Intervallfasten
Muskelmasse aufbauen und die Leistungsfähigkeit steigern – geht das wirklich?
Nach herkömmlicher Lehrmeinung bedarf es zum Aufbau und Erhalt von Muskelmasse nicht nur der erforderlichen Menge an Proteinen und anderer Nährstoffe, sondern gleichzeitig auch der richtigen Menge an Kalorien. Zu große Zeitfenster ohne Nahrungsaufnahme bergen die Gefahr, ins Kaloriendefizit zu fallen und damit der Muskelmasse zu schaden, aber stimmt das wirklich? Personal Trainer Philipp Moser zeigt in der Ausgabe 3/2022 – „Biohacking“, dass Muskelaufbau auch ganz anders funktionieren kann – und durchleuchtet hierzu die aktuelle Studienlage zum Thema „Intervallfasten“.
Wenn es um das Thema „Muskelwachstum“ geht, ist der allgemeine Konsens in der Community recht klar und eindeutig: Trainiere regelmäßig und hart, gönne dir ausreichend Regeneration und achte auf deine Proteinzufuhr genauso wie auf deine Kalorienbilanz! Vermeide es dabei so gut es geht, zu große Zeitfenster ohne Nahrungsaufnahme zu durchleben, und sorge vor allem rund ums Training für eine ausreichende Eiweißzufuhr – Stichwort: Pre- oder Post-Workout-Shake! Solche und andere Hinweise können sehr wertvoll sein; sie basieren teilweise auf einem gut erforschten Fundament. Jedoch gibt es auch eine andere Möglichkeit, durch sein Ernährungsverhalten positive Auswirkungen auf die Muskelmasse zu erzielen.
Das Thema „Fasten“ bzw. „Intervallfasten“ ist mittlerweile auch in der Fitness-Community angekommen und erfreut sich steigenden Interesses. Die unterschiedlichen Fastenprotokolle versprechen Vorteile wie Zellreinigung und Entgiftung, Fettabbau, Verbesserung von Insulinsensitivität und Schlaf sowie eine Optimierung kognitiver Leistungen. Die Wenigsten setzen jedoch Fastenprotokolle zum Aufbau von Muskelmasse ein, da nach wie vor die Vorstellung vorherrscht, dass Fasten aufgrund des Kaloriendefizits zur Muskelatrophie führt. Dass dies nicht unbedingt richtig sein muss, bestätigt die Forschung der letzten Jahre immer deutlicher. Intervallfasten kann einen wertvollen Beitrag leisten, um Muskelmasse zu erhalten und gleichzeitig Speicherfett abzubauen1.
Verschiedene Arten des Fastens
Es gibt sehr viele unterschiedliche Fastenarten, die von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen reichen. Beim Intervallfasten nutzt man in der Regel ein tägliches Zeitfenster von 16 oder mehr Stunden, in dem man keine Nahrungskalorien zu sich nimmt. Beim klassischen 16:8-Fasten beträgt das Fenster zur Nahrungsaufnahme acht Stunden pro Tag, während beim 20:4-Fasten (Warrior Diet) nur vier Stunden zur Nahrungsaufnahme zur Verfügung stehen. Beim „One Meal A Day“(OMAD)-Fasten reduziert sich die Kalorienzufuhr sogar auf nur eine einzige Mahlzeit pro Tag. Für Einsteiger empfiehlt es sich, langsam an diese Form des Fastens heranzugehen, indem man die Fastenintervalle Schritt für Schritt verlängert, bis die gewünschte Intervalldauer erreicht ist und – wenn gewollt – dauerhaft umgesetzt werden kann. Wem das am Anfang schwerfällt, kann beispielsweise an drei bis vier Tagen fasten, während man den Rest der Woche ganz normal wie bisher isst. So vielfältig die Fastenoptionen sind, so vielfältig sind auch die positiven Effekte des Fastens auf die Muskulatur und die Körperproportionen.
Die Ketose
Während der Fastenperiode ist der Körper mangels Nahrungszufuhr gezwungen, seinen Energiebedarf aus seinen Speichern zu decken. Dazu werden zunächst die vorhandenen Glykogenspeicher herangezogen, da diese am leichtesten verfügbar sind. Neigen sich diese Speicher dem Ende zu, setzt immer stärker die Fettverbrennung ein und die Leber beginnt damit, Ketonkörper zu bilden (Ketose). Speziell der Ketonkörper Beta-Hydroxybutyrat (BHB) wirkt muskelprotektiv, da er die Oxidation von Leucin untergräbt und gleichzeitig die Proteinsynthese verstärkt2. Somit wird während der Fastenperiode die anabolste aller essenziellen Aminosäuren (Leucin) geschützt und besser verwertet. Dies trägt zum Erhalt von Muskelmasse bei, während gleichzeitig Fette verbrannt werden. Hierin liegt schon mal ein Vorzug des Intervallfastens gegenüber herkömmlichen Kalorienrestriktionen.
