Das Mikrobiom
Darmbakterien – Der Schlüssel zur Gesundheit
Sie sind so klein, dass sie mit bloßem Auge nicht sichtbar sind: Mikroben. Diese Mikroorganismen besiedeln den menschlichen Körper, Tiere und Pflanzen. Die meisten von uns verbinden Bakterien, Viren und Pilze mit einer Gefahr für unsere Gesundheit und Krankheiten. Doch die meisten Menschen dieser kleinen Lebewesen sind harmlos, ja sogar nützlich! Wir leben in einer Art Symbiose mit vielen verschiedenen Arten, die auf unserer Haut, auf unseren Schleimhäuten und in unserem Darm leben. Gerade die Darmbakterien spielen eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit. Warum das so ist, erklären die Ärztin Nele Endner und der Ernährungsberater Elias Zwyssig.
Der Mensch beherbergt um die tausend verschiedenen Spezies. In ihrer Gesamtmenge scheinen sie in ähnlicher Zahl vorzuliegen wie menschliche Körperzellen – etwa 30 Billionen. Der Begriff „Mikrobiom“ bezeichnet zwar definitionsgemäß die Gesamtzahl von Mikroorganismen (Bakterien, Viren, Pilzen), die einen Makroorganismus (Mensch, Tier, Pflanze) bewohnen, er wird aber im Alltag meist äquivalent mit dem Begriff „Darmmikrobiom“ verwendet.
Nicht immer im Gleichgewicht
Bakterien sind bekannt dafür, dass sie sehr anpassungsfähig sind – so auch die in unserem Darm, der immerhin eine Oberfläche von über 30 m2 umfasst. Diese Anpassungsfähigkeit der Bakterien erklärt, warum das Darmmikrobiom eines jeden Menschen so individuell ist wie sein Fingerabdruck. Die meisten Bakterien gehören dabei zu einem der vier Bakterienstämme (Phyla) – Firmicutes, Bacteroidetes, Proteobacteria und Actinobacteria –, wobei wiederum Firmicutes und Bacteroidetes den Hauptteil ausmachen. Die Anzahl verschiedener Spezies sowie die Verteilung und Menge der Bakterien passen sich jederzeit äußeren wie auch inneren Einflussfaktoren an. Mit der Geburt eines Menschen fällt auch der Startschuss für die Darmbesiedlung. Schon die Art der Geburt entscheidet darüber, mit welchem bakteriellen Milieu das Neugeborene zuerst Kontakt bekommt. Optimalerweise sollte dies die Scheidenflora der Mutter sein, doch im Fall eines Kaiserschnitts sind die Bakterien auf der Haut die ersten, die sich beim Baby ansiedeln. Weiter ist es ein Unterschied, ob ein Baby mit Muttermilch gestillt wurde oder Säuglingsmilchnahrung bekommen hat. Schon hier kann ein erstes Ungleichgewicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Bakterien entstehen. Dieses „Gleichgewicht“ ist das Entscheidende in unserem Darm.
Gute Bakterien fördern unsere Gesundheit, schlechte können die Verdauung stören, was zu Durchfall oder Schmerzen führt. Viele Menschen kennen auch das Gefühl, dass ihnen ihre Verdauung Probleme bereitet, wenn sie Stress haben. Dies kann auch wissenschaftlich anhand der Darm-Hirn-Achse erklärt werden. Zwischen dem Darm und dem Gehirn besteht eine Kommunikation in beiden Richtungen – zwischen dem zentralen und dem enterischen (darmeigenen) Nervensystem. Besonders bemerkbar macht sich das auch beim Irritable Bowel Syndrome (IBS), besser bekannt unter dem Begriff „Reizdarmsyndrom“, wobei es sich hier hauptsächlich um chronische Verdauungsbeschwerden handelt. Unter Inflammatory Bowel Disease (IBD) werden verschiedene chronisch-entzündliche Darmerkrankungen zusammengefasst, wie z. B. Morbus Crohn.
