Kein anderes Segment der Fitnessindustrie wächst schneller als der Kinder- und Jugendsport. Allein in den USA wird damit ein Umsatz von über vier Milliarden Dollar jährlich erzielt. Mehr als eine Million Kinder, Jugendliche und Teenager hatten dort vor einigen Jahren bereits einen eigenen Trainer – eine stattliche Zahl. Doch das Wort „Leistungssteigerung“ hat im Jugendsport nichts verloren. Zumindest nicht auf die Art und Weise, wie es bislang verwendet wird.
Auch wenn folgende Frage bissig klingen mag: Wie viel wissen Sie wirklich über das Wachstum und die Entwicklung des Menschen und darüber, wie Sie das Training mit Kindern oder Jugendlichen gestalten sollten?
Würde ich ältere Klienten mit dem Wissen, das ich über das Training mit Kindern und Jugendlichen habe, physiotherapeutisch behandeln oder ihre Verletzungen diagnostizieren, würden Sie mich für unprofessionell halten und das Gefühl haben, ich wildere außerhalb meines Reviers. Und das wäre nur richtig.
Leistungstraining für junge Sportler ist einfach nicht dasselbe wie Leistungstraining für reife Sportler. Trainingsanreize müssen altersgerecht sein, kritische Phasen der neurologischen Entwicklung sind zu berücksichtigen. Tatsächlich sollte die Leistung für junge Sportler nur eine untergeordnete Rolle spielen, denn die Zunahme von Muskelkraft, Sprungkraft oder Geschwindigkeit ist das Ergebnis eines der Entwicklung angemessenen und gesunden Trainings.
Das Konzept ist einfach und die Metapher schlicht: Vergleichen Sie die Entwicklungsschritte eines jungen Sportlers mit Ihrer Schul- oder Universitätslaufbahn. Es ist nicht möglich, innerhalb von sechs Wochen in die nächste Klasse versetzt zu werden. Sie können eine Rechenaufgabe für die zwölfte Klasse nicht lösen, wenn Sie die Basisrechenarten – Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division – in der Grundschule nicht gelernt haben. Die Ausbildung erfolgt schrittweise. Zunächst wird grundlegendes Allgemeinwissen vermittelt, und dann wird darauf aufgebaut. Ein junger Student, der intellektuell und von seiner Ausbildung her dazu bereit ist, wird damit beginnen, sich in ein ganz bestimmtes Interessengebiet zu vertiefen und sich zu spezialisieren. Doch diese Spezialisierung setzt voraus, dass er die bis dahin erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten stetig weiterentwickelt.
Übertragen Sie dieses Prinzip auf das Training mit Kindern und Jugendlichen. Geschwindigkeit ist eine Fähigkeit. Kraft ist eine Fähigkeit. Schnellkraft ist eine Fähigkeit. Und diese Fähigkeiten können nicht im Rahmen von Sechswochenprogrammen erworben oder entwickelt werden. Weil wir uns so darauf fixieren, bestimmte „Symptome“ zu erzeugen, sind wir vollkommen betriebsblind geworden.
Und welche Symptome sind das?
- Schwitzen wie ein durstiger Maulesel am Ende einer Trainingseinheit
- totale Erschöpfung (der Sportler kann kaum noch nach Hause laufen)
- heftige Schmerzen (der Sportler kann sich am nächsten Tag kaum noch bewegen)
- Übelkeit und Benommenheit
Auf diese Symptome sind wir ganz wild. Unser ganzer Trainerstolz beruht darauf, dass wir solche Symptome erzeugen. Treten sie nicht auf, gilt eine Trainingseinheit als „zu lasch“ und als „Zeitverschwendung“.
Im Teenageralter ist der menschliche Organismus mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, die in ein Trainingsprogramm einbezogen werden müssen. Teenager neigen zu einer schlechten Ernährung. Sie schlafen nicht viel. Sie leiden unter Schulstress, stehen unter Leistungsdruck und machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Oft befinden sie sich in der Obhut von Trainern, die sie in Grund und Boden trainieren. Am Ende bestreiten sie jedes Sommerwochenende vier Fußballspiele, um den Idealen einer wahnsinnig gewordenen Jugendsportkultur zu entsprechen.
Bedenken Sie, dass es sich hier um Menschen handelt, deren Organismus noch in der Entwicklung ist. Zu viel Leistung bedeutet Übertraining und Verletzungsanfälligkeit bei einer verfehlten Didaktik. Diese Jugendlichen kommen sechs Wochen lang dreimal pro Woche zu Ihnen, um sich rituelle Prügeltrachten verabreichen zu lassen, die ihnen als Maßnahmen zur „Leistungssteigerung“ verkauft werden.
