Postpartales Training – Teil 1
Die ersten Wochen nach einer Entbindung
Beim Thema „Postpartales Training“ sind viele erst einmal zurückhaltend, denn es herrscht Unsicherheit darüber, was „richtig“ und was „falsch“ ist. Welche „dos“ and don`ts“ sind tatsächlich einzuhalten? Die Prä-/Postpartaltrainerin und Beckenbodenexpertin Franziska Kretzschmar beschreibt in Ausgabe 1/2023 des Functional Trainings Magazins für alle frischgebackenen Mütter den Weg zurück zum Sport und zeigt auf, wieso Trainer hier definitiv ein Wörtchen mitreden und Frauen nicht alleinlassen sollten. Die Unterstützung eines gut ausgebildeten Trainers kann Trainierenden Müttern nicht nur eine Hilfe beim Training sein – auch die mentale Unterstützung ist nicht zu unterschätzen! In Teil 1 erklärt sie, was generell beim Weg zurück zum Sport und in den Alltag zu berücksichtigen ist, und gibt wichtige Hinweise für die ersten sechs bis acht Wochen nach der Entbindung (Regernationsphase). In Teil 2 (folgt in Ausgabe 2/2023) wird sie detailliert auf die Rückbildungsphase und die Wiedereinstiegsphase in den Sport eingehen.
Mit Aussagen wie: „Wenn du das falsch machst, wird dich das ein Leben lang begleiten“, sind viele Mütter nach der Geburt konfrontiert – und oft auch verunsichert und ängstlich, was den Wiedereinstieg ins Training angeht! In meinem Alltag als Beckenboden- sowie Prä- und Postpartaltrainerin höre ich immer wieder von Frauen, die sich gerade in der Schwangerschaft oder in der Rückbildung befinden, dass ihnen gesagt wird, sie sollten sich im Liegen schonen. In bestimmten Fällen mag das zwar nach individuellen Gegebenheiten seine Richtigkeit haben, doch halten wir zunächst einmal fest, dass körperliche Aktivität ein wichtiger Bestandteil zum Erhalt unserer Gesundheit ist. Geburtshelfer, Gynäkologen, Trainer und Therapeuten sollen sowohl Schwangere als auch frischgebackene Mütter dazu ermutigen, diese Zeit – die Schwangerschaft und auch die Zeit danach – zu nutzen, um einen gesunden Lebensstil aufrechtzuerhalten oder herbeizuführen. Dazu gehören ausreichende Bewegung, individuelles Training und eine ausgewogene gesunde Ernährung.
Kleiner Hinweis zur Verwendung der Begriffe „postnatal“ und „postpartal“: Postnatal meint die nachgeburtliche Zeit des Kindes, postpartal bezieht sich auf die nachgeburtliche Zeit der Mutter.
Wie anfangs erwähnt, führt das, was in der Zeit nach der Geburt gemacht werden „darf“ und was nicht, sowohl bei Müttern als auch bei Trainern oft zu Unsicherheiten. Mit meinen nachfolgenden Tipps möchte ich Trainer darin unterstützen, Unsicherheiten zu verringern und Kundinnen in der Zeit nach der Geburt optimal betreuen zu können.
Was gilt es zu berücksichtigen?
Viele Frauen sind unsicher, ab wann und mit welcher Intensität sie wieder trainieren dürfen. Eine große Unsicherheit herrscht in Bezug auf die Frage: Wird alles wieder wie früher? Die ganz klare Antwort: Das ist individuell unterschiedlich, denn der Wiedereinstieg nach der Geburt ist als Prozess zu sehen, der beobachtet und ggf. individuell immer wieder angepasst werden sollte.
Es gibt zwar Richtlinien sowohl für prä- als auch für postpartales Training, jedoch ist es wichtig, die Frauen immer individuell zu betrachten. Im Training mit frischgebackenen Müttern kommt uns Trainern und Therapeuten nicht nur der sportliche Aspekt zu, sondern wir sollten einen ganzheitlichen Blick auf die Situation haben, denn wir werden zu Vertrauten. Gerade für Sportlerinnen ist die Zeit nach der Geburt sehr sensibel und kann auch eine psychische Belastung darstellen. Zum einen sind sie in ihrer Mutterrolle und müssen sich erst einmal mit der neuen Situation zurechtfinden, zum anderen befinden sie sich in einem Körper, der nicht mehr so ist wie vor der Schwangerschaft.
