Coaching Skills
Warum Trainer auch über psychologisches Know-how verfügen sollten
Die Qualität eines Trainers manifestiert sich nicht nur in seiner Fachkompetenz hinsichtlich der Trainingsplanung und -durchführung, sondern auch in Der Fähigkeit, auf die Individualität seines Klienten einzugehen und diese entsprechend zu berücksichtigen. Dabei spielen die unterschiedlichsten Faktoren eine Rolle, die von dem Trainer weitaus mehr als „nur“ sein sportwissenschaftliches Know-how verlangen. Es geht um Vertrauen, Verständnis, sich in die Situation des Klienten einfühlen zu können – und letztendlich auch darum, Hilfestellung in schwierigen Situationen geben zu können. Die Psychologin und Sportwissenschaftlerin Julia Eyre erklärt in Ausgabe 2/2022 – Strength & Conditioning, warum es so wichtig ist, dass Trainer auch über psychologische Kenntnisse verfügen sollten.
Studien aus den USA, Großbritannien und Australien haben gezeigt, dass im Training mit Athleten psychologische Aspekte eine immer größere Rolle spielen. Trainer sollten ihre Klienten auch emotional unterstützen, denn sie stellen häufig eine wichtige Bezugsperson für sie dar – auch in psychologischer Hinsicht. Die Erkenntnis, dass Sportler nicht nur sportlich, sondern auch psychologisch betreut werden müssen, setzt sich immer mehr durch. Doch die Ausbildung zum Sportpsychologen ist lang und teuer und entsprechende Stellen in Vereinen und Verbänden sind immer noch rar. Obwohl die psychologische Unterstützung ein wichtiger Teilbereich der Arbeit von Coaches und Trainern ist, mangelt es noch immer an entsprechenden Weiterbildungsmöglichkeiten.
Natürlich können Trainer nicht auch Psychologen sein, doch sollten sie durchaus über soziale und psychosoziale Skills verfügen, die es ihnen ermöglichen, das Training ihrer Athleten individuell zu steuern. Denn die Athletiktrainer sind diejenigen, die ganz nah an ihren Klienten dran sind; sie sitzen sozusagen „in der ersten Reihe“ in Bezug auf die sportliche Karriere ihrer Klienten und erleben ihre guten und schlechten Zeiten. Doch die sportliche Karriere hängt nicht nur von der Intensität und der Art des Trainings ab, sondern auch von der seelischen Verfassung des Athleten – seinen Sorgen, Ängsten, Zielen … und all dem, was zum Leben dazugehört. All dies zu berücksichtigen, erfordert die Empathie des Trainers.
Sensibilisieren für intraprsonale Faktoren
Athletiktrainer verfügen über viele Kenntnisse, wenn es um die Bereiche Selbstregulation und Kommunikation, das Gleichgewicht zwischen Regeneration und Training, Stressmanagement, Führungskompetenz, die Zielsetzung des Trainings, den Umgang mit Fehlern und Niederlagen u. v. m. geht – nicht nur bei ihren Athleten und Kollegen, sondern auch bei sich selbst. Meine Arbeit mit Athleten – egal welchen Alters – hat mir gezeigt, dass es immer wichtig und hilfreich ist, den Einfluss des Gehirns und des Nervensystems auf die Gesundheit und die Leistung zu berücksichtigen. Wodurch z. B. können der Schlaf, die Regeneration und die Emotionen positiv oder negativ beeinflusst werden? Für dieses Thema sollte der Sportler sensibilisiert und psychologische Konzepte zur Verbesserung der Leistung sollten in das Training integriert werden.
Den Athleten als Ganzes betrachten
Durch die enge Zusammenarbeit mit den Athleten erleben Trainer ihre Athleten so, wie sie auch wirklich sind: multidimensionale Menschen mit einem Leben vor, neben und nach dem Sport. Jeder Athlet hat seine eigene Persönlichkeit und ist Stressoren ausgesetzt, die die eigene Leistung, Entscheidungen, Gedanken und Emotionen beeinflussen – sowohl positiv als auch negativ.
Deshalb messen wir im Rahmen der Belastungssteuerung auch die interne Belastung wie die Schlafqualität und -quantität, den Anstrengungsgrad, die psychische Befindlichkeit und auch den Zyklus. Die externe Belastung können wir mittlerweile sehr gut nachverfolgen, wie zum Beispiel die Distanzen und die maximale Geschwindigkeit durch GPS-Daten oder auch das Gewicht bei Kniebeugen und die Wiederholungszahl beim Kreuzheben. Jedoch kann man die innere Belastung von außen schwer verstehen, wenn man den Sportler nicht wirklich kennt. Daher ist es besonders für Athletiktrainer wichtig, jeden einzelnen Sportler immer im Kontext seines gesamten Lebens zu sehen – insoweit dies möglich ist –, um ihn so effektiv wie möglich zu coachen und „programmieren“ zu können.
