Phasengerechtes, richtiges funktionelles Training nach einem Supinationstrauma
Neben den eingangs beschriebenen physiotherapeutischen und physikalischen Maßnahmen ist nach einem Supinationstrauma ein systematisches Aufbautraining unabdingbar, um eine vollständige Wiederherstellung der Funktionalität des Sprunggelenks zu erhalten und eine erneute Verletzung zu vermeiden.
Basierend auf den physiologischen Wundheilungsphasen lässt sich die Therapie in drei Phasen gliedern, wobei das Aufbautraining erst in der zweiten Phase
zunehmend die physiotherapeutische Behandlung ergänzt bzw. ablöst.
Entzündungsphase (ca. < 1 Woche)
Je nach Schweregrad der Verletzung und erfolgter Erstversorgung dauert diese Phase nach einem Supinationstrauma zwischen fünf und sieben Tagen. Eine physiologische Entzündungsreaktion ist für den Heilungsprozess normal und auch notwendig. Dennoch findet zu diesem Zeitpunkt noch kein Training statt. Der betroffene Fuß darf und soll jedoch schmerzabhängig früh-funktionell belastet werden. Früh-funktionell bedeutet in dem Fall „natürlich“ Gehen, da dies die Hauptfunktion des Fußes ist.
Wird der Fuß schnellstmöglich wieder mit einer vorerst sehr dosierten Intensität so belastet, wie es seine Funktion verlangt, wird er im Gehirn nicht als „ verletzt“ wahrgenommen. Strukturen, die (zu) lange ruhig gestellt sind, werden im Gehirn nicht mehr als wichtiges Gebiet wahrgenommen, schließlich findet in dem Bereich auch kaum Bewegung statt. Der Körper ist ein toller „ Energiesparer“, was in diesem Fall zu Nachteilen führen kann: die Folge ist eine Minderverstoffwechslung , also eine schlechtere Versorgung und Entsorgung des betroffenen Gebietes. Dabei benötigen gerade verletzte Strukturen eine verbesserte Versorgung mit Nährstoffen!
Um diesem Nachteil zu entgehen ist es sehr wichtig den Fuß schnell frühfunktionell zu belasten. Der Patient soll Gehen. auf dem Laufband, mit oder ohne zusätzliche Entlastung oder natürlich auf der Ebene – also frei.
Proliferationsphase (< 4. – 6 Wochen)
In dieser Phase steht der quantitative Gewebsaufbau im Vordergrund. Der Körper repariert die Verletzung provisorisch, indem er unspezifische Bindegewebszellen bildet und einlagert. Wenn die neuen
Strukturen in diesem Heilungsabschnitt nach dem Supinationstrauma dürfen keinen frühfunktionellen Reize ausgesetzt werden, lernen diese nicht, welche Aufgaben sie im Gelenk zu übernehmen haben und werden auch in ihrer Bauweise nie zu den Strukturen, die die jeweiligen Funktionen im Gelenk (z.B. Propriozeptoren zur Spannungswahrnehmung, Kollagen Typ 1 für die Zugstabilität) am besten ausführen.
Training in Phase 2
Zu Beginn der Trainingstherapie nach einem Supinationstrauma steht die Verbesserung der Tiefensensibilität und der Sensomotorik (neuronale Ansteuerung) im Vordergrund. Ziel ist es hierbei, dass die Propriozeptoren (wieder) lernen, Informationen zu Muskelspannung und Gelenkposition wahrzunehmen, diese an das Gehirn weiterzuleiten und von dort aus die richtige Reaktion einzuleiten. Der Therapeut hat hierbei unzählige Möglichkeiten die Schwierigkeit über die Wahl der Ausgangsstellung (hüftbreiter Stand, Schrittstellung, Einbeinstand), die Wahl der Unterlage (sämtliche mehr oder weniger labile bzw. instabile Geräte) und den Einsatz von Störfaktoren (z.B. motorische Störung [Armbewegungen, Ball fangen], visuelle Störung [geschlossene Augen]) zu variieren. Um den Trainingsreiz auf das Sprunggelenk zu erhöhen, macht es in diesem Fall Sinn, zu Beginn teilweise mit gestrecktem, also arretiertem Kniegelenk zu trainieren.
Weder im Alltag noch im Sport kommt es häufig vor, dass das Sprunggelenk statisch stabilisiert werden muss. Deshalb ist es sinnvoll, weil funktionell, das anschließende Training so früh wie möglich dynamisch zu gestalten. Dadurch wird trainiert, dass das Sprunggelenk in der Bewegung (z.B. beim Gehen vorwärts, rückwärts und seitwärts) und in Kombination mit anderen Bewegungen (z.B. Oberkörpervorneigung oder –rotation) stabilisiert wird.
In dieser Phase gilt es auch grundlegende, funktionelle Bewegungsmuster wieder zu erlernen. Der Patient muss üben, die richtigen Muskelgruppen im jeweiligen Bewegungsabschnitt zu aktivieren, um den gesamten Bewegungsablauf so ökonomisch wie möglich gestalten – beim Gehen, bei Kniebeugen, usw.
Zunehmend werden auch sportartspezifische Bewegungen mit geringer Intensität trainiert. Beispielsweise wäre es für Spielsportler funktionell, die richtige Richtungswechseltechnik (Abstoppen und Beschleunigen) zu trainieren.
