Die Macht der Farben
Ihr Einfluss auf Wohlbefinden und sportliche Leistungsfähigkeit
Farben haben einen großen Einfluss auf unser allgemeines Wohlbefinden und unsere Leistung beim Sport. Dabei haben die verschiedenen Farben unterschiedliche Auswirkungen auf uns und unser Nervensystem. Um die positiven Effekte von Farben auf unser Nervensystem zu nutzen, gilt es, ihre Wirkung auf uns individuell zu testen. Neuroathletik-Ausbilder und Coach Andreas Könings erklärt in der Ausgabe 3/2022 – Biohacking, welches Potenzial in Farben steckt und wie Farben optimal im Alltag und auch im Training eingesetzt werden können.
Farben beeinflussen unsere Leistung und unser Wohlbefinden – das steht außer Frage. Ihnen werden bestimmte psychologische Effekte zugesprochen, aber auch durch selbst gemachte Erfahrungen und Lernprozesse ordnen wir Farben oft automatisch eine Bedeutung zu. Rot wird als klassische Warnfarbe oftmals als negativ wahrgenommen und die Farbe Grün genau gegenteilig – nämlich als sicher und positiv. Da Farben so viele unterschiedliche Wirkungen zugesprochen werden, hat die Verwendung von farbigen Gläsern und Brillen mit farbigen Folien (Overlays) eine lange Geschichte im Bereich des visuellen Trainings mit einer teils bisher jedoch noch uneinheitlichen Studienlage. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass unser Nervensystem sehr individuell auf Farben reagiert.

Wenn es um Bewegung geht, sind unsere Augen der wichtigste Informationsgeber für unser Gehirn. Jede Farbe hat eine spezielle Wellenlänge, die auf die Netzhaut unserer Augen trifft und von dort zum Gehirn geleitet wird, das letztendlich diese Informationen verarbeitet. Werden die eingehenden Informationen von unserem Nervensystem als positiv bewertet, so ergibt sich hieraus wiederum ein positiver Output. Dies kann z. B. eine Leistungssteigerung, aber auch eine Schmerzreduktion sein. Wichtig hierbei ist zu verstehen, dass die Bewertung durch das Gehirn immer individuell ist. Die Wirkung einer Farbe auf ein Individuum bzw. auf einen Athleten muss daher vorab immer getestet werden.
Farben und ihre spezielle Wirkung
Jede Farbe wirkt aktivierend auf das Gehirn, wobei sich jedoch leichte Unterschiede zeigen. Blau beispielsweise bewirkt die stärkste globale kortikale Aktivierung, gefolgt von Rot und Grün. Um Farben im Sport oder auch im Alltag auf einfache und praktische Art und Weise zu nutzen, bieten sich sogenannte Farbbrillen an; diese könne je nach Situation und Bedarf getragen und dabei einfach gewechselt werden. Zusätzlich positiv an ihnen ist, dass sie ein „passives“ Tool sind. Um von der Wirkung zu profitieren, ist kein extra Zeitaufwand notwendig. Im Folgenden werden die einzelnen Farben und deren Wirkungen auf unser Nervensystem genauer beschrieben.
Blau
Wie bereits angesprochen, hat Blau die stärkste kortikale Aktivierung. Das Tragen einer blauen Farbbrille vermindert die Aktivität des vegetativen Nervensystems. Blau wirkt parasympathisch und hat daher eine entspannende und beruhigende Wirkung. Blau kann den sympathischen Tonus senken, was bedeutet, dass der Adrenalinspiegel sinkt, sich der Puls verlangsamt und die Muskeln entspannen und entkrampfen können. Dies kann insbesondere zur Förderung regenerativer Prozesse genutzt werden. Blaue Farbbrillen erhellen gelbes Licht und blockieren von außen eindringendes blaues Licht, was wir uns insbesondere beim Tageslicht zunutze machen können.
Licht mit einem hohen Blauanteil stimuliert die Melanopsin- Rezeptoren in der Retina, was wiederum unseren circadianen Rhythmus beeinflusst und uns wach macht. Da blaue Farbbrillen blaues Licht blockieren und die Helligkeit dimmen, kann die Farbe Blau daher auch bei Schlafschwierigkeiten unterstützend eingesetzt werden. Aufgrund dieser entspannenden Wirkung ist jedoch auch Vorsicht in der Anwendung bei bereits bestehender starker geistiger oder körperlicher Erschöpfung geboten, da unser Nervensystem sonst ggf. einfach zu stark herunterreguliert werden kann. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch erste Studienhinweise darauf, dass Blau möglicherweise zu einer verbesserten Muskelausdauer führen kann, was natürlich im Ausdauersport hochinteressant wäre.
