Post-Covid-Recovery
Sportlich aktiv nach Covid-19: Zurück zu alter Stärke
Nach einer überstandenen Covid-19-Infektion stellt sich für viele Sportler die Frage, wie die Wiederaufnahme des Trainings bestmöglich gelingen kann. Die Sportwissenschaftler Yassin Jebrini und Tim Jost bringen die Welt der Post-Covid-Reha und die der Leistungsverbesserung im Training und Sport gezielt zusammen, vermitteln das Wissen um die neurologischen Grundlagen der betroffenen steuernden Instanzen im Gehirn und stellen zielführende Übungen und Assessments vor, um Langzeitfolgen zu beheben.
Viele Menschen kämpfen noch Wochen und Monate mit den Langzeitfolgen von Covid-19. Experten schätzen, dass 10 bis 20 Prozent aller Infizierten Symptome aufweisen, obwohl sie längst als genesen gelten. Die Bandbreite dieser körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen ist lang: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Gliederschmerzen, Atemprobleme, Gedächtnisverlust, Konzentrationsstörungen und chronische Erschöpfung gehören zu den am häufigsten genannten Krankheitszeichen. Dabei werden immer wieder Einzelberichte bekannt, wonach Sportler noch Monate nach ihrer Virusinfektion über physische und kognitive Einschränkungen klagen. Selbst leichte Tätigkeiten wie Gassi gehen oder Einkaufen können manchmal zu echten Herausforderungen werden.
Die Behandlung einer akuten Covid-19-Erkrankung ist Aufgabe der Medizin. Doch leider hört Covid-19 nicht immer mit der Entlassung aus dem Krankenhaus oder der Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit auf. Daher ist es für Betroffene wichtig, einen Leitfaden an die Hand zu bekommen, mit dem die Wiederaufnahme einer sportlichen Aktivität sicher und eigenständig gelingen kann.
Das zentrale Nervensystem
Schauen wir uns dazu den Aufbau und die Wirkungsweise unseres zentralen Nervensystems an. Die Hauptaufgabe des Gehirns ist es, unser Überleben zu sichern. Dafür empfängt es durch u. a. Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, den Tastsinn, den Gleichgewichtssinn und das Temperaturempfinden sensorische Informationen aus der Umwelt und der Innenwelt und integriert und verarbeitet diese. Tag und Nacht beantwortet unser Gehirn die Fragen: Bin ich in Sicherheit? Was kann ich gegen Unsicherheit tun? Auf Grundlage dieses Screenings trifft unser Gehirn eine Entscheidung darüber, was die entsprechenden Organe und Systeme, die einen (motorischen) Output erzeugen, als Nächstes zu tun haben. Wenn der Input aus den sensorischen Systemen nun lückenhaft ist, wird unser Gehirn annehmen, dass die aktuelle Situation nicht sicher ist. Es wird sich auf das reine Überleben rückbesinnen, bevor es eine wirkliche körperliche Leistung zulässt (siehe Abbildung 1). Wenn wir nun mit den Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung kämpfen, dann wird unser zentrales Nervensystem ständig das Überleben sichern wollen und dies der körperlichen Leistung vorziehen. Immer! Diese „Bremse“ des Gehirns ist irrational und nicht kognitiv. Das System will uns durch die Symptome schützen und uns zu einer Änderung der Situation bewegen.

Neuro-Self-Assessments
Wie bedrohlich unser zentrales Nervensystem eine Situation einstuft, können wir über Assessments abfragen, indem wir unseren maximalen Bewegungsumfang bei Mobilitätsübungen prüfen oder mit unserem Körper motorische Tests durchführen. Dazu absolvieren wir eine Übung und wiederholen dasselbe Assessment in einem sogenannten Re-Assessment. Dabei können uns Beweglichkeitsaufgaben wie Körperrotationen um die Längsachse, der Toe-Touch und Schulterrotationen ebenso nützlich sein wie motorische Tests zum Hand-Flipping (abwechselnd die Handfläche der einen Hand so schnell wie möglich nach oben und nach unten rotieren; siehe Abbildung 2). Wenn sich der Bewegungsumfang nach der Übung verbessert hat, bedeutet das für uns, dass die wahrgenommene Bedrohung durch das zentrale Nervensystem geringer geworden ist. Nimmt der Bewegungsumfang jedoch ab, ist die wahrgenommene Bedrohung gestiegen. Wenn wir wissen, wie das Gehirn unsere Übungen beurteilt, können wir diese Übungen in einem Kategoriensystem einordnen, und zwar in jene Übungen, die hilfreich sind, und jene, die wir besser auf später verschieben.


