Der Mensch wird mit perfekter Mobilität geboren. Stabilität hingegen müssen wir uns als Kleinkinder Schritt für Schritt erarbeiten. Dem normalen frühkindlichen Entwicklungsprozess menschlicher Motorik wohnen zwei wichtige Ziele inne.
Genetisch verankerte Muster und Reflexe
Zum einen die Entkopplung der oberen Extremitäten aus dem Dienst der Fortbewegung (z.B. Kriechen und Krabbeln) hin zu hochspezialisierten Werkzeugen. Das zweite höhere Ziel ist der aufrechte und kontrollierte Gang. Zwei Eigenschaften die uns maßgeblich von anderen Säugetieren unterscheiden. In den ersten Lebensmonaten gibt es eine Vielzahl motorischer Entwicklungsziele, sog. „Meilensteine“. Für ein normales Kind stellen sie eine Orientierung dar, sind bekannt und werden meist in vorhersagbaren chronologischen Stadien durchlaufen (Janda 1969, Vojta 1974, Bobath 1977, Perry 2003). Sie werden auf vielfältigste Art und Weise erreicht und daher auch benutzt, um den motorischen und geistigen Fortschritt eines Kindes zu testen. Wir sprechen heute von genetisch verankerten Mustern und Reflexen die völlig unabhängig von Herkunft und Bevölkerungsgruppe sind.
Wichtigste Prinzipien im Bereich Functional Movement und Training
Kopf- und Rumpfkontrolle, Rollen um die Längsachse, Armstützfunktion, Kriechen, Vierfüßler Stand, Krabbeln, Sitzen, Gleichgewicht, um nur einige zu nennen, sind Grundfähigkeiten die wir uns peu a peu mit unserem eigenen Körpergewicht und gegen die Schwerkraft aneignen müssen. Mit jedem dieser Stadien erlangen wir mehr und mehr posturale Kontrolle (Haltungskontrolle). Die Erlangung eines neuen Musters dient als Sprungbrett zum nächsten und die Chance weitere wichtige Fähigkeiten zu erlangen und uns auf komplexere Abläufe vorzubereiten.
Dieser auf Bewegung basierende Ansatz spiegelt einige Gesetzmäßigkeiten wieder und gilt in Expertenkreisen als eines der wichtigsten Prinzipien im Bereich Functional Movement und Functional Training:
An erster Stelle steht die Funktion und die Anatomie folgt
Warum also Functional Movement Screening?
Jede Kette ist nur so stark wie Ihr schwächstes Glied. Die Präsenz von Dysfunktionen, Asymmetrien und Restriktionen im Bewegungsspektrum des Menschen können zu Beschwerden im menschlichen Bewegungsapparat führen und die Gefahr eine Verletzung zu erleiden oder Verschleißerscheinungen frühzeitig zu fördern erhöhen. Eine Gruppe um die beiden Physiotherapeuten Gray Cook und Dr. Lee Burton hat 1997 in den USA den Functional Movement Screen (FMS) entwickelt, um gesunde aktive Personen und Sportler bezüglich vorhandener Defizite zu überprüfen, diese zu korrigieren und langfristig vor Verletzungen und Überbelastungen zu bewahren (Schmidtlein 2013). Das Screening von fundamentalen Bewegungsmustern mit dem Functional Movement Screen nimmt heute eine zentrale Position in der Arbeit von professionellen Trainern, Coaches, Personal Trainern und Physiotherapeuten ein. Im Profisport wie in der NFL, NBA, NHL oder beim FC Bayern, Chelsea FC usw. gehört der Functional Movement Screen seit Jahren zum Standard.
Der Körper entwickelt Lösungen, um Funktion(en) aufrecht zu halten
Z.B.: Menschen die eine auffällige Abschwächung der Tiefenstabilisation in der Rumpfmuskulatur (Core) aufweisen, zeigen meist auch Einschränkungen in der Mobilität von Brustwirbelsäule, Schultergürtel und/oder Hüfte (siehe auch unser Artikel zur Rumpfstabilität). Dabei stellen sich Fragen, die oft schwer zu beantworten sind:
- Henne oder Ei?
- Was war zu erst da?
- Was war die Ursache?
Wichtig ist für uns Trainer in erster Linie diese Muster zu erkennen und die Zusammenhänge zu verstehen, um dann mit gezielten und speziellen Korrektur Übungen schnelle und effiziente Programme zu entwickeln.
Die Vorteile des Functional Movement Screen
Der Functional Movement Screen identifiziert in erster Instanz ein oder mehrere Bewegungsmuster mit der größten Dysfunktion, Asymmetrie, Inhibierung oder sogar Schmerz. Zusätzlich liefert er auch Ergebnisse über die Stärken einer Person und welche Muster problemlos trainiert werden können. Die Vorteile des Functional Movement Screen sind dabei geringer Zeit- und Materialaufwand und wichtige Information über den aktuellen Funktionsstatus zu sammeln. Er schafft eine Ausgangsbasis und einen Standard für Bewegung und Training, ausgehend von fundamentalen Bewegungsmustern – für jeden Kunden oder Athleten.
