Kürzlich kamen zu mir vier junge Nachwuchssportler/innen (eine Fußballerin 17 Jahre; eine Skirennläuferin 16 Jahre; zwei Fußballer 16 und 18 Jahre) mit Kreuzband (ACL) Verletzungen ins Studio um nach der Reha die Muskulatur wieder aufzubauen. Grundsätzlich kein großes Thema. Nur, was können wir vorbeugend „tun“ – damit das Kreuzband erst gar nicht reißt – oder wie können wir zumindest das tatsächliche Risiko verringern?
Knieverletzungen und ihre Folgen
In Deutschland reißt im Schnitt alle sechseinhalb Minuten ein Kreuzband, fast immer das Vordere. Bei etwa einem Drittel ist zusätzlich der Meniskus beschädigt. Die Kosten pro Kreuzbandriss sind fast 18.000 Euro. Tendenz steigend. Frauen haben laut Statistik ein sogar achtfaches höheres Verletzungsrisiko.
Gerade bei den schnellen Sportarten (verbunden mit Landungen nach einem Sprung, beim Abbremsen oder beim plötzlichen Richtungswechsel) wie beim Fußball, Basketball, Volleyball, Handball, Ski Alpin sind laut Statistik die Knieverletzungen am Kreuzband (ACL) auffallend hoch. Etwa 50.000 Sportler verletzen sich pro Jahr – fast jeder dritte beim Skifahren. Bei Tätigkeiten des täglichen Lebens entstehen im Kniegelenk Kräfte des ein- bis zweifachen Körpergewichtes – im Sport dagegen werden Kräfte des bis zu fünffachen Körpergewichtes erreicht.
Auch das Risiko für das andere Bein ist nach einer ersten Ruptur deutlich höher. Möglicherweise spielt bei diesen Zahlen die genetische Komponente eine wichtige Rolle.
Auswirkungen
Darüber hinaus haben ACL Knieverletzungen (die von den Sportlern am meisten gefürchtete Verletzungsart) extreme Auswirkungen auf die sportliche Karriere. Eine langwierige Trainings- und Wettkampfpause ist trotz immer weiter verbesserter Behandlungsmöglichkeiten die Folge. Gerade für Berufssportler, sowie für ihre Vereine und Sponsoren, sind oft beträchtliche finanzielle Einbussen die Folge. In der Regel dauert es nach dem Eingriff mit Kreuzband-Rekonstruktion, gefolgt von sechs bis neun Monaten Rehabilitation, viele weitere Monate bis das ursprüngliche Leistungsniveau wieder erreicht ist und die Wettkampftätigkeit wieder aufgenommen werden kann. Bei mehr als 50% der Patienten treten innerhalb von sieben Jahren die ersten Anzeichen von Arthrose auf.
Der Vermeidung bzw. Verminderung des Risikos eines Kreuzbandrisses bekommt daher eine immer bedeutendere Rolle!
Risikofaktoren für die Entstehung von Knieverletzungen im Sport
Um jedoch Trainingsprogramme verändern und verbessern zu können – bedarf es der Hinterfragung woran es liegt. Was sind die „körperlichen“ Gründe, was erhöht das Risiko einer ACL Verletzung?
Wenn ich Athleten/innen in ihren sportlichen Ausübung beobachte, stelle ich mir oft die Frage, ob diese Athleten/innen sportartspezifisch genügend auf ihre Anforderungen vorbereitet wurden? Gerade diese Vorbereitung erachte ich als sehr wichtig. Nur lässt sie sich, je nach sportlichen Level (Dorffußball Jugendmannschaft), selten umsetzen. Meist fehlt die Sensibilisierung für die Problematik, die Weitsicht und das qualifizierte Personal; dem reinen Training wird unbedingte Priorität eingeräumt.
Es gibt unterschiedliche Risikofaktoren für die Entstehung von sportbedingten Knieverletzungen. Zum einen sind sie nicht beeinflussbar (Alter, Geschlecht, Level) – zum anderen aber schon. An privatem Stress, an der Psyche, an eigenverantwortlichem Verhalten, an Krankheitssymptomen kann gearbeitet werden. Drogen, Alkohol und Rauchen haben im Sport generell nichts verloren. Frühere und akute Verletzungen müssen rechtzeitig behandelt und restlos auskuriert werden. Die Koordination, Risikobereitschaft, Kondition und muskulärer Status sind beeinflussbar und/oder können trainiert werden. Schuhe und Bodenbelag dürfen aufeinander abgestimmt werden.
Vier neuromuskuläre Dysbalancen
In der Literatur werden vier neuromuskulären Dysbalancen am häufigsten genannt, die im hohem Maße für Knieverletzungen verantwortlich sind, wobei die weiblichen Athletinnen von diesem Risiko am meisten betroffen sind.
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Bänder – Dominanz: Wenn bei einer Landung die dynamische Muskelkontrolle fehlt, führt das zu einer erhöhten Valgus-Bewegung (Bewegung der Kniegelenke nach innen). Das heißt, wenn die Knie (bei dieser Bodenreaktionskraft) ausweichen, sind die Muskeln nicht in der Lage, die auftretende Kraft zu stabilisieren. Stattdessen wird die Kraft auf das Band anstatt auf den Muskel übertragen.
- Oberschenkelvorderseite – Dominanz: Zumeist besteht ein Ungleichgewicht zwischen der hinteren Oberschenkelmuskulatur (meistens sehr schwach) und den Quadrizeps-Muskeln. Diese übermäßige Abhängigkeit von den Quadrizeps-Muskeln führt zu einer überhöhten Stabilitätskontrolle und gleichzeitig zu Ungleichgewichten in der Kraft und Koordination zwischen der Kniestrecker und Kniebeugemuskulatur.
- Bein – Dominanz: Gerade im Fußball wird oft ein Bein zum Schießen bevorzugt. Das andere Bein übernimmt mehr die Aufgabe als Standbein, das dadurch oft unbeweglichere Bein. Und gerade für die Verhinderung von Verletzungen wäre eine Ausgewogenheit bezüglich der Festigkeit und Flexibilität äußerst wichtig. Studien zufolge sind Personen mit neuromuskulären Ungleichgewicht (Muskelkraft) einer höheren Verletzungsanfälligkeit ausgesetzt. Auch bei alten Verletzungen besteht oft eine Bein–Dominanz.
- Stamm (Kern) – Dominanz: Sehr oft ist die Bewegung des Rumpfes insbesondere in der Frontalebene übertrieben und oft durch ein gewisses Maß an körperlicher Trägheit (fehlende Muskelkontraktionsmuster im Kern) geprägt. Somit verlagert sich meistens mehr Kraft und Drehmoment auf die Knie was zu einem höherem Risiko für ACL Verletzungen führt.
Im nächsten Artikel werde ich am Freitag noch näher auf die Anamnese und Übungen eingehen.
Euer Silvester Neidhardt