„Manche glauben ja, die Faszien seien eine Erfindung der letzten drei Wochen – so ist es nicht!“
Mit diesen Worten traf Klaus Eder (Physiotherapeut der deutschen Fußballnationalmannschaft) beim Event „Physiotherapie in der Offensive 2013“ in der Allianz-Arena in München vor wenigen Monaten mitten ins Schwarze.
Die Faszie – seit langem keine Unbekannte
Zurzeit gibt es einen enormen Hype rund um das Thema der Faszie. Das ist gut so! Denn so beteiligen sich viele Menschen an dem Interesse und treiben in vielerlei Hinsicht dadurch das „Thema“ produktiv nach vorne. Natürlich ist die Faszie eine sehr viel „ältere Entdeckung“ der Menschen. A.T. Still berichtete bereits vor über einem Jahrhundert über die für ihn schon damals faszinierende Struktur und gilt seither als Gründer der Osteopathie. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Faszie mal mehr, mal weniger publike Aufmerksamkeit geschenkt. „Unbekannt“ ist sie daher absolut -seit langem- nicht. Vielen Vorgängern, vor vielen Jahrzehnten schon, war die faszinierende Zusammenarbeit mit dem faszialen Netzwerk eine tägliche Freude. Deren beharrlicher Arbeit und Forschung sind wir zu großem Dank verpflichtet, da wir heute auf diese großen Fundamente bauen können. Doch ein solch großes und publikes Aufsehen der Faszie, wie es gerade stattfindet, gab es in der Form noch nicht. Nun gilt jedoch vielmehr das „was wird…“, als das „was war…“. Die kommenden Erkenntnisse werden den Menschen und das gesamte Gesundheitssystem sicherlich stark weiterentwickeln und prägen.
Forschung unter „faszialen Gesichtspunkten“ genauer beobachten
Leider bleiben gerade im Bereich der Sport- und Fitnessindustrie viele Dinge ungeklärt bzw. werden nicht tiefgründiger hinterfragt. Das Segment der Trainings- und Sportwissenschaft ist jedoch unglaublich wichtig für die vollkommene Gesundheit eines jeden Menschen. Ein Grund, warum es von enormer Bedeutung ist, dass auch die dazugehörige Forschung unter „faszialen Gesichtspunkten“ genauer beobachtet wird. Viele der in therapeutischer Hinsicht angestoßenen Fragen, bilden wiederum Neue bezogen auf die Bewegung und Gesundheit des Menschen. Die Bedeutung der Bewegung gibt einer der größten Pioniere des letzten Jahrhunderts am besten wieder:
„Bewegung ist Leben. Leben ist ein Prozess. Verbessere die Qualität des Prozesses und du verbesserst die Qualität des Lebens selbst.“ (Moshé Feldenkrais)
Hochinteressant: Die Zusammenarbeit mit den neuromuskulären Qualitäten
Diese Entwicklung ist auch im Therapiewesen zu beobachten, bei der die „Bewegungstherapie“ immer mehr Bedeutung und Anwendung findet. Dabei sind zukünftig nicht nur die faszial-strukturellen Anpassungen an Bewegungs-/ Trainingsreize, sondern auch die Zusammenarbeit mit den neuromuskulären Qualitäten hochinteressant. Wie bekannt ist, spielt die Faszie u.a. eine außerordentlich wichtige Rolle bei:
- der Kraftübertragung
- der Haltung
- den Schmerzen
- der Signalsendung mit ihren zahlreichen Rezeptoren
- dem „Austausch“ mit dem Gefäßsystem
Doch was bedeuten die hier beispielweise ausgewählten Punkte für die „Rolle“ der Faszie in Abhängigkeit von ihrem Zustand? Verfilzt, verklebt, verschoben, entlastet, entspannt …
- Was bedeutet das für sportartspezifische Leistungen?
- Was bedeutet das z.B. für die bisherige Rückenschule?
- Was bedeutet das für die Schmerztherapie?
- Was bedeutet das für unsere Sensomotorik?
- Was bedeutet das für jegliche Arten von Schwellungen?
1. Die Bedeutung für sportartspezifische Leistungen
Je besser die Kraftweiterleitung und Verteilung in der Faszie ist, desto eher können hohe Belastungen ausgehalten und Verletzungen vermieden werden. Es finden vermutlich nahezu 90% aller sportlichen Bewegungen im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus statt, also unter faszialen Aspekten der Bewegung. Unser Leben ist faszial! Trainiert man entsprechend, können Leistungen stark verbessert werden.
2. Die Bedeutung für die Rückenschule
Die Rückenschule hat in häufigen Fällen die Absicht die Rückenmuskulatur und ggf. noch die Bauchmuskulatur als Ausgleich zu trainieren. Fakt ist, dass die meisten Menschen mit Schmerzen im unteren Rücken verdickte Schichten und verfilzte Fasern der Faszie haben. Die Muskeln können trainiert werde, was auch häufig schon eine Besserung nach sich zieht, doch ohne Bezug zur Faszie, bleibt auch der Muskel schwach, quasi eingeschränkt. Erst wenn das allumfassende Netzwerk aus Bindewege wieder gleitfähig ist, können Muskeln ihre volle Leistung erbringen.
