Immer mehr Menschen haben Interesse das Olympische Gewichtheben zu lernen. Obwohl das an sich positiv ist, könnte diese plötzliche Popularität einigen auch zum Verhängnis werden, wenn sie dieser Königsdisziplin im Kraftraum nicht mit dem notwendigen Respekt und Struktur, aber vor allem Geduld begegnen. Was sind die Grundlagen? Wann setzt man es am besten ein und wer kann vom Olympischen Gewichtheben am ehesten profitieren? Und gibt es auch Nachteile oder Bedenken? All dies werde ich oft gefragt und werde ich versuchen zu erläutern.
Vorteile vs Risiken
Zum Olympischen Gewichtheben gehört das Reißen ( Snatches ), sowie das Umsetzen & Stossen ( Clean & Jerk ). Beide erfordern und entwickeln die Explosivkraft, indem wir lernen Kräfte bestmöglich vom Boden durch den gesamten Körper bis hoch in die Arme zu übertragen. Es gibt wenige Übungen, die dies besser lehren. Dies geschieht hauptsächlich auf neuronaler Ebene. Explosive Übungen, wie das Olympische Gewichtheben, rekrutieren mehr motorische Einheiten pro Muskelkontraktion, erhöhen die Impulsfrequenz dieser Einheiten und beziehen sonst sehr schwer zu rekrutierende Muskelfasern, solche mit einem sogenannten hohen Schwellenwert, mit ein.
Olympisches Gewichtheben verbessert unter anderem die Sprungkraft, sowie die Beschleunigung beim Sprint alles entscheidende athletische Fähigkeiten für Dutzende von Sportarten wie z.B. Rugby, American Football oder Volleyball. Es erfordert beeindruckende Beweglichkeit, statische Flexibilität und Gelenkstabilität. Mängel in diesen Bereichen sind auch eine Hauptursache für Verletzungen. Diese sollten also nicht unterschätzt werden und müssen mit Geduld und langsamen Progressionen mit leichten Gewichten (z.B. erstmal nur der Stange) aufgebaut werden. Zu viel, zu schnell führt hier nur zu Verletzungen.
Olympisches Gewichtheben ist koordinativ hoch anspruchsvoll und spricht mehr Muskulatur an als jede andere Übung im Kraftraum. Zu guter letzt, bringt es daher, vor allem bei hohem Trainingsvolumen, langfristig auch andere, zweitrangige Vorteile mit sich. Den Muskelaufbau und die Fettverbrennung. Sehr viele Sportler könnten vom Olympischen Gewichtheben profitieren. Die Frage ist trotzdem immer, ob das Risiko nicht manchmal größer wiegt als der Nutzen. Ein Nachteil des Olympischen Gewichthebens ist, dass es sehr viel Lernzeit erfordert. Selbst erfahrene Olympische Gewichtheber haben schon behauptet, sie hätten es nach Jahren immer noch nicht gemeistert. Man lernt es nicht in einem Wochenendseminar.
Die Frage ist also: hat man die Geduld und den Willen, oder kann man dieselben Trainingsvorteile nicht auch aus anderen Übungen mit geringerer Lernkurve ziehen? Ich nutze das klassische Olympische Gewichtheben nur mit wenigen Kunden, da es zu viel Coaching erfordert und daher zu zeitaufwendig ist. Ich habe nur eine bestimmte Zeit mit jedem Kunden und diese könnte ich für andere Dinge nutzen. Mein Ziel ist es immer mit den richtigen Mitteln, die größtmöglichen Ergebnisse zu erzielen, natürlich ohne den Kunden hierbei in irgendeiner Art zu gefährden.
Was sind die Grundlagen, die man mitbringen sollte?
