Ich staune immer wieder darüber, dass „Korrekturübungen“ ins Warm-up integriert werden. Ich finde, dass diese Zuordnung falsch ist und sowohl dem Warm-up als auch dem Ziel bzw. der Intention dieser Übungen nicht gerecht wird. Solche Übungen dienen der Verbesserung fundamentaler Fertigkeiten wie Mobilität und Stabilität, welche die Basis für den Erwerb motorischer Fertigkeiten bilden; sie haben im Warm-up daher nichts verloren und tragen auch nicht dazu bei, die Änderungen oder Anpassungen hervorzurufen, die man zu erzielen versucht.
Nachfolgend möchte ich aufzeigen, welche Kriterien ein Warm-up erfüllen sollte und wie es im Idealfall gestaltet ist. Doch zuerst ein kurzer Rückblick. Ein denkwürdiger Augenblick in meiner Karriere war der Sommer 2003, als Keith D’Amelio und ich an einer Veranstaltung teilnahmen, die der Vorläufer zum heute allseits bekannten Perform Better Functional Training Summit war. Diese Konferenz war ein Gemeinschaftsprojekt von Perform Better und Northeast Seminars. Schon damals wurden bekannte Trainer und Physiotherapeuten eingeladen, und es war das erste Mal, dass ich Koryphäen wie Mark Verstegen, Stuart McGill und Mike Boyle live erlebte. Ich erinnere mich noch an einige Präsentationen und Vorträge, als wäre es gestern gewesen. Mark Verstegen hinterließ einen bleibenden Eindruck, als er die vier Säulen eines optimalen Warm-ups erklärte, und auch jetzt greife ich noch auf sein Grundkonzept zurück. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob sich meine heutigen Gedanken mit dem aktuellen Ansatz von AP deckt, aber ein tolles Warm-up sollte meiner Meinung nach folgende Aufgaben erfüllen:
Das Warm-Up
1) Erhöhung der Gewebetemperatur
Ich denke, dieser Punkt ist ziemlich klar. Die Erhöhung der Dehnfähigkeit des Gewebes durch die Veränderung der Temperatur ist ziemlich verlässlich und nützlich, wenn man Bewegungen ausführen will, die Schnellkraft erfordern.
2) Bahnung der vorhandenen Mobilität
Auf diesen wichtigen Punkt gehen wir später noch ausführlicher ein. Im Warm-up sollten Übungen vorkommen, die die Propriozeption für Bewegungen entwickeln, die die Person bereits beherrscht, aber nicht unbedingt versuchen, mehr Mobilität zu schaffen. Um die Mobilität kümmern wir uns an einem anderen Tag, zu einer anderen Zeit. Die Einführung einer wünschenswerten Mechanorezeption erlaubt im Idealfall eine effizientere Kontrolle der Fähigkeiten, zu denen die verschiedenen Gewebearten physiologisch fähig sind. Die Verbesserung der Mobilität darf nicht mit der Vorbereitung oder Bahnung gleichgesetzt werden. Das allgemeine Anpassungssyndrom zur Verbesserung der Mobilität unterliegt anderen Spielregeln und läuft in einem anderen Zeitrahmen ab, der sich mit der Dauer eines Warm-ups wie auch Punkt 1, der Erhöhung der Gewebetemperatur, nicht deckt. Kann man damit seine Stabilität verbessern? Ja, wenn wir Stabilität als Kontrolle im Vorhandensein von Veränderung definieren. Aber diese Kontrolle hätte meiner Vorstellung nach schon erlernt werden müssen, und die Übungen im Warm-up wären ein Probedurchlauf, eine Art propriozeptive Erinnerung, oder die bereits erworbene Fertigkeit. Und dies bringt uns zu Punkt 3, dem Probedurchlauf.
3) Probiere die Bewegungen aus, die du in deiner Trainingssession ausführen willst
Wir befassen uns nun mit einer anderen Crux, weil es sehr schwierig ist, ein Warm-up zu konstruieren, wenn man nicht schon einen Trainingsplan hat. Dies ist ein Teil des Konzepts „Fange am Ende an“. Ich kann dir nicht helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, wenn ich dein Ziel nicht kenne. Wenn wir wissen, worum es in der Trainingssession geht, und die akuten Variablen der Session bekannt sind, können wir entscheiden, wie wir dieses Konzept nutzen, um ein Warm-up zu gestalten. Je nachdem, welche konditionellen Fähigkeiten im Mittelpunkt der Trainingssession stehen, kann das Warm-up sehr unterschiedlich ausfallen, und dieser Unterschied wird durch das vierte Konzept konkretisiert.
4) Bereite das ZNS auf die bevorstehende Trainingssession vor
Wie bei 3) ist es schwierig, dieses Konzept zu definieren, ohne das Profil bzw. die Profile des individuellen Trainings wie auch die Zielsetzung der Trainingssession zu kennen. Wir können darüber reden, Bewegungen zuerst in der Sagittal-, dann in der Frontal- und schließlich der Transversalebene auszuführen; oder von langsam zu schnell; von einfach zu komplex; von geschlossener zu offener Kette; von leicht zu mittel zu schwer; die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Es gibt vier Ansätze für eine ideale Vorbereitung des ZNS, um das Schmerzempfinden zu ändern, die Mobilität zu verbessern, neue motorische Fertigkeiten zu erwerben oder die Fitness zu steigern. Mit 1) und vielleicht 2) kann man ein Warm-up abspulen – was die meisten Leute meiner Meinung nach auch machen –, aber um das allgemeine Anpassungssyndrom zu nutzen, wäre es ideal und auf jeden Fall überlegenswert, möglichst alle diese vier Konzepte zu erfüllen.
