Eine Leistungssteigerung auf sportlicher Ebene kann durch psychische oder physische Optimierung erreicht werden. Eine Erhöhung der Kraftleistung ist meist eine Grundvoraussetzung für eine physische Leistungssteigerung. In wie weit hilft mir das Mobilitätstraining meine Kraftleistung zu verbessern?
Als Einführung ist es mir wichtig die Begriffe „Stretching“ und „Mobility“ klar voneinander zu trennen
Stretching und Mobilitätstraining werden immer noch häufig synonym miteinander verwendet. Beide Methoden haben das Ziel den Bewegungsumfang eines oder mehrerer Gelenke zu vergrößern. Während Stretching in erster Linie das myofasziale Gewebe beeinflusst, werden beim Mobilitätstraining Muskeln durch gezielte Bewegungen aktiviert. Daher kommt auch die Bezeichnung „Dynamic Joint Mobility Drills“ für dynamische und rhythmische Bewegungsabläufe, die sich positiv auf die aktive Beweglichkeit auswirken. Hier erschließt sich bereits der erste Unterschied zum klassischen Stretching – das Mobilitätstraining erfolgt stets aktiv und setzt dementsprechend eine Bewegung voraus.
Das statische Halten einer Position, die wir als Dehnung assoziieren ist strenggenommen kein Mobilitätstraining, da es häufig passiv oder mit reduzierter motorischer Kontrolle erfolgt. Aber wieso überhaupt diesen Unterschied treffen? Während in den letzten Jahren statisches Stretching als Bestandteil des Aufwärmens immer mehr in Verruf geriet, erfreut sich das Mobilitätstraining aktuell großer Beliebtheit. Daher mag es sinnvoll sein an dieser Stelle diesen klaren Unterschied zu treffen. Um noch etwas weiter zu gehen behaupte ich, dass das Stretching für die athletische Leistungsfähigkeit selten relevant ist, da die athletische Leistungsfähigkeit im Sport durch einen gezielten Krafteinsatz geprägt ist, der eine aktive Beweglichkeit und optimale motorischer Kontrolle erfordert. Als Beispiel sei der Pitcher beim Baseball genannt, der eine verstärkte Außenrotation im Oberarm benötigt, um den Ball maximal beschleunigen zu können. Je höher die Außenrotation, desto größer die Beschleunigung. Diese Beweglichkeit ist jedoch nicht passiv sondern aktiv. Ein passiver hoher Bewegungsumfang würde dem Pitcher keine Wurfkontrolle bieten – nur die aktive Beweglichkeit schafft das. Dies impliziert, dass der Pitcher in allen Winkeln seiner Außenrotation in der Lage ist seine Muskulatur ausreichend zu aktivieren. Wenn es um den Faktor Leistungssteigerung geht, ist es zwingend notwendig das Stretching vom Mobilitätstraining zu trennen. Die Sinnhaftigkeit und den generellen Nutzen von Stretching möchte ich hier gar nicht absprechen. Ich möchte jedoch veranschaulichen welchen Nutzen „Dynamic Joint Mobility“ besitzt. Dafür ist eine definitorische Trennung notwendig.
Um über den Nutzen und die Wirkung von Mobilitätstraining im Sinne der Leistungssteigerung zu sprechen, ist das Zentralnervensystem in den Fokus zu stellen. Die Hauptaufgabe unseres ZNS ist und war das Überleben zu garantieren. Man könnte auch sagen, dass unser ZNS die primäre Aufgabe besitzt uns zu schützen. Der Schutzmechanismus zeigt sich ungewollt in den Situationen, in denen wir während eines intensiven Trainings ermüden. Was geschieht in den wenigen Minuten oder Sekunden, in denen wir bspw. beim Krafttraining nicht mehr in der Lage sind ein schweres Gewicht zu heben? Liegt es an der Verarmung der Energiereserven wie Kreatinphosphat oder Glykogen? Oder hat sich nach der einen Wiederholung zu viel Laktat im Muskel gebildet, so dass eine erneute Wiederholung nicht möglich ist? Das mögen eher die sekundären Gründe sein. Die physische Ermüdung folgt der zentralen Ermüdung des Nervensystems. Die plötzliche Ermüdung stellt einen Schutzmechanismus unseres ZNS dar. Ein erneutes Heben der Last könnte zu einer zentralen Überforderung führen, was wiederum eine Verletzung nach sich ziehen könnte. Daher schaltet unser ZNS den Körper in einen Schutzmodus, in dem die maximale Leistungsfähigkeit reduziert wird. Dies ist ein Indikator für die Hauptaufgabe unseres ZNS, welche jeder Athlet tagtäglich in seinem Training erlebt. Doch was hat nun das Mobilitätstraining mit der Hauptaufgabe unseres ZNS zu tun? Grundsätzlich sollte jedes Training auf der „Überlebensfunktion des ZNS“ aufgebaut sein. Doch häufig wird konträr zu dieser Methodik trainiert.
