Kraft
Frauen haben im Durchschnitt zwei Drittel der Absolutkraft von Männern. Dies liegt hauptsächlich daran, dass Männer mehr Muskelmasse haben. Vergleicht man die relative Kraft, kommen die Werte der Frauen denen der Männer sehr nahe. Die Unterschiede in der Beinkraft verschwinden komplett, nur beim Oberkörper bleiben sie mehr oder weniger bestehen. Gleicht man allerdings bei Mann und Frau noch die Unterschiede an Muskelmasse an, gibt es gar keine Kraftdiskrepanz mehr.
Frauen haben oft im Vergleich zu ihrem Oberkörper sehr starke Beine. Wer hat noch nicht beobachtet wie eine Frau bei Kniebeugen oder Ausfallschritten rennpferdähnliche Leistungen bringt, aber dann keinen Klimmzug schafft und für Liegestütze noch auf die Knie sinkt? Wie kommt es zu diesem grossen Unterschied? Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass Frauen breitere Hüften haben und in der Regel schmalere Schultern und sie dadurch einen Großteil ihrer Muskeln ab der Hüfte abwärts tragen. Ihre Schultern können weniger Muskelmasse halten als die des Mannes, ausserdem haben Studien gezeigt, dass Männer bei allen Bewegungen, die die Schultern einbeziehen von Natur aus einen mechanischen Vorteil haben.
Anders als bei Männern, bei denen Kraftzuwächse längerfristig aus einer Kombination von Hypertrophie und neuronalen Faktoren kommt, dominiert bei der Frau am Anfang die Hypertrophie, welche später abebbt und dann hauptsächlich neuronale Faktoren für weitere Kraftsteigerungen verantwortlich sind.
Schnellkraft/Power
Bei Übungen wie dem Olympischen Reißen und Umsetzen (Snatch & Clean), verzeichnen Frauen im Durchschnitt auch etwa zwei Drittel der Leistung von Männern. In anderen Tests der Explosivkraft, wie dem Weit- oder Hochsprung, fallen die Werte von Frauen ebenfalls geringer aus.
Es liegt nahe, dass der Grund hierfür, wie bei der Kraft, auch die geringere Muskelmasse ist und dass Unterschiede bei der Anpassung dieser verschwinden. Dies ist bei der Schnellkraft aber nicht der Fall. Woran kann es dann liegen, dass selbst bei Angleichung der Muskelmasse Frauen oft weniger Schnellkraft erzeugen als Männer?
Studien haben gezeigt, dass es bei Frauen und Männern in der Prozentzahl von Typ I & II Muskelfasern keine Unterschiede gibt. Es wird aber vermehrt behauptet, dass die Typ II Fasern, welche bei Kraft- und Schnellkraft-Leistungen dominieren, bei Frauen weniger gut ausgebildet sind als die Typ I Fasern, die für Ausdauer-Leistungen verantwortlich sind. Dies würde die Unterschiede in der Schnellkraft erklären.
Hormonhaushalt
Dass der Hormonhaushalt von Frauen anders aussieht als der von Männern ist selbstverständlich. Sie haben weniger körpereigene Androgene, was es ihnen erschwert Muskelmasse aufzubauen. Männer, die beispielsweise von Natur aus einen höheren Testosteronspiegel haben, können auch mehr Muskelmasse aufbauen. Frauen produzieren aber von einem anderen anabolen Hormon, dem menschlichen Wachstumshormon (HGH), sogar (oft bedeutend) mehr als Männer. HGH spielt für den Muskelaufbau bei Frauen eine entscheidende Rolle und sie können durch Training, dass speziell auf die Erhöhung von HGH zugeschnitten ist (durch beispielsweise höhere Trainingsintensität / laktatproduzierendem Training) noch bessere Ergebnisse erzielen.
Wie sollten Frauen angesichts dessen trainieren?
Mehr Gewicht
Viele Sportlerinnen (und hoffentlich alle Leserinnen dieser Seite) einmal außen vor – die größte ist Hürde immer noch, Frauen dazu zu kriegen schwere Gewichte zu heben. Es besteht bei sehr vielen Frauen immer noch die Angst massig und klotzig auszusehen, wenn sie mit schwerem Gewicht trainieren. Die meisten Frauen wollen nämlich nur “straffen” und “festigen”. Ihrer Meinung nach reichen hierfür oft die kleinen Kurzhanteln aus dem Kursraum. Was sie mit diesen etwas schwammigen Begriffen eigentlich meinen, ist dass sie gerne weniger Fett mit Kurven an den richtigen Stellen hätten aber alles am besten ohne Muskeln aufzubauen. Wer hier einen Widerspruch entdeckt, hat Recht.
Was Frauen oftmals wirklich wollen, aber sich oft dessen nicht bewusst sind, ist mehr Muskeln unter weniger Fett.
Das Letzte, vor dem Frauen Angst haben sollten ist, massig oder klotzig auszusehen. Beachtliche Muskelmasse aufzubauen ist verdammt harte Arbeit – selbst für Männer. Ganze Industrien würden verschwinden wenn es einfach wäre. Zu implizieren, man könne da einfach hineinstolpern, wenn man nicht vorsichtig ist, wäre interessant zu beobachten. Frauen neigen also dazu, zu niedrige Gewichte zu wählen. Aber auch aus dem nobleren Grund, dass Frauen eine vernünftigere Trainingseinstellung mitbringen als viele Männer, denn sie legen immer großen Wert auf die Übungsbeherrschung. Hier könnte sich so mancher egogesteuerte Mann eine Scheibe abschneiden.
