Im zweiten Teil dieses 2teiligen Artikels gehe ich auf die praktische Umsetzung und Übungen zum Präzisionssprung ein. Den ersten Teil findet ihr hier (Link)
Grundlagen
- Absprung & Flug
Wie zuvor erwähnt, können präzise Landungen aus verschiedenen Absprungszenarien erfolgen. Im Rahmen eines funktionellen Athletik Trainings empfehle ich, sich auf das Abspringen aus dem Stand zu konzentrieren – hier kann man variieren zwischen einem beidbeinigen- und einem einbeinigen Absprung. In der Luft, oder wie Traceure (Parkour-Ausübende) gerne sagen: „beim Fliegen“, ist es vorteilhaft, die Beine nach dem Absprung etwas anzuziehen, und nach der Drehung der Lage des Körpers in Richtung Landefläche erst wieder auszustrecken.
- Landung
Wie ebenfalls zuvor erwähnt, hier noch einmal die wichtigen Voraussetzungen der präzisen Landung:
– Die Landung erfolgt nur auf dem Vorderfuß
– Die Ferse berührt nicht den Boden oder sinkt nicht tiefer als der Vorderfuß
– Der „Aufprall“ sollte leise erfolgen, nicht laut und klatschend
– Die Bewegung sollte sich sanft und weich anfühlen.
Sollte eine dieser Voraussetzungen von euch, oder eurem Coache, nicht erfüllt werden können, ist dies als Indikation zu verstehen, dass der gewählte Sprung (z. B. aufgrund von Distanz oder Höhenunterschied) noch ausserhalb der Leistungsfähigkeit liegt und darum im Sinne eines nachhaltigen Trainings die Intensität so weit vermindert werden sollte, bis alle Voraussetzungen erfüllt werden können. Erst, wenn dies der Fall ist und mehrere (10+) Wiederholungen problemlos erbracht werden können, sollte die Intensität minimal gesteigert werden. Hier ist wichtig zu beachten, dass die Steigerung der Distanz bei Sprüngen eine exponentielle Belastungssteigerung herbeiführt. Zur Veranschaulichung könnt ihr einmal versuchen, beidbeinig einen lockeren Hopser nach vorne zu nehmen. Bei einer trainierten Person sind 2 Meter hier unaufgewärmt meist ohne grosse Anstrengung zu überwinden und kontrolliert zu landen. Anschliessend probiert einen Sprung mit maximaler Anstrengung – je nach eurer Körpergrösse und Trainingsstand kann es sein, dass bei 2,5 Metern Schluss ist, und von einer sanften Vorderfusslandung wird das auch weit entfernt sein. Deshalb reichen bei Präzisionssprüngen schon minimale Steigerungen von Distanz und Höhenunterschied, um die Intensität für ein progressives Training zu steigern.
Übungen
1. Präzise Landung auf flachem Boden
Bei der präzisen Landung auf flachem Boden springt ihr, oder euer Coache, auf einen imaginären (oder gekennzeichneten) Punkt auf dem flachen Boden. Hierbei wird die korrekte Landetechnik erlernt und geschult. Im Parkour Training werden hier outdoor gerne Markierungen am Boden (z. B. die Trennlinie auf Parkplätzen) verwendet. Wichtig ist, dass man mit dem Vorderfuss direkt auf der Markierung landet, um diese korrekte Platzierung des Fusses von Beginn an zu konditionieren. Zu dieser Grundübung gibt es über das bisher Erwähnte hinaus nicht mehr viel zu sagen, außer dass sie im Parkour Training üblicherweise viele hundert Male wiederholt wird, über mehrere Trainingseinheiten hinaus, bevor zur nächsten Progression, der Landung an einer Kante, übergegangen wird.
