Obwohl es sich dabei um eine eher „sanfte“ Trainingsform handelt, können solche speziellen Atemübungen die individuelle Leistungsfähigkeit maßgeblich beeinflussen. Nachfolgend stelle ich fünf positive Auswirkungen der Atmung auf die sportliche Leistung vor.
1) Verbesserung des Bewegungsumfangs des Gelenks
Je nachdem, welche Aktivität man gerade praktiziert, nutzt man einen anderen Bewegungsumfang (eine naheliegende Erkenntnis), und je nach Sportart gibt es verschiedene Gelenke, die eine größere bzw. kleinere Rolle spielen. Viele Baseball-Pitcher zum Beispiel haben sich in den letzten zehn Jahren Sorgen über eine unzureichende Innenrotation der Schulter gemacht, die zu einer wachsenden Beliebtheit des sogenannten Sleeper Stretch geführt hat, mit dem die IR verbessert werden soll. Aber es geht auch anders: wenn man einen Sportler dazu auffordert, sich auf den Boden legen und die linke Bauchwand anzuspannen, um die Rippen nach unten zu ziehen, wobei er einige Male durch die Nase ein- und den Mund wieder ausatmet, wird sich überraschenderweise die IR seiner rechten Schulter enorm verbessern (oft um 15-30 Grad). Einen ähnlichen Ansatz kann man auch verwenden, um eine Wiederherstellung der Hüftadduktion und einen ausgeglichenen Bewegungsumfang der Hüftrotation auf beiden Seiten herbeizuführen. Daher stellt sich die Frage, ob sich diese Sportler überhaupt dehnen müssen. Wenn man nach 30 Sekunden ein- und ausatmen den angestrebten Bewegungsumfang erreicht, ist ein Stretching möglicherweise nicht erforderlich. Speziell im Fall des Baseballspielers war der Bewegungsumfang aufgrund einer ungünstigen Becken- und Thorax-Position eingeschränkt, NICHT aufgrund einer Schultereinschränkung. Die gezielte Anwendung spezieller Atemübungen kann wieder zu einer neutralen Becken- und Thorax-Position verhelfen und so bewirken, dass der maximal mögliche Bewegungsumfang, auch wirklich erreicht wird.
2) Optimierung der Bewegungsmuster
Wenn ein Sportler in einer nicht-neutralen Position beginnt, wird sein Bewegungsumfang auf vorhersehbare Weise eingeschränkt sein. Der Versuch, eine sportspezifische Bewegung auszuführen, die über die Grenzen des gegenwärtigen Bewegungsumfangs hinausgeht, führt zwangsläufig zu Kompensationsmustern. Neulich zum Beispiel erzählte mir ein Baseballprofi, er habe den Eindruck, dass seine Hüften beim Wurf einen bestimmten Punkt erreichen, ab dem sich sein Rumpf zur Seite verlagert, was sich negativ auf seine Wurfkraft auswirkt. Es war nicht verwunderlich, dass unsere Untersuchung eine suboptimale IR des vorderen Beins ans Licht brachte, das heißt er erreichte seinen maximalen Bewegungsumfang zu früh und er musste sich dann mit dem Rumpf zur Seite neigen, damit der Ball die Homeplate überhaupt erreichte. Um eine neutrale Körperposition wiederherzustellen, eignen sich Übungen, deren Schwerpunkt auf einer kontrollierten Atmung liegt, da diese (wie oben erwähnt) den Bewegungsumfang erhöhen, der dann in funktionelle Bewegungen übersetzt werden kann. Insofern mache ich mit meiner Arbeit auch den Job der Techniktrainer ein bisschen leichter.
3) Verringerung des Verletzungsrisikos
Verletzungen sind eine heikle Sache. Es gibt viele Gründe, warum ein Sportler für bestimmte Verletzungen anfällig ist, und es gibt keine pauschalen Strategien, mit denen sich das Risiko verringern lässt. Ungünstig positionierte Muskeln, Erschöpfung und unzureichende Regeneration sind drei Faktoren, die man ernst nehmen muss. Die zwei letztgenannten Punkte werden gleich besprochen, deshalb gehe ich jetzt nur auf den ersten ein. Wie ich schon angedeutet habe, können Atemtechniken dabei helfen, das Becken wieder in eine neutrale Position zu bringen, wodurch sich der Bewegungsumfang erhöht und die umliegenden Muskeln bessere Voraussetzungen haben, um ihre Arbeit zu verrichten. Indem man bestimmte Übungen mit Atemtechniken verknüpft, kann man bessere motorische Muster einüben und dadurch die Funktionsfähigkeit optimieren. Viele Sportler haben zum Beispiel Schmerzen in der linken Leiste, wenn sie das Bein gebeugt/nach außen gespreizt/gedreht halten und daraufhin versuchen, die Abduktion/Außenrotation zu intensivieren und/oder die lange, neurologisch schwache Adduktorengruppe zu verwenden. Diese Position führt auch zu einem abwärts geneigten vorderen und einem aufwärts geneigten hinteren Beckenbodenteil. Mit anderen Worten: der vordere Beckenbodenteil befindet sich in der Position „Einatmen“ und der hintere in der Position „Ausatmen“. Eine Übung wie „Right Side Lying Left Adductor Pullback“ (Rückwärtsziehen des linken Adduktors in Seitenlage rechts) erlaubt es dem Sportler, eine neutrale Beckenposition wiederherzustellen und die linken Adduktoren in einer verkürzten Position anzuspannen, um die motorische Kontrolle in diesem eingeschränkten Umfang wiederzuerlangen. Indem der Sportler beim Einatmen den Femur nach hinten zieht, kann er auch den hinteren Anteil der Hüftkapsel „öffnen“ (also stärker in Richtung „Einatmen“), und indem er beim Ausatmen das linke Knie nach unten zum rechten Bein zieht, „schließt“ er den vorderen Beckenbodenteil (also stärker in Richtung „Ausatmen“). Dadurch verbessert er die Fähigkeit des Beckens, sich in den verschiedenen Phasen der Atmung reziprok aus einer neutralen Position heraus zu bewegen.
