Seile und Taue sind lange Zeit in Vergessenheit geraten und wurden aus vielen Turn- und Sporthallen entfernt. Zu gefährlich, hieß es, sei das Spielen und Trainieren am Seil, viele Kinder und Jugendliche seien der Aufgabe nicht mehr gewachsen oder der Aufforderungscharakter sei zu gering. Heute erleben Seile und Taue eine Renaissance und beweisen in vielen Bereichen genau das Gegenteil.
Seile schlagen Wellen
Das neue Ropetraining kommt aus den USA. Erfinder und Entwickler ist John Brookfield. Zu Beginn der Jahrtausendwende war er auf der Suche nach einem neuen Training, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Fündig wurde er in einem dicken Seil, das er zweckentfremdet einsetzte und mit dem er eine Trainingsform entdeckte, die seine Kraft, seine Kondition und sein mentales und körperliches Durchhaltevermögen enorm forderte. Durch die positiven Ergebnisse im Eigenversuch entstand das Battling Rope Training System. Heute gehört es bei Weltklassesportlern wie Ryan Lochte, Stars in der NFL, NBA, NHL, Profifußballern, Kampfsportler und Athleten weltweit zum festen Trainingsbestandteil. Gray Cook, Michael Boyle, Charlie Weingroff und andere Größen der internationalen Functional-Training-Szene sind ebenfalls vom Training und der Methodik überzeugt. In den USA ist das Ropetraining seit Jahren auch bei Personal Trainern, Athletik- und Konditionstrainern ein Renner. Also, was genau ist Ropetraining und warum ist es so effizient, so fordernd, so anders und dennoch so beliebt zugleich? Ropetraining ist in erster Linie eine eigenständige Trainingsform, die sich durch eine nahezu rein konzentrische Arbeitsweise auszeichnet. Die Länge eines Seil reicht je nach Hersteller von 9 bis 30 Meter und es stehen unterschiedliche Dicken von 30 bis 50 mm zur Auswahl. Zum Training wird das Rope in der Mitte um einen festen Ankerpunkt ausgelegt. Der Trainierende greift die beiden Seilenden im Unter- oder Obergriff.
Basisübung für Seile
Die Basisübung in Stufe eins dieses Trainingskonzeptes ist eine Auf-und-Ab-Bewegung der Arme, wobei beide Arme entweder gemeinsam oder alternierend kraftvoll und schnell nach oben und unten geführt werden. Eine von vielen Ausgangspositionen ist die halbe Deadlift-Position. Wichtig hierbei ist der „Kurze Fuß nach Janda“. Ferse, Kleinzehen- und Großzehballen halten aktiv Bodenkontakt, die Zehen werden leicht gespreizt, das Fußgewölbe hochgezogen, ohne die Zehen dabei zu krallen. Knie- und Hüftgelenk folgen der Richtung der Füße, die leicht auswärts gedreht sind. Die Hüften werden zurückgeschoben, Unterschenkel stehen senkrecht. Der Rücken bleibt während des gesamten Ablaufes gerade – nicht senkrecht –, Gesäß und Bachmuskulatur aktiviert. Scapula- und Schultergelenk werden zentriert und die Aktivierung der tiefen Nackenflexoren vervollständigen die Positionierung.
Seile nach oben und nach unten beschleunigen
Die fortlaufende Wellenbewegung im Seil wird durch eine 2-Vektoren-Kraftentwicklung in den Armen ausgelöst. Das Seil wird also mit einer Hub- und Zugbewegung ununterbrochen nach oben und im Umkehrpunkt mit einer Zug- und Schubbewegung nach unten beschleunigt. Das bedeutet, dass der Trainierende während des gesamten Bewegungsablaufs einen Beschleunigungsimpuls durch kinetische Energie (= Bewegungsenergie) in das Seil gibt.
Der Impuls ist das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit:
p = m · v
Ropetraining fordert den gesamten Körper
Die Masse des Seils ergibt sich aus Länge, Materialbeschaffenheit und Durchmesser. Ziel ist es, durch die Armbewegungen einen schnellen, konstanten Impuls in das Seil zu geben, sodass eine fortlaufende, gleichmäßige Wellenbewegung möglichst über die gesamte Länge erzeugt wird. Zwar findet der Beschleunigungsimpuls durch die Armbewegung statt, doch Ropetraining ist kein reines Armtraining. Es fordert den Einsatz des gesamten Körpers. Einzelne Körperregionen und Muskelgruppen belastet man durch verschiedene Übungen gleichzeitig und unterschiedlich. Viele Trainierende verlieren gerade in den ersten Einheiten schnell die posturale Stabilität, Kontrolle und Orientierung. Es kommt zu teilweise massiven Kompensationsbewegungen im Armbereich, Schultergürtel, Thorax, Becken, Knie und/oder Sprunggelenk. Gerade bei Untrainierten kann die strukturelle Integrität schnell kollabieren. An diesem Punkt sollte der Coach allerspätestens eingreifen, die Übung abbrechen und dem Trainierenden Zeit geben, sich wieder neu zu formieren und zu sammeln. Die darauf folgende Serie oder Übung muss er entsprechend Timing, Umfang, Richtung und Intensität (T.U.R.I.-Modell) anpassen. Weniger ist in diesem Fall mehr. Die erzeugte Wellenbewegung stellt den Störimpuls dar, der kurzfristig die posturale Stabilität gefährdet. Eine kontinuierliche Aufrechterhaltung und/oder ein schnelles Wiedererlangen des motorischen Gleichgewichtes sind das A und O. Sie sind einer der Kernpunkte im Ropetraining.