2. Präzise Landung an Kante
Die präzise Landung an einer Kante ist deshalb eine Progression zur Landung auf flachem Boden, weil sie von den Ausübenden als schwieriger empfunden wird. Rein physiologisch ist der Ablauf exakt gleich, jedoch wirkt sich die Möglichkeit, die Kante zu verfehlen oder mit dem Fuss abzuknicken psychologisch auf den Ausübenden aus und erschwert ihm somit Anfangs die Ausführung. An dieser Stelle möchte ich noch einmal wiederholen, dass es im Sinne der Nachhaltigkeit wichtig ist, die Ferse bei der Landung nicht tiefer sinken zu lassen, als auf Höhe des Vorderfusses, denn wenige Centimeter zu tief können hier zu lästigen Verletzungen führen. Beginnt, vom Boden aus auf eine leicht erhöhte Kante zu springen. Wenn euch diese Übung leicht fällt und ihr euch sehr sicher bei der Landung fühlt, erhöht euren Absprungpunkt, so dass ihr zur Landung nach unten springen müsst – quasi eine präzise Variante des Drop Jumps. Bevor ihr euch an das präzise Landen auf einer Stange wagt, empfehle ich euch, präzise Landungen an der Kante mit zusätzlichem Gewicht zu üben (z. B. Gewichtsweste oder Gewichtsmanschetten), sowie das Balancieren auf einer Stange:
3.1 Balance auf einer Stange
Das seitliche Balancieren auf einer Stange wäre eigentlich umfangreich genug für einen eigenen Artikel, aber in Kurzform möchte ich euch die Progressionen, die zum aufrechten Stehen auf einer Stange führen, vorstellen. Die Grundlegende Übung ist das Balancieren auf der Stange in der Hocke und mit Festhalten. Achtet darauf, dass ihr auf dem Vorderfuß steht – nicht auf dem Mittelfuss oder der Ferse (Mittelfuß = weniger Kontrolle, Ferse = hohe Gefahr des Abrutschens von der Stange). Wenn ihr euch in dieser Position einigermassen sicher seid, probiert die Hände von der Stange wegzunehmen und den Oberkörper etwas aufzurichten. Wenn auch diese Balance gut funktioniert, könnt ihr probieren aufzustehen. Hier macht ihr es euch einfacher, wenn ihr die Arme nach vorne- und das Gesäß nach hinten streckt, um auf beiden Seiten etwas Gewicht zum Ausgleichen zu haben (in etwa wie wenn ihr gerade nach vorne auf einem Objekt balanciert, und dabei die Arme zu den Seiten streckt). Dies wäre die optimale Position, in der ihr nach einem Präzisionssprung auf eine Stange enden solltet. Wenn das aufrechte Stehen zu schwer ist, könnt ihr nach der Landung auch in die Hocke gehen, dies erleichtert die Balance.
3.2. Präzise Landung auf Stange
Nun ist es so weit, ihr seid bei der Königsklasse der Präzisionssprünge angekommen. Auch hier ist es wieder wichtig, mit kleinen Distanzen zu beginnen, um euren Körper, oder den Körper eurer Coaches, auf diese neue Belastung vorzubereiten. Ich möchte euch gleich im Voraus warnen: ein sauberer Präzisionssprung auf eine Stange ist nichts, was vom einen Moment auf den anderen funktioniert – viele Wiederholungen, viel Analyse eurer eigenen Bewegungen, oder der eurer Coaches, und viel Disziplin sind gefragt, um diese Übung zu meistern. Ihre Vorteile für das funktionelle Athletik Training liegen jedoch auf der Hand und deshalb rentiert sich meines Erachtens der Aufwand. Unter meinen Coaches sind neben Traceure auch Basketballer, Kampfsportler, Stuntmen, Bodyguards und Models welche mir ihrer Steigerung in Stabilität und Reaktion berichten, wenn ich den Präzisionssprung in ihr Training einführe. Abschließend möchte ich noch ein paar Übungen anführen, die ihr ergänzend zu den eigentlichen Präzisionssprüngen machen könnt, um die Reaktivkraft und intermuskuläre Koordination zu schulen:
4. Zusätzliche Übungen
– Trampolin-Springen: Hier wird eine Serie von Präzisionssprüngen ausgeführt, bei welcher der Bodenkontakt recht kurz gehalten wird – im Coachingalltag hilft es, dem Coache vorzuschlagen, sich vorzustellen, er würde Trampolinspringen. Diese plyometrische Übung schult die Sprung ( = Reaktiv-) Kraft und die intermuskuläre Koordination aller Muskeln, die an der Landebewegung beteiligt sind.
– Frosch-Springen: Hier wird eine Serie von Präzisionssprüngen ausgeführt, welche in einer tiefen Hocke beginnen (Vorderfuss!) und auch wieder dort enden. Durch den veränderten Schwerpunkt, sowie dem nötigen Mehraufwand an Bewegung ist diese Übung für Coaches und Anwender, die zuvor nicht in diese Richtung trainiert haben, sehr anstrengend, darum empfehle ich gerade Coaches diese Übung selbst einige Male zu testen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie ermüdend sie tatsächlich ist, damit keine unrealistischen Vorgaben an die Coaches gemacht werden.
Ich hoffe, euch mit dem Parkour-Präzisionssprung ein weiteres, praktisches Tool für euer Repertoire nähergebracht zu haben.
Hier geht es zu Teil 1 des Artikels!
Euer Andreas Kalteis
Guter Artikel, Prima Anregung und eine neue Challenge für 2015.
Lande korrekt auf einer LH Stange, astreine und sehr nützlich !
Gruß
Kai
Hallo Andreas, sehr hilfreich wär es, auch und vielleicht gerade für die „einfachen“ Sprünge am Anfang, wenn du noch was zu den Grundlagen der Körperhaltung ( Oberkörperposition, Armhaltung/einsatz, Ausgangsposition , Hüfteinsatz etc.) schreiben könntest.
Gruß
Kai