Erfahre hier mehr über das Trainingsprogramm von Steve Maxwell
Dies wird das ungewöhnlichste Training sein, das du jemals absolviert hast. Ich muss dein Fundament von Grund auf neu errichten. Übungen mit schweren Gewichten machen nur dann Sinn, wenn deine Bewegungsmuster passen. Schlechte Bewegungen, noch dazu unter Last, machen alles nur schlimmer. Kehren wir also zu unseren Wurzeln zurück – zu unserer ursprünglichen Kraft. Stretching oder Yoga verbessert die Bewegungsfähigkeit nicht unbedingt.
Leider schadet modernes Hatha-Yoga oft mehr als es nützt. Es hat sich zu einer Art Akrobatik entwickelt. Viele Übende sind gelenkig, aber schwach. Ich habe nichts gegen Hatha-Yoga an sich, sondern nur etwas gegen seine moderne Interpretation.
Das vestibuläre System
Das vestibuläre System, das bei den meisten Säugetieren für die Balance und räumliche Orientierung sorgt, ist das sensorische System, das den größten Beitrag zur Bewegung und zum Erhalt des Gleichgewichts leistet. Gemeinsam mit der Hörschnecke (Cochlea) bildet es das sogenannte „Labyrinth“ im Innenohr.
Da Bewegungen aus Rotationen und Translationen bestehen, setzt sich das vestibuläre System aus zwei Komponenten zusammen: den Bogengängen, die Rotationsbewegungen feststellen und regulieren; und den Statolithen, die die Wahrnehmung linearer Beschleunigung ermöglichen. Das vestibuläre System sendet Signale an die Nervenstrukturen, welche die Augenbewegungen steuern, und an die Muskeln, die dafür sorgen, dass das Lebewesen aufrecht stehen bleibt und nicht umkippt.
Weil die meisten Menschen heutzutage ihren Alltag überwiegend im Sitzen verbringen, verlieren sie ihre Fähigkeit wahrzunehmen, wo sie sich im Raum befinden und wie sie sich bewegen. Selbst ambitionierte Sportler verbringen tagtäglich mehr Zeit im Sitzen als in Bewegung.
Alle Bewegungsmuster, die nicht regelmäßig genutzt werden, verwirft das Gehirn gleich wieder. Dies führt mit der Zeit zu einem Teufelskreis: Man kann sich nicht so gut bewegen, weil man sich nicht so gut bewegt. Wenn du deine Fähigkeiten nicht ständig pflegst, verlierst du sie. Wenn du eine Stunde lang trainierst, heißt das letztendlich, dass du die übrigen 23 Stunden am Tag entweder sitzt, liegst oder untätig herumstehst. Dein Körper passt sich an das an, was er überwiegend tut. Selbst wenn du viel auf den Beinen bist, heißt das nicht zwangsläufig, dass du dich deshalb gut bewegst.
Du kannst allerdings mithilfe frühkindlicher Bewegungsmuster ein Reset vornehmen und diesen Prozess umkehren.
Indem du ursprüngliche Bewegungsmuster neu erlernst (ursprüngliche Kraft), kannst du geschmeidig, wendig, stärker und athletisch werden. Die grundlegenden Bewegungsmuster (Rollen und Robben) regen das Gehirn hin, es bilden sich neue Nervenbahnen und der Körper erlangt seine alte Fähigkeit zurück, sich frei zu bewegen. Klingt beinahe zu einfach, um wahr zu sein.
Ich stelle fest, dass diese Muster zur Reduktion von Schmerzen, chronisch hoher Muskelspannung und Immobilität wichtiger und effektiver sind als die Gelenkmobilität. Diese Bewegungen machen dich außerdem klüger: du verbesserst dein Erinnerungs-, Lese- und Konzentrationsvermögen.
Weil du so lange sitzt, hast du viele grundlegende Bewegungsmuster verlernt – statisches Yoga ist in diesem Zusammenhang keine große Hilfe.
Die Bewegungsmuster, die du hast, sind unzureichend. Wenn du versuchst, schlechte Bewegungsmuster mit schweren Gewichten zu kombinieren (Kettlebells), verschärft sich die Situation. Du musst zu den Wurzeln zurückkehren und gute Bewegungen in dein System programmieren, bevor du dich längeren Kraft- und Konditionseinheiten unterziehst. Beruhen deine Kraftübungen auf schlechten Bewegungsmustern, ist das so, als würdest du dein Haus auf Sand bauen.
Damit du dich wieder ungehindert und schmerzfrei bewegen kannst, schlage ich vor, zu den allerersten Kraftübungen zurückzukehren, die du als Baby und Kleinkind ganz von selbst gemacht hast.