Wichtig ist, dass es in dieser Phase nicht um Krafttraining geht, sondern um das Training der neuronalen Ansteuerung! Eine zu hohe Laktatkonzentration im betroffenen Gewebe wäre in dieser Phase der Heilung kontraproduktiv und ist deshalb wenn möglich zu vermeiden.
Der Übergang zwischen den beiden Phasen ist fließend und kann nicht eindeutig bestimmt werden.
Remodellierungsphase (> 4. – 6. Woche)
Im Gegensatz zur Proliferationsphase geht es nun um den qualitativen Auf- bzw. Umbau des neuen Gewebes. Die provisorischen Kollagenfasern (Typ III) werden in belastbarere und elastischere Fasern (Typ I und II) umgebaut. Dieser Umbauprozess kann in Abhängigkeit vieler Faktoren 300 bis 500 Tage andauern. Während in der Proliferationsphase das koordinative Training (Sensomotorik, (Wieder-) Erlernen von Bewegungsmustern, usw.) im Vordergrund stehen, bestimmen nun intensivere Trainingsformen, wie gezielte, funktionelle Kräftigung und Sprungvarianten den Trainingsplan.
Training in Phase 3
Ziel dieser Phase der Trainingstherapie ist es, die Muskulatur v.a. der unteren Extremität funktionell wieder aufzubauen. Hierbei sollten stehende Übungen, wie Kniebeugen, Ausfallschritte und Lounges (in sämtlichen Variationen) die erste Wahl sein. Ist nach Einschätzung des Therapeuten bzw. Trainers ein ausreichendes Kraftniveau bei sehr guter Bewegungsqualität vorhanden, kann die Intensität durch Steigerung der Ausführungsdynamik erhöht werden. Dies bedeutet, dass zunehmend beidbeinige und einbeinige Sprünge, sowie schnellere Richtungswechsel trainiert werden. Hierbei sollte stets auf eine hohe Bewegungsqualität geachtet werden! Als letzte Steigerung stehen – immer in Abhängigkeit der Ziele des Trainierenden – reaktive Bewegungen (plyometrisches Training). Die enorme Intensität und Beanspruchung dieser Trainingsform ist nicht zu unterschätzen und muss deshalb anfangs vorsichtig und mit Bedacht dosiert werden.
Am Ende dieser Phase sollte anhand geeigneter Testverfahren (wie z.B. Star- Excursion-Test (Filipa, et al. 2010) oder ausgewählter Sprungtests (Noyes, et al. 1991 oder Bolgla, 1997) die Entscheidung über den Wiedereinstieg ins gewohnte Training gefällt werden.
Zusammenfassung
Bei einem Supinationstrauma ist die Erstversorgung sehr wichtig. Nach der Erstversorgung gilt es die aufsteigende Kette, schnellstmöglich durch die richtige physiotherapeutisch/osteopathische Behandlung zu unterbrechen. Die schon entstandenen Dyskunktionen müssen optimal behandelt werden um dann gut in das funktionelle phasenentprechende Training einzusteigen.
Natürlich kann der Sportler noch mit einem Tapeverband trainieren oder spielen, wenn er sich dadurch noch sicherer fühlt. Das Gefühl des Sportlers muss dabei unbedingt berücksichtigt werden, auch wenn aus medizinischer Sicht ein Tapeverband nicht mehr nötig wäre.
Eure Jochen Gehring und Maria Härter
Wunderbar,aber für Sportphysios sollte dies nichts neues sein. Allgemein, vielseitig Zielgericht und sportspezifisches trainieren (Lauf und Sprung ABC) kennt man schon seit Jahren, der Artikel ist wirklich gut,aber eben keine neue Erkenntnisse
Vielen Dank erstmal für deinen Kommentar zum Artikel. Wir sind genau wie du der Meinung, dass das von uns beschriebene Behandlungs- und Therapieschema zu den Grundlagen jedes Trainers und Sportphysios gehören sollte. Leider machen wir jedoch im Praxisalltag viel zu oft die Erfahrung, dass dies nicht der Fall ist. Erst kürzlich stellte sich in unserer Einrichtung ein Fußballprofi vor, der nach einer Sprunggelenksverletzung eine 4-wöchige Reha bei einem Erstligisten duchlaufen hatte. Bei seinem Wiedereinstieg ins Mannschaftstraining traten sofort wieder starke Probleme auf, sodass er die Vorbereitung abbrechen musste. Das Aufbautraining dort beschränkte sich in seinem Fall auf sensomotorisches Training und unfunktionelle Beinkräftigung. Die richtige Ansteuerung der Gesäßmuskulatur, sowie sportartspezifisches Training usw. wurden komplett vernachlässigt, weshalb es bei ihm unweigerlich zu Überlastungen u.a. im Schambeinbereich kam.
Ziel des Artikels ist es, dass sich dieses vermeintlich grundlegende Therapieschema nach Supinationstrauma in möglichst vielen Praxen und Trainingszentren etabliert.
Toller Artikel! Die Trainingsmöglichkeiten der einzelnen Phasen sind übersichtlich und gut auf den Punkt gebracht zusammengefasst. Weiter so.