Was dir deine Blutwerte verraten
Die Liste der Haupttodesursachen in Deutschland und weltweit wird von Herz-Kreislauf-Erkrankungen angeführt – und das mit einem beachtlichen Abstand zu Platz 2.
Die bittere – oder aus einer anderen Perspektive betrachtet, die vielversprechende – Wahrheit lautet dabei auch: Wir könnten den größten Teil dieser Erkrankungen verhindern!
Der Mediziner und Bestsellerautor Thiemo Osterhaus erklärt, wie man sein ganz persönliches Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung anhand bestimmter Marker bei Blutwerten erkennen und auf ein Minimum reduzieren kann. Neben einem gesunden Lifestyle spielen dabei auch die Gene eine nicht unbedeutende Rolle.

Ein Thema, das mir im Longevity-Kontext sehr am Herzen liegt, ist die kardiovaskuläre Gesundheit. Kardiovaskuläre Erkrankungen gelten als eine der häufigsten Todesursachen; sie können jedoch sehr gut beeinflusst und anhand gewisser Marker im Blut auch frühzeitig erkannt werden.
Wenn du dich jetzt fragst, ob das Thema für dich relevant ist, weil du vielleicht jung bist oder auch „noch“ keine Probleme mit deinem Herz-Kreislauf-System hast: Ich versichere dir, dieses Thema ist mehr als nur relevant für dich!
Der weitverbreitete Irrglaube ist, dass das Thema „kardiovaskuläre Gesundheit“ eher ältere Menschen tangiert, die mit Bluthochdruck und ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Dies möchte ich revidieren und ein ganz klares „Nein“ an dieser Stelle von mir!
Gerade für die jüngeren Generationen spielt das Thema „Herzgesundheit“ eine unglaublich wichtige und lebensverändernde Rolle – besonders deshalb, weil wir in jungen Jahren den größten Einfluss auf unser Herz-Kreislauf-System haben können. Leider wird es aber meistens gerade von jungen Menschen noch viel zu stark vernachlässigt. Wenn wir in Sachen Gesundheit wirklich nachhaltig etwas verändern wollen, dann sollten wir genau bei diesem Thema ansetzen. Was genau meine ich damit?
Lass mich dir das Ganze einmal bildlich erklären.

Stell dir das Leben wie eine Fahrt in deinem Lieblingssportwagen von Punkt A nach Punkt B vor.
Punkt A ist deine Geburt und bei Punkt B ist der Moment gekommen, an dem du mit dem Auto von einer Klippe stürzt − also dein Tod.
Die Zeit, die du benötigst, um von Punkt A nach Punkt B zu gelangen, ist deine Lebenszeit – und es geht darum, diese Zeit so lange wie möglich zu gestalten. Aber die Zeit im Auto soll eben auch so schön wie möglich sein. In deinem Sportwagen gibt es nur eine einzige Regel:
Das Auto darf niemals zum Stoppen kommen!
Schließlich können wir das Altern zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht stoppen.
Du kannst aber beeinflussen, wie schnell es fährt. Du hast also die Option, die Bremse oder aber das Gaspedal zu nutzen. Du bist die einzige Person, die dafür verantwortlich ist, wie lange deine Fahrt bis zu Punkt B dauert. Den meisten Menschen ist dieser Fakt, dass sie ihre Gesundheit wirklich zum allergrößten Teil selbst in der Hand haben, gar nicht bewusst – oder vielleicht verdrängen sie es auch.
Also, was genau ist unser Ziel? Es geht nicht unbedingt nur darum, möglichst wenig Gas zu geben und so viel auf die Bremse zu treten wie möglich, sondern wie immer geht es um die richtige Balance – natürlich ganz abhängig davon, wo du dich nun individuell auf deinem Weg zu Punkt B befindest. Bist du noch 500 Kilometer von deinem Ziel entfernt, musst du nicht ganz so stark auf die Bremse treten wie jemand, der nur noch 2 000 Meter von der Klippe entfernt ist. Jeder Punkt auf der Strecke ist dein individuelles Lebensalter.