Rot
Die Farbe Rot wirkt stark aktivierend auf unser sympathisches System und erhöht die Gehirnaktivität. Sie fährt unser sympathisches Nervensystem hoch und bewirkt eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Beim Tragen einer roten Brille schüttet unser Nervensystem verstärkt Adrenalin aus, der Blutdruck steigt an und die Atmung geht schneller. Der Sympathikus macht uns kampfbereit, was insbesondere im Sport zielführend sein kann, wenn es um die Verbesserung von Schnelligkeit, Reaktionsgeschwindigkeit und Kraftentfaltung geht. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Rot durch die genannten Mechanismen das Stresslevel erhöht. Stressanfällige Menschen oder solche, die Schwierigkeiten mit einer sympathischen Überreaktion haben, können daher auch negativ auf rote Farbbrillen reagieren. Hier kann es sogar zu einer Leistungsabnahme bzw. zu einer Verstärkung von Beschwerden und Schmerzen kommen.
Grundsätzlich verbessert Rot das Kontrastsehen und die Sehfähigkeit bzw. die Sehgenauigkeit in der Dämmerung. Damit kann diese Farbe gerade im Sport bei schlechten Lichtverhältnissen vorteilhaft sein – und dies insbesondere vor grünem Hintergrund, wie z. B. bei Rasensportarten.
Gelb
Gelb ist eine häufig zu findende Farbe. Sie wirkt eher aktivierend und verbessert das Kontrastsehen. Details werden so deutlicher und auch die Tiefenwahrnehmung wird verbessert. Insbesondere bei trübem Wetter bzw. bei schlechten Lichtverhältnissen finden gelbe Farbbrillen Verwendung. Diese besseren optischen Sinneseindrücke können zu einem erhöhten Sicherheitsempfinden für das Gehirn führen, was wiederum z. B. ein besseres Reaktionsvermögen zur Folge hat. Nicht umsonst werden gelbe Farbbrillen auch z. B. im Straßenverkehr beim Fahren in der Dämmerung oder an einem grauen Tag gern genutzt. Im Sport bietet sich Gelb aufgrund seiner Eigenschaften gerade bei Indoor-Sportarten unter Neonlicht an. Zusätzlich filtern gelbe Brillengläser blaues Licht und eignen sich daher auch sehr gut am Bildschirmarbeitsplatz, da Bildschirme vorwiegend Licht im blauen Spektrum ausstrahlen. Blaues Licht beeinflusst unseren circadianen Rhythmus maßgeblich – gelbe Farbbrillen haben das Potenzial, unsere Schlafqualität und auch unsere Stimmung positiv zu beeinflussen. Durch das Tragen gelber Gläser wirkt alles heller und freundlicher.
Grün
Grün scheint in Bezug auf die Gehirnaktivierung eine eher neutrale Farbe zu sein. Grundsätzlich dämpfen grüne Farbbrillen optische Sinneseindrücke und dunkeln sie ab. Daher kann eine grüne Farbbrille gut zur Entspannung oder bei Schmerzproblematiken ausprobiert werden – vor allem dann, wenn eine Person auf Rot oder Blau negativ reagiert. Hier eignet sich die Verwendung vor allem bei hellen Lichtverhältnissen, wie sie z. B. draußen vorliegen. Grün verbessert zusätzlich die Tiefenwahrnehmung vor grünem Hintergrund, was wiederum für einige Outdoor-Sportarten interessant ist.
Farbbrillen in der Praxis
Generell ist es wichtig, die individuelle Reaktion auf eine Farbe zu testen. Hierzu bieten sich Beweglichkeits- oder auch Kraft-Assessments an, die jeweils mit und ohne Farbbrille durchgeführt werden, um die Farbe auf sich wirken zu lassen. Dazu zieht man die Brille an und schaut kurz um sich, bevor man das Assessment erneut durchführt. Ein erstes Indiz kann aber auch schon das subjektive Empfinden beim Anziehen der jeweiligen Farbbrille sein. Wirkt die Farbe angenehm? Wie fühle ich mich mit der Brille?
