Unter einfachen Bewegungsmustern versteht man Bewegungsabfolgen, welche die meisten Menschen im Laufe des Heranwachsens erlernen. Dazu gehören Rollbewegungen, das Sichabstoßen mit den Armen, Herumkriechen auf allen Vieren und Krabbeln. Es ist vielleicht schwierig zu verstehen, was Krabbel- oder Rollbewegungen mit Fitness, Leistungssteigerung und dem allgemeinen Wohlbefinden zu tun haben. Die Antwort ist einfach: Sie hängen mit allem zusammen. Die Entwicklung grundlegender Bewegungsmuster ist die Basis für die Entwicklung aufgabengerechter Bewegungsabläufe. Diese Basis wird bei Trainingskonzepten zur Funktionsverbesserung oder Leistungssteigerung oft vernachlässigt.
Vergessen Sie die Grundlagen nicht
Die erste Regel der funktionellen Leistungssteigerung lautet: Vergessen Sie die Grundlagen nicht. Wenn wir auf die Welt kommen, verfügen wir über eine uneingeschränkte Beweglichkeit, doch im Laufe der Zeit lernen wir, den Körper zu stabilisieren. Das von uns angewendete Fitnesstraining fußt normalerweise auf Haltungen, die als einfache Bewegungsmuster bezeichnet werden können: Stützhaltungen, Bewegungen im Vierfüßlerstand und Bewegungen in Rücken- oder Bauchlage. Babys erforschen diese Bewegungsmuster, die ihnen einerseits Stabilität und andererseits Mobilität verleihen, ehe, sie sich kompliziertere Bewegungsabfolgen aneignen, die ein höheres Maß an Funktionalität erfordern.
Viele Fitnesstrainer haben bestimmte einfache Bewegungsmuster in ihre Programme aufgenommen, setzen sie aber oft nur ein, um das Übungspensum oder die Leistung ihrer Klienten zu steigern, nicht um der Qualität oder Wirksamkeit willen. Wenn wir eine Stützhaltung einnehmen, etwa in die Schulterbrücke mit gestrecktem Bein oder in den Seitstütz gehen, halten wir dann je inne, um den Grad des Gelingens zu überprüfen und auf die Unterschiede zwischen der rechten und der linken Seite zu achten? Wir strecken im Vierfüßlerstand das rechte Bein und den linken Arm und umgekehrt, doch zählen wir die Wiederholungen oder achten wir auf die Qualitätsunterschiede zwischen den beiden Seiten? Nehmen wir überhaupt zur Kenntnis, dass unsere Kunden problemlos zu einer Seite rollen können, aber bei einem vollständig anderen Bewegungsmuster auf der anderen Seite Schwierigkeiten haben?
Einschränkungen und Einseitigkeiten aufspüren
Allzu oft achten Trainer nicht auf die grundlegenden Bewegungsmuster, weil diejenigen, die normalerweise zum Fitnesstraining gehen oder Sport treiben, meist anspruchsvolle Bewegungen ausführen können, ohne dabei offensichtliche Mängel zu offenbaren. Vielfach beruhen diese „Fähigkeiten“ auf ausgleichenden, unwirtschaftlichen Bewegungsmustern, denen sie Einschränkungen und Einseitigkeiten verdanken. Um diese Einschränkungen und Einseitigkeiten aufzuspüren und dadurch einen bessern Einblick in funktionelle Bewegungsmuster zu erhalten, wurde das Functional-Movement-Screen-System entwickelt.