Warum ist es jetzt aber so wichtig, schon in frühen Jahren auf das Thema „Herzgesundheit“ zu achten und sich über verschiedene Strategien Gedanken zu machen? Ein Auto, das einmal wirklich an Fahrt aufgenommen hat, hat einen deutlich längeren Bremsweg. Je mehr Speed man also aufgenommen hat, desto schwerer wird es, langsamer zu werden, und vor allem desto härter muss man auch wirklich bremsen!
Du kannst also dafür sorgen, dass dein Auto niemals in den Bereich der Höchstgeschwindigkeit kommt und du damit auch niemals die Kontrolle über dein Auto verlierst. Welche Dinge sind aber nun − wie man es umgangssprachlich nennt − der Bleifuß fürs Gaspedal?
Taktgeber für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Die wahrscheinlich größten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Rauchen, Bluthochdruck und Apolipoprotein B (kurz: ApoB) als direkter Blutwert. Natürlich spielen noch ganz viele weitere Faktoren wie chronische Entzündungen, Ernährung, Bewegung, Stress und Schlaf eine entscheidende Rolle, aber diese drei sind meiner Meinung nach und auch nach Meinung vieler Experten mit die Haupttaktgeber.
Was haben alle drei gemeinsam? Sie können von jedem direkt beeinflusst werden – und genau das ist es auch, worum es in diesem Beitrag geht. Werde dir bewusst, dass du aktiv werden musst, wenn es dir gut geht – und nicht erst dann, wenn du schon Probleme hast.
Mit dem Rauchen kann man aufhören. Den Bluthochdruck kann man senken, sei es durch Lifestyle-Anpassungen wie Sport, Ernährung und Körpergewichtsreduktion. ApoB kann man im Blut messen und ebenfalls durch Lifestyle-Anpassungen und eventuell auch Medikamente beeinflussen. Diese Anpassungen sind dann also – bildlich gesprochen – das Treten auf die Bremse.
Das Tückische an kardiovaskulären Erkrankungen ist, dass sie meist erst erkannt werden, wenn sie da sind. Je weiter fortgeschritten die Probleme jedoch sind, desto radikaler bedarf es oft der Veränderungen der Lebensumstände bzw. des Lifestyles. Die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann enorm lang dauern und genau deshalb ist es so wichtig, frühzeitig zu verstehen, was nötig ist, um das Erkrankungsrisiko zu senken.

Ursache und Entstehung
Die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist in aller Regel sehr ähnlich, die Ursachen sind jedoch multifaktoriell. Zumeist liegt eine Kombination aus chronischen Entzündungen und einer erhöhten Anzahl an Cholesterin-„Taxis“, den sogenannten Lipoproteinen, vor. Diese erhöhten Cholesterin-„Taxis“, insbesondere die vom Typ ApoB, führen zu Arteriosklerose (verkalkte Gefäße).
Zudem bewirken Cholesterin-„Taxis“ in einer Art und Weise, die uns noch nicht hundertprozentig bekannt ist, eine Veränderung der inneren Schicht der Gefäße, des Endothels. Dieser Schaden der inneren Gefäßwand macht es den „Taxis“, in denen Cholesterin transportiert wird, einfach, sich an die Wand der Koronararterien zu binden. Danach entsteht in einem komplexen Mechanismus des Immunsystems mit Makrophagen, Schaumzellen und dem Cholesterin die Arteriosklerose.
Diese wird schließlich immer stärker. Wenn sie zu stark geworden ist, wird der Teil des Organs, in dem Fall das Herz, dahinter nicht mehr richtig durchblutet und es kommt zu einem akuten Sauerstoffmangel. Dieses Szenario gilt es unbedingt zu verhindern!
Präventiv sollten hierfür die Blutwerte gecheckt und ein genauerer Blick auf die ApoB-Werte und das Lipoprotein gelegt werden. Anhand dieser Werte kann das individuelle Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Arteriosklerose zu erkranken, minimiert bzw. das Risiko einer Erkrankung abgeschätzt werden.
