaft anforderungsgerecht zu starten oder beizubehalten. Neben den zu vermeidenden Bewegungs- und Sportarten sind die aufgezeigten Kontraindikationen überschaubar und, wie beschrieben, individuell einzuschätzen. Im Zweifelsfall und zur Abklärung von Risiken und Symptomen empfiehlt es sich einen Arzt zu Rate zu ziehen. Für das strukturierte Training lohnt eine Zusammenarbeit mit einem qualifizierten Personal Trainer oder Physiotherapeut, denn nicht jeder Mediziner ist automatisch ein Experte für belastungs- und beanspruchungsorientiertes (Bewegungs- und Kraft-) Training. Die positiven Wirkmechanismen von regelmäßigem Training, insbesondere zur Prävention von unspezifischen Rückenschmerzen, wurden hinreichend beschrieben, körperliche und sportliche Aktivität kann zudem das Risiko eines Schwangerschaftsdiabetes und die Ausprägung depressiver Symptome und Phasen während der Schwangerschaft reduzieren. Für Letzteres bietet sich vor allem auch ein Training mit Freunden und Bekannten in einem Gruppen-Setting an.
Wenn ihr weitere Empfehlungen oder Anmerkungen zur Thematik habt, lasst es mich wissen. Die eingegangen Hinweise und Vorschläge würde ich in einem zweiten Beitrag zusammentragen.
Euer Prof. Dr. Thomas Gronwald