Zum Kämpfen zu schwach, zum Weglaufen zu langsam und trotzdem gelang es dieser „ Null“ sich gegen die anderen Tiere sowie seinen direkten Konkurrenten, den Neandertaler, zu behaupten.
Die Neandertaler waren dem Homo sapiens fast in allen Belangen überlegen: sie hatten stärkere Muskeln, festere Knochen, waren besser gegen Kälte geschützt, waren möglicherweise klüger und hervorragende Jäger. Doch innerhalb von 100 000 Jahren nachdem der erste Homo sapiens in Europa eintraf, waren die Neandertaler verschwunden, doch warum? Es musste also einen über Leben und Tod entscheidenden Vorteil gegeben haben, der es den mageren, schwächeren Geschöpfen ermöglichte zu überleben!
Der frühe Mensch entwickelte sich zum Läufer
Dabei geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um die Fähigkeit lange laufen zu können. Kein anderes Lebewesen auf diesem Planeten ist besser dafür geschaffen als der Mensch.
Der Gepard zum Beispiel ist deutlich schneller als der Mensch. Er kann jedoch seine Geschwindigkeit nur knapp eine Minute lang halten. Einer der Gründe hierfür ist, dass bei allen laufenden Säugetieren durch die Anordnung der inneren Organe und des Zwerchfells diese beim Laufen vor- und zurückschwappen, wie Wasser in der Badewanne. Dadurch können sie pro Schritt nur einmal atmen. Es gibt nur eine Ausnahme: den Menschen.
Die besten Eigenschaften zum Laufen
Außerdem sind wir die einzigen Säugetiere, die ihre Wärme durch schwitzen abgeben können, alle anderen durch ein Fell geschützten Lebewesen kühlen sich in erster Linie durch die Atmung ab. Durch unsere Millionen von Schweißdrüsen verfügen wir über den besten luftgekühlten Motor, den die Evolution je hervorgebracht hat. Ein weiterer Faktor, in der Hitze besser bestehen zu können war, dass unserer Vorfahren immer mehr an Fell verloren. Außerdem bot der aufrechte Gang der Sonne weniger Fläche und sie erhitzen nicht so schnell wie Vierfüßer.
Doch weniger Fell, die Fähigkeit zu schwitzen und der aufrechte Gang sind bei weitem nicht die einzigen Indizien dafür, dass der Mensch der beste Läufer der Welt ist. Der Mensch hat eine Achillessehne, die zum Gehen eher unpraktisch ist, aber zum Laufen perfekt. Sie speichert durch Spannung beim Fußaufsetzen Energie und gibt diese dann beim Abstoßen wieder ab. So kann der Körper beim längeren Laufen optimal Energie freisetzen und Muskelkraft einsparen. Unser Fuß ist ebenfalls perfekt zum Laufen geeignet. Wären wir reine Fußgänger, wäre es sicherlich hinderlich einen Fuß zu haben mit wackligen Sehnen und Bändern die auch noch direkt an der Stützfläche ansetzen. Doch genau dieses tolle, elastische Konstrukt mit seinen 26 Knochen und zahlreichen Sehnen und Bändern bilden ein Fußlängs- und Quergewölbe welches den Aufprall beim Laufen dämpft. Außerdem haben wir kurze Zehen, was das Laufen erleichtert. Für das Gehen wären lange Zehen, ähnlich der Schimpansen von Vorteil.
Die Kniegelenke haben sich beim Homo sapiens deutlich verstärkt, da beim Laufen das Vielfache des Körpergewichts auf die Beine einwirken kann. Durch ihre großen Auflageflächen mit den Menisci als Puffer kann sich der Druck gut verteilen. Der Schultergürtel, die Ober- und Unterarme haben an Masse verloren und sind eher grazil geworden. Der Vorteil ist nun, dass sie deutlich mobiler sind. Sie können jetzt Ausgleichsbewegungen unterstützen und während des Laufens leichter mitschwingen, was sehr wichtig für die Balance , aber auch für die Entwicklung von Geschwindigkeit und Rhythmus ist.
