Man könnte sagen, dass viele Kraftsportler, die Schulterprobleme haben, dieselben Fehler machen. Ich habe daher beschlossen, einen proaktiven Ansatz zu verfolgen und meine 16 besten Tipps vorzustellen, um zu zeigen, wie man diese Probleme erst gar nicht erst aufkommen lässt. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber wenn du sie befolgst, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass du unter Schulterschmerzen leiden wirst.
1.Vermeide das, was Schmerzen verursacht
Es scheint logisch zu sein, aber wir alle wissen, wie schwer es ist, auf Übungen zu verzichten, die man gerne macht. Aber du musst dich vielleicht mit der Tatsache abfinden, dass du nicht in der Lage sein wirst, beim Schulter- oder Bankdrücken eine gerade Hantelstange zu benutzen.
Jeder Mensch hat anatomische Besonderheiten; das Acromion (Schulterdach) kann individuell ein wenig anders geformt sein. Jemand mit einem Schulterdach vom Typ III neigt eher zu einem subacromialen Impingement, weil die Form das einfach nahe legt:
Das sind die drei Typen von Schulterdächern:
- Typ I: flach; geringes Risiko für ein Impingement, normaler subacromialer Raum.
- Typ II: gebogen; höheres Risiko für ein Impingement, leichte Verringerung des subacromialen Raums.
- Typ III: hakenförmig; größtes Risiko für ein Impingement, deutlich verringerter subacromialer Raum.
Es gibt fast immer etwas, das man anders tun kann, um einen vergleichbaren Trainingseffekt zu erzielen und die Situation nicht weiter zu verschlimmern. Wenn sich deine Schulter das nächste Mal im Training meldet, dann lege die Hantel ab, atme tief durch und gehe zum Wasserspender.
Nutze diese Pause als Gelegenheit, um dir einzugestehen, dass etwas nicht stimmt, und lege eine geeignete Gegenmaßnahme fest – inklusive alternativer Übungen. Du wirst vielleicht ein bisschen herumexperimentieren müssen, aber sicher fündig werden.
2.Aktivierung des vorderen Sägemuskels
Der Serratur anterior ist zwar ein vergleichsweise kleiner Muskel, aber sehr wichtig, wenn es um den scapulohumeralen Rhythmus und die Gesundheit der Schultern geht.
Dieser Muskel verbindet die Scapula mit dem Brustkorb, damit sie nicht wie eine offene Tür nach außen klappt. Er unterstützt den kleinen Brustmuskel bei der Protraktion und sorgt (was vielleicht noch wichtiger ist) in Kombination mit dem oberen und unteren Trapezius für die Aufwärtsrotation der Scapula – die du perfekt beherrschen musst, um Überkopfbewegungen sicher auszuführen.
Leider wird der Serratus anterior immer der erste Muskel sein, der bei einer scapulohumeralen Dysfunktion „dicht“ macht, und seine Aktivierung ist ein entscheidender Faktor in allen Programmen, die auf die Rehabilitation des Schultergürtels abzielen.
Ich könnte stundenlange Vorträge über die verschiedenen Pathologien halten, die in irgendeiner Weise mit einem dysfunktionalen Serratus anterior in Verbindung stehen. Warum sollte man also nicht vorbeugend etwas tun? Zwei hervorragende Übungen sind der Scapula-Liegestütz und die einarmige Kurzhantel-Protraktion in Rückenlage:
Einarmige Kurzhantel-Protraktion in Rückenlage
Absolviere viele Wiederholungen dieser Übungen; ein paar Sätze mit 15-20 Wiederholungen mehrmals in der Woche wirken Wunder, ohne dass sie einen störenden Einfluss auf dein Training nehmen.
3.Lerne die korrekte Ausführung des Bench Press
Das könnte der wichtigste Rat überhaupt sein. Ich gebe es zu: wenn ich jemanden sehe, der beim Bankdrücken die Ellbogen stark abspreizt und seinen Rücken flach auf der Bank hält, dann zucke ich innerlich zusammen – nicht nur, weil er seinen Schultern damit schadet, sondern auch, weil er dadurch sein Kraftpotenzial einschränkt.
