Ich gebe es ja zu: der Titel dieses Beitrags ist nicht ganz ernst gemeint!
Aber wenn du www.strengthcoach.com regelmäßig besuchst, könntest du geneigt sein, die Frage mit Ja zu beantworten. Es scheint, als würde mittlerweile jede Online-Diskussion mit dem Ratschlag beginnen, erst einmal einen FMS durchzuführen. Jede Antwort leiert dasselbe Mantra herunter: Kümmere dich um das schwache Muster, und dein Athlet oder Klient wird wie von Zauberhand geheilt. Um ehrlich zu sein, denke ich, dass der FMS der erste Schritt für jeden Klienten sein sollte, der über Schmerzen klagt. Wenn man genügend Zeit hat, sollte er für jeden Klienten der erste Schritt sein.
Ich halte große Stücke auf den Functional Movement Screen, Gray Cook und Lee Burton (der den Screen mitentwickelt hat). Aber wie Alwyn Cosgrove gerne sagt: erst machen wir zu wenig, dann zu viel. Wie ein Forum-Mitglied neulich schrieb: „Schlägt das Pendel mittlerweile zu weit aus?“ Der FMS ist ein Screen. Wir sammeln damit Informationen über einen Athleten oder Klienten und erfahren auf diese Weise mehr darüber, wie er sich bewegt. Für mich ist das der erste Schritt, wenn ein Athlet oder Klient über Schmerzen klagt. Der FMS ist keine zielsuchende Rakete, die ein schwaches Muster aufdeckt und sofort ein Heilmittel parat hat.
Ich habe gerade eine Online-Diskussion gelesen, in der die Auffassung vertreten wurde, man könne mit FMS-Correctives das Schienbeinkantensyndrom heilen. Das hat mich dazu veranlasst, diesen Artikel zu schreiben. Shin Splints könnten zwar die Folge eines biomechanischen Fehlers sein, der im Hüft- oder Core-Bereich zu finden ist, werden aber durch Überbelastung verursacht. In den letzten Jahren war es immer so, dass ich Schmerzen in den Schienbeinen bekam, wenn ich zu viel lief. Wenn ich mich an einem progressiveren Programm orientierte, gab es dagegen keine Probleme. Nicht jede Überlastungsverletzung ist auf eine fehlerhafte Bewegung zurückführen. Manche Leute haben einfach nicht den richtigen Körperbau für Langstreckenläufe. Man kann auch noch so viele Korrekturübungen machen, deswegen wird aus einem Offensive Lineman trotzdem kein Marathonläufer. Wenn man dessen Aktives Beinheben in Ordnung bringt und ihn einen 10-Kilometer-Lauf absolvieren lässt, wird er sich vermutlich immer noch Shin Splints zuziehen oder über Schmerzen im unteren Rücken klagen. Es ist wie der alte Witz mit dem Hammer: Triff den Nagel und nicht die Hand – dann tut’s auch nicht weh.
Ich begrüße es, dass jeder den FMS schätzt und die Vorteile einer eingehenden Untersuchung erkennt, aber deswegen müssen wir trotzdem die Kirche im Dorf lassen. Der Functional Movement Screen ist der erste Schritt in einem viel längeren Prozess. Der zweite Schritt muss nicht unbedingt sein, „den Athleten bzw. Klienten an einen SFMA-Therapeuten zu überweisen“. Es gibt Tausende hervorragender Therapeuten, die keine Ahnung haben, wie man einen FMS durchführt, die ihre Patienten aber trotzdem wieder in Schuss bekommen.
Es gibt zahlreiche Therapie- und Rehabilitationsmodelle. Grays Modell entspricht am ehesten Shirley Sahrmanns Modell der Rehabilitation durch Bewegung. Für Krafttrainer, Athletiktrainer und Physiotherapeuten eignet sich dieses Modell sehr gut, da es im Rahmen unserer Möglichkeiten funktioniert. Ich habe aber die besten Ergebnisse gesehen, als die manuelle Therapie mit dem Modell der Rehabilitation durch Bewegung kombiniert wurde. Meiner Erfahrung nach ist das „schwache Muster“ oft das Ergebnis eines dysfunktionalen Weichgewebes oder Gelenks, das einfach nicht besser wird, indem man an dem schwachen Muster herumlaboriert. Oft muss ein ausgebildeter Physiotherapeut aggressiv die Gelenkfunktion oder die Gewebequalität bearbeiten.
Unsere Faszination für den FMS erinnert mich an die Faszination für Active Release Techniques, die vor einer Weile im Internet kursierte. Jede Online-Diskussion schien damals mit der Frage zu beginnen: „Kennst du einen Fachmann für ART?“ Wir müssen uns vor Augen führen, dass alle Methoden nur einzelne Werkzeuge in einem großen Werkzeugkasten sind. Manchmal ist das beste Werkzeug der Computer oder das Telefon. So wie in der TV-Spielshow „Wer wird Millionär“ kann es am besten sein, den Telefonjoker zu benutzen, um die richtige Antwort zu erhalten.
Hüte dich davor, komplexe Prozesse zu vereinfachen. Es gibt keine Musterlösungen, und wie das alte Sprichwort so schön heißt: viele Wege führen nach Rom.
P.S.: Wenn du die Zeit hast, sollte der FMS immer noch bei jedem Klienten der erste Schritt sein. Aber vergiss nicht, dass er kein Selbstzweck ist, sondern dazu dient, Informationen über deinen Athleten oder Klienten zu sammeln und mehr darüber zu erfahren, wie er sich bewegt.
Euer Mike Boyle