Die Methoden sind relativ leicht umsetzbar und führen in sehr kurzer Zeit zu beachtlichen Leistungssteigerungen. Bevor wir uns genauer damit befassen, werfen wir aber zunächst einmal einen Blick auf die grundlegende Funktionsweise des Nervensystems. Sagen wir einmal, ihr saht neulich im Fernsehen statt Better Call Saul die Grammy-Verleihung (warum nur?) und verfolgten auf dem Bildschirm, wie Kanye West auf die Bühne kam, als Beck gerade seine Auszeichnung in Empfang nahm; es sah ganz danach aus, als würde er ans Mikrofon treten wollen, doch er lächelte und winkte nur, womit er die ganze Welt foppte – einschließlich Taylor Swift.
Dieser Auftritt löste bei euch vielleicht eine leichte Pulserhöhung, Blutdrucksteigerung und Pupillenweitung aus, die infolge der Aktivierung des Kampf-Flucht-Schemas des autonomen Nervensystems eintraten. Ihr erwartetet einen peinlichen Zwischenfall, was zu den eben erwähnten Stressreaktionen und erhöhter Aufmerksamkeit führte. Das läuft ganz von selbst ab. Wenn ihr jedoch die ersten 20 Minuten von Better Call Saul gesehen hättet, in denen nichts Nennenswertes passierte, hätte sich Ihr Parasympathikus ruhig verhalten und dafür gesorgt, dass ihr das Geschehen entspannt und relativ desinteressiert verfolgt hättet, zumindest bis zum Schluss. Ich erzähle jetzt nicht, was am Ende der Folge passiert ist, aber sie war durchaus sehenswert. Man kann die Funktionsweise des Sympathikus und Parasympathikus auf unterschiedliche Weise nutzen. So sieht man manchmal, dass manche Leute geohrfeigt werden wollen, um sich vor einem wichtigen (sportlichen) Ereignis in einen höheren Erregungszustand zu versetzen.
https://www.youtube.com/watch?v=Qa1lY–7H-g
Eine weitaus weniger aggressive Methode zur Steigerung des Sympathikus ist die Verwendung von Riechsalz oder Ammoniumcarbonat, das eine Reizung der Nasenschleimhaut bewirkt, die den Atemreiz, Puls und Blutdruck erhöht. Ihr könnt euch das Adrenalin auch direkt ins Herz spritzen lassen, wie in Pulp Fiction, was allerdings nicht zur Nachahmung empfohlen ist.
Es ist wichtig, sich psychisch auf einen Maximalversuch, einen Wettkampf oder ein Match einzustimmen, aber es ist genauso wichtig, sich physisch in den richtigen Erregungszustand zu versetzen. Oft reichen einige einfache Übungen aus, die je nach Zielsetzung variieren können. Jeder Muskel kontrahiert, wenn er vom Nervensystem das entsprechende Signal dazu erhält. Man kann in diesem Zusammenhang Reflexschleifen nutzen, die auch ohne bewusste Muskelansteuerung eine Kontraktion bewirken. Dieses Phänomen ist vergleichbar mit dem Wegziehen der Hand von einer heißen Herdplatte oder den unwillkürlichen Muskelzuckungen, die Patienten mit Rückenmarksverletzungen gelegentlich in ihren Beinen spüren und eine Schutzmaßnahme des Körpers sind.
Rückenmark, Motorneuron 1, Motorneuron 2, Motorische Endplatte, Skelettmuskelfasern
Diese Veröffentlichung von Wilson et al. untersucht die elektrische Stimulierung der motorischen Einheiten bei Schlaganfallpatienten mit halbseitiger Lähmung. Dabei werden zum einen beide Körperhälften miteinander verglichen und zum anderen den Werten gesunder Kontrollpersonen gegenübergestellt. Die Forscher stellen fest, dass die Stimulierung der gelähmten Seite immer noch eine Aktivierung der motorischen Einheiten provoziert, die allerdings im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe und der nicht betroffenen Körperhälfte leicht verzögert abläuft und sich nicht mit einer einfachen Hautberührung reproduzieren lässt.
Diese Veröffentlichung von Rodriguez-Carano erklärt, wie eine motorische Einheit ein Aktionspotenzial oder eine Muskelkontraktion erzeugt, und beschreibt den Ablauf der Kontraktion, der in der nachfolgenden Skizze zusammengefasst wird.