Deshalb ist es wichtig, Feingefühl zu zeigen und auf die Wünsche, Bedürfnisse und vor allem auf die individuellen Ziele einzugehen. Das reine Einhalten von strikten Richtlinien wäre nicht angebracht und meiner Auffassung nach nicht der richtige Ansatz. Es geht nicht darum, jungen Müttern, die wieder ins Training einsteigen, Einschränkungen aufzuzeigen, sondern sie dazu zu ermutigen, ihrem Körper zu vertrauen, und gemeinsam Ansätze zu entwickeln, die sie zu ihren gewünschten Ergebnissen führen.
Trainer sollten bei der Trainingsgestaltung vor allem Folgendes berücksichtigen:
• Welches Fitnesslevel hatte die Frau vor und während der Schwangerschaft?
• Wie sind die Schwangerschaft und die Geburt verlaufen?
• Wo möchte sie wieder hin?
Diese Fragen sind wichtig, um einen auf sie individuell abgestimmten Trainingsplan zu entwickeln. Aussagen wie: „Du darfst nicht joggen“ oder „Mache auf gar keinen Fall Crunches und Sit-ups“, werden sie weder motivieren noch positiv stimmen. Ziel sollte sein, den Frauen einen Weg aufzuzeigen, wie sie ihre Ziele erreichen.
Jede Frau erlebt ihre Schwangerschaft, die Geburt und auch die Rückbildungszeit unterschiedlich. Das Ziel, das eine Frau nach der Rückbildung erreichen möchte, sollte ihr im besten Fall schon in der Schwangerschaft bewusst sein. Denn bereits hier beginnt das Training und kann auf die Zeit nach der Schwangerschaft abgestimmt werden. Zudem ist der Fitnesszustand vor der Schwangerschaft entscheidend für die Zeit nach der Geburt.
Funktionelles Training nach der Geburt
Wie kann nun ein funktionelles Training nach der Entbindung aussehen und was ist der richtige Weg? Erstes Ziel nach der Entbindung sollte der Weg zurück zu den Funktionen bestimmter Bereiche des Körpers sein, vor allem die Ansteuerung der Beckenboden- und Bauchmuskulatur. Während einer vaginalen Geburt werden die Beckenbodenmuskeln bis auf das Dreifache der normalen Länge gedehnt. Nach der Entbindung können die Beckenbodenmuskeln daher zunächst eine Dysfunktion im Hinblick auf Kraft, motorische Kontrolle und Ausdauer aufweisen. Dies kann sich u. a. in Form von Harnund Stuhlinkontinenzen, Schmerzen etc. äußern. Der Grad der Dysfunktion ist immer individuell. Diese Dysfunktion gilt es zu beheben und im Laufe eines Prozesses sollten die einzelnen Funktionen wiederhergestellt werden. Hier werden verschiedene Phasen durchlaufen, die eine gewisse Zeit benötigen und die jede Frau berücksichtigen sollte. Eine Orientierung für das Training kann die RPE-Skala geben, die Selman und Kollegen (s. Literaturnachweis) für das prä- und postpartale Training empfehlen. Die RPE-Skala steht für „Rate of Perceived Exertion“ und ist eine Möglichkeit, das subjektive Belastungsempfinden einer körperlichen Aktivität von 0 bis 10 zu messen bzw. zu veranschaulichen.
Die drei Phasen nach der Geburt
Die Zeit nach einer Entbindung wird in drei Phasen unterschieden: die Regenerationsphase (Woche 0–6/8), die Rückbildungsphase (Woche 7–17) und die Wiedereinstiegsphase (ab Woche 17). Hinweis: Teilweise gibt es bei der Wochenaufteilung Unterschiede in der Literatur. In dieser Ausgabe werde ich die Regenerationsphase genauer betrachten und wichtige Hinweise fürs Training geben. Die Rückbildungsphase und die Wiedereinstiegsphase werden in der nächsten Ausgabe (erscheint Mitte Juni 2023) detailliert beschrieben.