Fragen stellen – und wirklich zuhören
Um ein Feedback zum Training zu erhalten und somit auch wertvolle interne Belastungsdaten zu sammeln, sind Fragen an die Athleten ein effektiver und schneller Weg: Was motiviert unsere Athleten, was sind ihre Ziele, warum betreiben sie ihren Sport überhaupt und was machen sie in ihrer Freizeit? Das alles sind Informationen, die in die Trainingsplanung integriert und berücksichtigt werden sollten. Natürlich sollte man dabei nicht aufdringlich vorgehen und ein Gefühl dafür haben, wo eine gewisse Grenze ist, die nicht überschritten werden sollte. Es reicht natürlich nicht aus, nur zwei oder drei Fragen zu stellen, um das Vertrauen eines Athleten zu gewinnen oder seine Motivation zu steigern – das bewusste, interessierte Zuhören ist der wichtigste Punkt. Wenn wir wirklich zuhören, was uns gesagt wird, können wir nicht nur den anderen verstehen, sondern auch eine innere Verbindung zu ihm aufbauen und sein Vertrauen gewinnen.
Stress und Erwartungshaltung
Es gibt wahrscheinlich keinen besseren Ort als den Kraftraum, um Unbehagen und Versagen zu erleben – und quälende Selbstkritik zu üben. Das Gym ist ein Ort zum Lernen und Wachsen, ein Ort der Herausforderung und Anstrengung. Athletiktrainer können ihren Athleten helfen, mit Misserfolgen, schlechten Reps und der Frustration durch Verletzungen besser umzugehen, indem sie kurzfristig neue Trainingsziele setzen und durch das Erreichen dieser Ziele zu neuem Selbstbewusstsein beitragen.
Vom Netzwerk profitieren
Die Kommunikation ist ein wichtiger Baustein, um Vertrauen zu schaffen – sowohl zwischen den Athleten als auch zwischen dem Athleten und dem Trainer. Athletiktrainer haben oft viele Kontakte im Sport und in der Fitnesswelt – auch zu Ärzten und Physiotherapeuten, an die sie sich im Bedarfsfall wenden können. Damit unsere Athleten von diesem Netzwerk profitieren können, sollten wir diese Kontakte an unsere Athleten weitergeben, falls wir nicht mehr weiterhelfen können.
Fazit
Strength Coaches bzw. Athletiktrainer sind keine Experten für alles – sie sind jedoch Ansprechpartner für viele Athleten nicht nur in sportlicher, sondern auch persönlicher Hinsicht. Daher ist es äußerst wichtig, dass sie eine entsprechende Empathie aufbringen, um sich in ihre Klienten hineinversetzen und ihnen entsprechend der vorliegenden Situation emotionale und psychologische Unterstützung geben zu können. Wer da an seine Grenze stößt, sollte sein professionelles Netzwerk nutzen, um seinem Athleten bei Bedarf diskret und sicher weitere Hilfe zukommen zu lassen.

Julia Eyre ist Sportwissenschaftlerin (M. Sc.) und Psychologin (CSCS) aus Gießen. Aktuell ist sie Athletiktrainerin der U19 und U12 des Jugendförderzentrums der TSG Wieseck sowie Dozentin für Sportmedizin, Trainingswissenschaften und Psychologie an verschiedenen Hochschulen und in Sportverbänden. Seit 2017 arbeitet sie mit ihrem Beratungsunternehmen „White Lion Performance“ nach dem Leitspruch „Healthy athletes over everything“. www.whitelionperformance.com
Quellenverzeichnis:
Haff, G. & Triplett, N. T. (2016). Essentials of strength training and conditioning. Fourth edition. Human Kinetics.
Lopes Dos Santos, M., Uftring, M.,
Stahl, C. A., Lockie, R. G., Alvar, B., Mann, J. B. & Dawes, J. J. (2020). Stress in Academic and Athletic Performance in Collegiate Athletes: A Narrative Review
of Sources and Monitoring Strategies. Frontiers in Sports and Active Living, 2, 42.
Quartiroli, A., Moore, E. W. & Zakrajsek, R. (2020). Strength and Conditioning Coaches’ Perceptions of Sport Psychology Strategies. The Journal of Strength and Conditioning Research, 36(5), 1327–1334.
Comfort, P. & Fawcett, T. (2015). Psychological Strategies Included by Strength and Conditioning Coaches in Applied Strength and Conditioning. Journal of Strength and Conditioning Research, 29(9), 2641–2654.
Radcliffe, J. N., Comfort, P. & Fawcett, T. (2018). The Perceived Psychological Responsibilities of a Strength and Conditioning Coach. Journal of Strength and Conditioning Research, 32(10), 2853–2862.
Tod, D. A., Bond, K. A. & Lavallee, D. (2012). Professional development themes in strength and conditioning coaches. Journal of Strength and Conditioning Research, 26(3), 851–860.