Leaky-Gut-Syndrom
Mit gesundem Darm zum Trainingserfolg
Das Wissen um die Bedeutung der Gesundheit des Darms und die Wechselwirkungen mit der Leistungsfähigkeit hat in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen. Mittlerweile bezeichnet das Deutsche Institut für Sporternährung E.V. (DISE) den Darm sogar als „Schlüsselorgan“ der Leistungsfähigkeit“. Innerhalb der komplexen Wechselwirkungen von Darm und Gesundheit rückt eine anatomische Struktur zunehmend in den Fokus aktueller Forschung und Diskussionen: Die Darmbarriere. Personal Trainer Reda Berrada erklärt in der Ausgabe 3/2021 – NUTRITION, warum ein gesunder Darm so wichtig ist und wie man ein Leaky-Gut-Syndrom erkennt und erfolgreich behandelt.
Obwohl der Darm im Körperinneren liegt, stellt er die größte Kontaktfläche des menschlichen Körpers zur Außenwelt dar. Würde das gesamte Darmepithel (Zellschicht, die die Innenseite des Darms bedeckt) aufgefächert werden, so ließe sich damit ein halbes Handballfeld abdecken. Mit 400 Quadratmetern Oberfläche ist es die wichtigste Aufgabe des Darms, den Austausch von Stoffen zwischen dem Körper und der Außenwelt zu gewährleisten.
Auf der einen Seite muss eine Resorption von Nährstoffen, Wasser oder Elektrolyten ermöglicht werden – auf der anderen Seite muss der Darm das Eindringen von Toxinen, Antigenen und Krankheitserregern verhindern. Für diesen Schutz haben sich drei Mechanismen entwickelt, die in ihrer Gesamtheit die sogenannte Darmbarriere darstellen.
1. Verteidigungslinie: Die Darmflora
Das intestinale Mikrobiom umfasst die Gesamtheit aller im Darm lebenden Mikroorganismen. Hier konkurrieren „gute“ und „schlechte“ Bakterien um die begehrten Plätze auf der Darmoberfläche. So kann eine intakte Darmflora pathogene Bakterien verdrängen und ihre Vermehrung verhindern. Außerdem werden hier unterschiedliche Substanzen freigesetzt, die die darunter liegenden Epithelzellen stärken.
2. Verteidigungslinie: Die Darmschleimhaut
Die Zellen der Darmschleimhaut stellen in erster Linie eine mechanische Barriere nach außen dar. Die Oberfläche ist mit Schleimstoffen bedeckt, die ein Eindringen von jeglichen Substanzen aus der Außenwelt erschweren. Sollten die Zellen dennoch von diesen Substanzen erreicht werden, so stellen die Tight Junctions, mit denen die Zwischenräume zwischen den Zellen abgedichtet sind, eine weitere Barriere dar. Dabei handelt es sich um Proteine, die ähnlich wie ein Reißverschluss die Lücken zwischen den Zellen schließen.
3. Verteidigungslinie: Das intestinale Immunsystem
Substanzen, die trotz der ersten zwei Verteidigungslinien durch die Darmschleimhaut gelangt sind, treffen nun auf die Immunabwehr des Körpers. Tatsächlich beherbergt die Darmschleimhaut den Großteil des Immunsystems. Dieses immunologische Bollwerk sollte in gesundem Zustand in der Lage sein, als letzte Instanz der Darmbarriere den Körper zu schützen.
Die Schlüsselrolle der Tight Junctions
In einem gesunden Darm greifen die verschiedenen Schutzfunktionen ineinander. Doch nicht selten treten Störungen auf, die dazu führen, dass diese Schutzfunktionen nicht mehr vollständig funktionieren. Dabei kommt es zu Kettenreaktionen, die die einzelnen Verteidigungslinien aus ihrem natürlichen Gleichgewicht bringen.

Eine besonders kritische Stelle sind die Tight Junctions, die die Zwischenräume zwischen den Epithelzellen abdichten. Diese Zwischenräume sind essenziell für die Resorption und ermöglichen die passive Diffusion von Wasser und den darin gelösten niedermolekularen Substanzen. Hierfür muss eine gewisse Durchlässigkeit gewährleistet sein. Gleichzeitig sind diese Zwischenräume das Eintrittstor für unerwünschte Substanzen. Zur Kontrolle von Resorption und Schutz sind die Tight Junctions dynamisch regulierbar. Diese Regulierung kann allerdings durch unterschiedliche Faktoren gestört werden, sodass die Tight Junctions dauerhaft zu weit geöffnet sind. Dies führt zu einer erhöhten Permeabilität des Darms, einem sogenannten Leaky Gut („löchriger Darm“). Dabei kommt es zu einem unkontrollierten Einstrom unerwünschter Substanzen aus dem Darm in den Körper. Diese belasten den Organismus – es kommt zu einem Leistungsabfall oder assoziierten Folgeerkrankungen.