Physiotherapeuten setzen grundlegende, einfache Bewegungsmuster schon seit Längerem beim Rehabilitationstraining für Schlaganfallpatienten ein. Sie wissen, dass das Gehirn Einschränkungen ausgleicht, wenn es ihre Ursache nicht beheben kann. Dies ist ein einfacher Überlebensmechanismus. Auch Ihre Kunden werden auf ausgleichende Bewegungen ausweichen, wenn Sie es versäumen, ihre Mobilitäts- und Stabilitätsprobleme dingfest zu machen. Mithilfe der großen Bewegungsmuskeln lassen sich einfache Bewegungsmuster kaum effizient oder gut ausführen. Hier bietet sich eine wunderbare Gelegenheit, sich ganz auf die Haltemuskulatur zu konzentrieren und zu beobachten, wie sie in einer echten Alltagssituation arbeitet. Trainer machen oft den großen Fehler, herkömmliche Kenntnisse über Kraft und Ausdauer auf das Training der Haltemuskulatur zu übertragen. Sie ist jedoch dazu geschaffen, fast den ganzen Tag in meist statischer Haltung zu arbeiten und für die richtige Ausrichtung der Gelenke sowie die richtige Körperhaltung zu sorgen. Haltemuskeln lassen sich mit 3 Übungssätzen à 10 Wiederholungen oder mit herkömmlichem Krafttraining nicht ansprechen. Sie werden durch Krafttraining nicht größer, doch wenn sie im richtigen Maß trainiert werden, stützen sie das Skelett und schützen sie die Gelenke zuverlässig. Dies wiederum erleichtert der Bewegungsmuskulatur die Arbeit und erhöht ihre Leistungskraft.
Einfache Bewegungsmuster einsetzen, um Blockaden und Einseitigkeiten anzugehen
Fitnessgeräte mit geführten Bewegungen nähren Trugbilder von körperlicher Fitness, ohne die funktionelle Leistungsfähigkeit zu steigern.
Der größte Fehler beim Training der Haltemuskulatur ist die bewusste Ausführung von Übungen. Einen Seitstütz, eine Schulterbrücke mit gestrecktem Bein oder eine Rolle durchzuführen sollte keiner großen Überlegung bedürfen. Solche Bewegungen sollten nicht trainiert werden. Wenn Sie nicht darauf achten, dass die Stabilisierung reflexhaft erfolgt, besteht die große Gefahr, dass die Übung nicht die erwünschte Wirkung hat. Die reflexhafte Stabilisierung ist eine natürliche, automatische Aktivierung der Haltemuskeln in Vorwegnahme einer Bewegung. Damit sie überhaupt eintreten kann, ist eine angemessene Beweglichkeit erforderlich, die durch ein Flexibilitätstraining erreicht werden kann. Ist diese Beweglichkeit gegeben, sollten einfache Bewegungsmuster eingesetzt werden, um Blockaden und Einseitigkeiten anzugehen, die eine vernünftige reflexhafte Stabilisierung verhindern.
Selbst wenn jemand wichtige Muskelgruppen isoliert anspannen kann, wie den mittleren Gesäßmuskel oder den quer verlaufenden Bauchmuskel, ist das noch keine Garantie dafür, dass er oder sie diese Muskeln wirksam einsetzt, wenn die Situation es erfordert. Damit eine Bewegung wirkungsvoll ist und zur Stabilisierung beiträgt, müssen Muskeln und Gelenke richtig „getaktet“ sein und gut zusammenarbeiten. Wenn man einen Muskel anspannt, bedeutet das nicht automatisch, dass dieser auch angemessen arbeitet, es zeigt nur, dass er irgendwie mit dem Gehirn „verdrahtet“ ist. Die Fähigkeit, Haltemuskeln zu trainieren und anzuspannen, zeigt nur, dass diese Leistung bringen können, belegt aber nicht, dass sie tatsächlich ihre wichtigste Aufgabe erfüllen: das Skelett zu stabilisieren.
Die Überprüfung einfacher Stabilisationstechniken
Zur schnellen Überprüfung einfacher Stabilisationstechniken eignen sich folgende Maßnahmen:
1. Beobachten Sie Ihren Kunden bei der Schulterbrücke mit gestrecktem Bein (rechts und links).
Achten Sie zunächst auf die Haltung, dann zählen Sie, wie viele Wiederholungen der Kunde mit dem linken und mit dem rechten Bein durchführen kann.
