Was ist die optimale Vorbereitungsroutine? Welche Übungen soll ich mit meinen Sportlern vor dem Training machen und welche Aktivierungen sind vor dem Spiel sinnvoll? Auf diese Fragen gibt es sicherlich richtungsweisende, aber definitiv keine allgemeingültigen und schon gar nicht richtigen Aussagen. Feststehende Trainingspläne oder Bewegungsprogramme dienen gerade bei jungen Trainern häufig noch als Anker, um sich in dem Feld des Athletiktrainings sicher oder zumindest sicherer bewegen zu können.
Ob das der richtige Ansatz ist, mag jeder für sich selbst entscheiden – es ist aber definitiv nicht der falsche. Zumindest nicht, solange der Trainer im weiteren Entwicklungsverlauf aus den bestehenden Bausteinen sein eigenes Konzept entwickelt. Mit zunehmender Erfahrung lösen sich die meisten Trainer von bestehenden Aktivierungsroutinen und beginnen ihre eigenen Ansätze in das Training zu implementieren. Copy-Paste-Modelle werden durch eigene systematische Herangehensweisen ersetzt und Athleten spüren die Handschrift des Trainers mit zunehmender Betreuungsdauer immer deutlicher. Aus einem festen Bauplan wird ein Puzzle, welches je nach Zusammensetzen der Teil ein ganz unterschiedliches Bild ergeben kann.
Grundregel beim Erstellen einer Voraktivierungsroutine sollte stets die Sinnhaftigkeit der Auswahl, die Reihenfolge und die Schwerpunkte der einzelnen Übungen sein. „Kann ich mein Vorgehen in den wesentlichen Teilen erklären und begründen warum ich gerade diese Übungen in dieser Reihenfolge mache?“ oder „Was genau möchte ich mit den jeweiligen Übungen zum entsprechenden Zeitpunkt erreichen?“ sind Fragen die sich jeder Trainer von Zeit zu Zeit stellen sollte.
Schnell zeigt sich, dass ein wildes Kettlebellschwingen, Seilschlagen oder Schlittenschieben erst dann zu einem stimmigen Training wird wenn die Bewegungsqualität durch entsprechende Voraktivierungsmaßnahmen optimiert und die Zielstellung der Übung klar definiert ist. Die zentralen Punkte einer Voraktivierungsroutine lassen sich schwer allgemeingültig beschreiben, aber gerade der Bereich der Hüftmobilisation und Rumpfaktivierung – „Aktivierung“ nicht „Ermüdung“! – stellen zentrale Teile eines Aufwärmprogramms dar. Sicherlich ist ein Joint-by-Joint-Ansatz ein guter Ratgeber, es lassen sich aber aus den individuelle Bedürfnissen des Athleten so viele weitere Übungen ableiten, dass man als Trainer letztlich gezwungen ist, sich auf die Wesentlichen zu beschränken.
Dabei besteht die Möglichkeit durch einen FMS oder ein ähnliches Verfahren die Bewegungsvoraussetzungen und –defizite des Athleten zu analysieren. Oft reicht es aber auch schon aus, sich die Zielbewegung erst einmal anzuschauen. Das Motto dabei lautet „Die Übung ist der Test“. Funktioniert diese nicht, so zerlegt man die komplexe Bewegung in einzelne Teilbewegungen und analysiert mittels verschiedener isolierter Verfahren die Mobilitäts- und Stabilistätskomponenten sowie die Haltungskontrolle bzw. die zentralen Bewegungsmuster. So lassen sich auf einfache und ökonomische Weise die wesentlichen bewegungsvorbereitenden Übungen ableiten. Für eine schnelle und langfristige Verbesserung der Bewegungsqualität werden diese in Blöcke à 3 bis 5 Übungen unterteilt und dem Athleten als Hausaufgabe oder für eine eigenständige Durchführung mitgegeben. Gerade zu Beginn einer Saisonvorbereitung kann man so die Zeit mit den Sportlern nutzen, um ihnen eigene Handlungsstrategien mit an die Hand zu geben. Mit der Zeit erfahren die Sportler dann meist selbst, welche Übungen ihnen gut tun und werden automatisch ihre Schwerpunkte legen. Sicherlich sollte man als Trainer diese Verschiebung der Trainingsinhalte regelmäßig kontrollieren, sich aber auch bewusst sein, dass mündige Athleten eine gute Selbsteinschätzung haben welche entsprechend gewertschätzt und beachtet werden sollte. Im Zuge der weiteren Betreuung können die Übungen dann sukzessive ergänzt und erweitert werden. Folgende Übungen geben exemplarische Übungsreihen im Zuge einer Weiterentwicklung und Variation verschiedener Basics an.
Systematischer Aufbau am Beispiel der Hüftaktivierung
Die folgenden Übungen zeigen gut, wie sich eine Hüftaktivierung im Zuge einer Trainingseinheit von einer isolierten Hüftstreckung in Rückenlage über einer Außenrotation im Stand zu einer kompletten Lauf- bzw. Gehbewegung im Stand ausbauen lässt. Auch wenn die finale Übung in diesem Fall noch weit von einer athletischen Bewegung entfernt zu sein scheint, so erkennt man bereits von Beginn an (Rückenlage mit einseitiger Knie- und Hüftflexion) eine Hinleitung zuer späteren Zielbewegung, in diesem Fall ein Sprint, mit zunehmender Komplexität und Aktivierung der Rumpfmuskulatur. Wenn man sich dies vor Augen führt, so sind auch die Scherpunkte in den Bewegungsausführungen der einzelnen Bewegungen klar. Ausgehend von einer einseitigen Aktivierung werden sukzessive rumpfstabilisierende Muskelgruppen und rotatorische Komponenten dazugeschaltet um dies letztlich in einer low-threshold Übung enden zu lassen, welche der Zielbewegung von der Grundcharakterisitk schon sehr nahe kommt.
Isolierte Hüftaktivierung in Rückenlage Hüftaktivierung mit rotatorischer Komponente im Stand Hüftaktivierung im Gehen mit Armeinsatz
Fazit
Ein erfahrener Trainer erstellt sein Programm nicht nur im Austausch mit dem Athleten, sondern wählt die Übungen sowie deren Schwerpunkte anhand der finalen Zielbewegung aus. Dabei ist eine potentielle Erklärung der Reihenfolge und Gestaltung des Trainingsplans eine hilfreiche Vorstellung, um seinen Trainingsaufbau zu hinterfragen. Entsprechend dem Motto „Denken hilft“ lassen sich so einzelne Bausteine zu einem stimmigen Gesamtkonzept, welches losgelöst von verschiedenen Trainingsdogmata ist, zusammensetzen.
Euer Dr. Lutz Herdener