Ursachen
Eine Beeinträchtigung der Darmbarriere beginnt mit einer Störung der ersten Verteidigungslinie, der Darmflora. Eine intakte Darmflora schützt die darunter liegende Epithelschicht und stabilisiert die nachgeschalteten Schutzmechanismen. Die Darmflora kann durch eine unausgewogene Ernährung oder durch die Einnahme von Medikamenten (insbesondere Antibiotika oder Schmerzmitteln) aus dem Gleichgewicht gebracht werden.
Zusätzlich können verschiedene Einflüsse direkt auf die unterschiedlichen Ebenen der Darmbarriere einwirken. Insbesondere Ausdauersportlern macht dies zu schaffen. Eine übermäßige Trainingsbelastung hat nachweislich einen direkten negativen Einfluss auf die gastrointestinale Stabilität und kann ein „trainingsinduziertes gastrointestinales Syndrom“ auslösen. Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und/ oder (blutiger) Durchfall treten bei Spitzensportlern vermehrt in Wettkampfsituationen auf, wenn die physische und psychische Belastung besonders hoch ist. So kommt es zu einer belastungsinduzierten Erhöhung der Darmpermeabilität und einem darauffolgenden Leistungsabfall. Dieser Zustand kann schnell vorübergehen, doch unter ungünstigen Bedingungen können sich die negativen Effekte auf den Darm mit der Zeit verstärken.
Symptome eines Leaky Gut
Bei einem Leaky Gut kommt es zum Eindringen unerwünschter Substanzen in den Blutkreislauf. Dabei kann es sich um Teile des Mikrobioms, um Krankheitserreger oder um Toxine handeln. Diese Substanzen aktivieren das Immunsystem und es kommt zu unspezifischen Entzündungsreaktionen.
Die Symptome eines Leaky Gut können dabei sehr unterschiedlich ausfallen und sind in der Regel eher diffus. Hier gilt es, ein Problembewusstsein zu entwickeln und eine mögliche Permeabilitätsstörung des Darms in Betracht zu ziehen,wenn folgende Probleme auftreten:
-Durchfall,
-Blähungen,
-Müdigkeit,
-Leistungsabfall,
-Muskelabbau,
-Gewichtsverlust.
Sollten diese Probleme über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben, kann es zu Folgeerkrankungen kommen, die mit einer erhöhten Durchlässigkeit des Darms assoziiert sind. Diese entstehen vermutlich dadurch, dass das intestinale Immunsystem, das als letzte Verteidigungslinie hinter den Tight Junctions liegt, zu stark belastet wird.
Die Folge dieser Belastung kann unmittelbar den Darm selbst betreffen. So können plötzliche Nahrungsmittelunverträglichkeiten auftreten, chronische Entzündungserkrankungen gefördert oder das Risiko von Autoimmunerkrankungen erhöht werden. Die Konsequenzen sind aber nicht auf den Darm beschränkt, sondern können sich auf ganz unterschiedliche Systeme des Körpers erstrecken. In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 skizzierte Alessio Fasano einen möglichen Zusammenhang zwischen einer Störung der Darmbarriere und Erkrankungen wie Autismus, Depression oder Schizophrenie. Hier besteht weiterhin ein großer Forschungsbedarf, damit die Zusammenhänge besser aufgeklärt und verstanden werden.
Diagnostik
Aktuell stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, ein Leaky- Gut-Syndrom nachzuweisen:
1. Zonulin-Test
Bei diesem Test wird die Konzentration des Proteins Zonulin entweder im Blut oder in Stuhlproben gemessen. Insbesondere in Stuhlproben lässt die Konzentration von Zonulin direkte Rückschlüsse auf den Darm zu. Eine Messung des systemischen Serum-Zonulins ist etwas unsicherer, da der Wirkungsort des Proteins dann nicht zwingend auf den Darm eingegrenzt werden kann. Denn Tight Junctions kommen in allen Epithelien vor, so zum Beispiel auch in den Nieren, der Harnblase oder der Blut-Hirn-Schranke. Da Zonulin eine Öffnung der Tight Junctions bewirkt, stellt eine erhöhte Menge dieses Proteins im Stuhl einen dringenden Hinweis auf eine gesteigerte Darmpermeabilität dar.
2. Lactulose-Mannitol-Test
Bei diesem Test wird eine Lösung getrunken, die den Zweifachzucker Lactulose und den Zuckeralkohol Mannitol in definierter Menge enthält. Später wird der Urin gesammelt und die Konzentration beider Substanzen im Urin gemessen. Eine ungewöhnlich hohe Menge kann den Rückschluss auf ein Leaky-Gut-Syndrom nahelegen.