Was leisten Darmbakterien
Die Darmbakterien übernehmen im Körper verschiedene Aufgaben. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Verdauung, spielen aber auch eine große Rolle für das menschliche Immunsystem. Sie bekämpfen in Kooperation mit Abwehrzellen effektiv ungebetene Eindringlinge oder stellen antientzündliche Stoffe her.
Doch der „Hauptjob“ der Darmbakterien ist es, Lebensmittel oder das, was davon noch übrig ist, zu verarbeiten – sie wollen schließlich auch etwas „essen“. Im menschlichen Verdauungsapparat gelangt die Nahrung über viele verschiedene Stationen vom Mund bis zu unserem Dickdarm. Dabei können nicht alle Nahrungsbestandteile durch menschliche Enzyme, Magen- oder Gallensäure gespalten werden. Zum Beispiel bleiben unverdauliche Ballaststoffe zurück, die durch Darmbakterien zu kurzkettigen Fettsäuren wie Acetat, Propionat und Butyrat abgebaut werden. Diese Fettsäuren sind wiederum wichtig für die Darmgesundheit, weil sie die Darmschleimhaut nähren. Ebenso werden sie mit der Ausschüttung von hungerunterdrückenden Hormonen assoziiert. Diese kurzkettigen Fettsäuren können über die Schleimhaut aufgenommen werden und in alle menschlichen Gewebe gelangen. Für unser Gehirn sind sie ein wichtiger Energielieferant.
Darüber hinaus sind die Darmbakterien ein Teil der Immunabwehr und somit ein Teil des menschlichen Immunsystems. Die Ausbreitung von „guten“ Bakterien verhindert dabei das Eindringen von „schlechten“ Bakterien, die Krankheiten auslösen können.
Prebiotika und Probiotika
Was beeinflusst Darmbakterien? Unverdauliche Ballaststoffe sind Nahrung für die Darmbakterien. Solche Ballaststoffe finden sich vor allem in Vollkorngetreiden, Samen und Hülsenfrüchten. Dasselbe gilt auch für Polyphenole, was – einfach ausgedrückt – Pflanzenstoffe sind, die den Lebensmitteln ihre Farbe geben; seien das Carotinoide in Karotten, Lycopin in Tomaten oder Anthocyane in Blaubeeren. Kaffee ist eines der Lebensmittel mit dem höchsten Polyphenolgehalt überhaupt. In Bezug auf die Ernährung ist es besonders wichtig, viele ballaststoffreiche Lebensmittel und eine Vielzahl an verschiedenen farbenfrohen Früchten und Gemüsesorten zu sich zu nehmen. Diese Gruppe an Stoffen – Ballaststoffe und Polyphenole – werden auch als Prebiotika bezeichnet. Das heißt, dass sie als Nahrung für Darmbakterien fungieren oder Darmbakterien positiv beeinflussen.
Neben Prebiotika gibt es auch Probiotika. Bei den Probiotika handelt es sich um lebende Bakterienkulturen, die in allen fermentierten Lebensmitteln enthalten sind. Beispiele dafür sind Joghurt, Sauerkraut, Kimchi oder das Trendgetränk Kombucha. Die Einnahme von Probiotika ist ein wenig wie ein Glücksspiel, da man häufig nicht weiß, wie viele Bakterien enthalten sind. Es gibt auch viele Präparate mit lebenden Mikroorganismen, die zur „Darmsanierung“ genutzt werden. Zum Beispiel kann nach einer Antibiotikatherapie, bei der auch gute Darmbakterien zerstört werden können, ihr Einsatz hilfreich sein. Es kann helfen, die Verdauung zu regulieren und gute Bakterien anzusiedeln. Diese überleben aber dann nur mit der passenden gesunden Ernährung.