Anbei einige Beispiele:
- das Bewegen von Lasten mit ineffizienter Technik
- Bewegen von schweren Lasten begleitet vom muskulären Zittern
- Grundsätzlich Bewegungen, die unser ZNS als Bedrohung einstuft
- Training in den Schmerz hinein (bionegativer Schmerz)
- Ungünstige Stellung der Gelenke
Um die maximale Leistungsfähigkeit herauszuholen, ist es notwendig unserem ZNS das Gefühl der Sicherheit zu geben. Die weltbesten Athleten lassen das Schwierige leicht aussehen. Man könnte behaupten sie arbeiten im Einklang mit ihrem ZNS, da alle Bewegungsabläufe perfekt abgestimmt zu sein scheinen. Wie unterscheidet nun das Gehirn „sicher“ von „unsicher“? Unser ZNS nimmt ständig Signale von außen und aus dem Inneren des Körpers auf. Dies erfolgt über verschiedene Rezeptoren wie z.B. den Propriozeptoren aber auch dem Vestibularapparat. Alle gesammelten Signale werden vom Gehirn analysiert und interpretiert. Während dieser Signalfilterung wird bestimmt, was als Bedrohung und was nicht als Bedrohung angesehen wird. Diese Interpretation der Signale ist interindividuell sehr unterschiedlich und z.B. abhängig von der körperlichen Konstitution und dem aktuellen Trainingsstand. Interpretiert unser ZNS eine bestimmte Bewegung (abhängig von den aufgenommenen Signalen, bzw. Reizen) als Bedrohung, reagiert unser Körper automatisch mit einer Reduktion der körperlichen Leistungsfähigkeit. In diesem Fall wird der muskuläre Output drastisch reduziert.
Nun, da wir wissen, dass wir „mit“ oder „gegen“ unser ZNS trainieren können, kommt das Thema Mobilitätstraining wieder in den Vordergrund
Die meisten Rezeptoren innerhalb unseres aktiven und passiven Bewegungsapparates befinden sich gelenknah, bzw. im Gelenk selber. Ruffini- und Vater-Pacini-Körperchen befinden sich in den Gelenkkapseln. Sie informieren über die Stellung der Gelenke und deren Bewegungen. Die Golgi-Sehnenorgane befinden sich in den Sehnen. Sie werden bei Muskelkontraktion bzw. Muskeldehnung erregt. Ein Training der Gelenke durch „Dynamic Joint Mobility“ ist gleichzeitig auch ein Training der Rezeptoren, die für die Signalaufnahme verantwortlich sind. Im Endeffekt funktioniert unser ZNS nach folgendem einfachen Prinzip: Reizaufnahme, Reizverarbeitung, bzw. Analyse und motorische Antwort. Ist unsere Reizaufnahme fehlerhaft, so kommt es auch zu einer fehlerhaften Analyse. Dies wiederum resultiert in einer nicht-adäquaten motorischen Antwort. Folglich sind wir nicht in der Lage uns effizient und kraftvoll zu bewegen sollten unsere Rezeptoren nicht die korrekten Reize wahrnehmen.
Daher ist das Mobilitätstraining immer ein Training der Rezeptoren, die positive Signale an unser ZNS senden. Auf der einen Seite wird mit dem Mobilitätstraining die Struktur verbessert (der Körper) und auf der anderen Seite die motorische Leistungsfähigkeit. Als Analogie eignen sich die Begriffe Software und Hardware, wobei die Software unser ZNS darstellt. Das Prinzip zu dieser Sichtweise lässt sich in dem Konzept Neuro Athletic Training® finden. Das Trainingskonzept basiert auf der neurologischen Grundlage jedes einzelnen Athleten.
