Wie bist auf das myofasziale Taping gekommen?
Markus Erhard: Ich habe früher Kinesiotaping gelernt und als Fortbildung für Therapeuten unterrichtet. Dann bin ich auf die Faszien gestoßen. Ein Meilenstein für mich war das Buch „Anatomy Trains“ von Thomas Myers. Ich habe das Buch 2005 gelesen. Dies hat mein Denken über den Körper grundlegend geändert. Das hat mich dazu veranlasst, dass ich die Tapingtechniken verändert habe, um viel effektiver die Faszien und die Faszienrezeptoren zu beeinflussen. Da habe ich gleich gesehen, wenn man mit genügend Zug auf dem Tape arbeitet und dadurch genügend Gewebe verschiebt (Haut, Faszie, Muskelfaszie), dass sehr schnell ein intensiver und auch einzigartiger Release-Effekt zu stande kommt. Aber nicht nur das: Die ganze Herangehensweise und Diagnostik meiner Taping Methode hat sich durch die Faszien verändert. Die meisten klinischen Tests die man kennt sind Muskel- oder Gelenkstest, jedoch testen sie nicht spezifisch die Faszie. Am Ende sind es nicht nur die Techniken, die neu sind, sondern es ist insgesamt eine neue Behandlungsform und bringt seine eigene Diagnostik und Denkweise mit sich. Es bietet ein ganz neues Spektrum an Möglichkeiten für Therapie, Verletzungsprävention und sogar Leistungssteigerung.
Ich sage immer, dass es prinzipiell eigentlich auch nicht um Taping geht, sondern um eine neue Fazienorientierte Behandlungsmöglichkeit. Das Tape bringt aber neue Möglichkeiten und Vorteile gegenüber manuellem Faszien Release, da das Verschieben der Faszienschichten dauerhaft gewährt bleibt.
Entwickelt sich das Myofascial Taping weiter?
Maskus Erhard: Seit meinem eingenen Sportstudium an der Universtiät Konstanz habe ich die Techniken und Herangehensweisen immer mehr verfeinert. Ich habe an über 30 Universitäten für Sport, Physiotherapie und Osteopathie referiert. Viele Studenten machen nun Bachelor- oder Master-Arbeiten, die ich mit meinem eigenen Forschungsteam (eigene ausgebildete Referenten in Myofascial Taping) betreue. Wir erarbeiten ein Studien-Design und bekommen schwarz auf weiß, welche Anlage und Herangehensweise was und wie stark bewirkt. Neben vielen Projekten sind es nun 11 Master- und 13 Bachelorarbeiten die ich betreut habe.
Die Ergebnisse fließen wiederum in die Schulungen ein und ergeben weitere Forschungsfragen die wir durch weiter Studien versuchen zu klären.
Auch der Austausch bei Expertentreffen ist für mich sehr wichtig und bringt immer wieder neue Impulse. Sei es die Forschungsgruppe von Robert Schleip und der Summer School in Ulm die alle 2 Jahre stattfindet oder Fachkongresse über Faszien, wie der Fasziensummit 2015. Auch die Zusammenarbeit und der persönliche Austausch mit Thomas Myers, James Earls und den Referenten die Anatomy Trains schulen waren eine Bereicherung. 2009 war ich in Carrington, dem Trainingsgelände von Manchester City Football Club und habe die Physiotherapeuten an 2 Tagen ausgebildet.
Da am ersten Termin nicht alle teilnehmen konnten wurde ich ein halbes Jahr später wieder eingeladen. Ebenfalls dabei war James Earls, der Anatomy Trains vor allem in UK und Europa vertritt und die Schulungen leitet. Er hat die Anatomy Trains Schulung für die Therapeuten bei Man City durchgeführt, ich mein Myofascial Taping. Schnell viel uns auf, dass die Ansätze und das Arbeiten mit den Faszien sehr ähnlich sind und als wir gemeinsam die Spieler behandelten merkten wir, dass diese Kombination sehr erfolgreich ist.
