Im Sport entscheiden oft Millisekunden und Zentimeter über Erfolg oder Niederlage und im Profisport gleichzeitig auch über Millionenbeträge. Aber was für eine Rolle spielt hier die Plyometrie?
Gute Plyometrie kann über einen umkämpften Rebound im Basketball entscheiden, einen Block im Volleyball oder die wenigen Zentimeter, die der Torwart beim Fußball weiter zur Seite springen kann, um den Ball noch vom Tor abzulenken. Ausgezeichnete Plyometrie eines Wide Receivers im American Football ermöglicht diesem seine Gegner mit schnellen Richtungswechseln auszuweichen und vielleicht den ‘winning touchdown’ zu machen.
Ausgezeichnete Plyometrie ist aus einer Vielzahl von Sportarten nicht wegzudenken. Es ist eine unheimlich wichtige athletische Fähigkeit, die einem Sportler den nötigen Feinschliff geben kann und auf einem hohen Level die Spreu endgültig vom Weizen trennt.
Wie wir später sehen werden ist gute Plyometrie aber auch eine Fähigkeit, der vieles vorausgehen muss und deren Intensität nicht unterschätzt werden darf, wenn wir sie effektiv einsetzen und das Verletzungsrisiko minimieren wollen.
Was ist Plyometrie genau?
Beim Plyometrietraining geht es darum eine maximale Kraftübertragung in kürzester Zeit zu erzielen. Dies geschieht durch den StretchShortening Cycle (SSC), bei dem die involvierten Muskeln, aber vor allem auch Sehnen mit ihren elastischen Eigenschaften, die entscheidende Rolle spielen.
Menschen mit längeren Achillessehnen zum Beispiel, haben von Natur aus einen Vorteil beim Sprinten oder Springen. Das Bein der Plyometriemaschine, dem Känguruh, besteht fast nur aus Achillessehne. Es erreicht hierdurch Geschwindigkeiten von bis zu 70 km/h, kann acht Meter
weit und 1,80m hoch springen. Auf die elastische Komponente kommt es also an.
Weltklassesprinter werden vorwiegend schon mit den richtigen Voraussetzungen geboren und nicht allein durch hartes zielgerichtetes Training geformt. Beim Nachwuchs wird schon im jungen Alter die Länge der Achillessehne gemessen, um zu sehen, ob sie überhaupt das Potential zum nächsten Usain Bolt haben. Stephen King ist der Meinung, dass ein miserabler Schriftsteller nie ein guter werden kann und ein guter Autor nie ein großartiger. Ist es bei der Schnelligkeit und Plyometrie ähnlich? Vielleicht, aber über die Rolle von Genetik lässt sich wie immer streiten.
Wie dem auch sei, Ziel des Plyometrietrainings ist es, die Schnellkraft von aufeinanderfolgenden Bewegungen zu erhöhen. Plyometrie gehört zur Explosivkraft ist aber
nicht mit ihr gleichzusetzen. Eine Plyometrieübung ist immer eine explosive Übung aber nicht andersherum. Der Sprung auf eine Box ist eine explosive Übung, aber noch keine wahre Plyometrieübung. Sie wird erst dann richtig plyometrisch, wenn wir von der Box runter hüpfen und beim Bodenkontakt sofort wieder abspringen. Diesen Bodenkontakt so kurz wie möglich zu halten ist der Sinn und Zweck des Plyometrietrainings.
Der Plyometriezyklus besteht aus drei Phasen:
- der exzentrischen Phase
- der Amortizationsphase
- der konzentrischen Phase
Ausschlaggebend beim Plyometrietraining ist die Amortizationsphase, die zwischen der exzentrischen und der konzentrischen Phase einer Kontraktion liegt. Bei einem Hochsprung aus dem Stand beispielsweise, senken wir den Körper vorerst (exzentrische Phase), laden hiermit die Muskulatur und Sehnen und explodieren dann nach oben (konzentrische Phase) in den Sprung. Die Amortizationsphase ist die Phase nach Ende des Absenkens und vor dem Weg
nach oben.
Das endgültige Ziel des Plyometrietrainings ist es, die Amortizationsphase so kurz wie möglich zu halten . Je länger diese andauert, umso mehr Energie verlieren wir durch andere Faktoren (wie Hitze) und umso langsamer bewegen wir uns auf dem Spielfeld und vom eigentlichen Trainingszweck weg. Ein Sprung aus dem Stand wäre somit eine Schnellkraftübung, aber noch keine wirklich effektive Plyometrieübung, da die Amortizationsphase zu lange ist. Ein Sprung mit Anlauf hingegen verkürzt diese Phase und der Sprung wird explosiver. Leider müssen wir uns trotzdem von solchen submaximalen Übungen, die vielleicht noch nicht alle Bedingungen der Plyometrie erfüllen, zu den maximalen herantasten . Denn nur eine breite Basis, garantiert eine effektive und sichere Progression.