Eine gute Kraftbasis. Kraft ist Geschwindigkeitsunabhängig. Ob wir ein Gewicht langsam oder schnell bewegen spielt für die Kraft keine Rolle. Sie ist die gleiche. Power oder Schnell/Explosivkraft (im Deutschen sogar schon im Namen enthalten) ist die Fähigkeit Kraft schnell auszuüben. Power = Kraft x Geschwindigkeit. Kraft ist also eine Voraussetzung der Explosivkraft. Ein Explosivkrafttraining, ohne eine gute Kraftbasis, macht wenig Sinn. Wir sollten zuerst in den Grundübungen (Kniebeugen, Kreuzheben, Überkopfdrücken usw.) vernünftige Kraftzuwächse verzeichnen, bevor wir uns explosiven Übungen widmen. Da auch jede Schnellkraftbewegung mit einer sehr geringen Geschwindigkeit beginnt, spielt die Maximalkraft eine entscheidende Rolle.
Für das Olympische Gewichtheben muss die Grundlage vor allem mit den folgenden Übungen aufgebaut werden:
● Frontkniebeugen (Front Squats)
● Reißkniebeugen (Overhead Squats)
● Kreuzheben (Deadlifts)
● Überkopfdrücken (Press)
Nicht nur müssen wir diese technisch sauber durchführen können, sondern vorerst auch mit mehr Gewicht, als wir planen im Olympischen Gewichtheben zu nutzen. Denn durch die explosive Komponente fällt ein Gewicht, das um einiges höher ist, als das was tatsächlich auf der Langhantel liegt, beim Fangen der Stange auf den Körper zurück.
Symmetrie
Das größere Verletzungsrisiko beim Sport oder im Kraftraum verbirgt sich nicht in mangelnder Mobilität, sondern eher in Links/Rechts Dysbalancen. Dürftige Mobilität, die auf beiden Seiten gleich ausfällt, ist immer noch besser, als wenn eine Seite auffällig beweglicher ist als die andere. Aber muss ein Leistungssportler das Mobilitätsniveau eines olympischen Gewichthebers mitbringen, um das Olympische Gewichtheben integrieren zu dürfen? Ich kenne professionelle Basketballspieler, die nicht in die tiefe Kniebeuge kommen. Nicht annähernd. Aber brauchen sie die tiefe Kniebeuge überhaupt?
Mit Ausnahme von olympischen Gewichthebern oder Crossfit Athleten, gibt es für die meisten Sportler keinen zwingenden Grund, das Olympische Gewichtheben vom Boden aus zu lernen oder schwere Gewichte in der Reißkniebeuge zu fangen. Risiko vs Nutzen. Dieselbe Explosivkraft kann mit Power Cleans oder Power Snatches mit Start aus der Hang Position (Stange über den Knien) trainiert werden, was weniger Mobilität, geringere Lernzeit und Verletzungsrisiken – vor allem bei mehrfachen Wiederholungen – birgt.
Bei der Power Variante dieser beiden Disziplinen wird das Gewicht nicht in der tiefen Kniebeuge gefangen, sondern mit nur leicht gebeugten Knien und Hüfte. Das Olympische Gewichtheben vom Boden ist nur für einzelne Wiederholungen gedacht und der Großteil aller Sportarten erfordert selten eine alleinstehende Leistung (ausser Sportarten wie Kugelstossen zum Beispiel).Da Sportler neben dem hohen Trainingsvolumen ihrer Sportart nur beschränkte Zeit im
Kraftraum haben, sind dies ausschlaggebende Punkte, wie sie trotzdem von der Disziplin profitieren können.
Hohe Wiederholungen Ja oder Nein?
Wenn ich gefragt werde, was das schlechthin gefährlichste ist, das man im Training heutzutage beobachten kann, dann steht das olympische Gewichtheben mit hohen Wiederholungen und schwerem Gewicht, in einem vorermüdetem Zustand, ziemlich weit oben auf der Liste. Olympisches Gewichtheben ist nicht für hohe Wiederholungen mit viel Gewicht gedacht, erst recht nicht, wenn wir vorher 50 Burpees und 30 Klimmzüge gemacht haben, die Technik noch nicht wirklich beherrschen und gerade noch so auf den Beinen stehen können. Es gibt sehr wenige Athleten auf dieser Welt, die sowas noch mit Glanz und Würde über die Bühne bringen könnten. Ein Problem ist es, wenn alle anderen es auch versuchen. Workouts, die das Olympische Gewichtheben nutzen, mit dem alleinigen Ziel uns in Grund und Boden zu stampfen, sollten um jeden Preis vermieden werden.