Trotzdem ist es bei weiblichen Kunden üblich, dass sie sich nach drei Wiederholungen beschweren das Gewicht sei zu schwer, nur um dann 20 Wiederholungen zu absolvieren. Es ist daher wichtig, dass Frauen sich nicht unter Wert verkaufen, wenn es um die Auswahl der Gewichte geht und zur Sicherheit immer noch ein schwereres Gewicht testen, als was sie sich zutrauen.
Trainingsvolumen (Sätze x Wiederholungen)
Es gibt mehrere Gedankengänge wenn es um die optimale Wiederholungszahl für Frauen geht. Einmal heisst es, Frauen würden wegen ihrer Typ I Faser Dominanz (dem Ausdauertyp) von leicht höheren Wiederholungen profitieren als Männer. Das haben so manche Group Fitness Kurs Schöpfer wohl gleich als Einladung gesehen, gigantische Wiederholungszahlen in ihre Systeme einzubauen. Die Betonung liegt allerdings auf ‘leicht’. Die weniger gut ausgebildeten schnellkräftigen Typ II Fasern haben jedoch das größere Wachstumspotential, wenn man mit niedrigeren Wiederholungen und mehr Gewicht arbeitet. Bei Frauen ist es oft vorerst vorteilhaft sich Beine und Oberkörper einzeln vorzuknüpfen.
Es ist zum Beispiel erstaunlich welch hohes Trainingsvolumen die Beine einer Frau (im Vergleich zu ihrem vergleichsweise schwachen Oberkörper) bewältigen können und wie schnell diese sich auch von Trainingseinheiten erholen. Für eine Frau, die aus ästhetischen Gründen trainiert und volle Effizienz möchte, macht es Sinn diese Beindominanz auszunutzen, indem sie mit vielen mehrgelenkigen Übungen und einem hohen Volumen für die Beine arbeitet. Dieses Volumen sollte aus mehr Sätzen statt drakonisch hohen Wiederholungen kommen.
Beim Oberkörper sollte der Fokus auf der Kraftsteigerung liegen, vor allem bei Athletinnen, deren Sport gute Oberkörperkraft erfordert. Auch damit die Diskrepanz zwischen Beinen und Oberkörper nicht noch größer wird. Hier sind häufige Trainingseinheiten (3-4x/Woche), mehrgelenkige Übungen und etwas niedrigere Wiederholungen (6-10 Wdh) das Beste. Meiner Erfahrung nach springen Frauen am besten auf bis zu zehn Wiederholungen für den Oberkörper und nicht mehr als 12-15 Wiederholungen für die Beine an.
Grundsätzlich bestimmt aber immer das Trainingsziel die Sätze und Wiederholungen und hier gibt es zwischen Frau und Mann keine großen Unterschiede, vor allem je stärker und fortgeschrittener der Trainingsstand der Frau ist. Charles Poliquin meint er würde generell jedoch das Volumen bei Frauen pro Trainingseinheit um die 20-35% niedriger halten als bei Männern wegen ihrer geringeren körpereigenen Androgene.
Pausen
Wer hat folgendes noch nicht beobachtet: Beim Zirkeltraining liegt der Mann noch keuchend auf dem Boden und die Frau steht schon wieder in den Startlöchern. Frauen erholen sich zwischen Sätzen schneller als Männer. Pausen, die für Männer gedacht sind, sind für Frauen oftmals viel zu lang. Dies hat womöglich mit der geringeren Muskelmasse von Frauen zu tun aber anscheinend füllen Frauen auch ihre ATP-Speicher schneller wieder auf als Männer. Ich verschreibe daher für meine weibliche Kunden immer kürzere Pausen.
Verletzungsvorbeuge
Es ist noch zu erwähnen, dass weibliche Athleten, vor allem in Teamsportarten, ein sechsfach höheres Knieverletzungsrisiko (vorderer Kreuzbandriss) mitbringen als Männer. Während es hierfür vielerlei Theorien gibt (u.a. anatomische), muss hier ein gewisser Fokus auf der Vorbeugung solcher Verletzungen liegen. Zusätzliche Übungen, die die Propriozeption, Stabilität und Mobilität im Unterkörper schulen, sollten ihren Weg in den Trainingsplan finden.
Fazit:
Es gibt sehr wohl kleine Unterschiede zwischen einem optimalen Trainingsansatz von Mann und Frau. Jedoch fallen diese kleiner aus als oft behauptet wird und je fortgeschrittener eine Frau ist, umso mehr sollten die Trainingsvariablen beider Geschlechter gleichziehen. Es sind oft nur Klischees und psychologische Faktoren, die viele Frauen dazu führen anders zu trainieren als Männer (Angst vor zu viel Muskeln). Beim Sport bestimmen immer die Anforderungen der jeweiligen Sportart den Trainingsansatz und es gibt keinen Grund für eine Frau groß anders zu trainieren als ein Mann.
Euer Phil Heather