Doch gerade auf Grund seiner enormen Bedeutung für viele Bewegungen im Alltag und im Sport ist es ebenso spannend und notwendig sich damit auseinander zu setzen, wie sich die Funktion des Muskels auf Grund von Pathologien oder mangelnder bzw. falscher Bewegung ändert. Sowohl in der Rehabilitation nach Verletzungen, als auch generell wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit eines Sportlers auf ein höheres Level zu steigern, ist es deshalb unverzichtbar, Dysfunktionen in der Glutealmuskulatur zu erkennen und zu wissen, wie sie durch gezieltes Training behoben werden können. Im folgenden Artikel soll zuerst die funktionelle Anatomie der Gesäßmuskulatur beschrieben werden. Anschließend wird das häufige Phänomen der Deaktivierung dieser Muskelgruppe, deren Gründe und mögliche Folgen beschrieben. Im zweiten Teil des Artikels wird beschrieben, wie eine deaktivierte oder abgeschwächte Gesäßmuskulatur erkannt werden kann. Außerdem werden Trainingsempfehlungen und Übungen für die beschriebene Problematik vorgestellt.
Funktionelle Anatomie Gluteus maximus und medius
Der Gluteus maximus hat seine Ursprünge an der Crista Iliaca (dem Beckenkamm), der Spina iliaca posterior superior (dem hinteren oberen Darmbeinstachel), der Fascia thoracolumbalis (großen Lendenfaszie) und der Rückfläche des Os sacrums (Kreuzbein) und des Os coccycis (Steißbein). Einige Fasern des großen Gesäßmuskels strahlen in den Tractus iliotibialis ein und verlaufen mit ihm zur Tuberositas tibiae, andere setzen an der Tuberositas glutae am Femur an. Der Gluteus maximus ist der Hauptstrecker im Hüftgelenk. Außerdem ist er für die Aufrichtung des Oberkörpers und die Verhinderung des Abkippens des Beckens (nach vorne und seitlich) in der Standbeinphase zuständig. Beim Gehen, Laufen, Springen soll er vermeiden, dass der Femur nach innen rotiert und somit ein Knie valgus entstehen würde. Nicht zuletzt ist er unverzichtbar für die lumbo-sakrale Stabilisierung durch die Kokontraktion mit dem M. psoas major (Gibbons, 2005) und die Stabilisierung des Iliosakralgelenks durch einen „Selbstverspannungsmechanismus“ (Snijders et al., 1993). Je nach Anteil ist er entsprechend des jeweiligen Faserverlaufs ein Ab- beziehungsweise Adduktor im Hüftgelenk.
Der Glueus medius entspringt an der Außenfläche des Os ilium (Darmbein), der Crista iliaca (Beckenkamm) und der Fascia glutea und setzt am Trochanter major des Femurs an. Seine Hauptfunktion ist das Verhindern des seitlichen Absinkens des Beckens in der Standbeinphase, sowie die Abduktion bzw. das exzentrische Kontrollieren der Hüftadduktion gemeinsam mit dem Tensor Fascia Latae (TFL) und dem Iliotibialband (ITB). Außerdem ermöglicht er je nach Muskelanteil die Innenrotation und Flexion bzw. die Außenrotation und die Extension des Hüftgelenks.
Deaktivierung der Gesäßmuskulatur – Gründe und Folgen
Im Laufe der Evolution hat sich die Gesäßmuskulatur des Menschen zunehmend vergrößert, da sie zur Stabilisierung des Rumpfs im aufrechten Stand und zur Vermeidung des nach vorne Fallens des Oberkörpers beim Laufen und Sprinten benötigt wird. Durch den vermehrt inaktiven Lebensstil der vergangenen Jahrzehnte, in der wir viel zu viel auf unserer Gesäßmuskulatur sitzen und sie viel zu wenig durch zügiges (aufwärts) Gehen, Treppen steigen und (korrektem) Laufen und Sprinten aktivieren, tendiert diese Muskelgruppe wieder stark zu verkümmern. Häufig sind hierbei eine „synergistische Dominanz“ in zwei Ebenen zu beobachten. Unter „synergistischer Dominanz“ versteht man das Phänomen, dass bei zwei Muskelgruppen mit sich überschneidenden Teilaufgabe (Synergisten) eine der beiden eine dominante Rolle einnimmt. Bei der anderen Muskelgruppe kommt es daraufhin zu einer neuronalen Hemmung, einer verspäteten Aktivierung bis hin zur kompletten neuronalen Abschaltung und auf Grund dessen zu einer Abschwächung. Dieses Phänomen tritt bei der Gesäßmuskulatur zum einen bei der Hüftstreckung auf. Hier übernimmt häufig die ischiokrurale Muskulatur (Muskulatur an der Oberschenkelrückseite) die Funktion des „Prime Movers“, was auf Grund ihres ungünstigen Ansatzpunktes eher suboptimal ist und zu einer Überlastung dieser Muskelgruppe und zu einer Abschwächung und Deaktivierung der großen Gesäßmuskulatur führt. Zum anderen tritt das Phänomen der synergistischen Dominanz bei der Hüftabduktion/-außenrotation auf. Die Hüftabduktion bzw. die exzentrische Kontrolle der Hüftadduktion ist Aufgabe des Gluteus und des Tensor Fascia Latae (TFL) über das Ilitibialband (ITB).