2. Beobachten Sie Ihren Kunden beim Seitstütz.
Achten Sie auf die Durchführungsqualität und die Ausrichtung. Notieren Sie sich die Anzahl der Wiederholungen und die Zeitspanne, die der Kunde auf beiden Seiten in der Endposition verbleibt.
3. Beobachten Sie einen fortgeschrittenen Kunden beim Liegestütz mit gestrecktem Bein.
Bitten Sie ihn, sich in die Ausgangsposition zu begeben: Die Ellbogen sind gestreckt, der Rücken ist gerade. Dann wird das rechte Bein angehoben. Achten Sie darauf, inwieweit Ihr Kunde zwischen Becken und Schultern instabil wird. Wenn Sie bemerken, dass er Schwierigkeiten hat, das Gleichgewicht zu halten, notieren Sie die Anzahl der bis dahin durchgeführten Wiederholungen, und bitten Sie ihn anschließend, das linke Bein zu heben. Bei dieser Übung sind Rumpf- und Hüftmuskulatur stark gefordert. Sie zeigt sehr eindrucksvoll, wie schwierig es wird, den Körper zu stabilisieren, wenn die entsprechenden Muskeln durch wiederholte Beanspruchung ermüden.
4. Auch diagonales Arm- und Beinheben im Vierfüßlerstand eignet sich zur Beurteilung der Haltemuskulatur.
Bei dieser Übung werden jeweils das rechte Bein und der linke Arm oder das linke Bein und der rechte Arm gestreckt. Wir empfehlen die Durchführung mit einem geringen Widerstand und einer Hartschaumrolle oder einem zusammengerollten Handtuch im unteren Rücken, damit der Rücken gerade gehalten wird. Bitten Sie Ihren Kunden nur, darauf zu achten, dass die Rolle nicht herunterfällt, und die Übung in einem langsamen, gleichmäßigen Rhythmus durchzuführen. Arm und Bein sollten jeweils ganz gestreckt werden. Notieren Sie, wie viele Wiederholungen Ihr Kunde mit leichtem und mittlerem Widerstand schafft. Vergleichen Sie beide Seiten hinsichtlich der Qualität und der Anzahl von Wiederholungen. Idealerweise sollte der Proband zwischen 20 und 40 Wiederholungen durchführen. Wählen Sie also einen Widerstand in entsprechender Stärke aus. Sie werden überrascht sein, wie groß der Unterschied zwischen beiden Seiten ist, unabhängig davon, wie viel Trainingserfahrung Ihr Kunde bereits hat.
Kein Kind lernt Laufen, ohne vorher gekrabbelt zu haben.
Die Berücksichtigung einfacher Bewegungsmuster kann dazu beitragen, dass Fitnesstrainer intuitiver und intelligenter handeln. Wie oft üben wir unseren Beruf aus, ohne die kindlichen Wachstums- und Entwicklungsphasen zu berücksichtigen, in denen die Grundlagen der Bewegung gelegt werden! Kein Kind lernt Laufen, ohne vorher gekrabbelt zu haben. Doch wie oft trainieren wir Kniebeugen, Ausfallschritte und Kreuzheben bis zum Übermaß, ohne überhaupt auf die Idee zu kommen, diagonales Arm- und Beinheben im Vierfüßlerstand durchzuführen, das im Grunde so etwas wie statisches Krabbeln ist!
Wenn Wachstumsprozesse natürlich verlaufen, entwickeln Kinder symmetrische Bewegungsmuster und eine angemessene Stabilität, ohne unter Bewegungseinschränkungen zu leiden. Bestimmte Bewegungsvorlieben und Verletzungen führen später zu Ungleichgewichten und Einseitigkeiten. Viele Fitness- und Sporttrainer geben sich damit zufrieden und ordnen sie als Alterserscheinungen ein. Sie achten nicht weiter auf die damit einhergehenden Schwierigkeiten und tragen so dazu bei, dass ihre Kunden weitere Ausgleichshaltungen und Asymmetrien entwickeln. Gute Trainer hingegen gehen die Probleme direkt an, verändern das Trainingspensum, die Anzahl der Übungen und kehren sogar zu einfachen Bewegungsmustern zurück, um das Übel an der Wurzel zu packen.