Reset-Training
Ich experimentiere nun schon seit einiger Zeit und teste ein Programm, um einen vestibulären Reset zu erzielen. Im Grunde orientiert man sich dabei an den Bewegungsmustern von Babys. Das klingt einfach und vielleicht sogar ein wenig albern, aber ich verspreche dir, du wirst deine Schmerzen los und tust mehr für deine Haltung als mit herkömmlichen Übungen zur Verbesserung der Gelenkmobilität. Obwohl es ja auch eine Form von Gelenkmobilität ist. Ich nenne es das „Baby-Training“.
Bewegungen stimulieren das Zentralnervensystem. Sie stellen eine Verbindung zwischen Gehirn und Muskeln her. Sie bilden die Grundlage für alle sportspezifischen Bewegungsmuster. Diese Bewegungen werden von manchen Leuten als Original Strength bezeichnet, als „ursprüngliche Kraft“. Sie tragen zur Entwicklung einer Kraft bei, die man mit Calisthenics oder Hanteltraining nicht aufbauen kann. Sie fördern zudem die Auffassungsgabe. Das menschliche Gehirn lernt durch Bewegungen. Die Fähigkeit zu lesen, sich an Dinge zu erinnern und Probleme zu lösen verbessert sich, weil das Gehirn durch diese Übungen gezwungen wird, sich anzustrengen und mehr zu leisten.
Ich leide seit Jahren an chronischen Verspannungen und Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule. Mobilitäts- und Atemübungen haben nie langfristig geholfen. Nach einigen Wochen Baby-Training war mein Rücken so frei und entspannt wie schon lange nicht mehr. Die Übungen sind so einfach oder kompliziert wie du sie gestaltest. Sie können leicht oder so schwer sein, dass selbst Leistungssportler an ihre Grenzen stoßen können.
Ich habe diese Übungen schon überall auf der Welt gemacht: in Hotelzimmern, auf Hotelfluren, auf dem Fußballfeld und am Strand.
Probiere dieses Programm aus. Ich absolviere es jeden Tag in der einen oder anderen Form. Ich lasse auch einmal mein iPad liegen und mache das Beckenschieben, Marschieren am Platz und Krabbeln als Reset, um das Sitzen auf einem Stuhl auszugleichen.
- ROLLEN von einer Seite zur anderen (von Rücken- in Bauchlage und wieder in Rückenlage). Wiederhole jedes Rollen auf beiden Seiten jeweils 8 Mal (insgesamt 16 Wiederholungen).
- Rollen mit Arm, Bein und Kopf
- Rollen nur mit Arm und Kopf
- Rollen nur mit dem Bein
- Rollen nur mit dem Kopf (ohne Zuhilfenahme der Arme oder Beine)
Fortgeschrittene Varianten:
- Rolle dich über den Boden, ohne diesen mit den Armen, Beinen oder den Kopf zu berühren!
- „Schweres Rollen“ (Hard Roll) – rolle dich ohne Zuhilfenahme der Hände und Füße aus der Rückenlage nach links bzw. rechts, während Ellbogen und gegenüberliegendes Knie in ständigem Kontakt sind. Eine sehr anspruchsvolle Übung!
- Rolle dich über den Boden; nehme in der Ausgangsposition eine Bauchlage ein und halte die Fußgelenke mit den Händen fest.
- ROBBEN (Commando Crawl) – Krieche insgesamt 3 Minuten lang dicht am Boden und bewege dich vorwärts und rückwärts.
- Robbe mit gegengleichen Arm- und Beinbewegungen vorwärts; setze dabei deine Unterarme und Oberschenkel ein. Halte die Hüften unten und Kopf und Brust oben.
- Robbe mit gegengleichen Arm- und Beinbewegungen rückwärts; setze dabei deine Unterarme und Oberschenkel ein. Halte die Hüften unten und Kopf und Brust oben.
- BECKENSCHIEBEN (Rocking) – 16 Wiederholungen von jeder Variante.
- Gehe in den Vierfüßlerstand und stütze dich mit den Händen und Knien ab. Schiebe das Becken erst zurück und dann ganz vor (Kopf oben, Gesäß zu den Fersen und nach vorne, bis die Hüften den Boden berühren).
- Gehe in den Vierfüßlerstand und stütze dich mit den Ellbogen und Knien ab. Schiebe das Becken erst zurück und dann ganz vor (Hüften zu den Fersen und Hüften zum Boden).