Am Anfang registriert der Muskel aufgrund des eingehenden Nervenimpulses eine Veränderung der Polarität. Dieser erste Teil hängt überwiegend von der Position der Elektrode im Verhältnis zur Lage der motorischen Endplatte ab. Der erste Ausschlag tritt ein, wenn die Endplatte der motorischen Einheit die erste Depolarisierung oder die erste Muskelkontraktion wahrnimmt. Es gibt normalerweise mehrere Ausschläge, die dazu beitragen, die Dauer der Kontraktion zu verlängern, ohne ein konstantes Signal zu sein. Am Schluss steht eine Repolarisierung des Muskels, die auf die nächste Kontraktion vorbereitet. Je nach Einzelfall kann diese Phase sehr schnell ablaufen (gute Regenerationsfähigkeit und hohe Arbeitskapazität) oder sehr langsam (außer Form und mit schlechter Regenerationsfähigkeit nach einer Belastung).
Wenn man versucht, eine neuronale Reaktion auf das Training zu bewirken, könnte man an einigen Reflexschleifen des Rückenmarks ansetzen, die jene unwillkürlichen Kontraktionen erzeugen, die in der Regel stärker und schneller sind als eine willentliche Muskelanspannung. Ein solches Beispiel ist der Hoffmann-Reflex. Diesen klassischen Test würde ein Arzt anwenden, um herauszufinden, ob die Rückenmarksreflexe seines Patienten in Ordnung sind. Dabei werden Mittel- oder Ringfinger durch eine rasche Bewegung „geschnalzt“, die überprüfen soll, ob der Daumenbeuger auf den Reiz reagiert.
Wenn man während eines Sprungs oder Schritts die neuronale Reizleitung betrachtet, kann man sehen, dass es sich dabei um eine sekundäre Kontraktion handelt – die sogenannte H-Welle –, die auf eine Einwirkung folgt, die nicht notwendigerweise durch einen bewussten Gedanken gesteuert wird.
Skizze:
(Von links nach rechts, oben nach unten:)
Dorsale Wurzel Stimulus
Wirbelsäule ventrale Wurzel Muskel
Stimulus M-Welle H-Reflex 20 ms
Es gibt einen Grund dafür, warum Sportler einem Maximalversuch im Standhochsprung eine Form von Vorstimulierung voranstellen, beispielsweise indem sie auf einen Kasten steigen, einen ersten Sprung machen oder die Arme nach hinten durchschwingen – dadurch verstärken sie die Dehnreaktion und nutzen die H-Welle, die zu einer bewussten Kraftproduktion und damit zu einem höheren Sprung führen kann. Dieser Artikel zeigt eine Verbesserung der Sprunghöhe um 8,6 cm, nachdem mit den Armen eine Schwungbewegung nach hinten ausgeführt wurde.
https://www.youtube.com/watch?v=UEgjJn77MP8
Wenn es darum geht, diese Information nutzbringend im Training anzuwenden, gibt es je nach Zielsetzung zwei unterschiedliche Methoden. Wenn man schwerere Hanteln stemmen will, beispielsweise beim Deadlift oder Squat, kann es hilfreich sein, unmittelbar vor dem Versuch schnelle, plyometrische Sprünge auszuführen. Wenn man allerdings sprinten oder maximal schnelle Kontraktionen erzielen will, sollte man eine Kraftübung mit einem relativen schweren Hantelgewicht wählen, bei der man sich darauf konzentriert, möglichst starke Kontraktionen gegen die Last zu erzeugen.
Dr. Fred Hatfield, ein überaus renommierter Kraftdreikämpfer, ehemaliger US-Marine und promovierter Sportwissenschaftler, pflegte einen möglichst hohen Standhochsprung auszuführen, bevor er zur Langhantel schritt und einen Deadlift hinlegte, um den ihn die meisten Kraftsportler beneidet hätten. Auf diese Weise wollte er sein neuromuskuläres System stimulieren und einen Dehungs-Verkürzungs-Zyklus entwickeln, der eine neue H-Welle erzeugt, welche die bewussten Kontraktionsmechanismen unterstützt, mit der Absicht, eine schwerere Hantel zu stemmen – vergleichbar mit der Durchschwingen der Arme vor dem Standhochsprung selbst. Der gute Mann schaffte zu seinen besten Zeiten einen Deadlift von über 450 kg, also wusste er durchaus, was man tun muss, um stark zu werden. Diese Voraktivierung kann eine enorme Auswirkung darauf haben, wie man Hanteln stemmt, weil sie das Nervensystem stimuliert, eine stärkere Kontraktion, eine schnellere neuronale Übertragung und einen höheren Erregungsimpuls zu erzielen, die durch bewusstes Muskelanspannen allein nicht erreicht werden können.
Lest im nächsten Artikel konkrete Umsetzungsvarianten, wie das Neurone Tuning im Training umgesetzt werden kann.
Euer Dean Somerset
Hey Dean!
Nice work. Besides the neural stimulation of the nervous system there might be interessting effects in the myofascial system which may help the athlete. Courios to read the following article!
Ben