Gleichgewicht, Nackenband, Gluteus maximus und die Stabilität
Von großer Bedeutung ist die Entwicklung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr. Ohne diese Vestibularapparate könnte kein Läufer sein Gleichgewicht halten.
Wir Menschen haben ein Nackenband, das Lig. nuchae. Dieses Band dient der Stabilisierung des Kopfes und zwar wenn man sich schnell fortbewegt. Ohne dieses Band könnten wir beim Laufen den Kopf nicht gerade halten . Somit war es unseren Vorfahren möglich, auch beim schnellen Laufen die Beute nicht aus den Augen zu verlieren. Fußgänger wie Schimpansen oder Schweine besitzen kein Nackenband.
Wir Menschen entwickelten einen großen Gesäßmuskel, den Gluteus maximus. Beim Gehen wird er fast nicht gebraucht. Beim Laufen jedoch stabilisiert er den Rumpf und das Becken, dadurch ermöglicht er einen ruhigen, aufrechten Gang. Er ist außerdem sehr wichtig für den schnellen Vortrieb.
Der entscheidende Vorteil: länger Laufen können
Das Adergeflecht, welches in die Kopfhaut eingebettet ist, sorgt vermutlich ebenfalls für Abkühlung, indem das darin zirkulierende Blut Wärme an die Umgebung abgibt.
Diese Eigenschaften machten aus unseren Vorfahren die besten Ausdauerläufer der Welt!
Vor etwa 45 000 Jahren endeten die langen Winter und eine Wärmeperiode setzte ein. Die Wälder schrumpften und es überwiegte das von der Hitze versengte Grasland. Das neue Klima bot den laufenden Menschen hervorragende Lebensbedingungen. Die Menschen konnten unter Bedingungen Laufen, unter denen kein anderes Tier mehr läuft. Sie konnten damit beispielsweise Antilopen zu Tode jagen und sicherten sich damit eine zuverlässige Versorgung mit Nahrung die zu diesem Zeitpunkt kein anderer Primat genießen konnte: frisches Fleisch. Durch die Aufnahme von reichlich Kalorien, Fett und Proteinen konnten sich die Gehirne unserer Vorfahren gut weiterentwickeln und wurden immer leistungsfähiger.
Bessere Jagdstrategien und besseres Jagdwerkzeug waren die Konsequenz.
So konnte der Mensch sich durchsetzen und überlebte. Und so sind wir heute die intelligentesten Lebewesen unseres Planeten und immer noch die besten Ausdauerläufer.
Unser Gehirn strebt nach Effizienz
Die Frage ist nur, warum nutzen wir diese Fähigkeit kaum noch? Warum bewegen sich heutzutage die Menschen viel zu wenig?
Schuld daran ist wiederum unser Gehirn. Das Gehirn ist ein perfekter Energiesparer. Wir haben einen Körper der auf Leistungsfähigkeit ausgelegt ist, und einen Verstand , der nach Effizienz strebt. Wir haben uns in der Zwischenzeit eine Umgebung geschaffen in der es nicht mehr nötig ist zu Laufen und sich groß zu bewegen. Also warum die Maschine hochfahren, wenn man es gar nicht muss?
Hier liegt die bittere Ironie: Unsere fantastische Ausdauer gab unserem Gehirn die Nahrung, die es für sein Wachstum benötigte. Wir haben uns weiterentwickelt und jetzt untergräbt unser Gehirn unsere Ausdauer.
Bewegung bzw. Laufen als Heilmittel
Die Wissenschaft belegt jedoch immer mehr, wie wichtig Bewegung für uns Menschen ist! Bewegung gilt als Heilmittel gegen eine große Anzahl von Krankheiten. Wir haben die Tätigkeit abgeschafft, für die unser Körper geschaffen ist, und nun bezahlen wir den Preis dafür . Die häufigsten Todesursachen in den modernen Industrieländern- Herzkrankheiten, Schlaganfälle, Diabetes, Depressionen, Bluthochdruck und ein Dutzend Krebsarten- waren unseren Vorfahren gänzlich unbekannt. Sie hatten keine Medikamente, aber sie hatten ein Zaubermittel: Bewegung!
Euer Jochen Gehring