Bewegungsqualität vor -quantität
Der Körper präferiert immer Bewegungsqualität vor -quantität. Beim Ropetraining trifft dieses Prinzip auch zu. Der Joint-by-Joint-Approach von Gray Cook und Michael Boyle liefert gute Anhaltspunkte über Dysfunktionen in den Mobilitäts- und Stabilitätsketten, die die motorischen Handlungen und die Bewegungsqualität negativ beeinflussen. Ropes eignen sich aus dieser Sicht ausgezeichnet, um Schwachstellen, Dysfunktionen und Kompensationsbewegungen herauszuarbeiten und zu verbessern. Überwiegend konzentrisches Ropetraining führt zu einer spür- und messbaren Kraftzunahme. Zusätzlich fordert es durch schnelle Beschleunigungsbewegungen und eine schnelle reaktive Abbremsbewegung im Umkehrpunkt in der ersten Stufe ein gut koordiniertes und funktionierendes neuromuskuläres Zusammenspiel. Ein weiterer Vorteil ist eine schnellere Belastungserholung.
Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sind viele Trainierende deutlich weniger erschöpft. Beim Sled Dragging – zu Deutsch: Schlittenziehen – ist dieser Effekt schon länger bekannt. Studien haben gezeigt, dass gerade exzentrische Belastungen Auslöser für Muskel- und Faszienkater sind.
Weitere Vorteile im Überblick
- Ganzkörperübung
- Steigerung von Kraft, Ausdauer, Kondition, Explosivität usw.
- Entwicklung von schnellen und koordinierten Arm-, Hand- und Oberkörperbewegungen
- Verbesserung der Augen-Hand-Koordination
- Kräftigung des Band- und Sehnenapparats und der Griffkraft
- Verbesserung der Ästhetik der Arme
- Geringes Verletzungsrisiko
- Schnellere muskuläre und neuronale Ermüdung
- Verbesserung der aeroben und anaeroben Kapazität (noch nicht durch Studien gesichert)
- Bessere lokale bis globale Erschöpfung möglich
- Training von lokalen und globalen Stabilisatoren
- Training von mentalem und körperlichem Durchhaltevermögen
Seile für das Intervall- und Reha-Training
Ropetraining bietet eine große Bandbreite an Übungen und Techniken, die viele unterschiedliche Zwecke und Ziele haben. Die lokale und die gesamte Erschöpfung in kurzer Zeit machen das Training für Sportarten interessant, in denen der Sportler hochintensive Belastungen einmal oder mehrmals hintereinander in kurzen Zeitintervallen abrufen muss. Neben dem Einsatz im Aufbautraining findet das Ropetraining auch in der Rehabilitation immer mehr Befürworter. Wettkampfathleten, die oft mit kleineren Verletzungen wie Zerrungen oder Gelenkverstauchungen während der Saison zu kämpfen haben, profitieren enorm von dieser Trainingsform. Häufig werden diese leicht verletzten Athleten von ihren Trainern oder Therapeuten auf den Fahrradergometer verbannt, um die Laktatschwelle oder die Lungenkapazität irgendwie aufrechtzuhalten. Im Gegensatz dazu stellen verschiedene Rope-Übungen in Kombination mit Gang-, Ausfallschritt- und Kniebeuge-Mustern, die je nach Verletzung angepasst werden, eine deutlich zweckmäßigere und effizientere Trainingsform dar. Der amerikanische Physiotherapeut Davis Koh setzt in seiner Klinik seit Jahren das Ropetraining sehr erfolgreich bei den unterschiedlichsten Verletzungen, Diagnosen und Patientengruppen ein.
Geringeres Verletzungsrisiko als mit freien Gewichten
Das geringe Verletzungsrisiko gegenüber dem Training mit freien Gewichten, die Vielseitigkeit sowie der progressive und rezessive Übungsverlauf und der Aufforderungscharakter sind hier ausschlaggebend. Unzählige korrigierende Übungen mit dem Seil, der spielerische Umgang mit Kindern, PNF-Muster, Reactive Neuromuscular Training, Self Myofascial Release und Gleichgewichtstraining untermauern diese innovative Trainingsform. Ausgehend von einem handlungsorientierten Ansatz liegt die Planung und Steuerung in der Anzahl und Auswahl der Übungen, der Intervalldauer, den Pausenzeiten und Serien. Körperfunktionen und -strukturen werden nur berücksichtigt, wenn sie bei der Störung der Bewegung eine Rolle spielen. In einem funktionsorientierten Ansatz geht man von der Entwicklung grundlegender Bewegungsmuster aus, die eine Basis darstellen. Sind diese Basisfunktionen vorhanden, wählt man daraufhin die Übungen, Zeiten und Serienzahlen aus. Weitere Qualitätskriterien, nach denen Coaches das Training aufbauen und steuern können, sind Bewegungsfluss, -rhythmus, -präzision, -kontrolle, -kopplung, -tempo und -umfang.
Ropetraining ist eine eigenständige Trainingsform, deren Kennzeichen eine nahezu rein konzentrische Arbeitsweise ist.
(Grundsätzlich gilt: check first, then train!
individuell – zielgerichtet – periodisiert – progressiv)
Abbruchkriterien sind
- Der Trainierende kann die Wellenbewegung nicht mehr aufrechterhalten
- Ober- und Unterkörper verlieren Spannung und reagieren mit Kompensationsbewegungen
- Schmerzen oder Unwohlsein
Euer Eckhart Acker