Der Screen besteht aus sieben fundamentalen Bewegungsmustern, basierend auf frühkindlicher neurologischer Entwicklung (s.o.) und drei einfachen Clearing Tests (=Schmerzprovokationstests). Die darauf aufbauende Corrective Exercise Strategy (Korrekturprogramm) sowie Functional Movement Screen Trainingssystem und -philosophie sind fester Bestandteil der Trainingssteuerung und –kontrolle. Weiterer Vorteil des Functional Movement Screen: Er bietet Trainern und Coaches eine international verständliche Sprache, wenn es darum geht, sich über den Ist- und Soll-Zustand eines Probanden auszutauschen. Der Functional Movement Screen hat einen Standard für die qualitative Überprüfung, Korrektur und Verbesserung fundamentaler Bewegungsmuster geschaffen.
„Viele Menschen wollen vorankommen, trainieren hart, um stärker und/oder gesünder zu werden. Sie arbeiten konstant an ihrer Kraft, Ausdauer, Flexibilität oder Leistung. Ihre ineffizienten fundamentalen Bewegungen und Bewegungsmuster bleiben dabei allerdings meist unbeobachtet.
So kann es passieren, dass diese Menschen – ohne es zu wissen – durch inkorrekte Bewegungsmuster ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, ihre Bewegungsmuster nicht optimieren können oder mit Dysfunktionen agieren – im guten Glauben, etwas für ihre Fitness und Gesundheit zu tun. Über kurz oder lang sinkt die Motivation und die Freude an der Bewegung.“ (Cook G., 2010)
Functional Movement Screen – Die sieben Screens
1. Tiefe Kniebeuge – Deep Squat
Die Fähigkeit zur Kniebeuge ist ein fundamentales Bewegungsmuster für den Alltag, den Sport und die Freizeit. Die Kniebeuge ist Bestandteil vieler funktioneller Bewegungen. Bei korrekter Ausführung fordert die tiefe Kniebeuge die gesamte Mechanik des menschlichen Körpers. Dieser Screen liefert Aussagen über die Bilateralität, Symmetrie und funktionelle Mobilität und Stabilität der Hüfte, Knie und Sprunggelenke. Durch den über den Kopf gehaltenen Stab lassen sich die symmetrische Beweglichkeit der Schulter und Brustwirbelsäule beurteilen. Die korrekt ausgeführte tiefe Kniebeuge erfordert ein gutes Timing, um Hüft-, Knie- und Sprunggelenk als kinematische Kette zu beugen und zu strecken. Weiterhin sind Extension und Stabilität von Wirbelsäule- und Rumpfmuskulatur sowie Flexion und Abduktion der Schulter erforderlich
2. Hürdenschritt – Hurdle Step
Bei der Hürdenschrittbewegung werden Koordination und Stabilität zwischen Hüfte und Rumpf sowie der Einbeinstand gefordert und geprüft. Für eine korrekte Ausführung sind optimale Mobilität in Sprung-, Knie- und Hüftgelenk in der offenkettigen Bewegung sowie optimales Gleichgewicht im Standbein und Stabilität in Wirbelsäule und Rumpf erforderlich. Das Muster des Hürdenschrittes findet sich im Alltag (z.B. beim Treppensteigen) sowie im Sport bei allen Lauf-, Sprung- und Spieldisziplinen wieder. In der Einbeinstandphase kann zusätzlich die geschlossene kinematische Streckerkette für die optimale Hüftextension und dynamische Stabilität bewertet werden.
3. Ausfallschritt – In-Line Lunge
Diese Ausgangsposition für diesen Screen versetzt den Körper in eine asymmetrische Schrittposition die sich im Sport und Alltag bei Geh-, Lauf-, Start-, Abbrems-, Rotations- und Lateralbewegungen wiederfindet. Hier wird neben dem Gleichgewicht auch die Mobilität und Stabilität im Sprung-, Knie- und Hüftgelenk geprüft. Durch die enge und schmale Schrittstellung müssen der Oberkörper, der Schultergürtel und die unteren Extremitäten leichten bis mittleren Rotationskräften widerstehen. Dazu ist eine optimale Ausrichtung der Beinachse und des Oberkörpers erforderlich. Verkürzungen und Dysbalancen (z.B. Quadrizeps, Hüftabduktoren, Gesäß-, Bauch- und Wadenmuskulatur), im Schultergürtel sowie Hüftbeuger erschweren eine perfekt Ausführung dieses Musters.
