Der Swing ist die Grundübung schlechthin im Kettlebelltraining und stellt die Quintessenz dessen dar, wofür Kettlebelltraining steht: Leistung, Explosivität, Flexibilität und ein intensives Herz-Kreislauf-Training. Er ist eine der effektivsten Rundum-Fitnessübungen überhaupt. Wer wenig Zeit für Fitnesstraining hat und nur eine einzige Übung durchführen möchte, sollte Swings machen. Ich kenne kaum eine andere Übung, die so viele Vorzüge in sich vereint. Der Swing ist von der Bewegung her ein explosives Kreuzheben mit größerem Bewegungsumfang. Diese Übung kräftigt sämtliche Muskeln der Körperrückseite plus der Oberschenkelvorderseite und der Bauchmuskulatur. Zusätzlich steigert sie die Griffkraft.
Der beidhändige Swing
Swings verbessern die Flexibilität in den Hüftgelenken und trainieren eine explosive Hüftstreckung, was sich im Sport leistungssteigernd auswirkt. In allen Sportarten, bei denen man laufen oder springen muss, lässt sich die Leistungsfähigkeit deutlich steigern, wenn der Körper lernt, die erforderliche Kraft aus den Beinen und den Hüften heraus zu erzeugen und über eine stabile Rumpfmuskulatur in den Oberkörper zu übertragen. Durch die hohen Wiederholungszahlen verinnerlicht der Körper diese Bewegung und verfeinert sie ständig. Ganz gleich, welchen Sport du ausübst, wenn du Swings trainierst, kannst du bald explosiver starten, schneller laufen sowie höher und weiter springen.
Je beweglicher die Hüftgelenke sind, desto weniger wird normalerweise die Lendenwirbelsäule belastet. Viele Rückenpatienten weisen eine eingeschränkte Beweglichkeit der Hüftgelenke auf und nutzen für die Hüftstreckung unwissentlich die Muskeln des unteren Rückens und/oder der hinteren Oberschenkel anstatt der eigentlich dafür zuständigen Gesäßmuskeln. Beim Swing bewegen sich die Hüften grundsätzlich zuerst, sowohl bei der Aufwärts- als auch bei der Abwärtsbewegung. Dadurch eignest du dir eine korrekte Hüftstreckung aus den Gesäßmuskeln heraus an, was nicht nur effektiver ist, sondern auch den Rücken schont. Zusätzlich werden die Hüftgelenke über einen großen Bewegungsumfang hindurch kontinuierlich durchbewegt.
Untersuchungen an Rückenpatienten haben gezeigt, dass Rückenschmerzen vielfältige Ursachen haben können. Hierzu zählen neben psychosozialen Faktoren, wie zum Beispiel Stress, Depressionen und Mobbing, auch koordinative und muskuläre Defizite. Bei Letzteren hat sich gezeigt, dass Menschen mit einer höheren Kraftausdauer der Muskeln im Lendenwirbelsäulenbereich weniger Rückenschmerzen haben als solche, die eine hohe Maximalkraft dieser Muskeln aufweisen. Man kann also nicht sagen: Je kräftiger man ist, desto geringer ist das Risiko für Rückenschmerzen.
Es gilt also, die Kraftausdauer der Rückenmuskeln zu erhöhen – dafür stellt der Swing eine gute Trainingsübung dar.
In den meisten Sportarten ist es wichtig, äußere Kräfte bremsend abfangen beziehungsweise aufnehmen zu können. Sei es nach Sprüngen oder auch beim plötzlichen Abstoppen vor einem Gegner oder vor einem Wechsel der Laufrichtung. Wer diese Fähigkeit trainiert, hat zum Beispiel ein geringeres Risiko für Knieverletzungen. Bezogen auf die Rückenmuskulatur wird dadurch das Bindegewebe kräftiger und die Muskulatur lernt effektiv, sich bei schnellen Bewegungen schlagartig anzuspannen und somit ihre Schutzwirkung für die Wirbelsäule auszuüben. Da auch im normalen Alltag viele plötzliche und schnelle Bewegungen vorkommen, ist diese Fähigkeit nicht nur für Sportler wichtig. Nur wenige Fitnessübungen gehen auf dieses Bewegungsmuster ein. Der Swing ist eine davon.