Das Tragen der Brille kann situationsbedingt im Alltag, beim Training oder auch kurz vor einem Wettkampf (je nach Möglichkeit auch im Wettkampf) stattfinden. Starte mit kurzen Abschnitten von wenigen Minuten und verlängere die Dauer je nach individueller Reaktion. Es ist auch möglich, farbige Visiere zu verwenden, z. B. im Motor- oder im Skisport, wenn ein Helm getragen wird. Dies kann den gleichen positiven Effekt haben und damit können Farben auch gezielt während des Trainings oder auch im Wettkampf zur Leistungsverbesserung eingesetzt werden.
Farbbrillen sind nicht mit farbigen Sonnenbrillen zu verwechseln; diese haben oft nur eine spiegelnde Folie auf dem Glas, die nicht die Wirkung eines farbigen Glases hat. Wird bereits eine Brille zur Sehkorrektur getragen, so kann eine Farbbrille je nach Stärke der Brille darüber getragen werden oder auch stattdessen. Bei positiven Farben stellt sich nicht selten auch eine Verbesserung der Sehfähigkeit durch die Farbbrille ein.
Besser lesen
Farben können nicht nur einen positiven Effekt auf unsere sportliche Leistung haben, sondern auch in anderen Bereichen hilfreich sein, wie zum Beispiel bei Leseschwierigkeiten. Schnell und fehlerfrei lesen zu können, ist ein vergleichbarer Output unseres Gehirns wie Bewegung, Schnelligkeit oder Kraft. Farben haben einen Einfluss darauf, wie gut, schnell und sicher wir lesen können. Bei einer positiven Farbe werden die visuellen Informationen schneller und klarer von unserem Gehirn verarbeitet. Um herauszufinden, welche Farbe vom Nervensystem positiv bewertet wird, kann die Lesegeschwindigkeit herangezogen werden. Hierzu wird ein Textabschnitt einmal ohne und einmal mit einer Farbbrille gelesen und die Zeit mit einer Stoppuhr gemessen. Wichtig ist, dass es sich um denselben Textabschnitt handelt, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Neben der Lesegeschwindigkeit kann auch eine bessere Aussprache als Beurteilungskriterium genutzt werden oder das subjektive Empfinden der Sehschärfe. Positive Farben führen zu einer besseren visuellen Klarheit und einem besseren Textverständnis.
Displayfarbe von mobilen Geräten
Statt des Tragens einer Farbbrille kann auch die Displayfarbe des Smartphones oder Tablets verändert und hiermit vergleichbare Effekte erzielt werden. Die Hintergrundfarbe lässt sich sowohl bei iOS- als auch bei Android-Geräten in den Einstellungen verändern. Hier lassen sich sogenannte Farbstiche verwenden, die das Display in der gewünschten Farbe einfärben. Dies wirkt so, als sei eine Farbfolie über das Display geklebt, und hat damit den Effekt ähnlich einer Farbbrille. Die Veränderung der Displayfarbe kann dabei helfen, entspannter am Bildschirm zu lesen und zu arbeiten. Gerade weil Bildschirmarbeit eine große Belastung für unser visuelles System ist, kann das Lesen mit einer Farbbrille bzw. einem Farbstich zu einer deutlichen Augenentlastung beitragen und das visuelle System entspannen.
Fazit
Farben können sich in vielerlei Hinsicht auf uns auswirken – sowohl allgemein auf unsere Stimmung und unser Wohlbefinden im Alltag als auch sehr spezifisch auf unsere Trainingsleistung, sportliche Performance oder Regeneration. Farbbrillen sind ein einfaches und „passives“ Werkzeug, mit dem wir einen direkten positiven Einfluss auf unser Nervensystem nehmen können. Es lohnt sich daher, die Macht der Farben für sich zu nutzen.

Andreas Könings ist Neuroathletiktrainer und erster deutscher Z-Health® Master Practitioner. Er arbeitet unter anderem mit Spitzensportlern aus unterschiedlichen Bereichen, Trainern und Therapeuten sowie diversen Einsatzkräften zusammen. Andreas ist erfahrener Ausbilder und Mentor im Bereich Neuroathletik und leitet die Deutsche Akademie für Neuro-Performance, welche die umfassendste Neuro-Ausbildung im deutschsprachigen Raum bietet. www.neuroathletik-training.de
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