4. Schulterbeweglichkeit – Shoulder Mobility
Der Test der Schulterbeweglichkeit gibt Rückschlüsse auf die bilateralen Freiheitsgrade und möglichen Bewegungsumfänge des Schultergelenkes, der Rotatorenmanschette, der Schulterblätter und der Brustwirbelsäule. Die Fähigkeit dieses Reichweitenmuster bilateral durchzuführen, sind gleichzeitig Extension, Innenrotation und Adduktion als auch Flexion, Außenrotation mit Abduktion der Schulter erforderlich. Einschränkungen z.B. in der Schulterblattkontrolle und/oder Brustwirbelsäule, Verkürzungen im M. pectoralis minor, M. latissimus dorsi und viele weitere können die Beweglichkeit des Schultergelenkes beeinträchtigen und somit zu einem geringen Score in diesem Muster führen.
5. Aktives Beinheben – Active Straight-Leg Raise
Das Muster des aktiven Beinhebens aus der Rückenlage erfordert die Fähigkeit, die unteren Extremitäten getrennt voneinander zu bewegen, während das Becken und der Rumpf stabil bleiben. Es handelt sich dabei weniger um einen Test der Beweglichkeit der Oberschenkelrückseite des gehobenen Beins als vielmehr einen Test, ob die Beine unabhängig voneinander bewegt werden können. Hier sind die Qualität der aktiven Hüftflexion des gestreckten gehobenen Beins und gleichzeitige aktive Hüftextension des liegenden Beins unter Beibehaltung der Rumpfstabilität ausschlaggebend. Hüft-Inmobilität, strukturelle oder neurologische Einschränkungen, hypertone Längenminderung und im Komplex des M. gluteus maximus, Tractus Iliotibialis und der ischiocuralen Muskulatur sowie eine verminderte Aktivierung der unteren Bauchmuskulatur können das Muster negativ beeinflussen und so zu einem geringen Score führen. Asymmetrien und andere Dysfunktionen in diesem Bereich können zu Verletzungen, Befindlichkeitsstörungen und Stresssymptomen führen.
6. Liegestützmuster – Trunk Stability Push-Up
Dieser Screen hat nichts mit einem herkömmlichen Liegestütz Test zu tun. Durch die spezielle Anpassung und Herausforderung in der Ausgangsposition kann mit dieser Bewegungsaufgabe mit nur einer Wiederholung, die Fähigkeit zur reflektorischen Rumpfstabilisierung bei einer geschlossenkettigen Oberkörperbewegung geprüft werden. Symmetrischer Energietransfer und reflexartige Stabilisation von Schulter, Rumpf, Hüfte und Wirbelsäule in mehreren Ebenen werden hier gefordert. Nahezu alle Bewegungen im Alltag und Sport verlangen von den lokalen und globalen Rumpfstabilisatoren eine funktionelle Kraftübertragung von den oberen Extremitäten, über den Rumpf zu den unteren Extremitäten und umgekehrt. Bei mangelnder Rumpfstabilität und/oder fehlendem funktionell-koordinativen Zusammenwirken (Timing) aus Arm-, Schulter- und Rumpfkraft kommt es oft zum „Verpuffen“ oder zu ineffizienten Einsatz kinematischer Kräfte, was zwangsläufig zu kompensatorischen Ausgleichsbewegungen führt. Dies kann die volle Ausschöpfung funktioneller Performance behindern und zu Mikroverletzungen und Überlastungstraumen führen.
7. Rotationsstabilität – Rotary Stability
Hier wird die Fähigkeit überprüft den Rumpf bei gleichzeitiger Arm- und Bein Bewegung (ipsilateral und contralateral) zu stabilisieren und die posturale Kontrolle beizubehalten. Dieses komplexe Bewegungsmuster erfordert die korrekte neuromuskuläre Kontrolle von Beckengürtel, Rumpf und Schultergürtel auf mehreren Ebenen, um auftretenden Rotationskräften und Energietransfers reflektorisch entgegen zu wirken. In nahezu allen Bewegungen im Sport und Alltag werden Kräfte von den Extremitäten ausgehend an den Rumpf weitergeleitet oder umgekehrt. Bei mangelnder Fähigkeit zur Rumpfstabilität bei dieser Aktivität wird kinetische Energie fehlgeleitet, was wiederum zu verminderter Kraftentwicklung führen sowie das Verletzungsrisiko erhöhen kann.
Wir sehen uns beim Functional Training Summit
Euer Eberhard Schlömmer
Artikelempfehlung:
Einfache Bewegungsmuster von Darcy Norman und Chris Fellows
Benötige Daten für FMS und ggf. Anmeldung
Gruß
Thomas
Hallo Thomas,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Hier finden Sie alle Informationen zum FMS. Wenn Sie weitere Fragen haben, können Sie sich gerne an info@perform-better.de wenden. Sportliche Grüße
http://www.perform-better.de/Produktkategorien/Seminare-und-Workshops/FMS-Zertifizierungen-2014.html