EMS
Der Ansatz eines zusätzlichen elektrischen Impulses ist eigentlich nichts Neues, da bereits russische und amerikanische Wissenschaftler vor längerer Zeit Versuche mit unterschiedlichen Setups unternommen haben, um die Muskelaktivierung gezielt zu erhöhen.
Synergistische und antagonistische Ausrichtungen der elektrischen Muskelstimulation
Grundgedanke bei Ausrichtungen der elektrischen Muskelstimulation ist neben einer neuronalen Aktivierung des Muskels eine gezielte Ansteuerung verschiedener Muskelpartien. Dies kann entweder lokal geschehen, indem nur einzelne Muskeln gezielt aktiviert werden, oder im Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen. Dabei können diese entweder synergistisch ausgerichtet sein oder eben antagonistisch. Beide Ansätze haben verschiedene Ausrichtungen, die man im Wesentlichen unterscheiden sollte.
Die synergistische Ausrichtung
Eine synergistische Ausrichtung unterstützt durch eine Aktivierung der muskelspezifischen Nervenbahnen alle Muskeln, die im Zusammenspiel an der Zielbewegung beteiligt sind. Ein klassisches Beispiel wäre die Aktivierung der Wade, des Quadriceps sowie der Gesäßmuskulatur zur Streckung des Sprung- und Kniegelenks sowie der Hüfte. Diese synergistischen Muster lassen sich auch, zum Beispiel beim Erkennen eines Bewegungsdefizits, auf weniger Muskelpartner des synergistischen Systems reduzieren. Entsprechend der Ausrichtung und Zielstellung kann dieses Konzept auf beliebige Zielbewegungen ausgerichtet werden.
Die antagonistische Ausrichung
Im Gegensatz zum synergistischen Ansatz lassen sich genauso diverse antagonistische Muskelgruppen aktivieren. Dies sollte vor allem dann eingesetzt werden, wenn es um die aktive beziehungsweise muskuläre Stabilisation eines Gelenks oder mehrerer funktionell verschalteter Gelenke geht. So können vor allem im Bereich der Wirbelsäule Ko-Kontraktionen von Hüft- und Bauchmuskulatur zu einer aktiven Stabilisierung des unteren Rückens beitragen. Ähnliche Ansätze lassen sich auch im Bereich des Schulter- oder Kniegelenks umsetzen, wobei sich diese Methode primär im Zusammenhang mit Rückenschmerzen etabliert hat.
Beide Ausrichtungen kombinieren
Beide Ausrichtungen der elektrischen Muskelstimulation lassen sich natürlich auch entsprechend kombinieren und sollten auch kombiniert werden, insbesondere zu einem Zeitpunkt, an dem der Athlet mit dem EMS-Training bereits vertraut ist. Ziel ist es letztlich, in die Zielbewegung zu arbeiten und diese mit den dynamischen (synergistischer Ansatz) und statischen Anforderungen beziehungsweise den stabilisierenden (antagonistischer Ansatz) Anforderungen bestmöglich zu trainieren.
Funktioneller Ansatz bei Ausrichtungen der elektrischen Muskelstimulation
Entsprechend einem funktionellen Ansatz sollte auch bei den Ausrichtungen der elektrischen Muskelstimulation der Ansatz, vor allem bei ungeübten Personen, von einer isolierten Kontraktion zu einer finalen sportartspezifischen Bewegung oder zumindest einer entsprechenden Teilbewegung führen. Dabei lassen sich die verschiedenen Bereiche auch im Laufe des Trainingsfortschritts mit dem Athleten sukzessive kombinieren. So können immer komplexere Bewegungsmuster in das Training implementiert werden. Ein bereits genanntes Beispiel ist die Stabilisierung des Rumpfes, die initial isoliert und später dann mit der sportartspezifischen Teilbewegung der Extremitäten kombiniert trainiert werden sollte.
Leistungssteigernder Aspekt und rehabilitativer Effekt des EMS-Trainings
Im fortgeschrittenen Stadium kann nun neben der generellen Aktivierung der unterschiedlichen Muskelgruppen, vor allem im Bereich des synergistischen Ansatzes, die zeitliche Reihenfolge der unterschiedlichen bewegungsbeteiligten Muskelpartner berücksichtigt werden, sodass mit Blick auf die kinetische Kette eine bestmögliche Energieentfaltung gewährleistet ist.
Neben dem leistungssteigernden Aspekt, im Sinne eines sportartspezifischen Anforderungsprofils, ist auch der rehabilitative Effekt des EMS-Trainings ein wesentlicher Bestandteil der Trainingsmöglichkeiten. Nach Verletzungen oder chronischen Beschwerdebildern sind die Betroffenen häufig nicht mehr in der Lage, einzelne Muskelpartien gezielt anzusteuern und zu aktivieren. Dabei lassen sich die ursprünglichen Bewegungsmuster durch zusätzliche Stimulation mittels EMS häufig schneller und gezielter wieder herbeiführen als durch ein klassisches isoliertes Training, das nur geringfügigen Einfluss auf die initiale Aktivierung der Nervenleitbahnen haben kann. Gerade im Bereich des funktionellen Trainings kann eine Elektrostimulation bei erkannten Bewegungsdefiziten schnell zu einer Veränderung der Bewegungsmuster führen, wobei sich die gesamte Bewegungsqualität schnell und effektiv positiv beeinflussen lässt. Die Vorteile der diversen Ausrichtungen der elektrischen Muskelstimulation lassen sich aber nicht nur auf die Bereiche des synergistischen und antagonistischen Zusammenspiels verschiedener Muskelpartner reduzieren. Eine Kräftigung des einzelnen Muskels erreicht man unter anderem durch die Verbesserung der im Muskel befindlichen motorischen Einheiten. Da selbst bei maximaler Kontraktion nicht alle Muskelfasern aktiv kontrahieren, kann man durch eine zusätzliche Stimulation die intramuskuläre Koordination verbessern. Dabei sollte der Muskel allerdings schon vor dem zusätzlichen elektrischen Stimulus willentlich voraktiviert sein, sodass die elektrischen Signale in eine zusätzlichen Aktivierung weiterer motorischer Einheiten beziehungsweise Muskelfasern resultieren. Ein Vorteil dieses Ansatzes ist ein entsprechender Kraftzuwachs ohne zwingende Zunahme der Muskelmasse, die in vielen Sportarten nicht unbedingt gewünscht ist.
Fazit
Die beschriebenen Ausrichtungen der elektrischen Muskelstimulation zeigen bei Weitem nicht alle Möglichkeiten des Trainings mit einer zusätzlichen Aktivierung, sollen aber verschiedene Ansätze aufzeigen. Dabei ist jedem Trainer und Therapeut selbst überlassen, inwieweit und mit welchen Strategien er ein EMS-Training als zusätzliche Trainingsmethode einsetzt.
Euer Lutz Herdener