- Gehe in den Vierfüßlerstand und stütze dich mit den Händen und Füßen ab (Zehen aufgestellt). Schiebe das Becken erst zurück und dann ganz vor, ohne die Knie zu benutzen (Kopf oben, Gesäß zu den Fersen und Hüften zum Boden, ohne die Hände zu bewegen).
- KRABBELN auf den Händen und Knien – eine Minute in jede Richtung
- Krabble vorwärts und achte auf eine koordinierte, gegengleiche Bewegung von Hand und Knie.
- Krabble rückwärts und achte auf eine koordinierte, gegengleiche Bewegung von Hand und Knie.
- Krabble nach links und rechts.
- Krabble in einem engen Quadrat. Viermal vorwärts, viermal rückwärts, viermal links … und jetzt umgekehrt. Mal etwas zum Nachdenken …
- SCHWIERIGERES KRABBELN:
- LEOPARD CRAWL – beinahe identisch zum KRABBELN (Punkt 4), nur dass die Knie den Boden nicht berühren und die Hüften und Schultern auf einer Höhe sind. Der Kopf bleibt oben, das Brustbein ist nach vorne geschoben. Mache zuerst kleine Schritte … so arbeitet jeder Muskel im Körper. Setze diese Übung eine Minute lang fort … und schließe eine weitere Minute im Rückwärtsgang an. Achte auf eine gegengleiche, simultane Bewegung der Arme und Beine.
- SEITWÄRTS KRABBELN (schwer koordinierbar) – Knie zusammen, Hände auseinander; dann wechseln, also: Knie auseinander, Hände zusammen. Gegengleiche Hand- und Kniebewegungen. Viele finden dieses Muster sehr anspruchsvoll. Aber darum geht es beim Reset schließlich. Es regt das Gehirn an. Peile wieder eine Minute pro Seite an …
- SPIDERMAN CRAWL – die ultimative Herausforderung. Diese Version unterscheidet sich insofern vom Bear Crawl, als die Hüften tiefer als die Schultern sind und Kopf und Brust aufrecht bleiben. Beim leichteren Bear Crawl sind die Hüften auf derselben Höhe wie die Schultern oder höher. Ich halte mittlerweile nicht mehr so viel vom Bear Crawl, weil man sich bei dieser Übung leicht schlechte Dinge angewöhnt. Der Spiderman Crawl ist sehr anspruchsvoll und wird deine Fitness enorm verbessern. Fange mit einer Minute an und steigere dich allmählich. Dein Ziel sollte es sein, 5 Minuten am Stück zu schaffen. Steigere dich täglich um einige Sekunden.
- MARSCHIEREN
- Das ist ein toller vestibulärer Reset. Erstaunlicherweise fällt diese Übung unter die Rubrik Cardio. Achte darauf, deinen Körper aufrecht zu halten und die Arme und Beine gegengleich zu bewegen. Die hintere Hand bewegt sich so weit zurück, als würdest du in die Gesäßtasche greifen wollen. Der Oberschenkel sollte in der oberen Endposition auf Taillenhöhe sein. Der Fußballen setzt zuerst auf, dann die Ferse. Das ist eine hervorragende Übung für das Barfußlaufen. Wiederhole diesen Bewegungsablauf mindestens 100 Mal und verwende so viele Sätze wie nötig …
- Knie zum Ellbogen im Stehen – verschränke die Hände hinter dem Kopf und versuche, Ellbogen und Knie der Gegenseite vor dem Körper zusammenzubringen. Wenn du das nicht schaffst, ist das nicht weiter problematisch. Versuche nur, sie einander möglichst anzunähern.
Beende dein Workout mit 30 Minuten Walking Breathing Ladders mit Einatmen durch die Nase.
Walking Breathing Ladder
Eine Breathing Ladder (Atemleiter) ist eine Übung zur Verbesserung der Lungenkapazität. Sie vermittelt eine effiziente Atmung und Entspannung. Breathing Ladders helfen dabei, im Körper übermäßige Muskelanspannung und Stress abzubauen. Sie bringen dir auch bei, aufsteigende Panik zu kontrollieren, wenn du unter Sauerstoffmangel leidest. Betrachte die Breathing Ladder nicht als normales Workout. Du versuchst nicht, etwas damit zu erschaffen. Du löst dich von Anspannungen und der Vorstellung, irgendetwas tun zu müssen. Sie zählen zu den besten Dingen, die du für deine Gesundheit tun kannst. Sie sind sehr erholsam und versorgen deinen ganzen Körper mit Sauerstoff.
Das Einatmen erfolgt ausschließlich durch die Nase, das Ausatmen durch den Mund. Halte den Mund geschlossen und die Lippen zusammengepresst. Die Luft strömt heraus, aber nicht herein. Presse die Zunge während der Übung gegen den Gaumen. Es empfiehlt sich, grundsätzlich so zu trainieren. Manche Leute atmen gerne nur durch die Nase ein und aus. Auch das ist in Ordnung.