Bei der Aktivierung der Rezeptoren spielt der Bewegungsumfang der Gelenke eine entscheidende Rolle, da unsere Gelenke nur dann genug Rückmeldung senden, wenn sie sich in der „End Range of Motion“ befinden. Bewegungen im kleinen oder mittleren Bewegungsumfang senden ungenügend Informationen als dass sie hilfreich bei der Leistungsoptimierung wären. Daher ist es notwendig beim Mobilitätstraining im maximalen Bewegungsumfang zu trainieren, um eine optimale sensorische Rückmeldung an unser Gehirn zu senden.
Ein bestimmter Gelenkwinkel kann von unserem ZNS auch als „Bedrohung“ wahrgenommen werden. Ein Hinweis hierfür ist der arthrokinetische Reflex. Dieser Reflex sichert quasi unser Überleben, kann gleichzeitig aber limitierender Faktor bei der Maximierung unserer Leistungsfähigkeit sein. Wie oben bereits beschrieben, nehmen wir stetig neuralen Input auf, welcher bearbeitet, analysiert und interpretiert wird. Bewegen wir uns nun auf eine Weise, die unser ZNS als schädlich interpretiert, kommt es zu einem Ausstoß an Signalen über die efferenten Bahnen woraufhin unser Gehirn unsere Leistungsfähigkeit reduziert und uns in eine Art „Shutdown-Modus“ bringt. Bestimmte Gelenkbewegungen können, interindividuell unterschiedlich, zu einer Inhibition der Muskulatur führen.
Natürlich ist jeder Athlet bestrebt eine konstante maximale Leistungsfähigkeit gewährleisten zu können. Ein Herunterfahren des Systems kann in der einen oder anderen Situation gefährlich sein. Stell dir vor du hebst eine hohes Last vom Boden (Bsp. Kreuzheben). Während des Ziehens gelangst du in eine ungünstige Gelenkposition. Diese löst eine Kaskade von Informationen aus, die unser ZNS als unmittelbare Bedrohung einstuft. Der arthrokinetische Reflex wird ausgelöst und unsere muskuläre Leistung wird vergleichbar mit einem Kippschalter abgestellt. Nicht selten kommt es gerade in solchen Situationen zu Verletzungen, in denen unser Gehirn der Ansicht ist, es müsse unsere Muskeln „deaktivieren“.
Genau an dieser Stelle zeigt sich erneut die Hauptaufgabe des Mobilitätstrainings
Die „Drills“ dienen dem ZNS, weniger dem Körper. Die strukturelle Adaptation ist bei Weitem geringer als die neurophysiologische. Stell dir vor, dass der Fahrer besser wird, weniger das Auto. Oder als eine Art Software-Update, während Sie immer noch dasselbe Handy benutzen. Das Ziel liegt primär in einer Optimierung der Sensorik durch ein spezifisches Mobilitätstraining mit konkreten Bewegungsabläufen, Tempo und muskulärer Spannung. Eine fehlerhafte Wahrnehmung kann sich z.B. durch fehlerhafte Bewegungs- oder Kompensationsmuster entwickeln. Verletzungen können nicht nur zu strukturellen Dysfunktionen, sondern auch zu ineffizienten Bewegungsmustern führen. Auch an dieser Stelle sind Mobilitätsübungen in der Lage Bewegungsabläufe durch eine optimierte Reizaufnahme zu verbessern. Das Resultat ist eine Leistungssteigerung. Wie Pavel Tsatsouline einmal gesagt hat: „Deine Muskeln sind in der Lage ein Auto anzuheben. Sie wissen es nur noch nicht.“ Daher müssen wir unseren Muskeln beibringen so viele Muskelfasern wie möglich zu rekrutieren. Nur durch eine maximale Muskelfaserrekrutierung erfolgt auch eine maximale Leistung. Diese ist nur dann möglich, wenn unser Gehirn positive Reize aus unserer Umwelt erhält, diese als positiv interpretiert und dann eine maximale Leistung zur Verfügung stellt.