1. Regenerationsphase (Woche 0–6/8 nach der Geburt)
Die Regenerationsphase ist die Zeit direkt nach der Geburt, auch „Wochenbett“ genannt. Eine Schwangerschaft und eine Geburt stellen für den weiblichen Körper enorme Belastungen dar. In der Zeit des Wochenbetts laufen viele genitale Rückbildungs- und Wundheilungsvorgänge ab. Eine wichtige Rolle in dieser Zeit spielt das Bonding, der emotionale Aufbau einer Bindung zwischen Mutter und Kind. Das Wochenbett wird wiederum in „Früh-“ und „Spätwochenbett“ unterschieden. Das Frühwochenbett endet mit dem 10. Tag post partum und an diesem Tag beginnt das Spätwochenbett. Schon ab dem ersten Tag nach der Entbindung ist es wichtig, mit kleinen Übungen zu beginnen. In den ersten Wochen sollte ein RPE-Wert von 0 bis 2 fokussiert werden. Der Fokus bei den Übungen, die die Frau mit dem Trainer oder auch allein zu Hause machen kann, sollte dabei auf folgende Punkte gelegt werden:
Haltungsschulung:
Sowohl im Alltag als auch im Sport ist eine gute Haltung wichtig, denn die Belastungen im Alltag führen häufig zu Nacken- und Rückenbeschwerden. Eine gute Haltung beginnt bei den Füßen. Gerade in der Schwangerschaft kann es hier durch das erhöhte Gewicht zu Fehlbelastungen kommen. Wichtig ist, den Drei-Punkte-Stand zu schulen (Ferse, Klein- und Großzehengrundgelenk). In Kombination mit der Haltungsschulung kann immer auch eine Atemschulung erfolgen, damit das Zwerchfell und der Beckenboden in ihren Funktionen optimal arbeiten können. Durch eine aufgerichtete Körperhaltung wird der M. transversus abdominis aktiviert, der wiederum zur Aktivitätssteigerung der Beckenbodenmuskulatur führt.
Atmung:
Die Atmung und der Beckenboden stehen in einer direkten Beziehung. Eine bewusste tiefe Atmung führt zur Entspannung – sowohl mental als auch für den Beckenboden. Das Zwerchfell wird bei der Einatmung aktiviert, der Beckenboden bei der Ausatmung. Jedoch kann man durch eine bewusste loslassende Ausatmung den Beckenboden entspannen. Bei der bewussten Atmung ist es deshalb wichtig, dass das Zwerchfell und der Beckenboden zusammenarbeiten. Dies unterstützt sowohl die Beweglichkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule als auch die neuromuskuläre Verbindung. Hierbei sollte vor allem die Bauchatmung fokussiert werden. Eine super Übung ist die 360°-Atmung, bei der horizontal in alle Richtungen geatmet wird.
Venengymnastik:
Um geschwollenen Füßen vorzubeugen, sollten Frauen schon früh mit einem Kreisen der Füße beginnen, um den Venenund Lymphstrom zu aktivieren. Kleine Bewegungen können oder sollten unmittelbar nach der Geburt durchgeführt werden.
Bauchlage:
Eine Bauchlage mehrmals täglich fördert die Rückbildung der Gebärmutter und entlastet den Beckenboden. Hierzu kann ein Kissen unter den Bauch gelegt werden, um den Druck auf den Rücken und die Brust zu verringern.
Beckenboden-Basisübungen:
Wahrnehmungsübungen für den Beckenboden sind zu empfehlen. Zu den Basisübungen zählen die Wahrnehmung der unterschiedlichen Schichten – so, wie es individuell möglich ist. Im Wochenbett geht es weniger darum, den Beckenboden gezielt zu kräftigen, als vielmehr darum, diesen überhaupt wieder wahrzunehmen.
Bewegung generell:
Um das Herz-Kreislauf-System zu aktivieren, können zunächst kleine Spaziergänge durch die Wohnung gemacht werden. Gegen Mitte und Ende des Wochenbetts können die Spaziergänge draußen in der Natur nach und nach gesteigert werden. Zu lange Spaziergänge können sich schnell bemerkbar machen, z. B. in Form eines Druckgefühls im Bauch. Dies ist ein Zeichen einer Überlastung, deshalb gilt auch hier diese Bewegungen und Intensitäten Step by Step zu steigern. Die Bewegungen sollten sich gut anfühlen; ohne Druck, Ziehen oder Schmerzen.
Mobilisation:
Lumbale und thorakale Mobilitätsübungen sind in dieser Phase besonders zu empfehlen (z. B. der Open Book Stretch, ggf. modifiziert).
Ruhe:
Wichtig neben der Beckenbodenwahrnehmung ist vor allem ein beckenbodenfreundlicher Alltag. Während früher isoliertes Beckenbodentraining empfohlen wurde, weiß man heute, dass vor allem die Alltagsintegration des Beckenbodens und die Reduzierung von Belastungen entscheidend sind. Belastungen im Wochenbett sollten deshalb auf null gesetzt und jegliche Bewegungen, die zu einer intraabdominalen Druckerhöhung führen können, vermieden werden. In dieser Zeit ist es wichtig, auf ausreichend Ruhe zu achten, denn vor allem sportliche Frauen übernehmen sich häufig.
