Vor nicht allzu langer Zeit publizierten die Medien mehr und mehr Studien und Artikel, die sich mit einer vermeintlich bahnbrechenden Neuentdeckung beschäftigen: Erfolg hängt demnach nicht, wie oft angenommen, von Talent ab, sondern ist das Ergebnis langfristiger, zielgerichteter Arbeit. Diese Erkenntnis wurde als hochaktuelle Neuigkeit angepriesen. Nicht, dass das so nicht stimmen wurde. Nein, die Kernaussage ist ja durchaus richtig. Aber neu war die Erkenntnis, dass Erfolge nur mit harter Arbeit zu erzielen sind, keineswegs. Und es ist äußerst beunruhigend, dass sich unsere Gesellschaft auf diese Erkenntnis sturzt wie der Hund auf einen Knochen, so als habe man ihr plötzlich einen bislang geheim gehaltenen Code verraten. Endlich kennen wir das Rezept, endlich können wir alle am Erfolg der Menschheit teilhaben!
Das Leben passiert im Hochgeschwindigkeitstempo
Natürlich muss sich eine solche Haltung zur Arbeit und zum Erfolg auch auf den Sport auswirken. Als Trainer sind wir bisher vermutlich davon ausgegangen, dass unsere Athleten um die Wichtigkeit von langfristigem, zielgerichtetem und hartem Training wissen. Das ist aber falsch. Das moderne Leben findet auf der Überholspur statt: Fertiggerichte sind in einer Minute zubereitet, der Computerbildschirm hält uns mit Punktetabellen über unseren aktuellen Stand beim Online-Shopping, Online-Banking und jeden anderen x-beliebigen Lebensbereich informiert. Gleichzeitig hören wir verbale Aufmunterungsfloskeln, die uns in unserem Bemühen bei der Stange halten sollen, während im Fernsehen mal wieder ein neuer Millionär angekündigt wird. Das Leben passiert im Hochgeschwindigkeitstempo.
Erfolg im Sport wird dagegen als Talentsache abgetan. Wer keines hat, der braucht sich gar nicht erst anzustrengen. Doch auch im Sport gilt die Regel: Topathleten werden nicht geboren, sie werden gemacht. Unsere Aufgabe als Trainer ist heute wichtiger als je zuvor. Wir müssen unseren Sportlern, ob Hochleistungssportlern oder Gesundheitssportlern, täglich aufs Neue klarmachen, dass Training hart ist, geplant sein muss und nicht immer Spaß macht. Übung macht den Meister.
Die 10 000 Stunden Regel
Es gibt im Sport die sogenannte 10 000-Stunden-Regel. Sie besagt, dass es etwa 10 000 Stunden dauert, bis eine neue Fertigkeit erlernt ist. Das ist eine lange Zeit, aber die gute Nachricht ist: Nicht nur wer Talent hat, wer genetisch bevorzugt ist, kann ausergewöhnliche Leistungen erzielen, sondern jeder, der bereit ist, die notwendige Zeit zu investieren.
Wir müssen unsere Sportler und Klienten jeden Tag daran erinnern und versuchen, ihnen immer klarzumachen, dass man den Körper nicht drängeln kann. Muskeln trainiert man nicht im Laufe von Minuten. Um Muskeln wachsen zu lassen, um das Gehirn und das Nervensystem zu verändern, sind Tausende von Trainingsstunden und viele, viele Wiederholungen nötig. Verabschieden wir uns von der Vorstellung, dass Spitzensportler einfach nur ausergewöhnliches Talent haben. Vielfältige Studien haben ergeben, dass herausragende sportliche Leistungen entstehen, wenn jemand härter, länger und intelligenter trainiert als die anderen. Das heiβt für den Profitennisspieler Zeit auf dem Platz, das heißt für den Gesundheitssportler vermutlich Stunden im Fitnessstudio.
Ist Erfolg eine Talentfrage – Das Beispiel Phil Simms
Ein Beispiel: Phil Simms war ein kleiner, im ländlichen Kentucky aufwachsender Junge mit Affinitat zum American Football. Seine Nachmittage verbrachte er damit, zu Hause einen Football wieder und wieder durch einen im Baum aufgehängten Autoreifen zu werfen. Am Ende spielte er in der NFL und wurde beim Superbowl XXI zum MVP (most valuable player) gekürt. Steter Tropfen hohlt den Stein. Die 10 000 veranschlagten Trainingsstunden müssen gut geplant sein. Jedes Training muss zielgerichtet sein und auf einen bestimmten Leistungsaspekt abzielen. Bewegungsfertigkeiten müssen ständig überprüft und optimiert werden, wobei der Athlet immer wieder Rückmeldung vom Trainer bekommen muss.
