Als ich mit dem Coachen begann, war funktionelle Bewegung in der Fitnessindustrie der große Trend. Jede Sparte, egal ob Kettlebell-Training, TRX und sogar BodyPump, warb mit ihrem »funktionellen« Trainingsnutzen. Aber die große Frage ist: Was genau ist funktionelle Bewegung? Es gibt eine Menge Definitionen, wie »Bewegung vom Körperzentrumzu den Extremitäten«, »Mehrgelenkbewegung«, »Bewegung für den Alltag« und »große Lasten über lange Strecken schnell bewegen«. All diese Definitionen sind großartig, aber ich glaube nicht, dass sie die wahre Bedeutung von funktioneller Bewegung erfassen.
Für mich gibt es drei Aspekte, die funktionelle Bewegung definieren:
1. Sicher: Man muss die Bewegung ohne Verletzung ausführen und beenden können.
2. Nützlich: Die Bewegung muss Ihnen helfen, ein Ziel zu erreichen.
3. Lang andauernd: Die Bewegung muss der effizienteste Weg sein, eine Aufgabe zu absolvieren.
Ich beschreibe jeden der Aspekte einzeln, aber es ist wichtig, zu erkennen, dass sie sich überschneiden und voneinander abhängen. Einer lang andauernden Bewegung wie Gehen beispielsweise wird oft auch ein hohes Maß an Sicherheit und Nützlichkeit zugeschrieben.
Sicher
Sal Masekela, ein guter Freund, Athlet und Mentor, erzählte mir einmal davon, wie er trainiert, unter Wasser seinen Atem anzuhalten. Für Big-Wave-Surfer ist es nicht ungewöhnlich, bis zu 30 Sekunden unter Wasser gedrückt zu werden, was sich wie eine Ewigkeit anfühlen kann. Den Atem anhalten zu können ist für sie eine wichtige, weil lebensrettende Fertigkeit. Nach einigen Einheiten mit seinen Kumpels hatten sich Sals Lungenvolumen und Fähigkeit, den Atem anzuhalten, verbessert. Aber er fühlte sich durch Sauerstoffmangel und den unvermeidbaren biologischen Alarm eingeschränkt, der nach etwa zwei Minuten losgeht und ihm befiehlt, auf alle Fälle nach Luft zu schnappen.
Erst nachdem ihn erfahrenere Freunde ermutigt hatten, sich durch das unangenehme Gefühl hindurchzuarbeiten, unternahm er einen weiteren Versuch. Sie forderten ihn auf, bewusst das Risiko einzugehen, sich über die Zwei-Minuten-Alarmschwelle hinwegzusetzen. Als das Gefühl wieder aufkam und Sal seinem Körper einfach nicht nachgab, war es, als wäre ein Schalter umgelegt worden – als wäre sein Körper in einen neuen Raum gelangt, der plötzlich mit mehr Sauerstoff gefüllt war. In diesem Moment merkte er, dass er über viel mehr Kapazität verfügte, als er gedacht hatte, was ihm das Selbstvertrauen und die Ruhe gab, seinen bisherigen Rekord zu überbieten.
Die wichtigsten Prioritäten während meiner Arbeit als Coach sind die Gesundheit und das Wohlergehen der Leute, mit denen ich arbeite. Immer wenn wir versuchen, menschliche Leistung zu verbessern, gibt es bestimmte Risiken. Wie Sal bewusst über den biologischen Atemalarm hinwegzugehen, kann sehr gefährlich sein. Aber als Sal übte, sorgte er dafür, dass erfahrene Athleten und Coaches ihn unterwiesen. Sie beherrschten die Herz-Lungen-Wiederbelebung und übten gemeinsam in der kontrollierten Umgebung eines Swimmingpools. Letztlich halfen sie ihm, die Risiken absichtlichen Atemanhaltens zu verstehen, zu akzeptieren und zu verringern. Denke daran: Es ist Aufgabe des Coaches, dafür zu sorgen, dass der Athlet sich sowohl mit dem Risiko, das er eingeht, wohlfühlt, als auch in der Lage ist, die Einschätzung dieses Risikos kontinuierlich zu verbessern.