Im Sport sind nicht immer die kräftigsten Athleten die erfolgreichsten, sondern meistens diejenigen, die die erforderliche Technik am besten ausführen und die Fähigkeit besitzen, die Muskeln für das verlangte Bewegungsmuster blitzartig anzuspannen und wieder zu entspannen. Wer schlagartig viel Kraft durch Körperspannung entfalten, in der Zielbewegung umsetzen und sofort danach die Muskeln entspannen kann, wird nahezu immer erfolgreicher sein als seine Konkurrenten. Im Kampfsport zum Beispiel wird ein Faustschlag dann am schnellsten und härtesten, wenn der Athlet die Kraft aus den Füßen heraus entfalten kann. Das ist am effektivsten, wenn die Kraftentwicklung blitzartig erfolgt, durch die Beine nach oben, durch Hüftgelenke und Rumpf hindurch, über Schultergelenke in Arm und Hand hinein. Im Moment des Aufpralls ist ein Großteil der Muskulatur schon wieder entspannt, sodass die Hand wie ein Geschoss ins Ziel »fliegen« kann. Dieses blitzartige An- und Entspannen der kraftentfaltenden Muskulatur vom Boden durch den Körper hindurch nach oben lässt sich hervorragend durch den Swing trainieren.
Im Gegensatz zu den anderen ballistischen Übungen im Kettlebelltraining, wie zum Beispiel Clean und Snatch, gibt es beim Swing keine Möglichkeit, sich kurz auszuruhen, weil die Kettlebell gnadenlos weiterschwingt. Aufgrund der großen aktiven Muskelmasse sorgt der Swing für einen hohen Kalorienverbrauch: ein wichtiger Faktor für eine hohe Gesundheitswirkung. Eine große, aktive Muskelmasse sorgt natürlich auch für einen entsprechend großen Sauerstoffverbrauch und somit für hohe Herzfrequenzen und ein intensives Herz-Kreislauf-Training (Ausdauertraining). Daher werden Swings auch meistens im Rahmen eines Intervalltrainings durchgeführt. Im Vergleich zum Radfahren oder Laufen kann dadurch die Trainingszeit bei gleichem Effekt auf das Herz-Kreislauf-System deutlich kürzer ausfallen.
Da man sich ständig auf die richtige Technik und die Kontrolle der kontinuierlich schwingenden Kettlebell konzentrieren muss, führt das Training von Swings zu einer größeren mentalen Stärke und somit zu einem gesteigerten Durchhaltevermögen. Manche geraten bei minutenlangen Swings sogar in einen meditationsähnlichen Zustand, vergessen die Welt um sich herum und werden praktisch eins mit sich, der Übung und der damit verbundenen Anstrengung.
Als weiteren Vorteil bieten Swings mehrere Variationsmöglichkeiten an, sodass es nicht langweilig wird und man je nach Trainingsziel eine andere Variante auswählen kann. Hierzu zählen zum Beispiel beidhändiges Schwingen, einhändiges Schwingen ohne und mit Handwechsel, Schwingen mit einer leichten oder schweren Kettlebell, Schwingen mit zwei Kettlebells und viele mehr.
Das sind nur einige Vorzüge, die diese außergewöhnliche Fitnessübung zu bieten hat. Daher ist der Swing die grundlegende Kettlebellübung und die erste, die man lernt. Mit den folgenden vier Schritten kannst du ihn schnell erlernen.
1. Schritt zum Swing: sauberes Kreuzheben
Der Sumo Deadlift
Der Swing ist ein explosiv ausgeführter Sumo Deadlift. Hierbei wird die Kugelhantel rhythmisch zwischen den Beinen hindurch bis auf Brusthöhe geschwungen.
Stelle dich etwa schulterbreit hin und platziere die Kettlebell zwischen deinen Füßen unter deinem Körper. Führe nun einen Sumo Deadlift aus. Das heißt: Belaste die Fersen und ziehe den Po weit nach hinten, ohne dass sich die Knie dabei nach vorne bewegen. Der Oberkörper wird als Gegenbewegung gestreckt weit nach vorne gebracht, bis er parallel zum Boden ist oder kurz davor.
Spanne den Bauch und die Gesäßmuskeln an, ziehe die Schultern nach hinten unten und hebe die Kettlebell an, indem du die Fersen in den Boden drückst, bis die Knie und Hüften gestreckt und die Sprung-, Knie-, Hüft- und Schultergelenke auf einer Linie sind.
Das Absetzen wird über die Hüften eingeleitet (»Hüften zuerst« lautet der Leitsatz für alle Kettlebellübungen, die eine Hüftbeugung oder -streckung beinhalten), indem du die Fersen belastest, das Gesäß wieder weit nach hinten ziehst und die Kettlebell mit gestrecktem Rücken zwischen den Füßen unter dem Körper (nicht vor dem Körper!) absetzt. Das Gewicht wird dabei nur aus den Beinen heraus bei fest zusammengekniffenen Pobacken angehoben, nicht aus den Schultern oder Armen. Die Schultern bleiben stabil nach hinten unten gezogen und die Arme hängen einfach nur herab. Mache 3 bis 5 Wiederholungen mit kurzen Pausen dazwischen, bis die Bewegung sitzt.