3. Die Bedeutung für die Schmerztherapie
Die Faszie ist ein extrem großer Faktor bei der Schmerzentstehung und dem Gefühl des Unwohlseins. In der Faszientherapie weiß man, dass Schmerzen nicht häufig dort entstehen, wo sie auftauchen. Hat man diesen Mechanismus einmal verstanden, wird die Anatomie des Menschen in hohem Maß verständlicher und man kann größere Erfolge erzielen. Wenn die Faszie also das Problem darstellen kann, muss man auch die Faszie therapieren und trainieren.
4. Die Bedeutung für unsere Sensormotorik
Die zahlreichen Rezeptoren in unser Faszie informieren uns ständig über die äußerlichen und innerlichen Prozesse. Dieser Sinn entwickelt sich in uns Menschen noch vor dem Vestibularorgan oder dem Auge und bekommt dadurch einen hohen Stellenwert in unserem Körper. Diesen gilt es zu trainieren, das Körpereigengefühl wieder zu erwecken, um den eigenen Organismus wieder besser wahrzunehmen. Ist dieser Sinn wieder wach gerufen, fällt die bereits die grundlegende Motorik Jedem leichter.
5. Die Bedeutung für Schwellungen
Unser Gefäßsystem ist eng mit dem faszialen Netzwerk befreundet. Viele Aufgaben teilen sie sich und ermöglichen somit erst optimale Prozesse. Wenn es zu Schwellungen im Körper kommt, gibt es grundlegend einen potentiellen Hilfsbedarf des Lymphsystems, welches ein eigenes und umfangreiches System darstellt. Doch natürlich kommt es bei Verklebungen der Faszie zu einem verminderten Austausch im Gewebe, da jedes Lymphgefäß von dem faserigen Netz umgeben ist. Schwellungen können selbstverständlich auch in unterschiedlichen Formen bei „gesunder Faszie“ hervortreten, doch kann andersherum die Faszie den Lymphtransport einschränken. Durch Immobilisation oder motorischen „Nicht-Gebrauch“ kann sich unser Bindegewebe pathologisch verändern, was zu diesen Einschränkungen führen kann. Die Regeneration des Organismus ist dann bis auf kleinste Ebene gestört.
Fazit
Diesen und vielen weiteren Fragen gehen wir täglich nach und erforschen diese Bereiche selbst akribisch. Die Bemühungen dienen dazu, die bedeutungsvollen Aspekte der Bewegungslehre weiterzuentwickeln.
Zu hoffen bleibt, dass sich Mediziner, Therapeuten und Sportwissenschaftler weiterhin zusammenbringen und produktiv an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten und zusätzlich eigene Erfahrungen austauschen. Wir alle haben im Grunde ein gemeinsames Fach, die Gesundheit des Menschen!
Eure Dennis Krämer und Berengar Buschmann
Erleben Sie Dennis Krämer und Berengar Buschmann auf dem Functional Training Summit 2014. Schon auf der Pre-Conference bringen sie Ihnen die Welt der Faszien noch ein Stück weit näher.
Eine sehr interessante Zusammenfassung der vielschichtigen Bedeutung von Faszien. Als Nachtrag: aus erster Hand ist mir bekannt, dass am IAT in Leipzig eine Abschlussarbeit mit dem Thema: wie sich akute Faszienbehandlung (Blackroll und Therapeutisch) auf Schnellkraftleistungen auswirkt (oder so ähnlich). Evtl. können die Ergebnisse weitere Sportpraxis-relevante Aufschlüsse geben.
Sportliche Grüße, Chris
Ich denke die Faszienthematik wird für die Breite zu allgemein gehalten. Allgemein wird überall vom funktionellen Training gesprochen – in der Therapie ist das „Functional Training“ schon immer Bestandteil und das sogar OHNE ViPR, TRX, Equalizer & Co. Als Therapeut schüttelt man den Kopf, wenn man in ein Fitnessstudio geht und dort wird irgendwie gerollt, im TRX gehangen und gesprungen, dass es nur so weh tut…
Ohne jeglichen Hintergrund der Physiologie, der Biomechanik werden Übungen durchgeführt…
Viele aus unserer Therapie haben daheim eine „Roll“ weil die das im Fitnessstudio auch verwenden und beschweren sich über Probleme. Es wird gerollt, was das Zeug hält, egal ob das den Muskelverläufen entspricht, der Pathologie entgegenwirkt oder nicht.
Wir vom Fach müssen das dann ausmerzen, was der Breite zugänglich gemacht wird.
Youtube ist voll mit „Functional Training“ – ich denke um das zu schauen sollte man gewissen Voraussetzungen erfüllen um die Hintergründe zu verstehen.
Am Ende heißt es noch, ich war beim „Functional Training Summit“ und du benötigst keine Physio/Sporttherapeuten mehr…
Carsten Sporttherapeut