Es gibt ein altes Sprichwort, dass viele hervorragende Kraftsportler zitieren, wenn sie die Bedeutung des oberen Rückens für das Bankdrücken hervorheben: „Man kann aus einem Kanu nicht mit einer Kanone feuern.“ Wenn du keine grundlegende Stabilität hast, um schwere Gewichte zu stemmen, werden die bindegewebsartigen Strukturen des Schultergelenks die Konsequenzen tragen müssen.
Die Stabilität wird durch neuromuskuläre und positionale Faktoren beeinflusst; eine Änderung der Körperhaltung auf der Bank kann sich enorm auf die Kraftentfaltung auswirken, ohne dass chronische Veränderungen des neuromuskulären Systems eintreten müssten, um das Gewicht in Bewegung zu versetzen. Du musst Folgendes tun:
- Lege dich so auf die Bank, dass deine Augen 7-10 cm näher am Fußende sind (mit anderen Worten: die Hantelstange befindet knapp über dem Kopf). Schiebe die Schulterblätter stark zusammen. Schiebe dich dann aufwärts, bis die Augen direkt unter der Hantelstange sind; in dieser Position sollten deine Scapulae nach hinten und unten gezogen sein, also in Richtung der Füße. Wenn du es richtig machst, sollte sich dein Brustkorb dabei noch oben wölben.
- Platziere deine Füße und verschiebe sie nicht mehr. Die Position deiner Füße hängt von vielen Faktoren ab, aber egal was passiert, sie dürfen sich nicht bewegen.
- Entscheide dich, wie stark sich der Brustkorb nach oben wölben soll. Wenn dein Krafttraining lediglich der Verbesserung deiner Fitness dient, muss das nicht viel sein. Kraftdreikämpfer hingegen dürfen nicht so zaghaft sein. Je stärker die Wölbung ist, umso mehr wandelt sich die Übung in eine Art negatives Schrägbankdrücken, das für den Schultergürtel schonender ist als klassisches Bankdrücken auf der Flachbank.
- Ergreife die Stange und lasse dir die Hantel von einem Trainingspartner geben. Wenn du die Hantel selbst aus der Halterung hebst, verlierst du die Körperspannung, die du gerade so mühsam aufgebaut hast. Die Schulterblätter sind hinten und unten!
- Halte beim Absenken der Hantel die Oberarme im 45-Grad-Winkel zur Brust; Die Ellbogen sind eher eng am Körper, also nicht abgespreizt. Es ist nachgewiesen, dass der „bodybuilderartige“ Bench Press mit ausgestellten Ellbogen eine wesentlich stärkere Belastung für das Schultergelenk darstellt. Halte die Handgelenke außerdem direkt unter den Ellbogen, statt sie nach hinten zu kippen.
- Atme tief ein, so dass sich Bauch und Brust auf die Hantel zubewegen, wenn sie sich senkt. Das ist die Grundvoraussetzung, um schwere Gewichte zu drücken, und was genauso wichtig ist: halte die Schulterblätter hinten, um die Gelenke vor unnötiger Belastung zu schützen.
- Ziehe die Schulterblätter in der oberen Endposition nicht übermäßig nach vorne. Du solltest vor dem Absenken bzw. Beginn der nächsten Wiederholung die Spannung nicht verlieren.
Sieh dir die beiden Videos von Carl LaRovera an, einem meiner Trainingspartner bei South Side. Als Carl bei uns anfing, hatte er die Technik eines Bodybuilders und – was nicht verwunderlich ist – chronische Schulterprobleme. Wir bekamen das mit sechs Wochen Training und einigen gezielten Technikeinheiten wieder hin. So sah er an Tag 1 bei South Side aus:
Bench Press – abgespreizte Ellbogen
Einige Monate später ist er beschwerdefrei, und seine Technik sieht wie folgt aus (obwohl er im echten Training eine stärkere Rückenwölbung hat und natürlich eine beladene Hantel benutzt).
Bench Press – angelegte Ellbogen
Freizeit- und Breitensportler müssen die Wölbung nicht übertreiben; sie müssen nur dafür sorgen, dass die natürliche Lordose der Lendenwirbelsäule gegeben ist.