Menschen trotz extremer Funktionsstörungen fit machen
Die moderne Trainingswissenschaft hat es uns ermöglicht, Menschen trotz extremer Funktionsstörungen fit zu machen. Unter Funktionsstörungen versteht man in diesem Fall Einschränkungen, Einseitigkeiten oder das Nichtvorhandensein grundlegender Bewegungsmuster. Fitnessgeräte, mit denen man im Sitzen Bewegungen auf festgelegten Achsen durchführt, nähren Trugbilder von körperlicher Fitness, ohne die funktionelle Leistungsfähigkeit zu steigern. Nutzen Sie Ihr Wissen, um individuelle Funktionsstörungen aufzuspüren, und arbeiten Sie daran, sie zu korrigieren. Ihre Kunden werden sich am Ende effizienter bewegen können. Das ist die beste Grundlage für ein wirkungsvolles Kraft- und Ausdauertraining.
Euer Gray Cook
Super Artikel. Finde auch das gerade die wichtigsten Details oftmals von den Trainern übersehen werden.
Danke für den informativen Artikel.
Ich sage meinen TN auch oft, dass wir das üben sollen, das Kinder von Natur aus gerne machen.
Sportliche Grüße, Beate
Sehr interessanter Artikel. Wie lautet denn die aus Ihrer Sicht passende Empfehlung, wenn ich feststelle, dass ich oder meine TN bei den genannten Übungen auf einer Seite mehr Wiederholungen schaffen oder „sauberer“ arbeiten als auf der anderen? Mit der schwächeren Seite anfangen und mit der besseren nur so viele Wdh. ausführen wie mit der schwächeren bewältigt werden? Oder ein oder mehrere Sätze mit der schwächeren Seite mehr ausführen?
Erst einmal vielen Danke für deine Frage. Diese ist wichtig und wird in vielen Aus- und Fortbildungen gestellt.
Die erste Frage die sich stellt ist: Warum bist du auf einer Seite schwächer oder kannst das Muster nicht so korrekt ausführen wie auf der anderen?
Die Gründe können vielfältig sein: Ein oder mehrere abgeschwächte Muskeln, alte Vorverletzungen, Gelenkfehlstellungen, Bindegewebseinschränkungen usw… Wie wir heute wissen, beeinflussen einfache Muster positiv wie negativ höhere Muster, so wie in dem Artikel beschrieben. Bevor wir nicht wissen welches Muster oder welche Funktion diese Asymmetrie auslöst, macht es oft wenig Sinn der einen Seite mehr und der anderen weniger Aufmerksamkeit im Training zu schenken. Wenn das Bewegungsmuster nicht richtig angesteuert wird, und du unbewusst Übungen wählst die das dysfunktionale Muster weiter herausfordern, würden dich weitere Wiederholungen nur zusätzlich kompensieren lassen. Genau um diesen Gründen und Mechanismen auf die spur zu kommen wurde der
FMS und der SFMA entwickelt.
Daher empfiehlt sich im ersten schritt, wenn du schmerzfrei bist, immer einen FMS durchführen zu lassen um grundlegende Muster auf Asymmetrie und Dysfunktionen abzutasten und auszuschliessen.
Als Grundlage dessen und der richtigen Corrective Exercise Strategie lassen sich dann meist eine oder mehrere Schwachstellen herausfiltern und verbessern. Mit Test und Re-Test kannst du dann auch direkt herausfinden ob der Kunde positiv, neutral oder negativ auf deine Korrekturübung reagiert. Ebenso bekommst du Informationen für Dinge die gut funktionieren und die du trainieren kannst.
Der zertifizierte FMS Experte kann dir dann auch sagen welche Übungen für dich dienlich sind und welche du aktuell besser weglassen solltest.
Ich hoffe ich konnte dir weiterhelfen,
Eberhard