4) Verzögerung der Erschöpfung durch Veränderungen des pH-Werts
Der pH-Wert wirkt sich maßgeblich auf die Effizienz der Muskelkontraktion aus. Bei hochintensiven Aktivitäten, bei denen der aerobe Stoffwechsel nicht mit der Energiebereitstellung nachkommt, sammeln sich als Nebenprodukt des glykolytischen Stoffwechsels Wasserstoffionen an, die einen sauren pH-Wert zur Folge haben. Optimale Atemmuster, die der Aktivität noch angemessen sind (siehe Chest Breathing vs. Belly Breathing [dt.: Brustatmung vs. Bauchatmung]) können dazu beitragen, den Luftaustausch zu maximieren und daher entweder den Zeitpunkt verzögern, ab dem der Stoffwechsel auf die primäre anaerobe Energiebereitstellung schaltet und/oder dabei helfen, nach einer hochintensiven Belastung eine zügige Regeneration herbeizuführen.
Man kann natürlich nicht pauschal sagen, dass statische Atemübungen die sportliche Ausdauer automatisch verbessern. Wenn ein Sportler aber nicht die Körperhaltung, Mobilität, Core-Kontrolle und Kraft im Zwerchfell besitzt, um in einer mehr oder weniger statischen, relativ ruhigen Umgebung eine Reihe guter Atemzüge zu schaffen, ist es extrem unwahrscheinlich, dass er bei einem Wettkampf dazu in der Lage sein wird. Mit anderen Worten: indem wir möglichst viele Störfaktoren eliminieren, erhalten wir ein aussagekräftigeres Fenster, um ein Muster zu bewerten und zu trainieren, das der Athlet im Rahmen seiner Sportart anwenden kann – hier verhalten sich die Auswirkungen der Atmung nicht anders als alle anderen Aspekte der menschlichen Leistungsfähigkeit.
5) Wechsel in einen parasympathischen Zustand unmittelbar nach der Aktivität
Ich werde oft gefragt, wie ich PRI oder Atemübungen in den Alltag von Sportteams integriere. Wir benutzen die Atmung unter anderem auch dafür, um nach den Trainingseinheiten und – sofern ich im Stadion bin – manchmal auch unmittelbar nach Probespielen den Parasympathikus zu stimulieren. Hyperinflation (Lungenüberblähung) regt den Sympathikus an; wenn man den Sportlern also die Gelegenheit bietet, sich hinzulegen, vollständig auszuatmen und entspannt einzuatmen, versetzt sie das in einen parasympathischen Zustand. Das erklärt auch, warum optimierte Atemmuster einen so nachhaltigen Einfluss auf uns ausüben. Der Stresszustand, in den wir uns aufgrund ungünstiger Atemmuster permanent selbst versetzen, ähnelt stark einem dauerhaften limbischen „Kampf oder Flucht“-Modus, der aber besser den Situationen vorbehalten bleiben sollte, in denen wir ihn auch tatsächlich brauchen. In Mannschaftssportarten ist die Herbeiführung einer schnelleren Regeneration ein überaus wichtiger Faktor. Ich lasse unsere Sportler in diesem Zusammenhang wissen, dass schnelleres Einschlafen unter anderem eine der positiven Auswirkungen der Atmung auf uns ist. Im Eishockey, und vermutlich auch in anderen Sportarten, enden viele Spiele ziemlich spät abends, und die Spieler sind nach dem Match oft noch aufgedreht und hellwach. Auch wenn sie um 22 oder 23 Uhr zuhause eintreffen, schlafen viele erst nach ein Uhr nachts ein. Diese Strategie hat unseren Spielern dabei geholfen, sowohl körperlich als auch geistig zur Ruhe zu kommen, so dass sie schneller einschlafen.
Positive Auswirkungen der Atmung
Obwohl ich diese Konzepte üblicherweise separat bespreche, sind sie doch alle eng miteinander verknüpft. Alle Körpersysteme beeinflussen sich gegenseitig. Atemübungen können eingesetzt werden, um den Bewegungsumfang, die Gelenkstabilität, den Luftaustausch und die Regeneration nach dem Training zu verbessern. Das sind alles Dinge, die sich auf die Sportler und Klienten, mit denen wir zusammenarbeiten, positiv auswirken können, und deshalb sind Atemübungen aus unseren Programmen nicht mehr wegzudenken.
Euer Kevin Neeld
Welche Literatur bezüglich Atemübungen ist wirklich brauchbar und empfehlenswert?
Kevin beschreibt auf seiner Seite ausführlich noch einmal Brust- vs Bauchatmung und empfiehlt dort das Buch „Anatomy of Breathing“ von Blandine Calais Germain:
http://www.kevinneeld.com/2013/chest-breathing-vs-belly-breathing