Hemmung des Glutens durch Dominanz von TFL und ITB
Eine Dominanz des TFL und des ITB führt zu einer Hemmung des Gluteus. Ein inaktiver Gluteus ist der Hauptgrund für ein verhärtetes Iliotibialband. Der starke Zug auf TFL und ITB führt wiederum zu einer Außenrotation der Tibia (Innenrotation des Femurs; Knie geht nach medial) und das hat wiederum extrem ungünstige (Rotations-)Belastungen des Knies zur Folge. Wenn es dem Körper nicht mehr länger gelingt, die bestehende Dysfunktion zu kompensieren, meldet er Schmerzen oder es entsteht eine Verletzung an einer überlasteten Struktur. Im Zusammenhang mit einer neuronal gehemmten und abgeschwächten Gesäßmuskulatur stehen hier beispielsweise das Patellofemorale Schmerzsyndrom, muskuläre Verletzungen der Oberschenkelrückseite, ISG-& LWS-Schmerzsyndrom und häufig auch „Leisten-Schmerzen“ durch Überlastung der vorderen Strukturen. Die oben beschriebene Aktivierungsproblematik der Gesäßmuskulatur ist keineswegs nur bei inaktiven Büromenschen zu finden, sondern sehr häufig auch bei Sportlern, bei denen die Auswirkungen der Dysfunktionen durch die hohen Trainingsumfänge und –intensitäten oft noch enormer sind. Bei diesen hat dieses Aktivierungsproblem nicht nur eine erhöhte Verletzungsanfälligkeit zur Folge, sondern auch eine suboptimale (Schnell-)Kraftentwicklung.
Zusammenfassung
Aufgrund von Verletzungen oder eines inaktiven Lebensstils ist eine neuronal gehemmte und abgeschwächte Gesäßmuskulatur ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Die Gesäßmuskulatur ist von Zentraler Bedeutung für die meisten Bewegungen im Alltag und Sport, da sie für die Stabilität im LWS-ISG-Bereich, in der Hüfte und somit für die Beinachsenstabilität zuständig ist. Als Folge der Deaktivierung kommt es zu Überlastungen an anderen Strukturen – angefangen von Schmerzen bis hin zu ernsthaften (Neu-) Verletzungen. Deshalb ist es notwendig als Trainer oder Therapeut die schlechte Ansteuerung oder mangelnde Kraft der Gesäßmuskulatur zu erkennen und bei Bedarf die Defizite durch Training auszugleichen. Wie dies im Detail funktioniert, wird Thema eines bald folgenden zweiten Artikels sein.
Eure Maria Härter
Literatur
Gibbons, S.G.T (2005). Integrating the psoas major and deep sacral guteus maximus muscles into the lumbar cylinder model. Proceedings of: “The Spine”: World Congress on Manual Therapy. October 7th – 9th, 2005, Rome, Italy.
Snijders, C.J., Vleeming, A. & Stoeckart, R. (1993). Transfer of lumbosacral load to iliac bones and legs. Clinical Biomechanics 8, 285-294.
Hallo Maria,
ein toller Artikel. Ich freue mich schon auf den zweiten Teil, wenn es ums „Eingemacht“ geht und man Tipps für das Training bekommt.
MfG
Mark
Hervorragender Artikel, auf das Wesentliche reduziert, kurz, knapp und prägnant
sehr guter Artikel!!
hallo Maria! gibt es den Artikel auch auf englisch?
Hallo Josef, den Artikel gibt es nur auf deutsch. Gruß Maria
Hallo Maria, wann soll denn der Artikel zum entgegenwirken dieser Problematik erscheinen?
lg
Hallo Patrick, der zweite Teil des Artikels erscheint Ende diesen Monats.
Hallo Maria,
Ein toller Artikel und beschreibt genau das, was ich in letzter Zeit meinen Klienten im Training beobachten konnte. Bin gespannt auf den zweiten Teil!
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten
Hallo Maria, super Artikel. Was ist mit dem Gluteus minimus, den hast du nicht erwähnt in deiner Beschreibung.
MfG
Harald
Hallo Harald, der Gluteus medius und minimus haben in etwa den selben Verlauf und die selbe Funktion und werden gemeinsam als die kleinen Gluteen bezeichnet. Immer wenn der Gluteus medius aktiviert ist oder trainiert wird, ist der Gluteus minimus mit dabei. Gruß Maria