Was ist ApoB?
Es gibt eine grobe Einteilung innerhalb der Lipoproteine, und zwar abhängig davon, welches Apolipoprotein sie tragen. Vorsicht: Hier muss genau auf die Begrifflichkeiten geachtet werden! „Lipoproteine“ ist der Oberbegriff für alle Cholesterin-„Taxis“ und „Apolipoproteine“ sind bestimmte Proteine, die sich auf den Lipoproteinen befinden. Diese Apolipoproteine unterscheiden sich: Es gibt das Apolipoprotein A (ApoA) und das Apolipoprotein B (ApoB). Jedes davon hat diverse Untergruppen, auf die wir hier erst einmal nicht genauer eingehen müssen.
Anhand von ApoA und ApoB kann eine vereinfachte Einteilung der Lipoproteine vorgenommen werden. In die Klasse der ApoA-tragenden Lipoproteine gehören – vereinfacht gesagt – die „guten“ Lipoproteine. Alle anderen, also die „schlechten“ Lipoproteine, tragen ApoB und erhöhen das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erleiden.
ApoB besteht zum größten Teil aus LDL, dem „schlechten“ Cholesterin. Auch daher macht es Sinn, direkt ApoB zu messen. Die Bestimmung der typischen Parameter LDL ist aber deshalb nicht obsolet geworden, denn sie korreliert stark mit ApoB. Ein Großteil der Labore in Deutschland hat leider noch keine Möglichkeit, ApoB zu bestimmen.
Empfohlene ApoB-Blutwerte
Wie hoch sollte ApoB im Blutbild sein? Hier sind sich führende Experten einig – auch wenn die Datenlage bisher noch gering ist. Der ApoB-Wert sollte so niedrig wie möglich sein; zu empfehlen sind Werte um die 30 Milligramm pro Deziliter (mg/dl).
Der Referenzbereich (bisherige Erfahrungswerte von Laboren) von 56 bis 162 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) ist nicht nur sehr breit, sondern eigentlich auch zu schwach im unteren Bereichen. Hier sollten eher Werte um die 30 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) angestrebt werden.
Auch wenn die untere Grenze derzeit noch nicht klar abgrenzbar ist, so steht eines absolut fest: Es gibt kein Szenario, bei dem hohe ApoB-Werte mit einem niedrigeren Erkrankungsrisiko einhergehen! Um es noch einmal zu verdeutlichen: Je nach Anstieg von ApoB sprechen wir von einer Zunahme des Infarktrisikos von bis zu 38 Prozent! Jeder – und damit meine ich wirklich jeder – sollte diese Werte von sich kennen und versuchen, sie im guten unteren Bereich zu halten, sollte man an Lebensqualität und -dauer nicht einbüßen wollen.
Der ApoB-Wert kann außerdem völlig losgelöst von anderen Werten betrachtet werden. Das mag vielleicht banal klingen, doch es ist tatsächlich sehr selten, dass mit nur einem Wert etwas Aussagekräftiges festgehalten werden kann.

Was ist Lipoprotein(a)?
Bleiben wir bei den Lipoproteinen und betrachten einen weiteren Vertreter etwas genauer, das Lipoprotein (a), kurz: Lp(a). Schaut man sich die Verteilung des Lp(a)-Wertes im Detail an, fällt auf, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung einen niedrigen Lp(a)-Spiegel mit Werten von weniger als 30 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) aufweist, was positiv ist. Zum Vergleich: Mein Lp(a)-Wert liegt bei weniger als 2 mg/dl.
Jedoch wurde bei jedem Dritten eine erhöhte Serumkonzentration festgestellt. Nun stellt sich die Frage: Wie viele Menschen liegen dann im risikoreichen Bereich? Wahrscheinlich haben rund 20 Prozent der Bevölkerung Lp(a)-Werte von mehr als 50 (mg/dl) und damit ein deutlich erhöhtes Risiko, eine kardiovaskuläre Erkrankung zu erleiden.