Auch die einsetzende Autophagie trägt zum Erhalt der Muskelmasse bei, da körpereigenes Eiweiß in Form abgestorbener Zellen und ausgeschiedener Stoffwechselendprodukte bevorzugt verstoffwechselt wird. Damit werden wiederum andere Eiweißstrukturen wie Immunproteine und Muskelgewebe geschont. Während der Fastenperiode kommt es jedoch auch aufgrund der Ausschüttung von Stresshormonen (Katecholaminen) zu einer verstärkten Fettverwertung. Vor allem das Hormon Noradrenalin scheint während längerer Fastenperioden über die Mobilisierung und Verbrennung von weißem Fett die Fettdepots zum Schmelzen zu bringen3. Der erhöhte Katecholaminspiegel verbessert auch die Blutzufuhr in die Muskulatur4, was während des Trainings zunächst zu einem höheren Kraftoutput und daraus resultierend nach dem Training zu mehr potenziellem Muskelwachstum führt.
Wachstumshormon (HGH)
Das Peptidhormon HGH (Human Growth Hormone, auch Somatropin bzw. Wachstumshormon genannt) wird im Hypophysenvorderlappen gebildet und beeinflusst das Zellwachstum, die Zellteilung, die Zellregeneration und den Stoffwechsel. Glücklicherweise steigt der HGH-Spiegel im Blut gerade während Fastenperioden deutlich über sein Normalniveau an und verhindert damit die Verstoffwechslung von Aminosäuren (Gluconeogenese)5. Zwar wird zu jedem Zeitpunkt immer ein geringer Teil des Energiebedarfs aus der Gluconeogenese gedeckt – unter Fastenbedingungen jedoch deutlich weniger als mit vollem Magen. Dieser Vorgang leistet somit während der Kalorienrestriktion einen wertvollen Beitrag zum Erhalt von Muskelmasse, während der Körper gezwungen ist, seine Energie verstärkt aus den verfügbaren Fettspeichern zu ziehen. Studien, die mehrtägige Fastenintervalle untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, dass bereits nach 24 Stunden Fasten die HGH-Ausschüttung fünf6– bis zwanzigfach7 höher ist als im Normalzustand.
Testosteron
Zusätzlich besteht eine positive Korrelation zwischen HGH und Testosteron. Das Steroidhormon Testosteron ist vor allem für den Erhalt, den Aufbau und das Wachstum von Muskelgewebe verantwortlich; es steigt nach längeren Fastenintervallen gemeinsam mit dem HGH. Die physiologische Wirkung des Testosterons geht jedoch nur vom sogenannten freien Testosteron aus (etwa zwei Prozent des Gesamttestosterons), das jedoch nach längerem Fasten um bis zu 180 Prozent nachweisbar ist8. Fasten scheint also einen signifikanten positiven Einfluss auf die vor allem unter Kraftsportlern erwünschte Testosteronsteigerung zu haben.
Wachstumsfaktor mTOR
Damit es überhaupt zu einer Protein- bzw. Muskelproteinsynthese kommen kann, müssen unterschiedliche Signalmoleküle aktiviert und ausgeschüttet werden. Zu den bedeutsamsten Signalgebern zum Muskelwachstum zählt mTOR (mechanistic target of rapamycin), das in einer Vielzahl von Geweben vorkommt. Je mehr mTOR in der Muskulatur zur Verfügung steht, desto höher fällt nach einem Trainingsreiz dessen Wachstumspotenzial aus. Allerdings ist dauerhaft erhöhtes mTOR unerwünscht, da es unkontrolliertes Zellwachstum bzw. unkontrollierte Zellteilungen und somit Zellentartungen hervorrufen kann (z. B. Tumorwachstum). Erwünscht ist also eine erhöhte mTOR-Aktivität nur zu bestimmten Zeitpunkten – in unserem Fall nach einem Trainingsreiz.