Es gibt keinen Grund, keinen Guten zumindest warum wir schweres Olympisches Gewichtheben mit mehr als fünf Wiederholungen machen sollten. Trotzdem ist Explosivkraft auch in ermüdetem Zustand noch an den Tag legen zu können, eine wichtige athletische Qualität in vielen Sportarten und kann daher nicht vernachlässigt werden. Der Rugby Spieler muss auch noch tacklen können, wenn er müde ist. Genau wie der MMA Kämpfer, der nach vier Minuten einer Runde noch in der Lage sein muss, den Attacken seines Gegenübers nicht nur standzuhalten, sondern selber noch explosiv angreifen können sollte.
Deswegen kann olympisches Gewichtheben, als Vertreter der Explosivkraft, auch in einer MetCon Einheit (Stoffwechseltraining) eingesetzt werden, muss aber bei mehr Wiederholungen mit deutlich weniger Gewicht und bei höheren Gewichten mit niedriger Wiederholungszahl durchgeführt werden. Die Schnellkraft, die wir erzeugen, ist ohnehin höher bei niedrigeren Gewichten als bei schweren (z.B. 75% 85% 1RM vs >%90 1RM), da wir durch zu viel Gewicht zu langsam werden.
Mit zu hohen Gewichten zu arbeiten erhöht also nicht nur das Verletzungsrisiko sondern ist auch noch kontraproduktiv für unser Ziel: die Explosivkraft. Selbstverständlich sollte der Athlet immer die Technik beherrschen, bevor er/sie beginnt das Olympische Gewichtheben unter Vorermüdung durchzuführen. Prinzipiell nutze ich für Explosivkraftübungen mit mehr Wiederholungen in MetCon Einheiten lieber andere Mittel, wie Kurzhanteln und Kettlebells , die sich hierfür besser eignen.
Kettlebells und Kurzhanteln als Alternative und Sprungbrett
Die einarmigen Varianten des Snatch und Clean & Press mit der Kettlebell oder Kurzhantel sind ausgezeichnete Alternativen zur Langhantel. Ich nutze sie selber viel und auch für meine Kunden. Die Technik muss auch erst gelernt werden, vor allem bei der Kettlebell ist diese anspruchsvoller, sie sind aber trotzdem ein gutes Sprungbrett zur Langhantel.
Die einarmigen Varianten haben folgende Vorteile:
● Sie sind einfacher zu lernen
● Sie haben geringere Anforderungen an die Mobilität
● Der gesamte Körper muss nur eine Seite stabilisieren, anstelle von beiden. Dadurch können wir auch pro Arm mehr Gewicht bewegen, als wenn wir dieses Gewicht auf beiden Seiten versuchen würden einzusetzen (Bilaterales Defizit)
● Sie erlauben eine natürlichere Bewegung der Schulter, da sich das Gewicht rotieren lässt (die Langhantel nicht)
● Sie eignen sich besser für höhere Wiederholungen, da immer nur eine Seite arbeitet, während die andere ruht. Obendrein ideal um unsere Arbeitskapazität zu verbessern ( Work Capacity Training) .
● Kurzhantel Varianten wie der Clean & Press können auch bei geringerer Geschwindigkeit durchgeführt werden, ohne dabei die Verletzungsgefahr zu erhöhen.
Fazit: Verdien sie dir
Wenn alle Übungen im Kraftraum Flugzeuge wären, dann wäre das olympische Gewichtheben ein Düsenjäger. Technisch hoch anspruchsvoll und fortgeschritten. Behandle sie daher mit dem nötigem Respekt. Nur weil man ein Segelflugzeug fliegen kann, heisst es nicht, dass man bereit für einen Düsenjäger ist. Noch nicht. Wenn jemand das Olympische Gewichtheben lernen möchte, bin ich immer dafür, aber eine gesunde Selbsteinschätzung, was den eigenen Trainingsstand angeht, ist wichtig. Mit einem soliden Fundament, den richtigen Progressionen und den oben genannten Varianten, hat man sich auch diesen nächsten Schritt verdient. Auf diesem Wege wird man auch langfristig sehr viel mehr Freude daran haben.
Euer Phil Heather