Voraussetzungen für das Plyometrietraining
Die empfohlenen Voraussetzungen halten viele Überraschungen bereit und bringen den ein oder anderen “Box Jumper” vielleicht in Verlegenheit. Plyometrie wird im Leistungssport als eine sehr fortgeschrittene Disziplin gehandelt (manche Trainer meiden es umstrittener Weise komplett). Ein ganz anderes Bild zeigt sich in vielen Fitnessstudios, wo plyometrische Übungen wie Box Jumps mal schnell unter das Potpourri an Übungen im Zirkeltraining gemischt werden. Hier ist allerdings Vorsicht geboten.
Die National Strength & Conditioning Association (NSCA) aus USA empfiehlt eine Basis an Kraft, Schnelligkeit und Balance, die sich gewaschen hat, bevor man mit Plyometrietraining von solch hoher Intensität beginnt. Es wird folgendes als Standard gefordert:
Voraussetzung an Kraft & Schnelligkeit für das Plyometrietraining der Beine:
- eine Maximal Kniebeuge (1RM) sollte mit 1.5 x dem eigenen Körpergewicht durchgeführt werden können.
- Man sollte in der Kniebeuge (Back Squat) in 5 sekunden mit 60% Körpergewicht 5 Wdh. absolvieren können.
Voraussetzung an Kraft & Schnelligkeit für das Plyometrietraining des Oberkörpers:
- ein 1RM im Bankdrücken von mindestens dem eigenen Körpergewicht bei Athleten über 100kg und 1.5x dem eigenen Körpergewicht (!) bei Athleten unter 100kg.
- mit 60% Körpergewicht beim Bankdrücken mindestens 5 Wiederholungen in 5 Sekunden absolvieren.
Voraussetzung an Gleichgewicht/Balance:
Für Anfängerübungen: 30 Sekunden am Stück auf einem Bein stehen.
Für fortgeschrittene Übungen: 30 Sekunden am Stück eine einbeinige Halbkniebeuge halten.
Diese Angaben unterstreichen sehr gut, dass maximales Plyometrietraining nichts für Anfänger ist, denn keine der genannten Anforderungen sind von Anfängern, geschweige denn von vielen vermeintlichen Fortgeschrittenen, zu meistern. Wichtig ist für Athleten neben den Kraftanforderungen auch ein gutes Progressionsmodell, dass den Weg von submaximalen Plyometrieeinheiten zu maximalen ebnet.
Hier ein simples Beinplyometrie Progressionsmodell von leicht (1) bis schwer (9):
1. Laufen, Hopsen, Kniehebeläufe, kurze Sprints
2. Sprünge auf der Stelle mit beiden Beinen (z.B. Seil Springen)
3. Sprünge auf der Stelle mit einem Bein
4. Sprünge nach vorne, zur Seite, Diagonal mit beiden Beinen
5. Sprünge nach vorne, zur Seite, Diagonal über niedrige Hindernisse mit beiden Beinen
6. Sprünge nach vorne, zur Seite, Diagonal mit einem Bein
7. Sprünge nach vorne, zur Seite oder diagonal auf niedrige Hindernisse (z.B. Kasten) mit einem Bein
8. Depth Jumps Sprünge von einer Box (bis zu 40 cm hoch) auf den Boden mit sofortigem Sprung auf die nächste
9. Depth Jumps Sprünge von einer Box (bis 80 cm hoch) auf den Boden mit sofortigem Sprung auf die nächste.
Einige Regeln des Plyometrietrainings:
- Wegen der hohen Intensität sollte Plyometrietraining immer an separaten Trainingstagen zu Krafttrainingseinheiten der gleichen Muskelgruppe durchgeführt werden (nur die sehr fortgeschrittene Disziplin Complex Training kombiniert die beiden).
- Es können aber Beinplyometrieübungen mit dem Krafttraining des Oberkörpers gepaart werden und anders herum.
- Plyometrie sollte nach dem Aufwärmen immer der erste Trainingsfokus sein.
- Das Trainingsvolumen wird an Fußkontakten gemessen (beim Oberkörper an Würfen/Handkontakten). Wie in einem vernünftigem Krafttrainingplan auch, sollten Anfänger mit niedrigem Volumen beginnen und sich langsam steigern.
- Sinn und Zweck des Plyometrietrainings ist nicht die körperliche Ermüdung. Einheiten sollten so frisch abgeschlossen werden, wie sie begonnen haben.
- Sehr schwere Athleten (über 100kg) sollten Übungen wie Depth Jumps nur mit geringem Volumen und nur von einer Höhe bis 45cm durchführen.
- Jugendliche sollten Plyometrieübungen hoher Intensität wie Depth Jumps ebenfalls vermeiden da ihr Knochenwachstum noch nicht abgeschlossen ist.
Euer Phil Heather