Auch Fragebögen sollte Auch Fragebögen sollten in keinem guten Coaching mit Klienten fehlen. Eine gründliche Anamnese ist der erste Schritt, um Gesundheits- bzw. Fortschrittsblockaden aufzudecken und weitere ärztliche Untersuchungen zu veranlassen.
Behandlung
Die Behandlung des Leaky-Gut-Syndroms erfolgt auf mehreren Wegen, die nahtlos ineinandergreifen und die Darmbarriere wieder stabilisieren.
1. Ernährungsumstellung
Westliche Ernährungsgewohnheiten stehen in direktem Zusammenhang mit entzündlichen Darmerkrankungen. Im Zuge dieser eher unterschwelligen Entzündungen kommt es zu Schädigungen der Darmbarriere. Eine verbesserte Ernährung reduziert die stetige inflammatorische Belastung und trägt zur Stabilisierung der Darmgesundheit bei.
2. Nahrungsergänzung
Zahlreiche Mikronährstoffe wirken sich positiv auf einen gesunden Darm aus. Supplements sind eine wichtige und tragende Säule in einer Darmtherapie, um das System schnell auf den richtigen Weg zu bringen. Wichtig für einen gesunden Darm sind unter anderem Zink, Vitamin D und B-Vitamine.
3. Pro- und Präbiotika
Eine intakte Darmflora ist das A und O für eine Stabilisierung der Darmbarriere. Probiotika enthalten lebendige Mikroorganismen und bringen „gute“ Bakterien in den Darm. Sie können ein mögliches Ungleichgewicht (Dysbiose) in der Darmflora ausgleichen. Präbiotika wie bspw. Akazienfasern fördern das Wachstum und die Aktivität der Darmbakterien und stabilisieren das Mikrobiom zusätzlich. Es gilt aber: keine Probiotika ohne Präbiotika.
4. Reduktion von (belastungsinduziertem) Stress
Eine hohe körperliche und seelische Belastung hat nachweislich einen negativen Effekt auf den Darm. Dies gilt es zu unterbinden, ansonsten gehen die übrigen Maßnahmen ins Leere. Hier kann es hilfreich sein, die Intensität des Trainings zu reduzieren und mehr Erholungspausen einzuräumen.
Fazit
Die Zusammenhänge zwischen Darmgesundheit und Leistungsfähigkeit werden immer besser verstanden und stellen sowohl im Profisportbereich als auch bei Amateuren eine wichtige Stellschraube zur Leistungsoptimierung dar. Insbesondere eine hohe Trainingsbelastung, aber auch Phasen schlechter Ernährung oder die Einnahme von Medikamenten können sich massiv auf die Darmbarriere auswirken. Eine Störung dieser Barriere löst unterschwellige Entzündungen aus, die den gesamten Organismus beeinträchtigen. Dies spiegelt sich insbesondere in der Leistung und im Trainingserfolg wider. Mit dem Wissen um diese Zusammenhänge können Symptome und Beobachtungen bei Sportlern richtig gedeutet und entsprechend behandelt werden. Denn im Grunde ist es gar nicht schwer, den Darm gesund und dicht zu halten. Die Wichtigkeit eines gesunden Darms wurde nur viel zu lange unterschätzt.

Reda Berrada ist Personal Trainer und Heilpraktiker. 2014 eröffnete er sein eigenes Personal-Training-Studio. Im Jahr 2020 gründete er B//NU PERFORMANCE und bietet eine Supplemente- Linie, die speziell auf die Bedürfnisse von Personal- Training-Kunden ausgerichtet ist. Aktuell entwickelt Reda ein Set aus speziellen Fragebögen, die als Anamnese-Tool Fortschritts- und Gesundheitsblockaden auf einen Blick aufdecken können. www.b2b.b-nu.de
Quellenverzeichnis:
Camilleri, M. (2019). Leaky gut: mechanisms, measurement and clinical implications in humans. Gut. 68(8):1516–1526.
Clark, A. & Mach, N. (2016). Exercise-induced stress behavior, gut-microbiota-brain axis and diet: a systematic review for athletes. Journal of the International Sports Nutrition. 13:43.
Herzog, S. (2019). Leaky Gut – Ein Blick in die Praxis aus Sicht eines Athletiktrainers. https://sportaerztezeitung.com/rubriken/ernaehrung/5106/leaky-gut-2/.
Fasano, A. (2020). All disease begins in the (leaky) gut: role of zonulin-mediated gut permeability in the pathogenesis of some chronic inflammatory diseases. F1000Research. 9(F1000 Faculty Rev):69.
Ribeiro, F. M., Petriz, B., Marques, G., Kamilla L. H & Franco, O. L. (2021). Is there an exercise-intensity threshold capable of avoiding the leaky gut? Frontiers in Nutrition. 8:627289.