Interessanterweise wirkt mTOR nur, wenn zuvor Nahrung zugeführt wurde, also in Kombination mit Insulin, sodass eine hohe Insulinausschüttung zu einer hohen mTOR-Aktivität führt9. Während der Fastenperiode wird kein Insulin ausgeschüttet und mit fortschreitender Dauer der Fastenperiode steigt die Insulinsensitivität des Körpers. Ebenso bleibt mTOR im Keller und der Körper baut dementsprechend keine Muskelmasse auf, kann sie jedoch erhalten. Wird nun am Ende der Fastenperiode ein erschöpfendes Training durchgeführt, steigt die Insulinsensitivität nicht nur allein aufgrund des Trainingsreizes, sondern auch zusätzlich aufgrund der vorangegangenen Fastenperiode. Enthält die darauffolgende Mahlzeit genügend Nährstoffe, kommt es zu einer starken kurzfristigen Insulinspitze (Insulinspike), die auch mTOR überdurchschnittlich zu aktivieren vermag.
Mit der ersten Mahlzeit nach der Fastenzeit und damit nach dem Training kommt es kurzfristig zu einer überschießenden Insulinausschüttung, die auch mTOR verhältnismäßig stark aktiviert und es der Muskelzelle ermöglicht, schnell viele Nährstoffe aufzunehmen. Die Fastenperiode vor dem Training scheint die Proteinsyntheserate zu verbessern, wenn nach dem Widerstandstraining ausreichend Kohlenhydrate und Aminosäuren konsumiert werden10.
In Kombination mit den erforderlichen essenziellen Aminosäuren und einer Gabe von Omega-3 kann die ohnehin schon erhöhte Proteinsynthese sogar um weitere 50 Prozent gesteigert werden11. Außerdem bewirkt die Fastenperiode eine bis zu zweifach erhöhte Aktivität des Enzyms p70s6k, das die Aufnahme von Nährstoffen in die Zelle und deren Verwertung optimiert. Somit erfährt die Post-Workout-Mahlzeit einen höheren anabolen Effekt, wenn mit leerem Magen trainiert wurde10.
Höhere Mitochondriendichte
Die Mitochondrien tragen als Kraftwerke der aeroben Energiegewinnung maßgeblich zur Leistungserbringung und auch zur Regeneration bei. Je mehr Mitochondrien in den Muskelzellen vorhanden sind, desto leistungsfähiger wird die betreffende Muskulatur. Da der Körper im Fastenzustand, wie bereits erwähnt, vor allem auf seine Fettspeicher zurückgreifen muss, benötigt er dazu das Enzym AMPK (Adenosinmonophosphat- aktivierte Proteinkinase), das die Zellen vor Energiemangel schützt. Dies geschieht durch Rückgriff auf verfügbare Fettsäuren, während gleichzeitig neue Mitochondrien gebildet werden12. Durch den hohen Bedarf an Fettverbrennung ist auch die AMPK-Aktivität im Fastenzustand deutlich erhöht, womit wiederum jegliche Art körperlichen Trainings zu einem Anstieg der Mitochondriendichte führt. Mittel- bis langfristig steigt damit die ATP-Produktion in den Zellen, was zu höheren Kraftleistungen und somit zu stärkeren anabolen Stimuli führt.
Erwähnenswert ist ferner, dass AMPK antagonistisch zu mTOR wirkt. Während AMPK im Fastenzustand und vor allem während des Trainings13 seine Funktion voll entfalten kann, unterdrückt es die Aktivität von mTOR. Hingegen wird mTOR erst mit der ersten Mahlzeit nach der Fastenzeit hochgefahren, da es nur in Kombination mit zugeführter Nahrung wirkt. Intervallfasten und Krafttraining scheinen demnach die ideale Kombination darzustellen, AMPK und mTOR maximal zu triggern und anabole Effekte zu verstärken. Zwar kann man auch ohne Intervallfasten ein hohes Muskelwachstum auslösen, jedoch ist die sogenannte Lean Mass, also die Magermasse des Körpers, viel besser und schneller durch eine zeitlich begrenzte Nahrungszufuhr zu erreichen.
Fazit
Entgegen allgemeiner Meinungen und Befürchtungen, dass kalorienreduziertes und intervallartiges Fasten zu Leistungseinbußen und Muskelschwund führt, zeigt die oben dargestellte Kaskade komplementär wirkender und anaboler Effekte, welch enormes Potenzial Intervallfasten besitzt, um Muskelmasse und Leistungsfähigkeit aufzubauen sowie die Körperzusammensetzung zu optimieren.
Dennoch ist Intervallfasten nicht für jeden, schon gar nicht für jeden Athleten das Richtige. Es muss letztendlich immer aus gesundheitlicher und sportlicher Perspektive abgewägt werden, ob ein zeitlich begrenztes oder ein durchgehendes Fastenregime sinnvoll und wünschenswert erscheint. Dem können Kontraindikationen wie Schwangerschaft bzw. Stillen, hormonelle Störungen, Diabetes mellitus oder Organerkrankungen jedoch entgegenstehen.