Es ist also empfehlenswert, dass Taping regelmäßig anzuwenden?
Maskus Erhard: Das Myofasziale Taping wird bei Manchester City FC seit ich die Schulung 2009 gegeben habe fast täglich angewendet. Dies weiß ich, da seit 2012 auch der Osteopath, der über 7 Jahre für Man City die Spieler therapiert und behandelt hat, Referent in meinem Ausbildungsteam ist.
Dass das Myofascial Taping sehr effektiv zu sein scheint, zeigen die vielen Schulungen für Therapeuten bei vielen anderen erstklassigen Vereinen und Nationalmannschaften im Sport die ich geleitet habe, wie z.B. Aston Villa FC, Stoke City FC, SC Freiburg, 1899 Hoffenheim, 1. FC Köln, Englische Fußball Nationalmannschaft, Englische Rugby Nationalmannschaft, Schottische Rugby Nationalmannschaft, London Wasps Rugby, London Irish Rugby und viele mehr. Fast alle waren zuvor schon auf Fortbildungen wie KinesiologischesTaping oder Kinesiotaping. Keiner von den Teilnehmern hätte je gedacht, dass der Unterschied vom Myofascial Taping zum kinesiologischen Taping so groß ist. Das einzige was ähnlich ist, ist dass es auch buntes Tape ist, das ich verwende. Aber selbst das Tape hat andere Eigenschaften.
Ein Zitat von der Schulung beim 1. FC Köln war z.B.: „Vor dem Kurs waren meine Kollegen und ich skeptisch. Aber nach dem In-House Kurs waren wir von dem Myofascial Taping begeistert! Sehr schneller und dauerhafter Erfolg haben uns überzeugt.“ (Chef Physio Therapeut 1. FC Köln Lizenzabteilung)
Wie lassen sich die Taping anlagen durch Studien messen?
Markus Erhard: Ein großes „Glück“ ist, dass man zu Beginn von der Behandlung mit standardisierten Anlagen, quasi nach „Rezept“ arbeitet. Schon die Standard-Anlagen bringen oft extrem viel, weil sie genau dort wirken wo die Faszie zu einem Großteil strukturell als auch von der Verteilung der Rezeptoren auch „standardisiert“ aufgebaut ist.
Danach wird es aber sehr individuell und kann sehr komplex werden. Wir kommen, wenn wir gesund sind, mit einem normalen myofaszialen System auf die Welt. Dann kommt es darauf an was unser System alles zu leisten hat oder wie oft und wie stark es verletzt wird. Und natürlich die Gewohnheiten, z. B. viel vor dem PC sitzen. Um eine myofasziale Balance wieder herzustellen fängt man zwar mit Standard-Anlagen an, weil die Rezeptoren in bestimmten Bereichen in der Faszie eingebettet sind und die Faserrichtung vorgegeben ist, muss dann aber dementsprechend individuell auf den Patienten oder Sportler eingehen, da jeder seine eigene individuelle Faszienhistorie besitzt.
Wie genau funktioniert das Myofascial Taping?
Markus Erhard: Es ist so auf die Faszie gemünzt, dass man die mechanischen Eigenschaften ausreichend bearbeitet, damit die Faszienrezeptoren einen ausreichenden Reiz erfahren und dort die entsprechenden Effekte entstehen. Schmerzen, effiziente (normale) Bewegung und auch Körperhaltung ist abhängig von der myofaszialen Spannung. Ist diese Spannung zu hoch, kann es schnell zu Kompensationen, Bewegungseinschränkungen, Dysfunktionen und vor allem Schmerzen kommen. Ist die Spannung wieder normalisiert, wird alles wieder verbessert. Der Muskel kann wieder normal arbeiten, die Bewegung ist nicht mehr eingeschränkt, die Haltung und die Bewegungsqualität verbessern sich und die Schmerzen werden gelindert, bzw. beseitigt.