Zum Verschieben der Grenzen menschlicher Leistung gehört immer etwas Unbequemlichkeit. Dieses Gefühl kann entweder deine aktuellen Leistungen einschränken oder ein Indikator für Schmerzen und bevorstehende Verletzungen sein. Glücklicherweise kannst du das Signal auf der Grundlage von Wissen und Erfahrung einschätzen und informiert eine Entscheidung treffen. Jeder, der seine körperliche Leistungsfähigkeit auf lange Sicht verbessern will, muss die Unterschiede zwischen schlichtem Unbehagen und potenzieller Gefahr verstehen können.
Sals Geschichte zeigt, dass ein erfahrener Coach und eine Gruppe von Leuten, die mit dir zusammenarbeitet, dazu beitragen, gleichzeitig die Grenzen zu verschieben und die Risiken zu kontrollieren. Wenn du deinen aktuellen Zustand genauso beobachten und beschreiben kannst wie den potenziell darauffolgenden, kannst du leichter einen Weg aufzeichnen, wie du dort hingelangst.
Nützlich
Wenn die Turnhalle über den Sommer geschlossen war, absolvierte ich als junger Turner mein Krafttraining in einem Bodybuilding-Studio. Einmal gehörte Trizeps Armdrücken am Kabelzug zu meinem Programm. Als ich an dem Seil zog, das an einem Kabel befestigt war, um meine Arme von der Brust zur Hüfte zu strecken, trat ein Erwachsener an mich heran und sagte: »Hey, Junge, halt den Rücken gerade.« Ich drehte meinen Kopf und schenkte ihm einen Wer-bist-du?-Blick. Er sagte: »Ja, ich weiß, du bist Turner. Du musst während des Trainierens wie ein Turner denken und aussehen.« Er wollte sagen, dass jede Bewegung Transfer verlangt oder zumindest wie die anderen Bewegungen aussehen muss, die man verbessern will.
Eine Bewegung ist nützlich, wenn sie dir hilft, ein Ziel zu erreichen. Damit das gelingt, muss die nützliche Bewegung dich über deinen aktuellen Fortschritt informieren. Angenommen, ich bin Gewichtheber und nutze Squats, um stärker zu werden. Der Squat ist nützlich, weil er meine Kniebeuge- und -streckmechanik im Clean und Snatch verbessert. Der Squat hilft mir, meine Progression zu messen, da ich ihn quantifizieren kann. Viele Sportler nehmen das bewältigte Gewicht als Maßstab für ihre Fähigkeiten. Wählt man aber die Herangehensweise über die Haltung und die Bewegung (global-lokal, Start–Übergang–Ende und Verschieben–Verbinden–Flow), ist es einfach, die große Schnittmenge zwischen Gewichtheben und dem Squat zu erkennen.
Im Liegestütz gibt es eine einfachere Art derselben Drückmechanik, die man in schwierigeren Drückbewegungen wie dem Ausstoßen im olympischen Gewichtheben beobachten kann. Zum Entwickeln von Verläufen, die dazu beitragen, Ihre Bewegungsmuster zu verbessern, und zum Aufspüren fehlender Effizienz ist es hilfreich, die Grundlagen der Drückmechanik zu verstehen.
Das Ausstoßen ist eine Bewegung im olympischen Gewichtheben; die Hantelstange befindet sich anfangs auf den Schultern und am Ende mit gestreckten Armen über dem Kopf. Obwohl viele talentierte Gewichtheber im Ausstoßen viel Last bewegen, kann man interessanterweise in der Analyse ihrer Liegestütze oder Klimmzüge leicht fehlende Effizienz und Dysfunktionen grundlegender Bewegungsmuster erkennen. Die wiederum tauchen wahrscheinlich im Ausstoßen auf, was an der großen Schnittmenge an Stellungen und Techniken liegt. Im Vergleich zum komplexen und schnellen Ausstoßen ist der Liegestütz einfacher, funktioniert aber mit der gleichen Technik und ist somit perfekt, um mangelnde Effizienz aufzudecken, Bewegungsmuster zu verbessern und Fortschritte zu messen. Wir sind alle in der Lage, Probleme zu erkennen. Und Nützlichkeit kann, je nach Zielen und Hintergrund, für unterschiedliche Menschen Unterschiedliches bedeuten.