4.Stehe von deinem Schreibtisch auf
Wie Mike Robertson und ich in unserer Serie „Neanderthal No More“ ausführlich erklärten, ist eine schlechte Haltung ein großer Risikofaktor für Hunderte von muskuloskelettalen Verletzungen und Beeinträchtigungen. Insbesondere nach vorne fallende Schultern, eine exzessive Kyphose und nach vorne geneigte, protrahierte Scapulae bereiten der Rotatorenmanschette, dem langen Bizepskopf, Labrum und zahlreichen wichtigen Muskeln, die die Schulterblätter stabilisieren, einige Probleme. An dieser Stelle möchte ich ein Konzept namens „23/1 Regel“ vorstellen.
Diese Regel besagt einfach, dass du in der einen Stunde, die du täglich im Kraftraum verbringst, vielleicht alles richtig machst – was aber nichts über die restlichen 23 Stunden aussagt, aus denen sich der Tag zusammensetzt. Das gilt vor allem für Schreibtischtäter, die 8 bis 10 Stunden täglich am Computer sitzen.
Die Lösung ist einfach: Ich empfehle dir, aufzustehen und dich so oft zu bewegen wie möglich. Strecke die Arme zur Decke, vertrete dir die Beine, dehne Brust und Latissimus am Türrahmen (und die Hüftbeuger, den Tractus iliotibialis und Waden, wenn du schon einmal dabei bist). Die beste Haltung ist eine, die sich ständig verändert. Obwohl im Hinblick auf Schulterverletzungen das Gewichtheben nur der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringen kann, spielen noch viele andere Dinge – allen voran Alltagsgewohnheiten – eine große Rolle.
5.Strukturelle Balance im Training
Es wurde viel darüber geredet, als Ausgleich für horizontales Drücken (Bankdrücken) ein horizontales Ziehen auszuführen (Rudern), oder Schulterdrücken mit Klimmzügen zu kombinieren. Dieses Konzept funktioniert im Großen und Ganzen recht gut.
Leider gibt es einige Ausnahmen von dieser Regel, und oft ist man im Anschluss viel verwirrter als vorher. Ich finde, dass es am einfachsten ist, alle Übungen aufzulisten, die einem einfallen, und daran aufzuzeigen, dass sie im Grunde zwei Seiten derselben Medaille sind.
Ich achte bei der Scapula darauf, dass drei gegensätzliche Bewegungspaare berücksichtigt werden: Retraktion/Protraktion, Depression/Elevation und Innen/Außenrotation des Humerus. Dabei spielt die absolute Belastung nicht annähernd eine so große Rolle wie die Gesamtwiederholungszahl.
Retraktion | Protraktion |
Jede Form von Rudern* | Jede Form von Bankdrücken |
Reverse Fly vorgebeugt** | Jede Form von Fly |
Varianten des Y-Armhebens in Bauchlage*** | Dip |
Face Pull |
* Mit Ausnahme von Rudern aufrecht
** Reverse Fly – inklusive horizontaler Abduktion und externer Rotation
*** Varianten des Y-Armhebens in Bauchlage – zählt auch als Depression der Scapula
Depression | Elevation |
Wandgleiten | Shrug |
Varianten des Y-Armhebens in Bauchlage | Rudern aufrecht* |
Pulldown mit Widerstandsband hinter dem Nacken | Clean und Snatch |
Cobra in Bauchlage mit Armen auf 10 und 2 Uhr (auf Zeit) | Kurzhantel-Clean sitzend |
Lat-Pulldown mit geradem Arm (strikt!) | Cuban Press |
* Rudern aufrecht – mehr dazu in Teil 2 dieses Artikels
Außenrotation des Humerus | Innenrotation des Humerus |
Alle Varianten der Außenrotation | Bench Press, Liegestütz |
Kurzhantel-Clean sitzend | Klimmzug, Pulldown |
Cuban Press | Frontheben |
Reverse Fly | Dip |
Y-Armheben in Bauchlage | Schulterdrücken |
Cobra in Bauchlage (auf Zeit) | Alle Varianten der Innenrotation |
Ich habe diese Tabellen erstellt, um aufzuzeigen, dass die Übungen in der linken Spalte von den meisten Kraftsportlern ignoriert werden. Wenn deine Haltung suboptimal ist und deine Schultern Probleme machen, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass du dich mehr auf die linke Spalte konzentrieren musst, bis das Gleichgewicht wiederhergestellt ist.