Was es braucht um dies zu erreichen ist eine normale myofasziale Spannung, die durch die von mir entwickelte myofasziale Release Technik (MRT) erzielt wird: gezieltes Verschieben der Faszie und der Reizung von Faszienrezeptoren.
Die Faszie ist das größte Sinnesorgan des Menschen, mit den meisten Rezeptoren. Aber wie funktioniert es genau, dass das Tape, das auf der Haut angebracht wird, die Strukturen, die unter der Haut liegen beeinflusst?
Markus Erhard: Die Faszie ist ein Kontrollorgan von Bewegung und Spannungsänderung, da die zuständigen Rezeptoren in der Faszie eingebettet sind. Die Faszie nimmt jede auch noch so kleine Bewegung und Bewegungsänderung war, da sich bei Bewegung die Spannung im myofaszialen System durch Verformung des Gewebes entsprechend ändert. Da die Muskeln, Sehnen, Bänder, Nerven usw. durch die Faszie verbunden sind, wird die Spannungsänderung und Bewegung in tieferen Schichten als auch weiter entfernten Bereiche ankommen. Da durch die Faszie „alles“ miteinander verbunden ist, funktioniert das Myofascial Taping überhaupt.
Der erste Kontakt mit dem Tape ist die Haut. Diese ist verbunden mit der oberflächlichen Faszie, welche wiederum mit der darunter liegenden Tiefen Faszie verbunden ist, diese ist wiederum mit den darunter liegenden Myofaszien verbunden, zudem sind die Myofaszien untereinander auch verbunden, dieses „Spiel“ geht bis die Verbindung von der Tiefe her irgendwann bis runter zum Periost geht. Das heißt, wenn ich oberflächlich ausreichend verschiebe, wird in der Tiefe immer noch genügend verschoben, um die gewünschten Effekte zu erhalten. Die wichtigsten Effekte, auf Rezeptoren bezogen, kommen über die Golgi Apparate und die insterstitiellen Rezeptoren. Sie reagieren vor allem auf Zug (Spannung) und Druckveränderung und letztlich über die Verformung der Rezeptoren. Die Effekte, vor allem der Myofasziale Release Effekt kommt nur, wenn das Verschieben der Faszie mit Myofaszialem Tape stark genug ist. Diese veränderte Spannung wird von den Rezeptoren mit einer hohen Geschwindigkeit weiter geleitet, das heißt, der Effekt ist in einem Bruchteil einer Sekunde da und spürbar.
Verschieben durch nur 10 Prozent Zug auf dem Tape – oder direkt vom Papier auf die Haut, wie es beim kinesiologischen Taping oder Kinesiotaping in Faserrichtung gemacht wird, reichen nicht aus um den Effekt zu erzielen, den man beim Myofaszialen Taping erreicht.
Wie groß muss der Zug sein, mit dem das Tape angelegt wird?
Markus Erhard: Es muss ein Schwelle überschritten werden, da muss ich dementsprechend viel Zug auf das Tape bringen. Zudem muss der Zug in die richtige Richtung erfolgen, damit ich mich nicht von der Bewegung einschränke, sondern diese erweitere. Es gibt zwar ein paar Ausnahmen, aber meist geht das in die Dehnrichtung. Das bedeutet, ich schiebe die Faszie dahin wo ich sie eh haben will um die Dehnung zu erweitern, und durch die Beeinflussung der Rezeptoren erreiche ich eine Senkung der Muskelspannung und habe die Bewegung faszilitiert, also vereinfacht.
Und noch ein Unterschied: Die Abhebung der Haut in Wellenform (Convolutions) und den daraus erfolgten Effekten, die beim kinesiologischen Taping propagiert und erzielt werden, sind mir fast egal.
Euer Markus Erhard
Am 7./8. Februar 2015 könnt ihr Markus Erhard Live beim Faszeinsummit 2015 erleben. Hier findet ihr weitere Informationen zum Event.