Lipoprotein (a) ist ein primär genetisch bedingter Parameter. Das Protein gehört ebenfalls in die Gruppe der Lipoproteine, die das ApoB tragen. Der große Unterschied ist aber, dass es zum größten Teil genetisch determiniert ist und wir es damit nicht wie das ApoB direkt beeinflussen können. Ich schreibe bewusst „zum größten Teil“, denn es gibt immer wieder Berichte über Veränderungen des Lipoproteins (a).
Was wir wissen, ist die führende genetische Komponente des Lp(a). Es ist von Geburt an vorgegeben, wie dieser Wert in deinem Blut ausfällt. Dahingehend ergibt es normalerweise auch nur Sinn, diesen Biomarker einmalig im Leben zu bestimmen. Einige neue vielversprechende Daten zeigen aber wiederum die Möglichkeit, den Wert medikamentös zu senken. Das heißt aber leider auch, dass Veränderungen des Lifestyles wie Ernährung, Bewegung, Schlaf und Co. keine bis kaum Auswirkungen auf diesen Wert haben.
Folgen erhöhter Lipoprotein-(a)-Werte
Was bedeutet es nun, wenn man einen erhöhten Lp(a)-Wert hat? Man hat – epidemiologisch gesehen – ein erhöhtes Risiko, eine kardiovaskuläre Erkrankung, wie zum Beispiel einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall, zu bekommen. Ein erhöhter Lp(a)-Wert geht ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Aortenklappenstenosen einher. Dabei handelt es sich um einen Herzklappenfehler zwischen der linken Herzkammer und der Aorta.
Wir können mit diesem Wert aber nicht per se sagen, ob jemand erkranken wird oder nicht, sondern nur, dass das Risiko erhöht ist. Konkret bedeutet das: Bei Menschen mit erhöhten Lp(a)-Werten spielen die Lifestyle-Faktoren eine umso größere Rolle.
Rauchen sollte stets vermieden werden, der Blutdruck sollte um die 120/80 liegen und ApoB sollte so niedrig wie möglich sein. Das sollte es bei anderen Menschen auch, aber hier müssen wir das real erhöhte Risiko senken und noch konsequenter gesund leben.
Fazit
Man sollte sich nichts vormachen: Auch bei niedrigem ApoB wird man bei erhöhtem Lp(a) immer ein erhöhtes Risiko haben, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erleiden. Bei einem erhöhten Lp(a) ist es so, als hätte ein Auto 200 PS mehr als das eines anderen Menschen mit niedrigen Lp(a)-Werten und Betroffene müssen dauerhaft stärker auf die Bremse treten. Die Grundgeschwindigkeit ist einfach höher und wenn man aufs Gas tritt, dann ist man wahrscheinlich auch deutlich schneller am Ziel und fällt damit auch schneller von der Klippe.
Meiner Ansicht nach ist es ein Segen, diese Werte so früh wie möglich zu kennen, denn dann können wir mehr ausrichten. Wer alles in seiner Macht Stehende tut, um das Risiko zu senken – hervorragend. Und sollte es irgendwann eine Option geben, Lp(a) zu senken, sollte im individuellen Fall unbedingt diese Chance genutzt werden! Das Thema ist sehr komplex und ich konnte hier nur einen kleinen Teil anreißen.
Zum Schluss möchte ich jedem von euch ans Herz legen: Handle präventiv!
Mach dich schlau über dich und deinen Körper, sodass du das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung so gering wie möglich hältst.
Buchtipp
Thiemo Osterhaus – Der Blutwerte Code
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Riva Verlag, 224 Seiten, Hardcover, 22 Euro, 978-3-7423-2400-9
Thiemo Osterhaus ist Arzt für funktionelle Medizin, Stress- und Performance-Medizin mit Praxis in München sowie Bestsellerautor und Gründer der Medletics Academy. Instagram: doc.thiemoosterhaus