Lang andauernd
Jeder, der einen Top-Athleten beobachtet, sagt irgendwann: »Oha, dieser Sportler ist wirklich effizient!« Aber wie kann man tatsächlich wissen, wie effizient jemand ist? Untersucht man seinen Energieverbrauch? Sind wir alle Experten in Biomechanik? Oder gibt es etwas über Effizienz, das ganz einfach und trotzdem richtig ist?
Das Wort Effizienz taucht in der Fitness- und Sportindustrie an jeder Ecke auf. Aber worauf bezieht es sich? Effizienz wird normalerweise verwendet, um Spitzenathleten zu bezeichnen, die auf höchstem Niveau, mit großem Erfolg und wenigen Verletzungen agieren. Zudem erscheinen sie in ihrem Wirken attraktiv. Wir unterscheiden auf natürliche Weise, was gut oder schlecht aussieht, und benutzen dies, um Effizienz zu beurteilen. Aber man muss die beste Art, eine spezielle Bewegung zu vollziehen, erkennen können, um deren Effizienz beurteilen zu können. In diesem Buch konzentriere ich mich mehr auf die körperlichen und mechanischen als auf die physiologischen und psychologischen Aspekte der Effizienz und verwende die Bewegungssprache dieses Kapitels.
Wenn du eine Bewegung betrachtest, kommt die Frage auf: »Wie vollzieht man sie am effizientesten?«, oder anders gesagt: »Welcher Weg von A nach B ist der schnellste?« Um das herauszufinden, ist es notwendig, spezifischere Fragen zu stellen: Trage ich eine große Last? Wie groß ist die Entfernung? Gibt es eine Zeitvorgabe? Diese variierenden Anforderungen weisen darauf hin, dass eine Bewegungstechnik effizienter sein könnte als eine andere. Sie können sogar zu etwas ganz Neuem führen – wenn neue Anforderungen oder ein neues Verständnis vorhandener Anforderungen zu brandneuen Bewegungen führen. So provoziert Effizienz Innovation.
Die funktionellste Bewegung zum Erfüllen einer Aufgabe ist die, die man ein Leben lang immer wieder ausführen kann. Interessanterweise verfügen wir alle über die Fähigkeit, diese Effizienz zu erkennen, auch wenn wir sie nicht erklären können. Manchmal genügt Erkenntnis allein nicht, um eine Bewegung weiterzuentwickeln; man muss bewusst an ihrer Progression arbeiten.
Zusammenfassung funktionelle Bewegung
Nehmen wir an, ich verlege in meinem Haus einen Holzboden. Ich habe das Holz und einen Haufen Nägel, um den Boden zu befestigen. Wenn ich beginne, die Nägel ins Holz zu treiben, neige ich natürlicherweise dazu, direkt auf den Nagelkopf zu schlagen. Abhängig von meiner Erfahrung und der Kraft, die ich aufwende, brauche ich mehr oder weniger Schläge, um jeden Nagel nach unten zu hämmern. Wenn ich den Nagel nicht genau auf den Kopf träfe, könnte er biegen oder brechen und der Boden würde nicht so gut aussehen und nicht so lange halten.
Da wir alle länger leben, mehr Leistung bringen und uns gut fühlen wollen, müssen wir unsere Bewegungen optimieren. Ich betrachte funktionelle Bewegung (siehe oben) gerne als Hammer und Nägel. Konfrontiert mit einer Aufgabe (Boden verlegen), bevorzuge ich Sicherheit, um mich nicht zu verletzen. Ich habe einen Grund für meine Bewegung (den Nagel mit dem Hammer schlagen), will einen Nutzen gewährleisten (fertiger Boden), und ich konzentriere mich auf die Effizienz der Bewegung (von oben auf den Nagelkopf schlagen). Ziel ist immer die Suche nach dem besten Weg, nicht nach dem bekanntesten. Das Beibehalten des richtigen Verhältnisses zwischen Funktionalität und Gesundheit hilft dir, die optimale Handlungsweise zu finden. Bedenke, dass jede Bewegung funktionell ist, wenn sie diesen drei Kriterien entspricht: Sie ist sicher, dient einem Zweck und ist lang andauernd.
Euer Carl Paoli