6.Lasse den Schultertag weg
Nachdem du die obige Liste mit den Mustern angesehen hast, erkennst du hoffentlich, dass ein zusätzlicher „Schultertag“ vermutlich zu viel ist. Wenn du Bankdrücken, Rudern, Klimmzüge und Außenrotationen machst, erhältst du einen ausreichend großen Stimulus, um starke Schultern zu entwickeln. Falls du der Meinung bist, dass du zusätzliche Schulterübungen nötig hast, kannst du gelegentlich Schulterdrücken und Seitheben in dein Workout einbeziehen – aber ein separater Trainingstag für diesen Körperbereich ist einfach zu viel.
7.Faszientraining
Das Schultergelenk ist auf Mobilität ausgelegt und neigt deshalb zur Instabilität, aber deshalb ist das Weichgewebe nicht automatisch gegen massive Einschränkungen gefeit. Wenn man Verklebungen löst, kann das dafür sorgen, eine korrekte Funktion des Schultergürtels zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Modalitäten wie Active Release, Rolfing, Graston, Massage und sogar Foam Rolling können einen Beitrag dazu leisten, um den ganzen Mist wieder loszuwerden, der sich in der Schultermuskulatur angesammelt hat.
8.Rudern am Kabelzug sitzend
Aus irgendeinem Grund wird dieser Übung nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie verdient. Das ist vielleicht meine Lieblingsübung für die generelle Gesundheit des Schultergürtels; es gibt keine bessere Möglichkeit, um die effektive Retraktion der Scapula mit einem angemessenen Widerstand zu üben.
Beim einarmigen Kurzhantelrudern vorgebeugt, bei dem man sich auf einer Bank abstützt, besteht die Tendenz zu mogeln, und der Latissimus neigt dazu, die Aufgabe der Retraktoren zu übernehmen. Diese Übung bringt nur dann etwas, wenn sie korrekt ausgeführt wird; man kann seine Schulterprobleme sonst verschlimmern. Die drei gängigsten Mogelpackungen/Ersatzmuster sind die folgenden:
Extension der LWS und Hüften
Das ist der klassische Fall des Typen, der denkt, er sitz an einem Rudergerät. Ob er seine Lendenwirbelsäule rund hält oder nicht (und er sollte das nicht tun) ist für die aktuelle Diskussion der Schulterproblematik irrelevant; die Hüften und die Lendenwirbelsäule müssen fest sein. Die gesamte Bewegung geht von den Scapulae und den Armen aus.
Anheben der Schulterblätter und Strecken der Oberarme
Anstelle des mittleren und unteren Trapezius-Anteils und der Rautenmuskeln dominiert der obere Trapezius als Retraktor der Scapulae, was dazu führt, dass sich der Schultergürtel bei der Retraktion anhebt. Weil der obere Trapezius die Scapulae nach vorne zieht, kann man den vollen Bewegungsumfang nur erreichen, indem man die Oberarme mithilfe des Latissimus, Teres major und langen Trizepskopfs streckt. Dieses Muster verstärkt eine kyphotische Haltung mit nach vorne geneigtem Kopf und einwärts rotierten Oberarmen.
Extension des Kopfs – Protrusion des Kinns – Flexion der Ellbogen
Wenn man bei der Retraktion der Scapulae und der humeralen Extension einen unzureichenden Bewegungsumfang hat, kann man nur dann das Gefühl erzeugen, die Bewegung „abzuschließen“, wenn man sie mit einer Ellbogenflexion endet. Im Grund zieht man das Kinn an, um den Körper vom Seilzug wegzubringen, und macht dann einen Curl, um den Griff zum Bauch zu bringen, ohne dabei die Humeri zu strecken oder die Scapulae zurückzuziehen. Ist es nicht albern, den Bewegungsumfang zu vergrößern, nur damit man die Bewegung in diesem neuen Umfang dann „besser falsch“ machen kann?
Hiermit schließen wir Teil 1 ab; in den nächsten Tagen gibt es Teil 2 und acht neue Tipps für gesunde Schultern.
Euer Eric Cressey