Lassen Sie es mich unverblümt ausdrücken: Wir müssen aufhören, uns selbst dafür auf die Schulter zu klopfen, dass wir die Sprungkraft des Juniors angeblich „in nur sechs Wochen“ verbessert haben.
Heranwachsende Sportler befinden sich in einer Wachstums- und Entwicklungsphase. Biomotorische Verbesserungen stellen sich praktisch von selbst ein. Mutter Natur hat dafür gesorgt. Der Testosteronspiegel steigt, die Muskeln verdichten sich, wachsen, und die neuronale Plastizität sorgt dafür, dass ein grundlegendes Koordinationslevel erreicht wird, um die eigenen Kräfte angemessen zu bündeln.
Teenager werden von ganz allein schneller und stärker. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Verletzungen vermieden werden und Jugendliche lernen, Bewegungsabläufe, die mit Kraft, Explosivkraft und Geschwindigkeit zu tun haben, richtig auszuführen. Das Alter und die Wissensgrundlage des Jugendlichen sind zu berücksichtigen.
Das Training mit Kindern und Jugendlichen bedeutet nicht, diese zum Schwitzen oder zum Kotzen zu bringen, sie bis zur Erschöpfung zu ermüden oder dafür zu sorgen, dass sie Muskelkater bekommen. Es geht darum, dass sie sich langfristig verbessern – genau wie in der Schule.
Euer Brian Grasso
Überragender Artikel, auch wenn er keine konkreten Handlungsanweisungen enthält. Ich arbeite selber im Jugendleistungssport und beobachte leider viele dieser Fehlentwicklungen, die Brian beschreibt. Den größten Beitrag zur sportartspezifischen Leistungssteigerung erbringen wir Fitnesstrainer dann, wenn wir im Jugendbereich die Grundlagen dafür legen, dass die Sportler im Laufe ihrer Karriere möglichst selten verletzt sind. Das ist jedoch vielen nicht leicht zu erklären.
BRAVO BRAVO BRAVO!!! Bitte an alle ELTERN junger Sporttalente schicken. Leider sind es meist diese Eltern – und weniger die gut ausgebildeten Trainer – die ihre kids zu völlig übertriebener Trainingsdichte und verfrühten Leistungen drängen.
Ein sehr schönes Thema und sehr gut beschrieben.
Die meisten Grundlagen der Bewegung,Gleichgewicht,Koortination und Taiming werden im frühen Kindalter entwickelt (1-5 LJ).
Das Wissen leider nur die weningsten Eltern und Trainer.
Spielen ist das Zauberwort!!!!
Mit den richtigen Spiel und der Motivation ist alles möglich, aber auch Achtung und Respekt auf beiden Seiten ist wichtig.
Viel Spaß
Ingo.
Der Artikel ist gut geschrieben und zeigt viele Problemstellungen bzw Missstände auf. Was allerdings fehlt sind konkrete Lösungsansätze. Vielleicht folgt noch ein Artikel?
Grundsätzlich ist die Einstellung des Autors gegenüber dem Training von Kindern und Jugendlichen lobenswert. Jedoch steht für mich die Frage im Raum was Schwitzen, totale Erschöpfung, heftige Schmerzen sowie Übelkeit und Benommenheit in einem leistungsorintierten Training zu suchen hat. Genausowenig sind 6-Wochen-Programme für einen langfristigen Leistungsaufbau brauchbar. Wem das nicht klar ist, hat im Trainerberuf nichts zu suchen.
Super Artikel und super Antworten,
eine Antwort hat mir sehr gut gefallen unzwar das Kinder die Bewegungsgrundlagen im Alter von 1/2 bis 5 J erlernen. Wenn mann das nicht weis geht zum Kinderarzt oder Therapeuten der mit Kindern arbeitet. Später kommen noch andere Spezialisierungen dazu in der Gruppe von 7-12J. Kommt auch auf die Entwicklung des Kinds an. In der Gruppe 1-6J ist Spielen die Hauptaufgabe, aber auch da kann mann schon mit spezillen Aufgaben die Kinder fördern. Und wenn es Spass macht kannst Du von den Kindern alles abverlangen bis zu einer gewissen Grenze. Was die Übungsauswahl betrifft müßt Ihr euch belesen geht zu anderen ÜL und schaut zu. Unterhaltet euch mit Erziehern und Sportlehren. Und auch im Internet findet mann auch Übungen.
viel Spass und Mut beim Ausprobieren!!!!!
LG Ingo