Training muss darüber hinaus immer genau auf den Athleten abgestimmt sein. Es ist die Aufgabe des Trainers, zu wissen, wo die Leistungsfähigkeit des Sportlers aktuell anzusiedeln ist und wie der nächste Trainingsschritt aussehen muss. Nie ist das Endziel erreicht, es gibt immer noch etwas zu verbessern. Der Trainer muss die Stärken und Schwächen seiner Athleten kennen, muss wissen, wie er Stärken ausbauen und Schwächen eliminieren kann, und er muss immer die nächsten Schritte zur Leistungsverbesserung im Kopf haben. Die nächste Aufgabe muss er mit kurzen, klaren Anweisungen an den Sportler übermitteln. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass die erfolgreichsten Trainer ihren Sportlern ein regelmäßiges, kurzes und klares Feedback geben. Ein Trainer muss Erwartungen haben und diese klar formulieren. Wenn wir uns umschauen, wo Trainer außergewöhnliche Erfolge erzielen, verstehen wir mehr von der Bedeutung von Erwartungen bzw. Erwartungshaltungen:
Ist Erfolg eine Talentfrage – Fußballer aus Brasilien und Tennisspielerinnen aus Rußland
Brasilien brilliert im Fußball, Russland im Damentennis, die Dominikanische Republik im Baseball. Warum hat man gerade dort so außergewöhnlichen Erfolg? Die Kinder in Brasilien sind so arm, dass sie sich oft ihren Fußball aus Abfallstoffen selbst zusammenbasteln, die Tennishallen in Russland sind so heruntergekommen, dass man sich fragt, ob sie den nächsten Herbststurm überstehen. Und doch werden genau dort die höchsten sportlichen Leistungen produziert. Warum? Weil man aus Erfahrung weis, dass es funktioniert, und man die Erwartungshaltung hat, dass sich die Mühe auch in Zukunft wieder auszahlt. Trainer erwarten, dass ihre Methoden erfolgreich sind, und ihre Sportler erwarten, dass sie einmal ganz oben ankommen. Diese positive Erwartungshaltung bestimmt ihren Ehrgeiz, und viele absolvierte Trainingsstunden wiederum führen zum Erfolg. Gut Ding will Weile haben.
Wir müssen diese Erwartungshaltung auch auf unsere Sportler anwenden, wenn wir mit unseren Programmen den gleichen Erfolg haben wollen. Ich selbst trainiere weniger NFL-Combine-Athleten als die meisten anderen Trainer und dennoch hatte ich in den vergangenen NFL-Combines mehr 4.3-Athleten im Camp als jeder andere. Die Statistik war also gegen mich. Doch wenn ich Athleten trainiere, dann erwarte ich einfach, dass sie höchste Leistungen erbringen, und zwar in jedem Bereich: in der Ernährung, der Athletik, der Technik, etc. Und meine Erwartungshaltung wird erfüllt. Verstehen Sie mich nicht falsch. Der Grundsatz „Erwartungshaltung“ sollte nicht nur fur Hochleistungssportler gelten, sondern für jedermann. Setzen Sie hohe, aber erreichbare Ziele und erwarten Sie, dass diese erfüllt werden.
„Wir haben jeden Tag gespielt. Wir spielten vor der Schule und nach der Schule. Morgens wachten wir auf, spielten Tennis, putzten unsere Zähne – in genau dieser Reihenfolge!“ André Agassi
Erwartungshaltung statt Spaßfaktor – So kommt der Erfolg
Ein Merkmal unserer heutigen Gesellschaft ist, dass alles, was wir tun, Spaß machen muss. Ständig werden wir unterhalten und bemessen den Wert aller Aktivitäten am Spaßfaktor. Da passt Sport nicht ins Konzept: Denn sportliches Training macht nicht immer Spaß. Es ist sogar physisch und psychisch mitunter extrem belastend, es laugt uns aus und verlangt von uns das Äußerste. Die Sportler müssen lange Durststrecken überwinden, bevor endlich der lang ersehnte Erfolg da ist. Doch der Erfolg ist das, was erfolgreiche Sportler zum Weitermachen anspornt. Er gibt ihnen so viel Befriedigung, dass sie sich gerne von Ziel zu Ziel arbeiten. Diese mentale Einstellung kann man lernen. Leider gibt es dafür keine Anleitung in den Trainingsbüchern. Ein guter Coach aber weiß, wie er seine Sportler bei der Stange hält und sie immer wieder aufs Neue motiviert.
Sich wiederholende Tätigkeiten werden im Allgemeinen als langweilig angesehen, und langweilige Aufgaben sind verpönt. Auch diese Einstellung passt mit Sport nicht zusammen: Sportliches Training ist Wiederholung. Immer wieder muss der Sportler genau die gleichen Bewegungen üben, bis sich in seinem Gehirn Myelin bildet und sich der gewünschte Bewegungsablauf eingeschliffen hat. Dennoch:
Wiederholung sollte nicht langweilig sein, denn Langeweile entsteht, wenn man sich nicht mehr auf seine Sache konzentrieren muss. Der Athlet soll aber ständig mit der Aufgabe beschäftigt sein, soll bemüht sein, Bewegungen stets so präzise wie möglich auszuführen. Wer dies beherzigt, der dürfte beim Training nicht gelangweilt sein. Auch dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe des Trainers: Er muss den Sportler stets vor anspruchsvolle, machbare Aufgaben stellen und ihn mental bei der Stange halten. Nicht viele Trainer haben das nötige Fingerspitzengefühl für ihre Sportler und nicht viele Sportler haben den nötigen Ehrgeiz, etwas Außergewöhnliches zu erreichen. Darin liegt die Chance: Wenn es Trainern gelingt, eine Erwartungshaltung zu schaffen und den Sportler über das körperliche Training hinaus als Ganzes zu fordern, dann ist Erfolg garantiert!
Euer Martin Rooney