2. Schritt zum Swing: explosives Kreuzheben (Lastheben)
Die Bewegungsausführung aus dem ersten Schritt bleibt gleich. Nun erhöhe deutlich das Tempo, sodass du die Kettlebell bei guter Technikausführung in unter 2 Sekunden anheben und wieder absenken kannst. Übe dies ebenfalls wieder in Intervallen von 3 bis 5 Wiederholungen, wobei die Kettlebell während der Intervalle nicht mehr den Boden berührt, sondern kurz davor wieder angehoben werden sollte. Wenn du diesen Schritt sicher und sauber ausführen kannst, bist du bereit für den nächsten.
3. Schritt zum Swing: Ziele kurz hinter die Fersen
Der Bewegungsablauf und das Bewegungstempo bleiben gleich. Im dritten Schritt steht die Kettlebell jedoch nicht mehr zwischen den Füßen unter dem Körper, sondern hinter dem Körper. Wenn deine Fersen eine waagerechte Linie bilden, dann sollte der vordere Rand des Kettlebellkörpers diese gedachte Linie berühren.
Führe die bekannte Bewegung nun explosiv aus der neuen Startposition heraus aus. Auf dem Weg nach unten solltest du mit der Kugel wieder auf den nach hinten verlagerten Startpunkt zielen, ohne das Gewicht dabei abzusetzen.
Wenn du diesen Schritt sicher und sauber ausführen kannst und die Kettlebell leicht ins Schwingen oder Pendeln kommt, bist du bereit für den letzten Schritt. Falls die Kettlebell dabei nicht ins Schwingen kommt, ist in der Regel entweder deine Bewegung zu langsam oder die Arme sind zu angespannt.
4. Schritt zum Swing: Zielen auf deinen eigenen Schritt
Im letzten Schritt zum Swing zielen beim Zurückschwingen der Kettlebell nicht mehr auf den Startpunkt hinter den Fersen, sondern direkt auf Ihren Schritt, sodass die Kettlebell unmittelbar unter dem Gesäß weit nach hinten schwingt.
Wenn deine Handgelenke die Innenseite der Oberschenkel nahe den Leisten berühren (wie beim Hike Pass im American Football), ist die Bewegung richtig. Die Kettlebell sollte mit dem Griff oberhalb der Knie durchgeschwungen werden. Das Gesäß sollte sich erst nach hinten bewegen, wenn der Oberarm beim Rückschwung den Oberkörper berührt. Nun solltest du die Kettlebell aus der explosiven Hüft- und Beinstreckung heraus bis auf Bauch- oder Brusthöhe hochschwingen lassen können. Höher als Brust- bis Kopfhöhe ist nicht nötig und könnte eventuell den Rücken und die Schultern überlasten.
Am oberen Umkehrpunkt der Kettlebell solltest du in einer Ganzkörperstreckung kurz »einrasten«. Damit ist gemeint, dass du deinen Körper quasi »zusammenschließt«: Bauch fest anspannen und Gesäß maximal zusammenkneifen. Nimm hier die gleiche Ganzkörperspannung ein wie beim Liegestütz oder Frontstütz: Der ganze Körper bildet von den Fußgelenken bis zum Kopf eine Linie, Hüft-, Knie und Ellenbogengelenke sind gestreckt. Der Blick ist dabei immer nach vorne unten gerichtet.
Unterstütze die Bewegung und die Körperstabilität durch Ihre Atmung. Atme am unteren Bewegungspunkt kurz und scharf durch die Nase ein und am oberen Umkehrpunkt der Kugel forciert durch den Mund aus. Beim Rückschwung der Kettlebell ziehe erst das Gesäß nach hinten, wenn die Oberarme den Oberkörper berühren. Warte also ruhig ein wenig und lasse die Kettlebell etwas fallen. Das macht die Übung sicherer und explosiver.
Achte darauf, dass die Kettlebell nicht deine Schultern und Arme nach vorne zieht, sondern ziehe die Schultern (Schulterblätter) aktiv nach hinten unten. Wenn du die Kettlebell wieder absetzen möchtest, lasse dich noch einmal nach hinten schwingen und platziere sie anschließend unter deinem Körper.
Die Kettlebell sicher absetzen
Zum erneuten Start der Übung hast du zwei Möglichkeiten: Entweder stellst du dich wieder in geringem Abstand vor die Kettlebell (siehe Abbildung unten, links) und katapultiere die Kettlebell dann direkt nach vorne oben oder stelle dich etwa 50 Zentimeter dahinter (siehe Abbildung unten, rechts). Für letztere Variante gehe in die tiefe Ausgangsposition, fasse den Griff mit beiden Händen und ziehe die Kugel schnell nach hinten unter das Gesäß, um sie anschließend mithilfe der explosiven Hüftstreckung nach vorne oben zu schwingen. Diese Variante ist leichter ausführbar, da die Kettlebell auf diese Weise mit geringerem Kraftaufwand in Bewegung gebracht werden kann.
Neustartvariationen für den Swing
Euer Dr. Till Sukopp
(Auszug aus: Das große Kettlebell-Trainingsbuch)