Festzuhalten ist auch, dass Fasten und Hungern weder emotional noch psychisch oder physisch das Gleiche sind. In dem Unterschied könnte auch einer der Gründe liegen, weshalb sich während (unfreiwilliger) Hungerphasen sämtliche Gesundheitsparameter tendenziell verschlechtern, während sie beim Fasten eher eine Verbesserung erfahren14. Nicht zuletzt macht es jedoch auch stark und unabhängig, dem Verführerischen zumindest temporär zu widerstehen.

Philipp Moser ist Personal Trainer, Mentaltrainer und Lehrbeauftragter im Gesundheitsund Trainingsbereich. Er befasst sich intensiv mit funktionellem Kraft- und Bewegungstraining, Sporternährung, Stand-up-Paddling (SUP) sowie dem Basketballsport. Als freier Autor verfasst er SUP-Guides sowie Fachartikel. Seine Publikationen findest du u. a. auf: www.bodymindfit.at
Quellenverzeichnis:
1 Moro, T., Tinsley, G., Bianco, A., Marcolin, G., Pacelli, Q. F., Battaglia, G., Palma, A., Gentil, P., Neri, M. & Paoli, A. (2016). Effects of eight weeks of time-restricted feeding (16/8) on basal metabolism, maximal strength, body composition, inflammation, and cardiovascular risk factors in resistance-trained males. Journal of Translational Medicine, 14(1), 290.
2 Manninen, A. H. (2006). Very-low-carbohydrate diets and preservation of muscle mass. Nutrition & Metabolism, 3, 9.
3 Patel, J. N., Coppack, S. W., Goldstein, D. S., Miles, J. M. & Eisenhofer, G. (2002). Norepinephrine Spillover from Human Adipose Tissue before and after a 72-Hour Fast. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 87(7), 3373–3377
4 Chan, J. L., Mietus, J. E., Raciti, P. M., Goldberger, A. L. & Mantzoros, C. S. (2007). Short-term fasting-induced autonomic activation and changes in catecholamine levels are not mediated by changes in leptin levels in healthy humans. Clinical Endocrinology, 66(1), 49–57.
5 Nørrelund, H., Nair, K. S., Jørgensen, J. O., Christiansen, J. S. & Møller, N. (2001). The protein-retaining effects of growth hormone during fasting involve inhibition of muscle-protein breakdown. Diabetes, 50(1), 96–104.
6 Hartman, M. L., Veldhuis, J. D., Johnson, M. L., Lee, M. M., Alberti, K. G., Samojlik, E. & Thorner, M. O. (1992). Augmented growth hormone (GH) secretory burst frequency and amplitude mediate enhanced GH secretion during a two-day fast in normal men. The Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, 74(4), 757–765.
7 Ho, K. Y., Veldhuis, J. D., Johnson, M. L., Furlanetto, R., Evans, W. S., Alberti, K. G. & Thorner, M. O. (1988). Fasting enhances growth hormone secretion and amplifies the complex rhythms of growth hormone secretion in man. The Journal of Clinical Investigation, 81(4), 968–975. 8 Röjdmark, S., Asplund, A. & Rössner, S. (1989). Pituitary-testicular axis in obese men during short-term fasting. European Journal of Endocrinology, 121(5), 727–732.
9 Yoon, M. S. (2017). The Role of Mammalian Target of Rapamycin (mTOR) in Insulin Signaling. Nutrients, 9(11), 1176.
10 Deldicque, L., De Bock, K., Maris, M. et al. (2009). Increased p70s6k phosphorylation during intake of a protein–carbohydrate drink following resistance exercise in the fasted state. European Journal of Applied Physiology, 108, 791–800.
11 Smith, G. I., Atherton, P., Reeds, D. N., Mohammed, B. S. et al. (2011). Omega-3 polyunsaturated fatty acids augment the muscle protein anabolic response to hyperinsulinaemia-hyperaminoacidaemia in healthy young and middle-aged men and women. Clinical Science, 121(6), 267–278.
12 Marin, T. L., Gongol, B., Zhang, F., Martin, M., Johnson, D. A. et al. (2017). AMPK promotes mitochondrial biogenesis and function by phosphorylating the epigenetic factors DNMT1, RBBP7, and HAT1. Science Signaling, 10(464).
13 Dreyer, H. C., Fujita, S., Cadenas, J. G., Chinkes, D. L., Volpi, E. & Rasmussen, B. B. (2006). Resistance exercise increases AMPK activity and reduces 4E-BP1 phosphorylation and protein synthesis in human skeletal muscle. The Journal of Physiology, 576(2), 613–624.
14 Bircher, R. (2010). Geheimarchiv der Ernährungslehre, Kopp Verlag.