Bei Zeitmangel wird daher in der Kettlebell-Szene häufig empfohlen, nur Turkish Get-ups und Kettlebell-Swings durchzuführen, womit man schon ein sehr umfassendes und effektives Rundumfitnessprogramm vorliegen hat. Der Turkish Get-up wird bereits seit über 200 Jahren von Ringern und Kraftathleten durchgeführt und soll bei einigen Gruppen früherer „Kraftprotze“ oder „Strongmen“ als Eintrittskarte fungiert haben, die man einlösen musste, um sich zum Mittrainieren zu qualifizieren.
Wer also mit den starken Männern von früher trainieren wollte, bekam die Übung genau gezeigt (zunächst ohne Gewicht) und durfte erst wiederkommen, wenn der Turkish Get-up mit einem Gewicht von 100 lbs über Kopf durchgeführt werden konnte (ca. 45,4 kg; z. B. einer Langhantel). Bis man dies erreicht, stellt diese sich selbst korrigierende Übung sicher, dass man beweglich und stabil genug für das spätere Training ist, viel über sich und das Krafttraining gelernt und sich eine sehr gute Bewegungsfähigkeit (Technik) angeeignet hat, die wichtig für weitere Kraftübungen ist.
Ausführungsvarianten des Turkish Get-up
Es gibt verschiedene Ausführungsvarianten dieser Übung, z. B. das Aufstehen aus der tiefen Kniebeuge, flüchtiges Anheben des Beckens, um das vordere, gestreckte Bein unter den Körper zu ziehen oder den Übergang vom Sitz in den Stand über einen Auslagewechsel mit anschließendem Aufrollen über ein Schienbein in den halben Kniestand.
Auch die Art des Gewichts kann variieren, z. B. Langhantel, Kurzhantel, Kettlebell, Sandbag, schmaler Baumstamm, Stein oder Trainingspartner.
Dr. Mark Cheng führte später die Variante der hohen Brücke als Geschwindigkeitsbegrenzung und Korrekturübung ein, um sicherzustellen, dass die Konzentration auf der Übungsausführung (Technik) liegt und weniger auf dem Gewicht oder der Bewegungsgeschwindigkeit. Dies gewährleistete auch, dass sich übereifrig Trainierende zu schnell mit hohen Gewichten oder Wiederholungszahlen belasten.
Dabei wird das Übungstempo durch den Übergang vom aufrechten Sitz in die hohe Brückenposition erzwungenermaßen verlangsamt. Dies hat u. a. den Vorteil, dass man durch die einbeinige Brücke die Hüfte maximal streckt und somit die Gesäßmuskeln maximal aktiviert und zur besseren Zusammenarbeit mit der gegenüberliegenden Schulter bringt. So trainieren wir besser die X-förmige Muskelschlingenfunktion auf der Körperrückseite (Glutaeus-Latissimus-Verbindung).
Screenimg und Verbesserung von Bewegungsmuster
Halber Kniestand, Schrittstellung, Rumpfstabilisation bei multidirektionalen Hüftbewegungen, eine Rollbewegung, die seitliche Rumpfaufrichtung, horizontales und vertikales Drücken, der Abdruck bei der Sprintbewegung sowie ein konstant fixiertes Schulterblatt, während sich der Arm durch große Winkel bewegt, sind weitere Bewegungsmuster, die beim Turkish Get-up gleichzeitig funktionell gescreent und verbessert werden können.
Der Turkish Get-up ist eine hervorragende Ganzkörperübung und wird am besten mit einer Kettlebell durchgeführt. Die Übung beinhaltet alle Bewegungsebenen. Gleichzeitig werden sämtliche Gelenke, die beweglich und stabil sein müssen in dieser Funktion verbessert. Der Turkish Get-up kann als Screening-Instrument verwendet werden oder als Korrekturübung für sämtliche Übungen, die auch im Functional Movement Screen (FMS) durchgeführt werden.
Einsatz des Turkish Get-up in der Reha
Man kann ihn zum Aufwärmen, als „Core-Übung“ als Kraftübung, zur Mobilisation oder auch als Kraftausdauerübung einsetzen. Bekannter wurde der Turkish Get-up auch in seiner Fähigkeit, instabile oder verletzte Schultern wieder zu rehabilitieren. Die Ausführung sollte auf beiden Seiten möglichst gleich aussehen. Es ist vor allem eine Beweglichkeits- und Stabilitätsübung.
Kaum eine andere Übung ist so umfassend und in der Lage, dem Körper beizubringen, sich wieder als Einheit zu bewegen wie der Turkish Get-up, z. B. die Zusammenarbeit von linker Schulter mit rechter Hüfte und umgekehrt. Sobald man sich symmetrisch auf beiden Seiten mittels Turkish Get-up bewegen kann, ist es möglich, mit verschiedenen Varianten oder Gewichten zu spielen. Entscheidend ist eine gute Beweglichkeit und eine hohe Ganzkörperspannung, um alle Gelenke kontrolliert bewegen und stabilisieren zu können.
Zuerst muss unbedingt die Technik sitzen
Obwohl es nicht um hohe Gewichte oder gar Wiederholungszahlen geht, kann die Bewältigung des halben Körpergewichts ein erstes anzustrebendes Zwischenziel sein, um zu zeigen, das man sich wirklich intensiver mit dieser Übung beschäftigt hat. Bei Frauen kann ein Drittel des Körpergewichts ein interessantes erstes Zwischenziel sein, wenn ein fester, stabiler und starker Körper angestrebt wird.
Zunächst sollte jedoch die Technik ausgiebig ohne Zusatzgewicht geübt werden. Klappt dies gut, ohne darüber nachdenken zu müssen, bietet es sich im nächsten Schritt an, einen Schuh mit der Sohle auf der Faust über Kopf zu balancieren. Erst wenn das problemlos funktioniert, ohne dass der Schuh fällt, würde ich zu einem Gewicht, z. B. einer leichten Kettlebell, übergehen.
Euer Dr. Till Sukopp
Eine sehr detaillierte Übungsbeschreibung und viele Trainingspläne finden sich in meinem neuen Werk „Das große Kettlebell-Trainingsbuch“.
Individuelle und schnelle Technikkorrekturen, die teilweise zu sofortigen Leistungsverbesserungen führen, erhält man am besten durch einen zertifizierten Kettlebell-Instructor. Hier finden sich zahlreiche Angebote.