In der Regenerationsphase ist es vor allem wichtig, dass, sobald Probleme auftreten, umgehend die Ursache analysiert und herausgefunden wird, ob es normale Anpassungserscheinungen an die gesteigerte Belastung sind oder ob es sich um Funktionsstörungen handelt.
Wichtig in den ersten Wochen
Als Coach dient man in der Regenerationsphase vor allem erst mal als eines: als Ansprechpartner! Den ambitionierten und frischgebackenen Müttern sollte klargemacht werden, dass die erste Phase nach der Geburt durch und durch der Regeneration dient und der Fokus auf Ruhe und der Bindung zum Neugeborenen liegen sollte. Je nach „Schwere“ der Entbindung wird es manchen Frauen schwerer oder leichter fallen, auf Sport zu verzichten. Doch die ersten 6–8 Wochen nach der Entbindung sind enorm wichtig, um dem Körper die Ruhe zu geben, die er braucht. Minimale (Trainings-)Schritte und Übungen sind völlig ausreichend, um den Körper langsam wieder an Bewegungen heranzuführen.
Vaginale Geburt vs. Kaiserschnitt
Eine Geburt per Kaiserschnitt benötigt in der Regel eine längere Rückbildungszeit als eine vaginale Geburt. Aufgrund der Wundheilung der einzelnen Gewebeschichten verschiebt sich die Phase der Rückbildung nach einem Kaiserschnitt um ca. 2–3 Wochen.
In Ausgabe 2/2023 wird es dann „sportlicher“: Während der Rückbildungs- und Wiedereinstiegsphase können die Intensitäten wieder ein wenig gesteigert werden. Was in diesen Phasen zu beachten ist und welche Übungen sich anbieten, wird dann genauer beschrieben. Bis dahin heißt es für alle frischgebackenen Mütter: Macht langsam und gönnt euch die verdiente Ruhe! Und für alle Trainerinnen und Trainer gilt: Seid Ansprechpartner und fordert nicht zu viel.

Franziska Krettzschmar hat ihren Master-Abschluss in „Prävention, Sporttherapie und Gesundheitsmanagement“. Heute ist sie als Personal Coach, Beckenbodenexpertin sowie Prä- und Postpartaltrainerin tätig. Sie betreut deutschlandweit mit ihren eigenen Konzepten Firmen und Klientinnen. Die Unternehmerin aus Freiburg hat bereits zahlreiche Artikel verfasst und bietet neben Personal Coaching auch Online-Kurse an.
www.franziska-kretzschmar.com
Quellenverzeichnis:
American Congress of Obstetricians and Gynecologists (2015). Physical Activity and Exercise During Pregnancy and the Postpartum Period, Committee Opinion Number 804. Online. https://www.acog.org/-/media/project/acog/acogorg/clinical/files/committee-opinion/articles/2020/04/physical-activity- and-exercise-during-pregnancy-and-the-postpartum-period.pdf
Heller, A., Carrière, B. (2021). Nach der Geburt. Heller-Konzept: Wochenbett und Rückbildung, Therapie des weiblichen Beckenbodens. 3. Auflage. Thieme Verlag: Stuttgart.
Kardel, K. (2005). Effects of intense training during and after pregnancy in top-level athletes, In: Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, Vol. 15, S. 79–86. https://doi.org/10.1111/j.1600-0838.2004.00426.x
Korsten-Reck, U., Marquardt, K., Wurster, K. G. (2009). Schwangerschaft und Sport. Abteilung Rehabilitative und Präventive Sportmedizin, Medizinische Universitätsklinik Freiburg. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. Jahrgang 60, Nr. 5, S. 117–121.
Selman, R., Early, K., Battles, B., Seidenburg, M., Wendel, E. & Westerlund, S. (2022). Maximizing Recovery in the Postpartum Period: A Timeline for Rehabilitation from Pregnancy through Return to Sport. In: International Journal of Sports Physical Therapy, Vol. 17 (6), S. 1170–1183.
Tranzberger, R., Kuhn, A., Möbs, G., Baumgartner, U., Daufratshofer, M., Kress, A. (2019). Der Beckenboden – Funktion, Anpassung und Therapie. Das Transberger-Konzept. 4. Aufl., München: Elsevier.