Negative Einflüsse auf den Darm
Alkohol und Stress können das Gleichgewicht des Mikrobioms enorm stören. Eine Störung des Mikrobiom-Gleichgewichts wird auch als Dysbiosis bezeichnet. Allerdings ist noch immer nicht völlig klar, wie denn überhaupt ein gesundes Mikrobiom aussieht bzw. was es ausmacht. Um dieser Frage nachzugehen, wurden im Rahmen des Dutch Microbiome Projects über 8 000 Personen in nahezu 3 000 Familien untersucht1. Dabei konnte festgestellt werden, dass es neun Bakterienspezies gibt, die alle Menschen haben (die, wie weiter oben erwähnt, ein Teil der vier verschiedenen Phyla sind). Ein Beispiel ist das Faecalibacterium prausnitzii, das einer der Hauptproduzenten der Fettsäure Butyrat ist. Weiter wird das Mikrobiom vor allem durch die Umwelt und das Zusammenleben geprägt. Einen Einfluss auf das Mikrobiom hat jedoch nicht nur die Ernährung, sondern auch äußere Umwelteinflüsse wie Haustierhaltung, Abgase, Zigarettenrauch und Umwelt generell wirken sich auf das Mikrobiom aus.
Mythen
Darmspülung und Fastenkuren
Viele Leute glauben, mit einer Darmspülung oder einer Darmkur den Körper zu „entgiften“ – und das würde helfen, ihre Darmgesundheit zu verbessern. Belege für den Nutzen solch einer Darmkur fehlen aber weitestgehend! Die Entgiftungsfunktion wird im Körper von Leber und Nieren übernommen. Eine Darmspülung kann sogar gefährlich sein und bei fehlerhafter Ausführung zu Blähungen, Magenbeschwerden und im schlimmsten Fall zu einem Darmdurchbruch führen. Positiv auswirken kann sich wiederum eine Fastenkur, wenn sie als Startschuss für eine Umstellung auf eine gesunde, bakterienfreundliche Ernährung dient.
Stuhlproben
Stuhlproben liefern zwar interessante Daten für die Forschung, sind aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgereift, um darauf eine Therapie zu stützen.
Gluten ist problematisch für den Darm
Die einzigen Menschen, die strikt auf Gluten verzichten sollten, sind Personen, die an einer Zöliakie (durch eine Glutenunverträglichkeit bedingte chronische Dünndarmentzündung) oder an einer Allergie/ Sensitivität leiden. Eine solche Diagnose sollte im Rahmen eines Arztbesuches erfolgen und nicht als Eigendiagnose auf Basis von Symptomen angenommen werden. Es kann auch gut sein, dass sich der Körper bzw. der Darm im Fall einer Ernährungsumstellung erst einmal an Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte und andere Lebensmittel gewöhnen muss. Ein genereller Verzicht auf glutenhaltige Getreidesorten kann daher nicht empfohlen werden. So würden viele gesunde Lebensmittel, die neben Ballaststoffen auch Vitamine und pflanzliche Proteine liefern, wegfallen.
Ernähre dich bunt und vielseitig!
Eine gesunde Darmflora ist wichtig für eine gute Verdauung und ein funktionierendes Immunsystem. Daher sollte die Ernährung vor allem ausgewogen, abwechslungsreich und pflanzenbetont sein. Mit dem täglichen Verzehr von Vollkorngetreide, Nüssen und Samen (Leinsamen sind beispielsweise ein absolutes Superfood in Bezug auf Ballaststoffe!), Hülsenfrüchten (auch in fermentierter Form wie Joghurt, Tofu oder Miso) und frischem Obst und Gemüse steht einem vielfältigen Bakterienwachstum nichts mehr im Weg.

Nele Endner ist Ärztin und arbeitet aktuell in der Adipositas-Forschung und der klinischen Ernährungsmedizin am Inselspital in Bern. Die letzten Jahre hat sie nebenberuflich als Ernährungsberaterin mit dem Fokus auf pflanzenbasierte Ernährung gearbeitet und bietet Vorträge zu gesundheitsbewusster Ernährung an.

Elias Zwyssig verfasste seine Masterthesis zum Thema „Mikrobiome“ und absolvierte seinen Masterabschluss an der Wageningen University in den Niederlanden. Aktuell macht er sich als Ernährungsberater selbstständig und will Menschen zu mehr Gesundheit durch gute Ernährung verhelfen.