Die Neuro-Revolution steht bevor
Wenn es um die Steuerung und die Koordination von Körpervorgängen geht, dann landet man schnell beim Nervensystem. Mittels chemischer Stoffe und operativer Eingriffe werden körperliche Vorgänge oft versucht wieder ins Lot zu bringen – dabei könnte gezieltes (neurologisches) Training helfen. Der Einsatz chemischer Stoffe und operativer Eingriffe ist doch bei logischer Überlegung absurd, oder? Wir wissen, dass das Gehirn die Muskeln steuert, aber wir können den Schmerz ja chemisch ausschalten, also warum sollten wir weiter an das Nervensystem denken?
Man kann natürlich keine therapeutische Intervention machen, ohne das Nervensystem anzusprechen. Jede Berührung, jede Bewegung, jede Maßnahme wie Strom oder Stoßwelle beeinflusst die Nervenfunktion (und entfaltet möglicherweise deshalb ihre Wirkung). Das Entscheidende ist aber, wie gezielt das gemacht wird.
Interaktion von Sensorik und Motorik
Wenn der Arm nach vorn angehoben wird, hat das Auswirkungen auf die Statik des gesamten Körpers. Die Rückenmuskulatur muss sich anspannen, damit der Körper nicht vornüberfällt. Eine Abweichung oder eine Veränderung der Statik des Körpers wird u. a. von Drucksensoren auf der Fußsohle, von Mechanosensoren im Sprunggelenk oder von den Haarzellen im Gleichgewichtsorgan gemessen.
Wird der Arm bewegt, um nach etwas zu greifen, kommen die Augen ins Spiel: Sie lokalisieren Objekte und verfolgen die Bewegung. Aber was ist, wenn sich einer der vielen Sensoren irrt? Was ist, wenn das Gleichgewichtsorgan eine falsche Beschleunigung misst und deshalb die Rückenmuskulatur falsch ansteuert? Oder die Bewegung der Augen nicht zur Bewegung des Arms und der Hand passt? Zwickt deswegen der Rücken, wenn der Arm gehoben wird? Löst das Gehirn deshalb Alarm aus, was sich nach den aktuellen Erkenntnissen der Schmerzforschung als Schmerz im Sinne eines Warnsignals im Körper manifestiert, obwohl keine strukturellen Probleme, also keine Entzündung oder keine sonstigen Schäden vorhanden sind? In etwa wie: Die Bewegung im Arm und die Messungen an anderen Stellen des Körpers passen nicht zusammen, also lieber nicht den Arm heben? Ist deshalb der Schmerz im Rücken zu spüren oder eventuell auch im Nacken oder in der Schulter?
Funktionelle Medizin ist im Kommen
Die wenigsten Menschen gehen zu einem Trainer und sagen, dass etwas mit ihrer Augenbewegung oder mit der Koordination zwischen der Armbewegung und der Rückenbewegung nicht in Ordnung ist. In den meisten Fällen haben sie eine Bewegungseinschränkung oder sie klagen über lokale Schmerzen. Unzählige Menschen erleben Schmerzen ohne Verletzung. Die Schmerzen fangen eines Tages an und hören aus unerfindlichen Gründen nicht mehr auf. Es folgen wochen- oder monatelange Behandlungen – sehr oft an der Stelle, die wehtut. Und das ist primär nicht verkehrt, denn es können tatsächlich lokale Faktoren wie die Beweglichkeit von Gewebe eine Rolle spielen. Schwierig wird es, wenn die gängigen Behandlungsverfahren nicht greifen. Es gibt Schätzungen, dass zwischen 20 und 50 Prozent aller Beschwerden in einer ärztlichen Praxis auf funktionelle Störungen zurückzuführen sind.
Hier ein paar Punkte, die zu berücksichtigen sind:
- Das Nervensystem hat sehr spezialisierte Sensoren, je nachdem, welche Information wichtig für die Funktion des Gewebes ist. Diese Sensoren gilt es zu berücksichtigen und so gezielt zu reizen, dass sich die Funktion bessert.
- Das Nervensystem reagiert sehr unmittelbar auf Reize. Man kann also die Reaktion auf eine Maßnahme sofort testen oder überprüfen, anstatt anzunehmen, dass ein bestimmter Reiz der richtige sein könnte. Damit wären auf einen Schlag alle Diskussionen über das richtige oder passende therapeutische Konzept oder die therapeutische Philosophie hinfällig.
- Das Nervensystem integriert den sensorischen Input und koordiniert den motorischen Output. Neben der lokalen Funktion muss die Interaktion der Systeme berücksichtigt werden.
Den gesamten Artikel gibt es in Ausgabe 4/2018 des Functional Training Magazins.