Verfolgen wir noch einmal die Funktion unseres ZNS als Reizaufnahme – Reizverarbeitung – motorische Antwort ergibt sich, dass ohne ideale Signalaufnahme keine maximale Muskelfaserrekrutierung möglich ist.
Würden wir an dieser Stelle Stretching und Mobilitätstraining miteinander vermischen, würden wir das Fahrzeug mit dem Fahrer gleichsetzen. Im Zuge der Leistungssteigerung durch Funktionsoptimierung des ZNS wollen wir nur sekundär die Struktur verbessern. Unser Ziel ist es, sich „smart“ zu bewegen. Um es etwas trivial auszudrücken: damit wir uns intelligent bewegen können, müssen wir uns intelligent bewegen. Der ehemalige American Football-Coach Vince Lombardi sagte einst: „Practice does not make perfect. Only perfect practice makes perfect. Daher werden die „Mobility Drills“ genutzt, um den notwendigen Grad der Perfektion zu erreichen. Die Drills haben die Hauptaufgabe den neuralen Input zu verbessern. Entsprechend der Funktion unseres ZNS geht dies nur in Verbindung mit einer perfekten Bewegungsausführung. Dabei ist die korrekte Ausführung unter anderem abhängig von dem Bewegungsumfang, der Bewegungsrichtung, der Gesamtkörperhaltung und der Geschwindigkeit des jeweiligen Drills. Systematisch durchgeführte Drills sind der beste Weg, um den arthtrokinetischen Reflex zu vermeiden und den Körper zur Höchstform auflaufen zu lassen.
In Hinblick auf den Nutzen der Drills ist zu beachten, dass das Trainingsziel nicht außer Acht gelassen werden sollte. Du solltest dich nicht um den Selbstzweck heraus mobilisieren. Mobilisation ist ähnlich wie Krafttraining zielgerichtet. Ich verfolge häufig Athleten, die sich fast schon „zu Tode“ mobilisieren, ohne sich genau bewusst darüber zu sein, was sie gerade tun. Für einen Fußballer macht es durchaus Sinn seine Füße kreisen zu lassen, um die Sprunggelenke zu mobilisieren und dadurch die Wahrnehmung und motorische Kontrolle in seinen Füßen zu fördern. Bei schnellen Sprints und Richtungswechseln kann die Belastung auf den Gelenken so groß sein, dass Fußkreise in der Luft nur die Vorstufe eines sportartspezifischen Mobilitätsprogrammes darstellt. Um auch die Kontrolle in unvorhersehbaren Situationen zu behalten, ist es notwendig die Mobilität in potentiell gefährlichen Gelenkwinkeln zu verbessern, um auf kritische Bewegungsabläufe vorbereitet zu sein. Getreu dem Prinzip „specific adaptation to imposed demands“ adaptiert der Körper exakt das, was er auch tut. Sollte dann einmal das ZNS versagen, ist die Struktur des Athleten so gut vorbereitet, dass der Körper die erhöhte Belastung ausgleichen kann – Das Ergebnis von Software und Hardware im optimalen Zusammenspiel.
Nutze also Mobilitätstraining basierend auf von dir gesetzte Ziele
Erhöhe die Leistung deines Fahrers, weniger des Fahrzeugs und konstruiere die perfekten Bewegungsabläufe für ein perfektes Endresultat. Achte auf den Transfereffekt der Übung. Ist ein Übertrag der „Mobility Drills“ auf deine sportartspezifische Bewegung oder Belastungsnormative möglich? Überfordere dein ZNS nicht. Eine Überforderung resultiert in einem verminderten muskulären Output, bei der die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung steigt.
Als letzten Tipp zum Mobilitätstraining gebe ich dir mit auf den Weg, dass du dich möglichst auf alle Gelenke in deinem Körper konzentrieren solltest. Auch wenn z.B. dein Daumengrundgelenk weniger mit der Leistung während einer Kniebeuge zu tun hat, kann sich eine Dysfunktion in deinem kleinen Gelenk bereits negativ auf deine Leistung in den großen Gelenken auswirken, bzw. sogar die Leistung während der Kniebeuge reduzieren. Bleibe mobil.
Euer Patrick Meinart
Erlebe Patrick Meinart live auf dem Faszien & Mobility Summit in Köln vom 04.-06. März 2016