Gibt es einen Platz oder Raum für den Erwerb motorischer Fertigkeiten innerhalb dieser vier Prinzipien? Ich denke nein. Bestenfalls ist es nur ineffizient, Übungen in das Warm-up zu setzen, die eigentlich genutzt werden sollten, um eine neue motorische Fertigkeit zu erwerben.
Ich nenne diese Übungen bewusst nicht Korrekturübungen, weil ich nicht glaube, dass wir etwas korrigieren, sondern vielmehr die Fähigkeit des Körpers optimieren, in Positionen zu kommen, in denen er Stress absorbieren und sich anpassen kann. Wir alle wissen, dass man trotz schlechter Technik seine Fitness verbessern und eine ungeheure Leistung und Körperbeherrschung entwickeln kann. Aber im Training müssen wir mit Sinn und Verstand handeln, so dass unsere besten Entscheidungen durch eine maximale Kraftproduktion und einen minimalen Verschleiß gekennzeichnet sind. Das Warm-up bereitet uns darauf vor, ist aber nicht der Ort, an dem wir das lernen müssen.
Das Warm-up ist eine Erinnerung, keine Lehr- oder Lernstunde
Es gibt Dutzende guter Bewegungen, mit denen sich motorische Leistungen relativ schnell verändern lassen. Wenn der Körper schnell auf eine zuvor unerwünschte suboptimale Leistung zurückfällt, hat er zwar zugehört, aber nichts gelernt. Um dieses Problem zu beheben, benötigt man eine weitere Progression oder Wiederholung der dynamischen Systeme. Wenn die neue Leistung „haften bleibt“, kann man sie als neurologische Anpassung bezeichnen und man hat das erreicht, was man will.
Wir haben uns schon von den Zielen eines Warm-ups entfernt, das jeder Form von Training und den Zielen einer Session mit dem Schwerpunkt Fertigkeitserwerb vorangestellt werden kann. Es ist beinahe so, als würde man zwei unterschiedliche Schuhe tragen oder Äpfel und Orangen zusammensetzen wollen – das ist zwar möglich, aber das Ergebnis lässt zu wünschen übrig.
Ein Warm-up kann einer Trainingssession vorangestellt werden, um das Schmerzempfinden zu verringern, die Mobilität zu verändern, motorische Fertigkeiten zu erwerben oder die Fitness zu verbessern. Aber andersherum geht die Gleichung nicht auf.
Wenn man eine Übung auswählt, die am besten genutzt wird, um eine fundamentale motorische Fertigkeit zu erwerben, erhöht sie dann die Gewebetemperatur? Vermutlich nicht. Und wie steht es mit sportspezifischen motorischen Fertigkeiten? Ja, aber das ist nicht das, was die meisten Leute ins Warm-up stellen. Sie machen diagonales Arm- und Beinheben im Vierfüßlerstand, Rollen am Boden und aktives Beinheben in Rückenlage – und meist auch noch falsch. Wenn wir Übungen machen, um die Mobilität und Stabilität zu verbessern, kann das bei dekonditionierten Personen zu einer Erhöhung der Körperkerntemperatur führen, allerdings gerät man dabei leicht in Zeitkonflikte. Wenn man in einem Warmup 8-10 hastige Wiederholungen eines Rib Grab macht, verbessert man die Rotation der Brustwirbelsäule nicht. Ist diese Übung für das Warm-up geeignet? Welche Mittel stehen uns sonst noch zur Verfügung, um die vier oben genannten Punkte des Warm-ups zu erfüllen? Wie wäre es mit Medizinballwürfen auf Zeit? Oder mit Rollen, Kriechen oder Getups?
Wirkt sich eine Übung, die dem Erwerb einer motorischen Fertigkeit dient, auf die Mobilität aus?
Natürlich, aber wenn wir uns die Gewebetemperatur oder Vorbereitung des ZNS auf eine bevorstehende intensive Session ansehen, treffen wir damit die beste Entscheidung? Ich denke auch hier, dass die Antwort Nein ist. Statt eine dezidierte Korrekturübung zu machen, können wir genauso gut einen Rugbyball werfen oder eine Golfschläger schwingen, und erzielen damit drei oder vier Punkte statt nur einen Punkt.
Es gibt bestimmte Regeln, wie man motorische Fertigkeiten erwirbt, und sie unterscheiden sich davon, wie man Schmerzen verringert, die Mobilität erhöht oder die Fitness verbessert. Zu diesen Regeln zählen alle Grundsätze der dynamischen Systeme, wie eine korrekte Übungsauswahl, das Voranschreiten zu nicht kontrollierbaren Spielsituationen wie auch das bewusste Hinarbeiten auf die angestrebten Endziele, sowie die Ausführung der Aktivität unter verschiedensten physiologischen Bedingungen. Diese Konzepte könnten selbst in einem 90-minütigen Warm-up nicht berücksichtigt oder erhalten werden, was nur ein verkapptes Training der allgemeinen körperlichen Bereitschaft ist.
Ich schlage vor, den Erwerb motorischer Fertigkeiten auf einen anderen Tag oder eine andere Zeit zu verlegen, und wenn es an der Zeit ist, über Gebäude zu springen, schwere Dinge zu heben und in die Schlacht zu ziehen, sollte das Warm-up diesen Anforderungen Rechnung tragen. Dann ist es zu spät für „Korrekturübungen“.
Euer Charlie Weingroff