Covid-19: Was passiert mit unserem Nervensystem?
Neben der psychosomatischen Ebene weist insbesondere auch die neurologische Ebene Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion auf. Covid-19 beeinträchtigt die Kommunikation und Aktivität von bestimmten Hirnarealen, sodass es zu einer Dysregulation der autonomen Funktionen (unserer lebenswichtigen Funktionen wie z. B. Atmung, Verdauung und Stoffwechsel) kommt. Das Ziel einer Regeneration muss es dementsprechend sein, die einwandfreie Kommunikation aller Hirnareale untereinander wieder zu erreichen. Unsere autonomen Funktionen müssen einwandfrei wiederhergestellt werden. Wenn es gelingt, die wahrgenommene Bedrohung zu senken, kann sich das zentrale Nervensystem aus dem Sicherheitsspektrum wieder in Richtung körperliche Leistung bewegen.
"WENN WIR MIT DEN LANGZEITFOLGEN EINER COVID-19-ERKRANKUNG KÄMPFEN, DANN WIRD UNSER ZENTRALES NERVENSYSTEM STÄNDIG DAS ÜBERLEBEN SICHERN WOLLEN UND DIES DER KÖRPERLICHEN LEISTUNG VORZIEHEN. IMMER!"
Zu den von Covid-19 am stärksten betroffenen Arealen zählen im Allgemeinen der Hirnstamm und speziell das Mittelhirn, der Vagusnerv und das vestibuläre System. Der Hirnstamm ist in diesem Netzwerk hauptverantwortlich für die autonomen Funktionen und ein intaktes interozeptives System (Körperinnenwahrnehmung). Das Mittelhirn verantwortet den Erregungszustand des sympathischen Nervensystems und die Überlebensreaktionen des Menschen, während der Vagusnerv sozusagen als Informationsautobahn unseres Körpers zwischen viszeralen Organen und dem Gehirn operiert und sensorische Informationen an das Gehirn oder umgekehrt zurück an die viszeralen Organe sendet.
Trainingsübungen nach Covid-19
In der Covid-19-Rehabilitation konzentrieren wir uns auf Übungen, die das wahrgenommene Bedrohungslevel des zentralen Nervensystems senken. Von vielen in diesem Zusammenhang denkbaren Trainingsübungen stellen wir nachfolgend vier Übungen beispielhaft vor.
Atemübung für die Aktivierung des Hirnstamms:
Trainiere das langsame Ausatmen. Lasse auf zwei Zyklen von gewöhnlichem Ein- und Ausatmen einen dritten Zyklus mit einer Ausatmung folgen, der sich über einen möglichst langen Zeitraum erstreckt. Atme dazu so lange und langsam aus, bis sich ein erster physiologischer Drang zum Atmen einstellt. Führe diese Zyklen in drei aufeinanderfolgenden Runden aus. Alternativ eignen sich auch Air Hunger Drills. Versuche dazu, vollständig auszuatmen und im Anschluss daran so viele Wiederholungen einer bestimmten Übung wie möglich durchzuführen. Dies können anstrengende Übungen wie Hampelmänner, Kniebeugen und Liegestütze oder aber einfache Tätigkeiten wie Gehen und Klatschen sein. Die nachfolgende Atmung sollte über die Nase erfolgen.
Augenliegestütze für die Aktivierung des Mittelhirns:
Eine Möglichkeit, die Aktivität des Mittelhirns zu forcieren, sind Augenliegestütze. Führe dazu einen Stift so nah wie möglich an die Augen, sodass du ihn gerade noch scharf fokussieren kannst. Starre den Stift für fünf bis zehn Sekunden an und führe ihn dann in einer langsamen Bewegung von dir weg, bis der Arm vollständig gestreckt ist. Führe diese Bewegungsabfolge mehrfach hintereinander durch, ohne dass deine Augen ermüden.
Summen für die Aktivierung des Vagusnervs:
Führe deine Hände von außen an den Hals und beginne, laut zu summen. Du solltest dabei merken, wie dein Rachen vibriert. Summe über drei Runden für jeweils 30 bis 60 Sekunden.
Für die Aktivierung des vestibulären Systems:
Die Aktivierung des vestibulären Systems gelingt u. a., wenn du einen mehr als hüftbreiten Stand einnimmst, die Knie beugst und dich auf ein visuelles Ziel konzentrierst, das die ganze Zeit über scharf bleiben muss. Verschiebe nun den Körper – von den Beinen ausgehend – von der einen zur anderen Seite über eine horizontale schnelle Bewegung und fokussiere dabei weiterhin das Ziel. Der Fokus der Übung liegt auf der seitlichen Beschleunigung des Kopfes durch die seitliche Verschiebung des Körpers über die Beine. Führe mehrere Wiederholungen hintereinander aus.
Trainingsvolumen
Die Abfolge von Assessment – Übung – Re-Assessment wird dir aufzeigen, ob dein zentrales Nervensystem die jeweiligen Übungen für Hirnstamm, Mittelhirn, Vagusnerv und vestibuläres System als hilfreich oder bedrohlich einstuft. Wichtig bleibt dabei, stets zu kontrollieren, wie dein zentrales Nervensystem auf den Input reagiert. Halte dazu schriftlich fest, welche Übungen für dich am besten sind, und führe diese mehrmals täglich durch (mindestens 4- bis 5-mal). Wir brauchen – wie sonst auch – eine gewisse Anzahl an Trainings, damit sich positive Veränderungen einstellen können. Wenn es zu keinen Veränderungen in den Assessments mehr kommt, reicht dem zentralen Nervensystem der Stimulus durch diese Übungen in den meisten Fällen nicht mehr aus. Dann gilt es, den Stimulus zu erhöhen.
Fazit
In der Rehabilitation von Covid-19 wird es immer wieder zu Rückschlägen kommen. Doch Übungen zur Aktivierung der Hirnareale, die an der Regulation der autonomen Funktionen hauptverantwortlich mitwirken, bieten einen ersten sicheren Zugang, um die subjektive Bedrohungslage unseres zentralen Nervensystems zu senken. Wenn du die individuelle Reaktion des Nervensystems auf die soeben beschriebenen Trainingsübungen prüfst, um eine gezielte Förderung sicherzustellen, schaffst du die Grundlage für eine Wiederkehr zu alter Leistungsstärke.

Yassin Jebrini ist Sportwissenschaftler M.A., Neuroathletiktrainer und Referent. Er trainiert nicht nur Alltags- und Profiathleten – er ist einer der wenigen Z-Health Master Practitioner weltweit und bildet zudem Trainer und Therapeuten im Bereich der Neuroathletik aus. www.jebrini-training.de

Tim Jost ist Masterstudent an der Deutschen Sporthochschule Köln und auch Buchautor. Für Jebrini Training schreibt er den Newsletter und die Beiträge auf den Social-Media- Kanälen. www.jebrini-training.de

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