Passe deine Schritte an die Atemzüge an, und erklimme jede Minute die nächste Leitersprosse, das heißt: atme nach 60 Sekunden jeweils einen Schritt länger ein bzw. aus. Steigere dich so weit, bis du einen Anflug von Panik spürst, aber halte die Luft nicht an, um weitere Schritte zu schaffen. Das Luftvolumen sollte immer gleich sein – ob du einen Schritt machst oder zehn Schritte. Verwende immer dasselbe Luftvolumen. Das geht nicht ohne Disziplin.
Beispiel:
Erste Minute – 1 Schritt einatmen / 1 Schritt ausatmen
Zweite Minute – 2 Schritte einatmen / 2 Schritte ausatmen
Dritte Minute – 3 Schritte einatmen / 3 Schritte ausatmen
Vierte Minute – 4 Schritte einatmen / 4 Schritte ausatmen usw.
Lege so viele Schritte wie möglich zurück ohne durch den Mund zu atmen, die Luft anzuhalten oder das Luftvolumen zu erhöhen. Manche Leute arbeiten sich auf 20 Schritte und mehr hoch, ohne Stress zu verspüren. Wenn du an dein Limit kommst, musst du darauf achten, dass du die Schlüsselbeine nicht anhebst und zu stark einatmest. Ziehe die Luft in den Bauch- und dann in den Brustraum. Früher oder später wirst du unter Stress geraten. Beobachte dieses Phänomen einfach und lass es auf dich einwirken. Stelle einen Entspannungszustand wieder her, indem du schneller ein- und ausatmest.
Mit dieser Übung baust du eine enorme Lungenkapazität und Atemdisziplin auf.
Es ist sehr wichtig, nicht überehrgeizig zu werden und sich immer weiter steigern zu wollen. Lass deinen Körper den Level erreichen, zu dem er fähig ist. Der wird jeden Tag ein wenig anders sein. Es kann durchaus sein, dass du manchmal weit kommst, an anderen Tagen wird deine Atmung aber vielleicht nicht so effizient sein. Viel davon wird von deiner aktuellen mentalen Verfassung abhängig sein. Ein negativer Zustand wirkt sich ungünstig auf die Atmung aus.
Wie man die Schäden beheben kann, die durch Sitzen entstehen
Fange einfach damit an, dich so oft wie möglich auf den Boden zu setzen und zu legen. Vermeide Stühle möglichst. Benutze die 10 archetypischen Sitzhaltungen – das sind natürliche Haltungen, für die unser Körper geschaffen ist:
- Auf den Bauch liegend mit abgestützten Ellbogen (Sphinx)
- Hocke (flache Fußsohlen)
- Hocke mit einem aufgestellten Knie
- Knien (Gesäß auf Fersen, aufgestellte Zehen)
- Fersensitz (Gesäß auf Fersen, flach abgelegte Zehen)
- Schneidersitz (oben und unten liegendes Bein regelmäßig wechseln)
- Mit gerade nach vorne gestreckten Beinen
- Mit gespreizten Beinen
- Hürdensitz
- Seitenlage, Kopf auf der Hand abgestützt
Diese archetypischen Haltungen sind sehr wichtig – die meisten Erwachsenen tun sich mit der Zeit schwer damit, sich auf den Boden zu setzen oder zu legen, weil sich ihr Körper an das ständige Sitzen auf einem Stuhl gewöhnt hat.
Es ist zwar wichtig, in den oben genannten Positionen bequem zu sitzen, aber es ist genauso wichtig, sich aus dem Sitzen am Boden ohne Zuhilfenahme der Hände aufrichten zu können; übe daher das Aufstehen aus den archetypischen Sitzhaltungen, ohne die Hände zu benutzen: das ist schwieriger als es klingt.
Einer der Hauptunterschiede zwischen Jugendlichen und Senioren ist die Fähigkeit, sich mühelos vom Boden zu erheben, sich wieder zu setzen und die Sitzhaltung als angenehm zu empfinden.
Der Boden ist nur deshalb unbequem, weil sich der Körper an das Sitzen auf einem Stuhl gewöhnt hat. Als Kinder und Jugendliche haben wir uns gerne auf dem Boden aufgehalten. Selbst wenn du dich im Laufe des Tages nur hin und wieder kurz auf den Boden setzt, förderst du damit die Bewegungsfähigkeit und Einnahme einer gesunden Körperhaltung.
Euer Steve Maxwell